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Wie hat’s der Antisemitismus mit dir?

Replik auf einen Beitrag der Gruppe D-Day

In einem kürzlich veröffentlichten Text weist die Gruppe D-Day auf die politische Relevanz der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus hin. So sehr das Grundmotiv dieser Intervention zu unterstützen ist – nämlich die beständige Erinnerung an diese Basis-Ideologie des modernen warenproduzierenden Patriarchats –, sollte die tatsächliche politische Umsetzung sich vor allzu einfachen Schlüssen verwahren. Ideologiekritik und Politik in eins zu setzen bekommt beiden nicht und läuft letztendlich Gefahr, in (beidseitige) dogmatische Erstarrungen zu verfallen.

 

Antisemitismus oder die Shoah?

Es steht zweifellos außer Frage, dass sich sowohl linke Politik als auch (theoretische) Ideologiekritik intensiv mit der Shoah als Ausformung eines modernen Vernichtungs-Antisemitismus auseinanderzusetzen haben. Dass dies in einem post-nazistischen Kontext umso mehr Not tut, ist ebenso evident. Wichtig ist es jedoch, nicht der Vorstellung eines absoluten „Zivilsationsbruchs“ zu verfallen, auch wenn dies ein oberflächlicher Blick auf die historischen „Fakten“ nahelegen mag. Es gilt festzuhalten, dass Antisemitismus auch schon vor Auschwitz integraler Teil der „Zivilisation“ war und insofern das historische Ereignis einen Vorlauf und natürlich auch eine Nachwirkung in der Entwicklung des warenproduzierenden Patriarchats bzw. seiner ideologischen Verarbeitungsformen hat. In diesem Sinne war die Tradition der Arbeiter_innenklasse auch schon vor dem NS nicht „unschuldig“, ebenso wie sie aber auch keineswegs auf antisemitische, völkische oder gar nationalsozialistische Momente reduziert werden sollte. Linke Bewegungen waren damals gespalten, emanzipatorische und ideologische Momente eng miteinander verwoben – genauso wie es heute noch der Fall ist.

 

Zwischen Ideologiekritik und der Kritik des Politikfetisches

Diese Spaltung ist jedoch nicht allein auf den Antisemitismus zurückzuführen, tatsächlich lässt sie sich generell nicht bloß ideologiekritisch verstehen. Vielmehr verweist sie auf die Basis fetischistischer Vergesellschaftung, aus der Ideologien überhaupt erst entstehen. Dieser Fetischismus wird gemeinhin v.a. auf „ökonomische“ Tatbestände zurückgeführt, wobei ein enger Zusammenhang zwischen dem Warenfetischismus und der antisemitischen Ideologie nicht zu leugnen ist. Die von Moishe Postone1 entwickelte These einer Ineinssetzung beider ist dabei jedoch zu kritisieren, da sie die ganze Tragweite des Problems fetischistischer Vergesellschaftung verkennt: der ökonomische Fetisch ist nur die Spitze eines Eisberges von Fetischismen, die – einer Logik der „Wert-Abspaltung“2 folgend – alle Sphären bürgerlicher Gesellschaft durchziehen. Erst aus diesem komplexen Modell lässt sich Ideologiekritik begründen. Dahingehend scheint es besonders relevant, auch die Politikform einer fetischkritischen Untersuchung zu unterziehen. Diese Perspektive nun führt uns eine innere Spaltung der Politikform vor Augen, die sich in aufeinander verwiesenen politisch-ideologischen (systemaffirmativen) und anti-politischen (systemnegierenden) Momenten artikuliert. Beide sind Teil „linker Praxis“ im weiteren Sinne und folglich ist sowohl die pure „nicht-ideologische“ politische Praxis, wie auch die nicht-politische, rein negierende Anti-Politik eine Illusion. So what? Ich will damit sagen, dass es auf die Vermittlung ankommt.

 

(Real)Politik oder Kritik?

Ich habe versucht zu zeigen, dass es in den vorherrschenden Verhältnissen keine Position außerhalb der Widersprüche gibt. Dies beständig für sich selbst in Anspruch zu nehmen war und ist wohl eines der größten (ideologischen) Probleme der Linken. Das bedeutet jedoch nicht, dass Widersprüche einfach hingenommen werden müssen – sie sollten beständig bearbeitet werden, wobei ihre verwiesenen Seiten anfangs durchaus in ihrer Trennung nachzuvollziehen sind und erst in Folge einer meta-kritischen Einordnung in den Modus ihrer fetischistischen Konstitution zusammenzudenken sind. Emanzipatorische Aufhebung des Bestehenden kann folglich nur in und durch die Politikform geschehen, ebenso, wie sie jene radikal zerstören muss. Dabei sollte jedoch der Maßstab stimmen: es macht wenig Sinn, von der eigenen anti-staatlichen Praxis unmittelbar auf die Abschaffung real existierender Staatlichkeit zu schließen, wie dies etwa plump-anarchistische Positionen gut heißen mögen. Tatsächlich würde der Wegfall von staatlicher Herrschaft – insbesondere jener Israels – im Status Quo den ideologisch verzerrten Praxen freien Lauf lassen und damit wohl in Barbarei münden. Das heißt jedoch nicht, dass eine radikal politikkritische Haltung nicht im Binnenraum von alternativen Praxen und der theoretischen Kritik weiterhin gefördert werden kann und muss.

Quasi im Umkehrschluss hierzu ist die Forderung einer „bedingungslosen Solidarität mit Israel“ kritisch zu betrachten: einerseits kann „(real)politisch“ und maßstabsgetreu gesagt werden, dass Israel (zum Glück) nicht auf die Solidarität versprengter Linksradikaler im deutschsprachigen Raum angewiesen ist, ja jene für die tatsächliche Sicherung der staatlichen Souveränität Israels keinerlei Rolle spielen (selbst wenn sie sich ihrerseits in die kärglichen Abgründe repräsentativ-politischer Lobbyarbeit begeben). „Politisch“ ist diese Solidarität also völlig wert- und sinnlos.
Andererseits lässt sich hinter der Forderung jedoch ein ideologiekritisches Ansinnen ausmachen, dass ich im Wesentlichen in der Kritik des sekundären und als Antizionismus versteckten Antisemitismus deuten würde. Dieses Motiv ist natürlich von großer Bedeutung, gerade für innerlinke Selbstkritik, denn bekanntlich sind jene Formen des Antisemitismus heute die den historischen Verhältnissen am meisten entsprechenden. Wie aber nun damit umgehen, in der politischen und (ideologie-)kritischen „Alltagspraxis“, v.a. jener des Antifaschismus?

 

Nicht wo du stehst zählt, sondern wie du dich verhältst

Der Fehlschluss liegt in der Ineinssetzung von Kritik der Motive des (linken) Antizionismus und der politischen Forderung nach einer „bedingungslosen Solidarität mit Israel“. Letztere hat mit der Kritik antisemitischer Ideologie nichts zu tun und stellt in Reinform jene falsche, verabsolutierende Kaschierung der politischen Formwidersprüche dar, die ich oben kurz zu skizzieren versucht habe. Es handelt sich dabei wie gezeigt um eine in der Binnenlogik des Politischen sinnlose Forderung. Im Gegenteil verbaut sie aber – auf Grund ihrer Maßstabsverfehlung – die Möglichkeiten realistischer emanzipatorischer Handlungen in der Politikform. Ein politisch-zielorientier Antifaschismus, wie er den gegebenen, sich beständig nach rechts verschiebenden Verhältnissen angemessen erscheint, wird somit verunmöglicht, da die Pluralität der politischen Praxisform „Antifaschismus“ (mitsamt ihrer je zu problematisierenden ideologischen Verwerfungen) in einem rein fiktiven und dogmatisierten politischen Postulat vereinheitlicht wird. „Politisch“ ist Antifaschismus hingegen dann, wenn er auch das Ziel im Auge behält – die Zurückdrängung faschistoider und revisionistischer Tendenzen im Hier und Jetzt.

Die Ineinssetzung dieses projektiven politischen Postulats mit der (Möglichkeit von) Ideologiekritik gefährdet jedoch auch letztere. Denn werden die Widersprüche innerhalb politischer Zusammenhänge derart vereinseitigt, so wird die Auseinandersetzung mit anderen Ideologien zwangsläufig unterprivilegiert. Schließlich wird dabei aber selbst noch antifaschistische Praxis stark eingeschränkt, da sich politisch artikulierende Intersektion verschiedener Ideologien unberücksichtigt bleibt: politische Faschisierung ist nicht auf Antisemitismus zu beschränken; und jener selbst ist mitunter nicht haarscharf von anderen Ideologien zu trennen. Dies ist durchaus auch angesichts der obigen Widerspruchskonstellation zu lesen: zuweilen kann antifaschistische Praxis in einem strikten Ausschlussverhältnis z.B. zu der Möglichkeit antisexistischer Praxis stehen, wenn es etwa um Gewalt und militantes Auftreten geht. Dieses Problem mag immanent nicht zu lösen sein; aber den Widerspruch reflektieren zu können, ihn nicht unbewusst zu halten und zu kaschieren, würde gesellschaftskritisch reflektierter Praxis zuträglich sein.

In diesem Sinne sollte der Grundanspruch antifaschistischer Praxis, wie ihn D-Day im Schlusssatz formuliert, modifiziert werden: Antifaschismus hat – zwangsläufig auch „politisch“ – gegen faschistoide Entwicklungen im warenproduzierenden Patriarchat zu kämpfen. Dies wird immer ein Abwehrkampf bleiben, da Tendenzen der Faschisierung u.a. in den vielfältigen Ideologemen der Moderne angelegt sind und beständig hervorzubrechen drohen. Dieser Abwehrkampf ist nicht zuletzt auch einer des Selbstschutzes und des Schutzes von unterprivilegierten, besonders von Gewalt und ideologischen Ausbrüchen bedrohten Gruppen. Dabei wird jedoch keine widerspruchslose, „ideologiefreie“ Position zu haben sein. Jene unmittelbaren Ziele politischer Praxis ohne wenn und aber auf dem Altar der „reinen (Ideologie-)Kritik“ zu opfern, ist unmenschlich und letztlich oft selbst ideologisch.
Die Aufgabe der Ideologiekritik ist es, Ideologien im breiteren gesellschaftlichen Kontext zu analysieren und auch in linken Bewegungen beständig zu skandalisieren. Der Widerspruch, der zwischen jener bedingungslosen Kritik und den Anforderungen politischer Praxen entstehen mag, ist als solcher zu bearbeiten, aber nicht endgültig lösbar. Die Metakritik fetischistischer Vergesellschaftung unter dem Vorzeichen der Wert-Abspaltung kann hier nur erklären, wie es zu dieser Widersprüchlichkeit kommt und die Grundlage für Ideologiekritik schaffen. Sie kann jedoch die Mühen der politischen Praxis nicht lösen, Kritik und Politik zusammenzupressen verbietet sich ihr. Erst wenn dies verstanden wird, wird ernstzunehmender Antifaschismus ebenso wie radikale Ideologiekritik möglich.

