Arbeitskritik. Begriffliche und historische Hinterfragung eines alltäglichen und scheinbar natürlichen Konzepts

Unsere Sprache sagt nicht nur viel über unser Denken aus, sie zeugt manchmal auch von breiteren historischen Veränderungen, die unsere gesellschaftlichen Daseinsformen betreffen. Hierfür gibt es wohl kein besseres Beispiel als die Entwicklung des Begriffs „Arbeit“. Heute ist dieses Wort die Bezeichnung für eine sozial gültige Tätigkeit im engeren Sinn, also meist „Erwerbsarbeit“. Sein Verwendungsfeld dehnt sich aber immer weiter auf Bereiche aus, die weit über diese Definition hinausgehen. So ist bei der Erbringung von intellektuellen Werken von „der Arbeit“ die Rede, zum Beispiel von der „Schularbeit“. Noch viel persönlicher und extensiver sind neue Wortkombinationen wie „Beziehungsarbeit“ oder „Emotionsarbeit“. Der Arbeitsbegriff (nicht nur die reale Tätigkeit dahinter) ist aber auch ein umkämpfter: Die „Hausarbeitsdebatte“, die Frage nach der Definition und Wertung der mehrheitlich von Frauen erbrachten Reproduktionstätigkeiten, kann als ein zentrales Diskussionsfeld neuerer feministischer Bewegungen betrachtet werden. Eines wird schnell klar – „Arbeit“ ist ein hochrelevantes und weltweit durchgesetztes Konzept, das allerdings wenig hinterfragt wird.

Es mag verwundern, dass die breite Bedeutung des Begriffs eigentlich relativ jung ist. Ursprünglich war der Wortstamm (vgl. auch „labor“, „travail“, „rabota“) nämlich nicht Überbegriff für alle nur denkbaren Tätigkeiten, sondern vorbehalten für Tätigkeiten, die große Mühe, Qual, Kummer, Schmerz und Unterwerfung mit sich brachten. Erst allmählich wurde „Arbeit“ für spezifische Tätigkeiten von HandwerkerInnen1 verwendet. Die Durchsetzung des Wortes auch für Kopfarbeit ist in Verbindung zu setzen mit der modernen Teilung von Kopf- und Handarbeit, die in der Industriellen Revolution vollendet wurde. Eine allmähliche Totalisierung des Arbeitsbegriffs kann also in gewisser Weise parallel zur historisch-gesellschaftlichen Entwicklung des Kapitalismus gedacht werden. Überspitzt gesagt, hat sich das Bedeutungsfeld von geknechteter und mühseliger Tätigkeit absolut verallgemeinert, so dass heute potenziell jede Tätigkeit darunter fällt. Die gleichgemachte Arbeit als zentrales Unterdrückungsmoment der Moderne zu verstehen, ist also begrifflich nicht so weit hergeholt – mag dies auch den meisten vorerst sehr seltsam erscheinen.

„Arbeit ist scheiße?“

Nun ist es natürlich nicht so, dass die Durchsetzungsgeschichte der Arbeit eine konfliktfreie gewesen wäre. Abseits einer hegemonial werdenden „protestantischen Arbeitsethik“, die als frühe Durchsetzungsideologie des Kapitalismus gelten kann, gab es zahlreiche Widerstandsmomente und Kämpfe gegen die Zumutungen jener gesellschaftlichen Vereinheitlichung, die Arbeit bedeutete. In gewisser Weise können die verschiedenen frühen sozialen Bewegungen gegen die Modernisierung (von deutschen Bauernrevolten, bis Levellers/Diggers zu Ludditen) auch als Kämpfe gegen den Zwang der sich ankündigenden modernen Arbeitsverhältnisse verstanden werden.

Denn diese „gleichgemachte“ Arbeit, das ominöse begriffliche Etwas, unter dem beinahe alle Tätigkeit subsumiert wird, trat schließlich zu Beginn nicht so frei auf, wie sie es heute (in den westlichen Ländern zumindest) tut: „Arbeitshäuser“, die als unmittelbarer Zwang durch aufstrebende kapitalistische UnternehmerInnen1 und Repression eines zunächst absolutistisch-durchrationalisierenden Staats entstanden sind, zeugen davon. Die Durchsetzung der Arbeit war eine blutige, dennoch präsentiert sie sich heute als das Natürlichste und Freieste überhaupt – denn wer würde schon von sich behaupten, dass sie/er nicht arbeiten wolle? Eine unlösbare historische Paradoxie? Nein, denn gerade die weitere Entwicklung der Widerstandsbewegungen gegen das herrschende Regime liefert den Schlüssel für das Verständnis des Rätsels. Mit der organisierten ArbeiterInnenbewegung entstand erstmals eine Instanz, die den Unterdrückten nicht nur Organisation, sondern auch eine politische Subjektivität gab. Damit wurde zwar die schlimmste Not der ArbeiterInnen gelindert, ja schließlich sogar eine Teilhabe am bürgerlichen Staat erkämpft. Gleichzeitig kam es jedoch zu einer Festigung der allgemeinen Unterwerfung unter den Arbeitszwang – war doch der eigene Status als ProletarierIn Ausgang aller Emanzipationsüberlegungen.