Postone, Moishe. 1993. Time, Labor and Social Domination: A Reinterpretation of Marx’s Critical Theory.New York and Cambridge Cambridge University Press

Scholz, Roswitha. 2000. Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose des Patriarchats.Bad Honnef: Horlemann.

2 Unter „Wert-Abspaltung“ wird die Erweiterung der (Marxschen) Kritik der warenproduzierenden Gesellschaft um die Dimension des vergeschlechtlichen Anderen verstanden. Dies reflektiert u.a. Debatte um „weibliche“ Reproduktionsarbeit, bezieht sich aber auch auf kulturell-symbolische Formen des modernen Patriarchat. Sh. (Scholz 2000)  

Autor: Elmar Flatschart

Erschienen in Unique (11/2011).

Fetischismus der Politik in krisenhaften Zeiten

Extremismus-Theorie, Postpolitik und der unerschrockene Glauben an das Demokratische der Politik

Linke Theoriebildung strebt – wie jede andere auch – ihre eigene Verbreitung an. Zwangsläufig stößt die Vermittlung eigener Botschaften dabei regelmäßig an die Mauern der bürgerlichen Medien, die als einzig wirkmächtige Instanz der Verbreitung von Information den Status Quo reproduzieren. Auf den ersten Blick mag es als Erfolg erscheinen, wenn nun linke Ansätze trotz der immanenten Hürden die harte Nuss der Rezeption durch die Massenmedien knacken. Auf den zweiten Blick erweist sich jedoch oft, dass die Errungenschaft gar keine ist, vielmehr verfremdete Fragmente der Theorie übernommen werden und derart eine gar nicht genehme Rezeption befördern. Manchmal jedoch erweist ein dritter, tiefer bohrender, Blick (von außen) die Unzugänglichkeiten der Ansätze selbst, die ihnen eigentlich immer schon anhafteten und nun in der vermeintlichen „Fehlrezeption“ zu sich kommen. Dass Postpolitiktheorem von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe ist ein Paradebeispiel dieser Art von „falscher richtiger Übernahme“ durch den Mainstream. Da die Verarbeitung der Koryphäen des „Post-Marxismus“ in diesem Mainstream jedoch über den rein ideologiekritischen Aspekt hinaus kritisch gewandt dennoch einige Erkenntnisse über die Politikform in der Krise zu liefern vermag, lohnt eine Auseinandersetzung mit derartig inspirierten Analysen. Exemplarisch ins Auge fassen möchte ich hier einen längeren Artikel, der kürzlich in „Die Zeit“ erschien und als Ausgangspunkt die weitverbreitete Empörung über den „rechtsextremen Terror“ hatte. Überhaupt interessant ist dieser Text, da er sich von der phänomenologischen Oberflächenebene der spektakulär-politischen Inszenierung des Horizonts einer „Ereignispolitik“ recht schnell distanziert und sich in einer Analyse der tiefergehenden Mechanismen von Extremismen schlechthin versucht. Dabei wird nicht nur augenscheinlich vermittelt, wie eine kontemporäre Version der altbackenen Extremismustheorie aussieht, auch kommt darin die ideologische Verzerrung der krisenhaften Transformationen der Politikform idealtypisch zur Geltung. Exemplarisch lässt sich an diesem Thema also eine breitere Untersuchung der Krise der Politik anknüpfen, die ich in Folge in Form darstellender Kritik holzschnittartig herauspräparieren möchte.

Die Verwiesenheit von Extremismustheorie und Antinomie der modernen Politikform

Der Kern einer etwas differenzierteren bürgerlichen Extremismustheorie war stets die Selbstlegitimierung der eigenen demokratischen Ideale. Gemäß der „Hufeisentheorie“ gäbe es ein Spektrum des „guten“ – weil demokratieaffirmativen – Pluralismus politischer Positionen und an den unteren Enden des Bogens jeweils die linken und rechten Extremismen, die den Konsens brechen. Die Gemeinsamkeiten sind leicht benannt: Statt Friede (vulgo: Akzeptanz des bürgerlichen Gewaltmonopols) werde da Gewalt gegen das System propagiert, statt Akzeptanz anderer Meinungen (vulgo: Toleranz, solang sie nicht weh tut) die eigene verabsolutiert und statt konstruktiver Verbesserung des Machbaren im Hier und Jetzt (vulgo: Akzeptieren der „Sachzwänge“) wird auf destruktive Zerstörung des Bestehenden zugunsten eines utopischen Anderen gesetzt. Schon immer wurden in dieser Denkart normative und deskriptive Momente vermischt, der Rahmen des Bestehenden einerseits als richtiger gelobt und andererseits als einzig realistischer positiviert. Genaugenommen sind beide Argumentationsschienen eigentlich voneinander abhängig: nur weil das Bestehende auch gut ist, kann es bestehen und weil es besteht, muss es irgendwie gut sein. Dabei wird einerseits die Unumstößlichkeit eines gewissen Rahmens des Politischen festgeschrieben, der eben auf Staat, repräsentative Demokratie, das „männliche-weiße-westliche“ Subjekt als „zoon politikoon“ und nicht zuletzt auch die aufklärerischen Ideale des universalistisch-androzentrischen Denkhorizonts des modernen politischen Imaginären verweist.

Andererseits wird jedoch die Gesetztheit dieser politischen Form selbst zum Ausgangspunkt genommen für die Vorstellung von „gutem“ politischen (Aus)handeln, dem „Prozess“ Politik, der sinnbildlich in der allseitigen Hochhaltung der „demokratischen Legitimierung“ von Auseinandersetzungen zu sich kommt. Es ist also nicht bloß ein von vorneherein festgelegtes Dogma, dass demokratische Herrschaft absichert, sondern eben auch eine Art des „politischen Handelns“ selbst, welche die „totalitären“ Verwerfungen der extremistischen Ausläufer des Meinungsspektrums diskreditieren kann. Es wird abgesteckt, welche Meinung vertretbar ist und welche nicht, aber dies geschieht nicht unmittelbar, in einer taxonomischen Setzung, sondern durch eine komplexe Verwobenheit von scheinbar unumstößlichen Strukturen (die aber natürlich einem „demokratischen Prozess“ entspringen) und scheinbar offenen politischen Handlungspraxen (die ebenso natürlich auf „demokratische Institutionen“ verweisen). Diese innere Verwiesenheit, welche philosophisch eigentlich einer antinomischen Konstellation gleichkommt, ist also mehr als ein ideologisches Residuum einer bestimmten politischen Position. Vielmehr lässt sich anhand der Extremismustheorie sehr gut die sonst nicht ganz einfach offenliegende basale widersprüchliche Form des modernen Politischen dechiffrieren. Zweifellos gab es in dieser Dualität von scheinbar offener prozessualer Aushandlung des Vertretbaren (und folglich nicht durch Staatsgewalt Unterdrückten) und schon vorgefundener quasi-natürlicher Struktur des Politischen gewisse Verschiebungen, die Grundstruktur dieser politischen Form blieb jedoch relativ lange intakt. Sie weist die typische Symmetrie einer dialektischen Figur auf (beide Seiten setzen einander notwendig voraus und schließen sich trotzdem aus) und kann so mit der allgemeinen fetischistischen Verfasstheit des modernen warenproduzierenden Patriarchats assoziiert werden: Struktur und Prozess sind auf spezifische Art miteinander verwoben und erscheinen doch als getrennte, scheinbar kontingente soziale Fragmente. Die Verknüpfung beider, die dem Telos der vergeschlechtlichten Wertvergesellschaftung entspricht, steht dabei als „unsagbares Drittes“ im Hintergrund und ist auf der Oberflächenebene dualistischer Oppositionen – so etwa auch jener zwischen „rechtem“ und „linken“ Extremismus – immanent nicht mehr ausmachbar. Dies macht gerade die Schwierigkeit fetischistischer Verhältnisse aus: was „real“ ist und was bloßes Ideal lässt sich – gerade ob der oberflächlich scheinbar klaren Dualismen – so einfach nicht mehr differenzieren, eine dahinterstehende Logik der Entwicklung gesellschaftlicher Verhältnisse derart nur als gebrochene dechiffrieren. Prototypisch hat dies das Wert-Abspaltungstheorem als Weiterentwicklung der Marxschen Fetischkritik erwiesen und die darin angelegten Erkenntnisse sind analog auch für das moderne Politische urbar zu machen. Rudimentär lässt sich jedenfalls sagen: was uns – durchaus auch im radikalen Sinne – als politisch erscheint, ist so unschuldig gar nicht und die zugrundeliegende Formebene ist selbst noch zu problematisieren. Vorzüglich lässt sich dies an der heute radikalsten der radikalen Demokratie- und Politiktheorien, jener Laclau/Mouffes exemplifizieren.

Vom Leiden am Postpolitischen (featuring: Laclau und Mouffe)

Dass diese Antinomie der Politikform in bürgerlicher Extremismustheorie also nicht offenliegt, dabei jedoch die Annäherung an eine gewisse, nahezu aristotelische „goldene“ Mitte immanent durchaus einer Binnenrationalität folgt, der nicht so einfach zu entkommen ist, wird analog zur Ebene des obigen „zweiten Blicks“ einsichtig. Denn wo auf den ersten Blick von linker Seite stur die eigene minoritäre Meinung des „radikalen Dagegens“ als Absolutum gesetzt wird, kommt diese einfache, von der unmittelbaren politischen Positionierung getragene, Ablehnung der Extremismustheorie bereits nach etwas kritischer Selbstreflexion ins Wanken. Der/die gewogene politische Theoretiker/in – vorzugsweise mit politisch-philosophischer Vorprägung, gerne auch geschult an habermasianisch-(diskurs-)ethischen „Ausstiegsszenarien“ aus radikaler Systemkritik – könnte auf der ewigen Suche nach dem richtigen Fundament des eigenen politischen Handelns etwa folgenden Gedankengang entwickeln, der gewissermaßen einer transzendentalen Kritik gleichkommt: Die eigene Position soll das Bestehende radikal hinterfragen, aber zugleich natürlich nicht den Vorurteilen ihrer KritikerInnen entsprechen, also muss sie offen und vor totalitärem Dogmatismus gefeit seine. Ihr Ausgangspunkt kann folglich nicht mehr – wir leben ja längst auch in Post-Zeiten – der eine (eigene) identitäre Standpunkt sein, sei es nun „Klasse“, „Rasse“, „Geschlecht“ oder welch andere Subjektposition auch immer. Nur kein klares Fundament ermöglicht es, zugleich offen zu sein und trotzdem radikal zu kritisieren. Dies treibt den/die suchende TheoretikerIn allerdings an den Rand einer existentiellen Schwierigkeit, welche das ganze Projekt ins Wanken bringt – nur ein uneindeutiges Fundament ermöglicht weiterhin politisches Handeln abseits des Alps von Totalitarismusvorwurf und dogmatischer Versteifung; gleichzeitig ist etwas Uneindeutiges aber auch etwas, mit dem eins praktisch nicht viel anfangen kann. Die Lösung ist jedoch in Sicht mit dem Sprung auf die zweite Ebene: Es gilt schlicht das zu verteidigen, was scheinbar der kleinste gemeinsame Nenner ist, jedoch die eigene radikale Position immer noch zulässt – die Logik des offenen, undefinierten politischen Antagonismus selbst ist zu verteidigen, denn wo eine Auseinandersetzung möglich ist, kann zumindest potentiell die eigene Position durchgesetzt, „Hegemonie errungen“ werden. Sehr ähnlich schlussfolgern Laclau/Mouffe in ihrer von Gedankenexperimenten und abstrakten Schlussfolgerungen geprägten Vermählung von poststrukturalistischen und pragmatischen Argumentationsfiguren und treffen damit den Nerv der Zeit. Offensichtlich jedoch nicht nur den des linken Mainstreams, sondern auch des bürgerlichen, ja möglicherweise auch Rechten. Vor allem wenden sie sich gegen eine Erstarrung der Prozessdimension des Politischen; damit aber auch gegen einen Zustand, nämlich jenen, der nicht bloß von Laclau/Mouffe, sondern einer Vielzahl politischer PhilosophInnen als „postpolitisch“ bezeichnet wird.

Damit gemeint ist im Wesentlichen die – oftmals mit dem sogenannten „Neoliberalismus“ in Verbindung gebrachte – Transformation der politischen Landschaft in den letzten Jahrzehnten, die neben Politikverdrossenheit und „Ökonomisierung“ des (Wohlfahrts-)Staates v.a. auch eine Nivellierung der substantiellen, in einer umgangssprachlichen Diktion oft „ideologisch“ genannten, Antagonismen in der real existierenden Politik. Anstelle von „wirklichen“ politischen Kämpfen scheinen heute vielfach die Spin-DoktorInnen eines spektakulär-aufgeblasenen wie inhaltsleeren Populismus getreten zu sein. Es ist eine Binsenweisheit, dass alle großen politischen Parteien sich in den wirklich relevanten Fragen recht einig sind, ja hier eine gewisse unsichtbare Hand der „Sachzwänge“ vorzuherrschen scheint, die den ehemals so lustigen politischen Hick-Hack zu einem faden Einheitsbrei verkommen lässt. Die neoliberale Hegemonie hat also schlussendlich die demokratische Kultur quasi zugeschüttet, es gibt keinen Streit mehr und folglich auch keine Möglichkeit für radikale (linke) Positionierung. Hiergegen machen die KritikerInnen der Post-Politik – und hier kann sich nun auch unser/e geplagte linke/r TheoretikerIn wiederfinden – just ihre Vorstellung des ewigen Antagonismus stark, gewissermaßen einer Kultur des Streitens, die als solche den Kerngehalt einer „gesunden“ Demokratie ausmachen solle.

Die Schwierigkeit, welche dieser Ansatz in der Abgrenzung von bürgerlicher Extremismustheorie hat, erweist sich jedoch prompt, nämlich wenn die rein philosophischen Überlegungen für bare Münze genommen werden und ihre politisch-analytisch Substantialisierungen finden. So auch in besagtem Zeit-Artikel von Maximilan Probst. Probst dreht nun nämlich den Spieß um und stellt eine unmittelbare Verbindung zwischen der populistischen Dimension, Neoliberalismus und Extremismen her. Ähnlich wie auch im Gros linker Kritik wird der ominöse Neoliberalismus als Wurzel allen Übels betrachtet, jedoch zugleich mit dem Zustand der Postpolitik in Verbindung gebracht:

”Nun wird es in einer Demokratie immer Leute geben, die Schauermärchen erzählen und damit zu ihren Gunsten Politik machen. Die neoliberale Propaganda war nicht das Problem. Ein Problem entstand, als das Schauermärchen nach 1989 von nahezu allen geglaubt wurde (einmal abgesehen von den Ewiggestrigen der PDS). Keinem fiel eine Alternative ein, auch nicht der alten bundesrepublikanischen Linken – das war der Moment, an dem unsere Demokratie zunehmend Züge des Postpolitischen zeigte.“ (M.P.)

Klar ist: auch hier geht es um die Verteidigung „unserer“ Demokratie. Jedoch wird aus der neoliberal induzierten Vereinheitlichung ganz unmittelbar auf den Extremismus geschlossen. Denn wo alles nur noch Wurst sei – wie schon damals, in der DDR –, keine Wahl mehr zwischen verschiedenen Aufschnittsorten bestehe, suchten die Leute eben nach „jenseitigen“ Alternativen, schlachten sich ihre eigene Sau. Der Extremismus wird so quasi-materialistisch erklärt – er kommt aus eben jener Frustration des Politischen, die mit Laclau/Mouffes Postpolitiktheorem erklärt sein soll. Wenn nun der Aufwind rechtsradikaler Extremismen aus den bestehenden postpolitischen Verhältnissen hergeleitet wird und noch dazu mit dem bösen Neoliberalismus in Verbindung gebracht wird, so mag das zuerst einmal dem/der linken TheoretikerIn nicht als Fehler erscheinen. Im Gegenteil scheint damit ja doch einiges der eigenen Kritik im Mainstream angekommen zu sein. Allerdings wird natürlich sofort klar, dass mit Extremismus durchaus auch die eigene, linke Position gemeint sein kann – die gleiche Herleitung kann als Retourkutsche auch von Rechts kommen, wie der Autor im Verweis auf die „ideologische Radikalität“ (M.P.) des neuen Parteiprogramms der Linken klarstellt. Auf sicherer Seite ist dabei scheinbar immer nur die Mitte. Doch tatsächlich steht natürlich auch sie in dieser Konstellation auf tönernen Beinen. Dies wird deutlich, wenn es an die eigentliche Begründung jenes durch postpolitische Verballhornung „entfremdeten“ politischen Begehrens geht:

”Man sollte dieses politische Begehren auf keinen Fall unterschätzen. Von Aristoteles bis Hannah Arendt hat uns die Philosophie immer wieder darauf gestoßen, wie wichtig es für den Menschen ist, sich als politisch handelndes Subjekt empfinden zu können, als ein Subjekt, das in einem emphatischen Sinn über eine Stimme verfügt. Das heißt, der Mensch muss das Gefühl haben, dass seine Stimme zählt und dass diese Stimme der direkte Ausdruck persönlicher Grundüberzeugungen ist. Der postpolitische Konsens der Mitte, der sich in den Neunzigern bildete, lässt für dieses politische Empfinden aber kaum Raum, erst recht nicht, wenn diese Mitte auch noch in den Ruch gerät, ohnehin dem Diktat einer globalen Ökonomie unterworfen zu sein.“ (M.P.)

Das Begehren wird – wie bereits oben in der Kritik der Politikform angerissen – überhistorisch ontologisiert und tendenziell naturalisiert. Der Mensch ist eben ein zoon politikoon, wie gerade die Lieblingsphilosophin des liberal-intellektuellen Bildungsbürgertums, Hannah Arendt, herausstellte. Wenn es jedoch darum geht, zu erklären, was dies nun bedeutet, wird es jedoch deutlich relativistischer, die Prozessdimension des Politischen kommt zu Tage: der Mensch müsse „das Gefühl haben, dass seine Stimme zählt“ – es geht nicht darum, dass sie wirklich zählt, dass etwas bewirkt wird, oder eine tatsächliche Schnittmenge zwischen „Grundüberzeugung“ und „Realität“ existiert. Was zählt ist reale Illusion, in einem antagonistischen Prozess eine Stimme zu haben. Das scheinbar so unumstößliche politische Begehren des Menschen ist also zugleich eine recht inhaltslose Sache. Rein philosophisch bestünde hier noch keine Inkongruenz mit Laclau/Mouffe. Wird all dies realpolitisch gedeutet, so wird jedoch schnell klar, dass ein „politisches Begehren“, der „politische Antagonismus schlechthin“, nicht ohne einer historisch-materialen Inhaltlichkeit zu haben sind. Für die Position der Mitte ist dies natürlich die „rationale“ Position der abwägenden und sachlichen Auseinandersetzung, die nicht von extremistischen oder – was fast ident zu sein scheint – populistischen Positionen, welche „wesentliche Probleme zu verschleiern und vor sich herzuschieben trachte[n]“ (M.P.) übertüncht wird. Wo der Kern dieser „sachlichen Sache“ selbst zu verorten ist, wird dabei natürlich nie gefragt. „Sachlich“ und „rational“ geht es aber gemeinhin vor allem im Ökonomischen vor sich und hier beißt sich die Affirmation des Politikfetisches, der schnöden Akzeptanz des Widerspruches zwischen strukturell-ontologisierter Dimension der Politik und prozessual-kontigenter Dimension des Politischen in den eigenen Schwanz. Denn die „wesentlichen Probleme“ sind eben heute mehr denn je der gemäß oberflächlicher Wahrnehmung als dichotom-getrennt erscheinenden Sphäre des Ökonomischen zugeordnet. Die sich zuerst strikt-ökonomisch artikulierende Krise des warenproduzierenden Patriarchats war nun aber gerade der Ursprung jener – auch als politisch-hegemonial wahrgenommener – Intervention des „Neoliberalismus“, die für Probst und viele linke TheoretikerInnen zur illegitimen „wirtschaftspolitischen Handlungsunfähigkeit“ des politischen Systems gegenüber „Hochfinanz und Lobbyisten“ (M.P.) führte. Der Neoliberalismus war bekanntlich die Bewältigungsstrategie gegen das, was historisch als Krise des Keynesianismus – etwas breiter betrachtet: der fordistischen Entwicklungsphase des Kapitalismus – bekannt wurde. Die Lösungen, welche der „bürgerlichen Mitte“ hier, abseits von Versuchen, die illusionäre Dimension der politisch-prozessualen Antagonismen künstlich wiederanzuheizen, einfallen, sind bezeichnenderweise absurd. In veraltet-malthusianischer Manier wird die Bevölkerungsschraube als Vehikel der Lösung des wesentlichen Problems erachtet und festgehalten, dass „es die Einwanderer sind, die den überalterten Laden Deutschland einzig noch retten können“ (M.P.). Das einzige was sich hieraus lernen lässt: Offensichtlich ist die Angst um die eigene Rente in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen.