Die implizite kategoriale Ablehnung von Arbeit, die sich früher noch mit der moralischen Kritik der Arbeit(sverhältnisse) vermengte, wurde immer mehr zugunsten einer moralischen Kritik des Klassenverhältnisses beziehungsweise der Ausbeutung durch die KapitalistInnen aufgegeben. Die ArbeiterInnenbewegung war, trotz zahlreicher Brüche und Widersprüche, eine Bewegung für die Arbeit. So wurde schlussendlich – und die Sozialdemokratie ist lebender Beweis dafür – der Widerstand gegen das System selbst Teil des Systems.

Für eine kategorische und radikaleArbeitskritik

Das Problem an der moralischen Arbeitskritik, wie sie in der ArbeiterInnenbewegung vollendet ist, ist also nicht nur ihr historisches Scheitern, sondern eben ihre ideologische Wirkung: Da sie kategorial zu kurz greift, verdeckt sie die tatsächliche Tragweite des Problems. Die Arbeitskategorie kann nämlich keine Grundlage für Emanzipation sein, da sie selbst für KnechtInnenschaft und Unterdrückung steht – auch wenn dies heute nicht (mehr) so klar ersichtlich ist. Kategorische Kritik muss sich – so verrückt dies klingt – gegen Arbeit selbst wenden.

Mit der Kritik der politischen Ökonomie kann theoretisch angeknüpft werden. Denn der Arbeitsbegriff hat seine hegemoniale Wirkung als Überbegriff nicht bloß einfach so oder weil es praktisch ist, alle Tätigkeiten unter einen Hut bringen zu können. Diese begriffliche Dimension kann nur gemeinsam mit der historisch-realen Entfaltung von Arbeit verstanden werden: Arbeit meint tätig sein für die Reproduktion des Kapitalismus, das heißt (Mehr-)Wert schaffende Tätigkeit. Marx führte hierfür einen doppelten Arbeitsbegriff ein: „Abstrakte Arbeit“, die Wert schafft und „konkrete Arbeit“, die für die spezifische Tätigkeit selbst steht. Nun kann mit Hinblick auf die totalisierte und globalisierte Waren produzierende Gesellschaft gesagt werden, dass beide Seiten eigentlich nicht scheidbar sind, und die von der Abstraktion determinierte Arbeit, der vollendete (Selbst-)Zweck der Wertschaffung, absolute Dominanz erlangt hat. Nicht nur über den Arbeitsprozess im engeren Sinn, sondern über das Leben der Menschen schlechthin. Nur von dieser Basis ausgehend lässt sich die heute überbordende (metaphorische und symbolisch vielschichtige) Bedeutungsmacht des Begriffs denken. Dieser ist eben mehr als ein bloßer Begriff, er ist eine Real-Abstraktion – die allgemeine Abstraktheit muss gemeinsam mit ihrer realen, historischen Funktion gedacht werden.

Daraus folgt ein komplexes Netz notwendiger Widersprüche für (linke) Theorie und Praxis – und vor allem die schwierige Konsequenz: Wir müssen Arbeit als solche radikal hinterfragen und auf eine Abschaffung hinstreben. Das heißt natürlich nicht, dass die darunter verstandenen Tätigkeiten allesamt abgeschafft werden sollten. Es bedeutet aber, dass ihre herrschende historische Möglichkeits- und Denkform selbst abgelehnt werden muss. Diese arbeitskritische Position konnte hier freilich nur angeschnitten werden – vielleicht hat sie der einen oder dem anderen LeserIn aber Lust auf mehr gemacht (siehe Literaturtipp). Schwierig ist allerdings auch die praktischeUmsetzung. Denn auf der Basis von Arbeit ist nicht nur keine Befreiung möglich; emanzipatorische AkteurInnen müssen sich auch der widersprüchlichen Konsequenzen bewusst sein, welche sich hieraus für ihre „eigene Arbeit“ ergeben.

Literaturtipp zum Weiterlesen:

Gruppe Krisis: Manifest gegen die Arbeit. http://www.krisis.org/navi/manifest-gegen-die-arbeit

1 Obwohl eine geschlechtergerechte Form gewählt wurde, muss an dieser Stelle auf den geringen Anteil von Frauen in der erwähnten Berufsgruppe hingewiesen werden.

 

Autor: Elmar Flatschart, 2010.

Erschienen in Unique.

Siehe