Jedenfalls klar ist, dass die Ansätze von Laclau/Mouffe nicht nur nichts taugen, wenn es um eine kritische Theorie der modernen Politikform geht; es hat sich auch erwiesen, dass sie mit ihrem Eintreten für die Prozessdimension des politisch-demokratischen Antagonismus völlig anschlussfähig sind für regressiv-bürgerliche Positionen, die sowohl den demokratisch-herrschaftsförmigen Status Quo absichern, als auch letztlich – sei es auf ominöse und immer offener brüchige Weise – zu einem Neuaufguss der Extremismustheorie führen. Linke Kritik schießt sich damit also doppelt ins Knie.

Hin zur Postpolitik als Phänomen systemischer Krisentendenzen

Dennoch – derart blanke und recht unmittelbar interessensbezogene Reduktionen auf das ökonomische Moment, wie sie den Abschluss des eigentlich von bildungsbürgerlich-idealistischen Grundtenor geprägten Artikel von Probst auszeichnen, verweisen nun trotzdem auf eine tiefere Wahrheit in den zugrundeliegenden Konzepten. Sie zeigt sich auf den „dritten Blick“ und stellt den wahren Kern der Postpolitikanalysen dar: Es gibt offensichtlich in der modernen Politikform kategoriale Veränderungen, die sich nicht auf sekundäre Erscheinungsformen – etwa einer Politikverdrossenheit, wie sie in der Weimarer Republik bisweilen als Folge der Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit konstatiert wird – reduzieren lassen. Denn wie Probst richtigerweise feststellt, baute jene vorübergehende „antipolitische“ Haltung gegenüber den politischen Institutionen (bzw. ihrer Unfähigkeit, die ökonomischen Probleme zu lösen) gerade auf einer Basis der sich zuspitzenden politisch-identitären Antagonismen auf. Damals konnte also keineswegs von Postpolitik die Rede sein und es käme auch niemanden in den Sinn, die Gedanken rezenter „Post-Theorie“ auf die Hochphase des Fordismus zu übertragen. Insofern ist natürlich die präsentierte weiterführende Definition von „funktionierender Demokratie“ als „heikle[r] Balance“ zwischen „extremer Lagerbildung und postdemokratischem Konsens“ (M.P.) eine ahistorisch-entkontextualisierte. Diese Balance, die sich heute als fatal-schwierig herzustellende erweist, ist tatsächlich erst unter gegebenen Verhältnissen, in der postfordistischen Krise des warenproduzierenden Patriarchats eine relevante. Augenscheinlich wird dies auch daran, dass Politik und Demokratie ganz ohne weiteres in der Beschreibung des „Post-Zustands“ in eins gesetzt werden – ganz ohne Frage ist das Politische demokratisch. Dies verweist einerseits darauf, wie sehr die Politikform sich tatsächlich hin zu ihrem Ideal der demokratischen Ausgestaltung des Politikfetisches entwickelt hat – es ist heute ganz klar, dass die Dialektik von politischer Prozess- und Verstetigungsdimension, von Illusion und Realität des Politischen sich am besten in der hegemonialen, als einzig „wahrer“ und „natürlicher“ Form geltenden Gestalt der Demokratie verwirklicht. Zugleich wird andererseits auch deutlich, dass diese Form selbst in die Krise geraten ist. Dies heißt nun eben nicht, wie in der Hochzeit der Durchsetzung des Fordismus, dass im Jenseits der Demokratie der Faschismus lauert. Auch wenn zweifellos umfassende Veränderungen hin zu autoritären Momenten konstatierbar sind, so finden diese doch allesamt innerhalb demokratischer Formhüllen statt. Ausgehöhlt wird dabei aber nur, was immer schon hohl war – dies erweist augenscheinlich die fetischistische Basis der Eingrenzung des politischen Rahmens und der Ausgrenzung des Extremismus. Dass diese Basis nun selbst in die Krise gerät, ist allerdings kein Zeichen eines immanenten bzw. immanent lösbaren Problems, sondern deutet auf eine gesamtgesellschaftliche Krisendynamik hin, in der ökonomische und politische Momente nicht bzw. nicht mehr – oder jedenfalls immer weniger – distinkt zu halten sind. Während der gesamten Entwicklungsphase des warenproduzierenden Patriarchats waren Politik und Ökonomie zwar schon immer dialektisch verwoben, artikulierten sich jedoch – mit unterschiedlichem Akzent – stets als getrennte Sphären. Die Dominanz von im engeren Sinne „politischen“ und „ökonomischen“ Aspekten variierte dabei historisch, analog zu unterschiedlichen Durchsetzungsstufen des Systems. Bekanntlich stand oftmals eine absolutistisch-etatistische Überdominanz eines (sich selbst erst etablierenden) „starken Staates“ am Anfang der „Erfolgsstory“ des Kapitalismus. Die nachholenden Modernisierungsregime des „realsozialistischen“ Ostens sind ein später Nachklang dieser Tendenz, ebenso wie sie allgemeine „Zyklen“ der relativen Dominanz politischer und liberal-marktförmiger Regulationsmodi darstellen. Kennzeichnend für die gesamte Durchsetzungsgeschichte war jedoch die sich erweiternde Aufgliederung und immanente funktionale Stabilität des Politikfetisches selbst – auch in nicht-demokratischen Verhältnissen war stets ein relatives Equilibrium zwischen antagonistischen Dimensionen der (vermeintlichen) Interessensdurchsetzung und verstetigten Aspekten der (scheinbar) natürlichen politischen Strukturen vorzufinden. Diese Kondition gerät heute immer mehr ins Trudeln und die meisten jener Phänomene, die unter dem Label „Postdemokratie“ firmieren, lassen sich in Wahrheit als Erscheinungsformen einer umfassenderen, systemischen Krise verstehen. Postpolitik heißt insofern wirklich „nach der Politikform“ – denn eine Rückkehr zum Status quo ante ist nicht absehbar. Dies ist alleine schon im Verweis auf die ökonomischen „Sachzwänge“ augenscheinlich; die Tendenz zu einer allgemeinen Systemkrise ist jedoch darüber hinaus bereits logisch in der fetischistischen Gestalt nicht nur der ökonomischen, sondern auch der politischen Form angelegt: gewissermaßen hat sich die moderne Demokratie als fetischistischte und komplexestes Artikulation dieser Form über sich hinaus und gegen sich selbst durchgesetzt. Die Grenzen zwischen Illusion und politischer Realität – in der Oberflächenwahrnehmung: Populismus und Sachpolitik – verwaschen zunehmend unter dem Primat einer ökonomisierten „Rumpfpolitik“, die zwar nicht das gesamte Politische determiniert, jedoch immer mehr zum aporetischen „wesentlichen Problem“ der Politikform wird. Demokratie wird damit nicht ausgesetzt, sondern in ihrer totalen Durchsetzung – es kann durchaus vom „Totalitarismus der Demokratie“ gesprochen werden – zu ihrer eigenen Verfallsform. Die „heikle Balance“ des Politikfetisches wird demgemäß zunehmend prekär oder gerät mit sich selbst in Konflikt, wenn „Sachpolitik“ in der Krise als solche illusionär wird und „Populismus“ zum tatsächlichen Movens des Politischen zu werden scheint.

Von dieser – gebrochenen – Tendenz sind nun mutatis mutandis schlussendlich auch die Schwierigkeiten mit der Extremismustheorie betroffen. Denn die Crux an der Extremismusdefinition – und somit auch des Argumentationsgerüsts des besprochenen Artikels – in postpolitischen Zeiten ist, dass die Basis der Bestimmung einer genuin politischen Mitte vielfach immer schwieriger wird. Denn wenn populistische Verwaschungen, Politikverdrossenheit und Selbstrelativierung politischer Institutionen sich nicht bloß als Abkehr von einer – bloß wiederherzustellenden – „wahren“ politischen Form erweisen, sondern vielmehr die kontemporäre, durchgesetzte Gestalt dieser Form selbst in ihrer Krise darstellen, so wird die Ein- und Abgrenzung zunehmend problematisch. Dies ist jedoch kein Grund zur Freude für linke Emanzipationsprojekte, auch wenn sie der Politikform – sowohl im von Laclau/Mouffe akzentuierten antagonistisch-prozessualen Moment des Politischen als auch im verstetigt-institutionellen der (Sach-)Politik – immer schon kritisch gegenübergestanden haben. Denn was sich radikal gegen die systemische Logik auch noch in ihrer Verfallsform wendet, wird von ihr weiterhin bekämpft werden. Die Krise der Politik macht es im Gegenteil zunehmend schwieriger, die eigenen Ansätze, Theoreme und Praxen zu situieren – auch, aber nicht ausschließlich hinsichtlich der Opposition von „links“ und „rechts“. Deutlich wird dies nicht nur in einer oberflächlichen Kritik an „Neoliberalismus“, „Finanzkapital“ und „Ökonomisierung“, die von links und rechts zunehmend identisch wird. Viel grundlegender äußert es sich in der Problematik der schwieriger werdenden Scheidung der politischen und ökonomischen Sphäre, die auch emanzipatorische Praxen ihrer klaren Wirkungsmodi beraubt. In letzter Instanz kommt dabei eine Unselbstständigkeit des Politischen zu sich, die ihre grundsätzliche Grenzen im Formenkorsett des warenproduzierenden Patriarchats selbst hat: das Politische konnte noch nie umfassend, kann nun aber zumindest immer weniger als offene Form der Herstellung von Konsens, Entscheidung und Repräsentation unter frei handelnden vergesellschaften Individuen verstanden werden. Das Utopische im Politischen geht zunehmend verloren – dies muss selbst noch aus der Kritik der Position von Laclau/Mouffe mitgenommen werden. Was politisch (artikulierbar) ist, wird infolgedessen in Hinkunft noch umfassender von der herrschenden Fetischlogik subsumiert werden, wenn sich die Antinomien der modernen Politikform unter dem Vorzeichen der systemischen Krise zuspitzen. Mehr denn je wird es vor diesem historischen Hintergrund der kategorialen Kritik bedürfen, die zwar nicht handlungs- aber doch richtungsweisend sein kann. Inwiefern die Erosion der Politikform zugleich auch emanzipatorische Projekte der „Anti-Politik“ befördern kann, wird sich dabei zu erweisen haben. Jedenfalls sollte eines nicht erst nach der Lektüre der bürgerlichen Rezeption, sondern bereits der affirmativen Theoretisierung durch Laclau/Mouffe klar sein: die moderne Politikform ist ebenso wie die des Ökonomischen radikal zu überwinden, wenn eine wirkliche andere Gesellschaft angestrebt wird. Dass dies nur durch die Bearbeitung und umfassende Überwindung der bestehenden Widersprüche hindurch machbar ist, sollte dabei nicht vergessen werden.

Probst, M. 2011. Der falsche Frieden. Die Zeit 24.11.2011., in Hinkunft als (M.P.) zitiert.

Die Unterscheidung zwischen Politik und Politischem spielt in Theorien der Post-Demokratie/Politik bisweilen eine relevante Rolle. Während sich die poststrukturalistisch inspirierten Ansätze zumeist einseitig auf die Seite des Politischen schlagen und Politik im verstetigten Sinne – bis hin zur Gleichsetzung letzterer mit „polizey“ bei Jacques Ranciere – kritisieren, konstituiert sich der moderne Politikfetisch gerade in der Vermengung beider Seiten. Die idealistische Reduktion auf das Politische verbaut postmodernen Ansätzen folgelogisch die Dechiffrierung der materialen Seite der eigenen Affirmation von Demokratie und Politik.

 

Autor: Elmar Flatschart

EXIT. Krise und Kritik der Warengesellschaft

Zur Kritik der (politischen) Umsonst-Ökonomie

Umsonstökonomie ist bisher zweifellos v.a. eine Sache der Tat, der unmittelbaren Praxis und des kreativen Versuches, etwas ganz Anderes zu schaffen. Dies ist grundsätzlich auch gut so, denn der überstrapazierte Wahlspruch einer (wohl ebenso überstrapazierten) mexikanischen Befreiungsbewegung – „Preguntando Caminamos – Fragend schreiten wir voran“ – spiegelt gerade im heutigen Status Quo die Anfordernisse an soziale Bewegungen wider. Wer heute „aufs Ganze“ gehen will, muss paradoxerweise klein anfangen. So schwierig eine positive Bestimmung von Praxen der Herrschaftsaufhebung auch sein mag – ganz ohne Bestimmung kommen auch Versuche „von unten“ nicht aus. Emanzipatorische Praxis muss sich stets ihrer (je historischen) eigenen Grenzen bewusst sein, will sie erfolgreich sein. Das heißt, dass sowohl ein Denken absoluter Kontingenz, die Vorstellung der grundsätzlich jetzt schon realisierbaren Utopie, als auch dogmatische Determinationskonzepte, die nicht nach Handlung fragen, abgelehnt werden müssen. Die Bestimmung der Grenze wäre in beiden Extremfällen obsolet und somit Theoriearbeit mit Bezug auf konkrete Praxen eigentlich hinfällig – wenn ohnehin absolute Freiheit bestünde, warum dann nicht einfach nur machen? Und wenn alles von vorneherein vorgegeben wäre – warum nicht einfach zurücklehnen und dem Gang der Geschichte aus der BeobachterInnenperspektive folgen? Es muss also sowohl abstrakter Theorie als auch konkreter Praxis um die Bestimmung der (eigenen und spezifisch aufeinander bezogenen) Grenze als solcher gehen.

1 Prolog zu Theorie und Praxis

Hinsichtlich dieser Grenzbestimmung ist der Ausgangspunkt dieser Arbeit klar ein theoretischer, nämlich der einer emanzipatorischen kritischen Theorie, die der Gesellschaftsveränderung systematisch, aber realistisch zuarbeiten möchte. Kritische Theorie hat sich deshalb dem Auftrag verschrieben, Grenzen zu bestimmen und somit abstrakte, negative Bestimmungen des Rahmens emanzipatorischen Handelns zu erarbeiten. Dieses Herantasten an die erkenntnistheoretischen aber auch ontologischen und praxeologischen Grenzen verweist jedoch auf einen tieferen Kern des Theorie-Praxis-Verhältnisses. Es geht um gesellschaftstheoretische Essentials, d.h. die grundlegende Frage nach der Bestimmung der spezifischen Definitionskriterien der (kapitalistischen, patriarchalen) Gesellschaft, in der wir leben und derart auch um die Essenz einer „dialektische Herangehensweise“. Dies ist so zu verstehen, dass Theorie und Praxis als widersprüchliches Verhältnis nicht einfach negiert wird, es wird vielmehr davon ausgegangen, dass sich in der herrschenden Gesellschaft (gerade auf Grund ihrer spezifischen Beschaffenheit) stets gewisse bestimmte Widersprüche auftun, die nicht einseitig immanent „aufgelöst“ werden können. Sie müssen in einem Prozess der Vermittlung bearbeitet werden, wenn emanzipatorische Praxis sich nicht in ideologisch-einseitigen Irrwegen verlaufen soll. Diese Gefahr droht immer und muss einkalkuliert werden, denn es gibt wenig „Nicht-Ideologisches“, d.h. in sich nicht irgendwie (unmittelbar oder mittelbar) „falsches“ Handeln. Derartig ist auch Adornos Diktum „es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ zu verstehen: wir können aktual nicht aus den Widersprüchen ausbrechen, aber ihre stetige Bearbeitung kann eine derartige Überwindungsperspektive trotzdem eröffnen. Das falsche Ganze mag in Stein gemeißelt sein, aber der Berg ist nicht unbezwingbar, die Perspektive seiner Sprengung und endgültigen Beseitigung ist auch schon im Hier und Jetzt theoretisch gegeben. In den heute vorherrschenden Verhältnissen, die vom Scheitern der klassischen Linken (in doppelter Hinsicht – sowohl „historisch“ als auch hinsichtlich ihres ursprünglichen theoretischen Anspruchs) und einer umfassenden, wie pluralen „Suchbewegung“ der neuen sozialen Bewegungen geprägt sind, muss damit allerdings klein angefangen werden. Kritische Theorie hat hier gezwungenermaßen eine Vorreiterinnenrolle, insofern eine ernsthaft organisierte emanzipatorische Bewegung auf Basis eines gemeinsamen umfassenden und negativen Gesellschaftsverständnisses (noch) nicht absehbar ist. Dies mag ernüchternd sein für Versuche der Organisation und trägt zweifellos zu einem problematischen, immer wiederkehrenden „hierarchischen“ Widerspruchsverhältnis von „abstrakter Theorie“ und „konkreter Praxis“ bei, Theorie scheint also der Praxis oft illegitimer Weise vorauszugehen und somit praktische Impulse schon von vorneherein überholt zu haben. Dieser Widerspruch ist aber auszuhalten, Theoriearbeit muss auf ihre Eigenständigkeit pochen, auch wenn dies die Gefahr der Besserwisserei und der Selbsteinsperrung in Elfenbeintürmen birgt. Denn die ihr zukommende Rolle und Situierung ist eben gesellschaftlich induziert, gewissermaßen ein Reflex auf die gegebenen Verhältnisse. Andererseits darf diese Spannung nicht als Aufhebung der Eigenqualität von Praxen auf unterschiedlichen Ebenen missverstanden werden: Kritik bleibt theoretisch, selbst wenn sie noch so radikale Urteile über Praxis fällt. Letztlich kann die Veränderung nur in den real existierenden, aktual produzierten und reproduzierten gesellschaftlichen Verhältnissen, also „praktisch“, erzielt werden. Damit ist nun zwar kein positives Programm der Praxis abgesteckt – dies kann Gesellschaftskritik ohnehin nicht leisten; Theoretische Vorarbeit trägt jedoch zu einer konstruktiven Verhältnisbestimmung bei, die einen Dialog mit (wohl nie endgültig zu erreichenden) performativen Anspruch auf Hierarchiefreiheit zumindest in Aussicht stellt. Jedenfalls notwendig wird es dabei sein, eben nicht dem alten Fehler einer Vereinseitigung von jeweils Theorie und Praxis zu erliegen: Es muss gesehen werden, dass gerade auf Grund der Beschaffenheit der heute vorherrschenden gesellschaftlichen Formzwänge, der komplexen und sozial stratifizierten wie auch emergenten Struktur, in der sich die Widerspruchslogik kapitalistisch-patriarchaler Vergesellschaftung aktualisiert, weder eine Auflösung der Theorie in Praxis, noch eine Reduktion der Pluralität der konkreten Praxen in abstrakte Theoriearbeit möglich ist. (Abstrakte) gesellschaftskritische Theorie und konkrete Praxis müssen angesichts der spezifischen sozialen Realität geschieden bleiben. In dieser Hinsicht ist auch das Modell der Einheit von Theorie und Praxis aufzugeben: Es war seit jeher ein intrinsisch politisches Konzept, bei dem sowohl die Praxis als auch die Theorie einem abstrakten „Politziel“ unterworfen wurden und somit letztendlich zum (mehr oder weniger sympathischen) Dogma mutierten. Dies stellt selbst noch eine ideologische Verarbeitung der bestehenden Real-Widersprüchlichkeit dar, zumal – wie ich in Folge zeigen möchte – die Gefahren eines „Politikfetisches“ verkannt und der (notwendig aktuale und partikulare) eigene Status Quo unbotmäßig universalisiert wird. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht auch verschiedene „Ebenen“ der theoretischen Auseinandersetzung und emanzipatorischen Praxis gibt, die eine der anderen „einfach so“ gegenüber steht. So kann Praxis ganz unmittelbar verstanden werden als Lebenspraxis des/der Einzelnen bzw. seines/ihres direkten Umfelds. Hier ist eine recht umfassende Abkehr von Momenten der „abstrakten, repräsentativen Politik“ noch am Greifbarsten. Etwas breiter lässt sich diese Praxis verstehen als größeres Netz von aktiven (Klein-)Gruppen, die etwa unter dem Begriff „grass roots“ zu fassen wären, wobei klassisch „anti-politische“ und „politische“ Momente vermengt auftreten. Weitergehend kann sie aber auch die weniger unmittelbar fassbaren Praxen im Gefüge bestehender (politischer) Strukturen meinen. Schließlich kann auch von gesamtgesellschaftlichen oder aggregierten Tendenzen sozialer Praxis schlechthin gesprochen werden, wobei jedoch die Rolle des/der Einzelnen in der Abstraktion relativ aufgehoben ist. Es kann also deshalb auch keinerlei „Handlungsperspektive“ auf dieser abstraktesten Ebene geben, vielmehr steht sie für die Dimension der „Handlung von Gesellschaft selbst“, nämlich jener derart bestimmten historischen Gesellschaft, die mehr als die Summe der Einzelhandlungen ist, insofern sie eine bestimmte grundlegende „Formlogik“ aufweist, die der eines „automatischen Subjekts“ (Marx) gleicht. Analog dazu muss von verschiedenen Ebenen der Theoriebildung ausgegangen werden, wobei am abstrakten Ende Gesellschaftskritik zu verorten ist, kritische Sozialwissenschaft klassischerweise intermediäre, in Strukturen verdichtete Praxen untersucht und Bewegungsforschung, kritische Sozialanthropologie oder auch Psychoanalyse theoretische Zugriffe auf die „unmittelbarsten“ Ebenen der Praxis „von unten“ ermöglicht. Es stellt sich nun die Frage, wie Ökonomie hier einzuordnen ist, denn in diesem Artikel soll es ja um eine Einschätzung der „Umsonstökonomie“ gehen. Da diese Frage nun nicht so einfach zu beantworten ist, ja in diesem Problem sich gewissermaßen das Erkenntnisinteresse dieser Auseinandersetzung kristallisiert, hoffe ich hier nun im inhaltlichen Gang durch zentrale Problematiken zur Aufhellung einiger dunkler Flecken beitragen zu können. Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit dem Begriff selbst, werde ich also die Umsonstökonomie auf den oben angedeuteten unterschiedlichen Ebenen kritisch diskutieren.

2 Zur Definition der Umsonstökonomie

Unter „Umsonstökonomie“ wird gemeinhin v.a. der Zustand eines geldfreien Wirtschaftens verstanden. Hiermit ist eine nicht nur rudimentäre Eingrenzung theoretisch eigentlich vorgeben, da die Vorstellung von Wirtschaft ohne Geld – so sie in ihrer komplexen Verwobenheit mit anderen, vermeintlich distinkten sozialen Momenten ernst genommen wird – notwendig einen Rattenschwanz gravierender gesellschaftlicher Veränderungen mit sich bringt. Die konkretere Ausgestaltung bleibt demgegenüber jedoch oft ausgesprochen vage. Insbesondere die Abgrenzung von Konsumkritik und (oft ökologisch motivierter) Kritik an der Wegwerfgesellschaft nach unten hin und Solidarökonomie und „alternativer Ökonomie“ nach oben hin erscheint ungenügend zu sein. Nachdem mir diese Ambiguität in der grundlegenden Bestimmung des Konzepts symptomatisch für eine inhärente Schwierigkeit zu sein scheint, möchte ich definitorisch hier zuerst einmal Klarheit schaffen, bevor ich auf das Konzept weiter eingehe.

Unter Konsumkritik einerseits und der Kritik der Wegwerfgesellschaft andererseits werden zahlreiche unmittelbare Praxen und inhaltliche Fragmente verstanden, die sich ablehnend auf bloße Erscheinungen der herrschenden Ökonomie beziehen. Damit soll nicht gesagt sein, dass eine gewisse entfremdende Form des Konsums nicht umfassende Folgen auf für die soziale Interaktion von Menschen hat bzw. das kulturelle Imaginäre recht umfassend prägt. Auch kann nicht verneint werden, dass die herrschende Form der Produktion und des Austausches von Gütern zu einem überaus hohen Grade notwendigerweise byproduct, im sprichwörtlichen Sinne „Müll“ hervorruft. Eine gewisse innere Beziehung zwischen dem Drang zu Konsum und der Tatsache, dass das, was konsumiert wird, (oft schon von vorneherein) Müll ist bzw. recht rasch zu solchen wird, kann dabei ebenfalls nicht verleugnet werden. Die darin begründeten Effekte sind teils recht einschneidend, mit persönlichem Leid und unmittelbar wahrgenommener Absurdität verbunden. Dennoch muss festgehalten werden, dass Ökonomie nicht den „Zweck“ hat, diese Effekte hervorzubringen. Sie sind eben nur eine Konsequenz, die sich unter Anderen (teilweise auch durchaus angenehmeren) aus einer gewissen Wesenslogik der Ökonomie ergibt. Diese Wesenslogik ist bekanntlich eine selbstzweckhafte, die dem Imperativ der „Plusmacherei“ (Marx), der beständigen Verwertung des Werts auf immer höherer Stufe, folgt. Für diese Logik zählen sowohl die menschlichen als auch die ökologischen Konsequenzen nicht im Geringsten (zumindest solange sie nicht selbst noch verwertbar werden, wie etwa in der kulturindustriellen Aufnahme eines gewissen Widerstands gegen den „Normkonsum“ oder durch die Nischenproduktion von „ökologischeren“ Waren – aber das hat freilich Grenzen). So sehr diese Praxen uns betreffen mögen, ja bis zu einem gewissen Grad die Motivation für Versuche anderen Wirtschaftens liefern mögen, können sie an sich nichts zur Definition einer möglichen anderen, nämlich „umsonst“ stattfindenden Ökonomie beitragen. Dies ist zumindest so, wenn Ökonomie im Sinne der Wesenslogik des Kapitals und in Übereinstimmung mit dem oben dargestellten basalen Verständnis von Gesellschaftskritik erschlossen wird. Wie sie anders zu verstehen sein mag, müsste sich dann auch aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem Bestehenden ergeben, wobei darin – wie noch zu zeigen sein wird – auch der Kern der Bestimmung des „Umsonst“, der Geldfreiheit und somit des definitorischen Grundgerüsts zu suchen ist. In jedem Fall kann aber nicht von bloßen Phänomenen der hiesigen Ökonomie auf die Bestimmung einer möglichen Anderen geschlossen werden.

Wie sieht es nun mit der Vorstellung von solidarischer bzw. „alternativer“ Ökonomie aus? Unter diese Begriffe fallen eine Vielzahl an unmittelbaren Praxen, unter anderem solche auf einer grass-roots-Ebene, aber inzwischen auch einige Momente der strukturell verstetigten Praxisformen. Unter solidarische Ökonomie kann etwa das grundsätzliche Postulat einer (individuellen) solidarischen Orientierung auf das (ökonomische) Gemeinwesen verstanden werden. Aber auch die Organisation in kleinen GenossInnenschaften und der Appell an politische Institutionen bis hin zum etablierten „nationalen Sekretariat für Solidarökonomie“ in Brasilien lassen sich damit fassen. Noch breiter ist die Vorstellung von „alternativer Ökonomie“ schlechthin. Während in den theoretischen und praktischen Konzepten der Solidarökonomie – qua Solidaritätsprinzip – zumindest eine recht umfassende Einschränkung der Prinzipien einer „freien Marktwirtschaft“ impliziert ist, kann dies von „alternativer Ökonomie“ nicht mehr gesagt werden. Der Begriff ist derartig vage, dass darunter bereits fast alles, was sich halbwegs umfänglich vom herrschenden „Neoliberalismus“ unterscheidet, gefasst werden kann. So etwa Konzepte einer „sozialen Marktwirtschaft“ oder einer „moralischen Ökonomie“. Gisela Notz verbleibt in ihrem Überblickswerk zu Theorien alternativen Wirtschaftens deshalb in der Definition zu Recht reichlich vage:

Auf jeden Fall markiert alternative Wirtschaft einen Übergangsbereich zwischen der marktorientierten kapitalistischen Wirtschaft, dem öffentlichen Produktions- und Dienstleistungssektor und der sogenannten informellen Ökonomie. In diesem Grenzbereich haben wir es mit höchst unterschiedlichen ökonomischen Strukturen zu tun. (Notz 2011, p. 28)

Das Konzept der „alternative Wirtschaft“ ist also derartig vage, dass es sowohl vom Gegenstand her betrachtet, auf den es sich kritisch bezieht, als auch mit Bezug auf eine mögliche positive Definition kaum einen brauchbaren gemeinsamen Nenner liefert. Die Bestimmung als einem „Grenzbereich“ zugehörig ist allerdings von Bedeutung, da sie in Folge für die weitere Einschätzung und Präzisierung der Idee der Umsonstökonomie eine Rolle spielt. Denn jene ist zwar offensichtlich ebenso an einer Grenze angesiedelt, diese Grenze erfährt jedoch durch das „umsonst“ im Namen eine nähere Bestimmung, die nur in ihrem negativen kritischen Bezug Sinn macht. Denn die angestrebte Ökonomie ist nicht in einem allgemeinen Sinne der (positiven) Ausrichtung auf etwas „umsonst“, sie ist umsonst nur mit Bezug auf die spezifische Konnotation, die jene Bezeichnung im Kapitalismus bekommt: denn „umsonst“ ist nicht etwa eine bestimmte Tätigkeitsform oder eine Eingrenzung von gewissen (wirtschaftlichen) Strukturen; umsonst ist etwas nur mit Bezug auf die herrschende Logik der Wert-Verwertung. D.h. ex negativo wird bestimmt, was nicht in dieser Formlogik aufgeht. Sinnbildlich dafür steht der Verzicht auf Geld, denn es erscheint auch dem/der unbedarften BeobachterIn eingängig, dass Kapitalismus nicht ohne Geld funktioniert. Auf nicht ganz offensichtliche Weise kommen hier also die Praxis und eine recht radikale Kritik der Politischen Ökonomie, wie sie bisher immer wieder als Blaupause zugrunde gelegt wurde, zusammen. Ich würde die Definition der Umsonstökonomie also als offen negative konzeptualisieren: Umsonstökonomie umfasst all jene Praxen, die sich gegen das Geld und damit eine herrschende Form der heutigen kapitalistischen Ökonomie wenden. Theoretisch-konzeptuell ist sie nur fassbar im Rahmen einer grundsätzlichen Kritik der Politischen Ökonomie (des Kapitalismus). Das heißt natürlich nicht, dass konkrete umsonstökonomische Praxen nicht auch ohne diese Kritik im Hintergrund verfolgt werden könnten; es heißt auch nicht, dass jegliche theoretische Beschäftigung mit diesen Praxen immer nur auf der Ebene der Kritik der Politischen Ökonomie stattfinden kann. Abgesteckt ist jedoch ein definitorischer Kulminationspunkt, der auf ein genau bestimmtes theoretisches Programm verweist und dieses ist wiederum nur mit Bezug auf ein gesamtgesellschaftliches Abstraktionsniveau, die viel beschworene „gesellschaftliche Totalität“ zu haben. Dies unterscheidet „Umsonstökonomie“ erst einmal deutlich von anderen Konzepten alternativer oder solidarischer Ökonomie. Mit diesem Vorverständnis im Hinterkopf gilt es nun, die inneren Widersprüche des Konzepts selbst auszuloten, die gewissermaßen gerade auch im Kontext des (allgemeinen) Widerspruchs zwischen Theorie und Praxis zu verstehen sind.

3 Kritik der Umsonstökonomie

Die oben gewonnene Erkenntnis der faktischen inneren Verwobenheit von umsonstökonomischen Konzepten und gesellschaftstheoretischen Ansätzen birgt nun für mögliche praktische Perspektiven einige Potentiale, aber auch Begrenzungen. Als Potential würde ich es betrachten, dass derartig informierte Praxen implizit mit einer umfassenden Kritik der Gesellschaft verbunden sind. Dies kommt zwar keineswegs einer „Einheit von Theorie und Praxis“ gleich, eher im Gegenteil, wie sich bald erweisen wird; es bietet jedoch zumindest die Anknüpfungsfähigkeit von ganz unmittelbaren Praxen an systematische und integrale Gesellschaftskritik. So gestaltete Praxis ist wenigstens potentiell dialogfähig, insofern es einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ gibt und bestimmte, theoretisch abgesteckte Widersprüche nicht nur unbewusst, sondern eingedenk der Grenzen von Handlungsmöglichkeiten bearbeitet werden können.

Umgekehrt ist Umsonstökonomie aber immer auch durch diesen Bezug auf die Gesellschaftskritik begrenzt. Sie muss sich in ihrer Widerspruchsbearbeitung an einem grundlegenden Rahmen messen, der hinsichtlich der Einschätzung der Wirkmächtigkeit und Tragfähigkeit der eigenen Ideen vielleicht nicht immer die gewünschten (einfachen) Antworten gibt. Im Durchgang durch die verschiedenen Abstraktionsebenen von Kritik und Praxis möchte ich nun die bisher umrissene Grenzbestimmung substanzialisieren.

3.1 Kritik der (Politischen) Ökonomie und Umsonstökonomie

Unter der Kritik der Politischen Ökonomie im engeren Sinne werden die v.a. in den Grundrissen (Marx 1974b) und dem Kapital (Marx 1974a; 1975a; b) vorgelegten ökonomiekritischen Arbeiten von Karl Marx verstanden. Dabei handelt es sich um eine umfassende darstellende Kritik der kapitalistischen Ökonomie in ihrem idealen Durchschnitt. Es werden also die grundlegenden Rahmenpfeiler für ein sehr abstraktes und umfängliches Verständnis des Kapitalismus geliefert. Dieser Artikel hat nicht den Anspruch Konzepte der Umsonstökonomie auf ganz generalisierte und umfassende Weise im Kontext der Kritik der Politischen Ökonomie zu verhandeln. Ich werde jedoch einige Aspekte herausgreifen, die auf einfache Art und Weise eine Vorlage für die kritische Diskussion bieten können und zentrale Widersprüche artikulieren.

3.1.1 Präliminarien der Ökonomiekritik

Wer Marx gelesen hat, wird wohl noch im Kopf haben, dass er von der Ware ausgeht und diese in Gebrauchswert und Tauschwert unterteilt. Dabei ist es – simpel ausgedrückt – die Tauschwertseite, welche sich in Geld misst, während die Gebrauchswertseite für den abstrakten Nutzen, der den Dingen zugeschrieben werden kann, steht. Das Paar Gebrauchswert-Tauschwert spielt auch in (mir bekannten) Konzepten der Umsonstökonomie eine Rolle, wie bereits auch die obige Definitionsarbeit nahelegte. Im „ABC der Alternativen“ heißt es dann auch beim einschlägigen Eintrag:

„Während selbst in der Tauschökonomie – wie beispielsweise in den Tauschringen praktiziert – menschliche Eigenschaften und menschliches Tun als abstrakte Werte getauscht und damit letztlich auf ihren Wert reduziert werden, wird in der Umsonstökonomie diese Tauschlogik überwunden.“ (Habermann 2007, p. 238)

Diese prinzipielle Absage an jeglichen (kapitalistischen) Äquivalententausch als kategorialer Basis von Geld und Kapital stellt ohne Zweifel einen kategorialen Fortschritt gegenüber anderen Modellen alternativer Ökonomien dar. Die Umsonstökonomie ist als inhaltliches Postulat emanzipatorischer, linker Praxis auch eine relativ neue Erscheinung, die wohl nicht zuletzt auch mit einer substantiellen Intervention durch kritische Theorie in Verbindung zu bringen ist. Zugleich muss aber bedacht werden, dass die binäre Bestimmung der Ware nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Zu Recht wenden manche KritikerInnen ein, dass der Kapitalismus doch um einiges komplexer ist und Marx deshalb auch drei Bände des Kapitals benötigte, um diese Komplexität annähernd einzufangen. Es reicht deshalb nicht hin, nur den Anfang des ersten Bandes zu lesen, denn dann erscheint die kapitalistische Ökonomie tatsächlich eine allzu simple Sache zu sein. Die methodische Abstraktion von der konkreten Totalität, welche sich in der anfänglichen Bestimmung der Ware wiederfindet, täuscht nämlich v.a. über eine Tatsache hinweg: der Kapitalismus ist nicht nur das Faksimile des Tauschwerts, der auf den Markt geht und zu Kapital wird. Eine derartige Momentaufnahme, die Kapitalismus allzu sehr mit „Marktwirtschaft“ assoziiert, sieht nicht, dass diese „einfachen“ Kategorien, die am Anfang des Kapitals so schön logisch erscheinen, tatsächlich historisch hergestellte sind und derart auf der beständigen Produktion und Reproduktion der real-abstrakten Kategorien und ihrer Möglichkeit beruhen. Das heißt, dass eigentlich die konkrete Totalität – ebenso wie das wirkliche Kapitalverhältnis – immer nur als Prozess zu denken ist, und zwar als einer, der sich auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene wiederherstellt. Kapitalismuskritik kann also ganz grundsätzlich nicht nur im „Kleinen“ gedacht werden, sondern muss strukturelle Dimensionen berücksichtigen. Hier kommt sowohl ein historisches Moment der Kontigenz zur Geltung – der Klassenkampf spielt im Rahmen der historischen Bedingungen eine formierende Rolle für die konkrete Ausgestaltung von ökonomischen Strukturen. Ganz generell ist damit aber auch auf die Rolle von abstrakter Arbeit, d.h. dem gesellschaftlich aggregierten „Stoffwechselprozess mit der Natur“ (Marx) verwiesen, die als „differentia specifica“ den Kapitalismus von anderen historischen Epochen abgrenzt. Denn erst durch die „produktive“ Wendung des Kaufmannskapitals, die ursprüngliche Akkumulation und formelle Subsumption der Menschen unter das Kapital wurde das herrschende System zu dem, was es ist.

Wenn nun Tauschwert und Gebrauchswert in einer generalisierten Dimension betrachtet werden, geht diese einher mit der Einteilung in „Zirkulation“ (Waren werden gegen Geld getauscht, Sphäre des Marktes, Tauschwert steht im Vordergrund) und „Produktion“ (Herstellung von Gütern, stellt Gebrauchswert her und somit auch Tauschwert, Arbeit). Auf der Ebene gesamtgesellschaftlicher Synthesis, also dem, was „das Ganze“ ausmacht, sind beide immer schon als verschränkt zu betrachten. Auch eine Überwindung des Kapitalismus muss auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene stattfinden (dies ist ein Problem für jedwede Praxis), jedoch müssen Konzepte alternativer Ökonomien sich an dieser funktionalen Sphärentrennung messen.

Hier wird nun sehr schnell deutlich, dass Umsonstökonomie vornehmlich als eine „Zirkulation ohne Geld (und Tausch)“ gedacht wird. Stoffliche Produktion findet nicht oder wenn dann höchstens in äußerst beschränkten Maße statt – etwa in Form von Selbsthilfewerkstätten und kleinhandwerklichen Liebhabereien. Eine eher internet-basierte Gemeinde rund um die Vorstellung von „intellektuellen Commons“ und den freien Austausch von Informationen bezieht sich – auf Grund anderer (sub)kultureller Backgrounds – meines Wissens zwar nur peripher auf das Konzept „Umsonstökonomie“; wo dies aber der Fall sein mag, ist klar, dass hier eine andere Dimension des Ökonomischen gemeint ist, als gemeinhin in der Umsonstökonomie. Produktion im stofflichen Sinne wird auch durch die Produktivkraftentwicklung der neuen IT und ihre partielle Entkopplung von einer unmittelbaren Verwertung nicht hinfällig, ebenso wie „intellectual property“ nicht per se aus der kapitalistischen Form fallen muss. Es ist auch für die meisten ProponentInnen der Umsonstökonomie klar, dass sie nichts herstellen, sondern vielmehr vom „Abfall des Systems“, dem nicht oder kaum mehr Verwertbaren zehren. Umsonstläden als „real existierende“ Manifestation der Umsonstökonomie etwa haben nicht umsonst den Charakter eines Flohmarkts. Dieser Zustand ist nun nicht per se schlecht, zumindest wenn nicht Ursache und Wirkung verwechselt wird, also z.B. das Hauptmotiv die Abfallvermeidung selbst ist. Darin liegt zweifellos wenig perspektivisches Potential, im Gegenteil ist dies doch eher ein systemimmanentes Moment. Der bewusstere Umgang mit Dingen, die berühmte Refokussierung auf den „Gebrauchswert“ und die Abkehr vom „bösen“ Tauschwert mag unmittelbar positive (individuelle, zwischenmenschliche) Effekte haben; Er bietet jedoch keine Lösung für Probleme auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene. Vielmehr verweist die allzu einfache Bezugnahme auf die Binarität Gebrauchs-/Tauschwert auf eine Grenze des gesamten Zugangs, die entscheidend ist. Wird sie nicht konsequent mitgedacht, laufen umsonstökonomische Anliegen Gefahr, ins Ideologische abzugleiten, wenn etwa vom schönen Prinzip des „Geben und Nehmen“ unmittelbar auf die Möglichkeit einer realen Ökonomie geschlossen wird. Hier liegt ein doppeltes Problem begraben:

Einerseits ist im Begriff Umsonstökonomie bereits eine gewisse Reduktion auf die Ebene der Zirkulation gesetzt, selbst dann noch wenn den AkteurInnen bewusst ist, dass es noch mehr bedarf als eines „Umsonst-Ladens“, in welchem die schon fertigen Dinge verteilt werden. Denn wie bereits in der obigen Begriffsbestimmung gezeigt wurde, kann „umsonst“ immer nur negativ verstanden werden, als kritischer Bezug auf herrschende (Wert-)Logik. Dieser negative Bezug ist nun einerseits eine Stärke, er ist jedoch andererseits aber auch halbiert, da „umsonst“ stets nur auf das Moment der Zirkulation von Waren qua Geld abzielt. Die Vorstellung, dass stoffliche Produktion an sich „umsonst“ stattfände, ist nur mit Bezug auf deren Orientierung auf das allgemeine Äquivalent irgendwie intelligibel. Jedoch ist auf dieser stofflichen Ebene eine „einfache“ Scheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert ganz endgültig nicht mehr möglich. Dies ist nicht deshalb so, weil in der Produktion der Gebrauchswert in Reinform auftreten würde. Im Gegenteil sind Gebrauchswert und Tauschwert hier auf komplexere Weise vermittelt, wodurch auch die scheinbar einfache Trennbarkeit mit Rekurs der auf dem Markt bereits „fertig“ vorliegenden Waren hintertrieben wird. Denn welcher Gebrauchswert produziert wird, wie und warum dies passiert, lässt sich nicht auf der Ebene einer „einfachen Warenproduktion“ feststellen. Es ist nur historisch und gesamtgesellschaftlich zu erschließen.

„Es gibt überhaupt keinen „individuellen Wert“. Dem Charakter der abstrakten Arbeit als Reduktion auf die Verausgabung menschlicher Energie und der einzelnen Ware als abstrakter Wertgegenständlichkeit (hinsichtlich ihrer gesellschaftlich gültigen Qualität) tut das überhaupt keinen Abbruch, nur ihre Größe ist unbestimmt, weil erst im gesamtgesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang als friktional vermittelte Einheit von Produktion und Zirkulation (Realisation) des Mehrwerts ermittelbar.“ (Kurz 2008, p. 161)

Kurz verweist hier auf die Prozessualität einer kreislauftheoretischen Wertbestimmung, die zahlreiche darstellungslogische und theoretische Komplexitäten beinhaltet, welche hier nicht aufgearbeitet werden können. Klar wird jedoch, dass Tauschwert und Gebrauchswert selbst nur auf einer gewissen Darstellungsebene „einfache“ Kategorien sind, die in ihrer Dualität erhalten werden können, ebenso wie Zirkulation und Produktion auf einer abstrakteren Ebene nicht letztgültig zu trennen sind. Diese Reflexion einer dialektischen Prozessdimension des Kapitalverhältnisses, welches selbst schließlich seiner Definition nach immer schon nur „in motion“ gefasst werden kann (Kapital als Bewegung G-W-G‘), sollte unbedingt ernst genommen werden, selbst wenn ihr genaues Verständnis komplexere theoretische Durchdringung notwendig macht, die im Kontext einer (Kritik der) Umsonstökonomie vielleicht nicht nachvollzogen werden müssen.

Spätestens bei der Bestimmung der Produktion muss also klar werden, dass die abstrakt-einfache Darstellung der Ware bei Marx eine methodische Abstraktion ist, die nicht einfach in einen methodischen Individualismus umgemünzt werden kann. Wäre dem nicht so, dann müsste ja tatsächlich auch die Gleichgewichtstheorie und ihre Perspektive eines Kosten/Nutzen-Kalküls ernsthaft für die Produktion in Betracht gezogen werden. Dann müsste also schlussendlich das, was produziert wird, doch irgendwie von „Angebot“ und „Nachfrage“ bestimmt werden, das Verhältnis mystisch mit den – bezeichnenderweise selbst nur „abstrakt“ gefassten – individuellen Handlungspositionen zusammengehen. Dass dieser methodische Individualismus, was den „homo oeconomicus“ anbelangt – am Besten noch jenen, des „fiesen“, sogenannten „Neoliberalismus“ – eher deplatziert ist, ist in den meisten ökonomiekritischen Kontexten common sense. Der konsequente Rückschluss auf die eigene Praxis und ihre Reduktionismen wird dabei aber oft außen vor gelassen. Letztlich ist dies jedoch nicht nur ob der Aporien bürgerlicher Ökonomietheorie nötig. Ein derartiger methodischer Individualismus würde die Quintessenz der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie – die Selbstzweckhaftigkeit des „automatischen Subjekts“ Wert – in Frage stellen, da hier plötzlich die Ebene des einzelnen Interesses eine nicht bloß phänomenologische, sondern wesensmäßige Rolle spielen würde. Werden Gebrauchswert und Tauschwert aus dem Kontext gerissen betrachtet, so kann nicht über den Markt als – dann einziger – zentraler kapitalistischer Instanz hinaus gedacht werden. Dies reproduziert in letzter Konsequenz jedoch nur die herrschende ökonomische Rationalität des/der „vereinzelten Einzelnen“: Die Reduktion auf die Dualität von Gebrauchs- und Tauschwert impliziert eine Gleichsetzung der Ökonomie mit dem Markt und dies wiederum ist eine unmittelbar mit der fetischistischen Form kapitalistischer Vergesellschaftung in Verbindung stehende ideologische Reflexion. Hier muss auch – abseits von jeglicher subjektiv-arbeitInnenbewegten Idealisierung – die völlige Auslassung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, der Momente der konkreten Ausformung der Ausbeutung wie etwa globalisierte Prekarisierung (nach innen, in den Zentren, in Gestalt des Abbaus der fordistischen Wohlfahrtsstaatlichkeit und nach Außen, in die Peripherien, in Form der „Sweatshopisierung“ und gleichzeitig immer umfassenderen (in-)formellen Subsumption unter das Kapital) moniert werden. In gewisser Weise kann der Vorwurf, dass es sich bei Umsonstökonomie um ein „klein-bürgerliches“ Konzept handelt, auf den Tisch gebracht werden. Dabei spielt eine soziologische Bestimmung eine Rolle, also etwa, dass Menschen, die unter starkem materiellen Überlebensdruck stehen, kaum Zeit und/oder Energie haben für die „Realutopien“ eines in jeglicher Hinsicht prekären Versuchs alternativer Ökonomie. Darüber hinaus ist aber eher auch die ideologiekritische Komponente hervorzuheben – Positionen der Umsonstökonomie verkennen (auf Grund ihrer spezifischen Subjektposition, die wohl nicht ausschließlich mit einer irgendwie sinnvollen „Klassendefinition“ abgehandelt werden kann) oft systematisch die Notwendigkeiten und Bedingungen der gesamtgesellschaftlichen (materiellen) Reproduktion, wie sie sich im „idealen Durchschnitt“ auch in den Köpfen der meisten Menschen notwendig artikulieren.

Insofern ist auch die Gebrauchswertorientierung eine problematische, weil hier stets die individualisierte, von vorneherein durch eine bürgerliche Brille der „Reflexion auf sich selbst“ beschränkte Sicht auf das Geschehen vorherrscht: Den einzelnen Dingen soll mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden (ist die sorgfältige Beachtung von Dingen wirklich das Ziel der Emanzipation?) wenn genau und in der Facon eines/r Kenner/in (seiner/ihrer selbst) geprüft wird, ob etwas nun „wirklichen“, individuellen Gebrauchswert aufweist oder nicht doch irgendwo der fiese Tauschwert hineinspielt. Mag dies individuellen Wegen zum Glück auch zuträglich sein: dabei wird fundamental die eigentlich – d.h. gesamtgesellschaftlich – relevante Perspektive des Gebrauchswert außen vor gelassen. Gesellschaftlich relevant kann über Gebrauchswert wenn überhaupt nur in seiner historisch-aggregierten Form nachgedacht werden, nämlich jener des Stands der Produktivkräfte. Hier spielen nun Fragen der Abdeckung von elementaren Reproduktionsnotwendigkeiten auf der Höhe der technischen Entwicklung eine Rolle. Und diesbezüglich bietet Umsonstökonomie bekanntlich keine Alternativen. Sie ist „Experiment“ nur insofern es sich um eine konkrete Praxis ganz bestimmter (situierter, regelmäßig spezielle Subjektpositionen aufweisende) Individuen handelt. Als solche ist Umsonstökonomie jedenfalls zu akzeptieren und in ihrer Eigenqualität zu schätzen. Dabei muss aber den Involvierten klar sein, dass nicht nur die eigene gesellschaftliche Irrelevanz eine systematische ist, sondern auch, dass es ganz deutliche (und schnell erreichte) Grenzen gibt, die Umsonstökonomie aus einer anderen Perspektive auch zum partikularistischen Spaß ganz Weniger machen. Im Negativen weist das Konzept (wie viele linke, „subkulturelle“ Praxisvorschläge) Offenstellen hin zum Sektiererischen auf. Kurz gesagt: wer keine Zeit, Energie, Muße und intellektuellen Möglichkeiten für das „spielerische Ausprobieren“ von Alternativen hat, wird nie wirklich Teil von Umsonstökonomie im emphatischen Sinne werden (selbst wenn er/sie die zur Verfügung gestellten Ressourcen regelmäßig nützt, d.h. ein/e „Besucher/in“ ist).

In dieser Hinsicht kommt auch der Ökonomiebegriff an seine Grenzen und muss hinterfragt werden. Denn als kritisch-sozialwissenschaftliche Kategorie kann dieser nicht unbegrenzt Verwendung finden: Gerne ist heute die Rede von „Gefühlsökonomie“ oder „Zeitökonomie“, – es kommt zu Individualisierungen der allgemeinen Kategorie Ökonomie, die an sich für die Gesamtheit der stofflichen Reproduktion stehen soll. Wenn auch diese Individualisierung der Ökonomie aus anderen (ideologie-)kritischen Gründen bereits mehr an Hinterfragung erfahren haben mag (Stichwort: Entfremdung), so verweist sie im Kern v.a. auf eine ideologische Achse, die systematisch verschleiert, dass Ökonomie nur als Gesamtheit sinnvoll zu fassen ist und deshalb auch nur auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene betrachtet werden sollte. Ökonomie funktioniert nie „im Kleinen“ und „von unten“, zumindest nicht in einer modernen Gesellschaft, in der Technologie und Vernetzung integraler Bestandteil sozialer (Re-)Produktion sind. Das heißt zwar nicht, dass partiell und in manchen „Wirtschaftsbereichen“ (tendenziell nur jene, die keine großen Fabriken voraussetzen…) nicht „Versorgungsnischen“ entstehen können. Ansätze der „Ernährungssouveränität“, die v.a. in Ländern der globalen Peripherie eine Selbstversorgung gerade der armen (und oft auch hungernden) Landbevölkerung sicherstellen sollen, aber auch eine Basis der gesteigerten Unabhängigkeit für soziale Bewegungen schaffen möchten, sind nicht nur möglich, sondern ernst zu nehmen. Sie könnten tatsächlich Spielräume schaffen und als eine Art Wiedereinführung „vernakulärer Subsistenz“ gerade in der Peripherie das kapitalistisch gestützte Massensterben auf Grund mangelnder Lebensmittelzirkulation lindern. Wiederum muss aber (allen) klar sein, dass auch hier die Grenzen bald erreicht sind: nicht nur handelt es sich um einen sehr beschränkten Aspekt moderner Ökonomie (Landwirtschaft), es ist weiters tendenziell davon auszugehen, dass auch hier keine Produktion am Stand der Produktivkräfte, d.h. des technisch Möglichen (und Wünschenswerten) stattfinden kann, da dies erneut eine Integration in die „formelle Ökonomie“ notwendig machen würde. Dem „gesellschaftlichen Tauschwert“ ist also auch hier nicht zu entkommen, spätestens wenn das Geld für landwirtschaftliche Produktionsmittel aufgebracht werden muss. Es zeigt sich einmal mehr, dass Tauschwert und Gebrauchswert nicht individuell auseinanderzudividieren sind und gerade in ihrer notwendigen Verbindung „Ökonomie“ ausmachen. Summa summarum ist also auch hier ganz bestimmt nicht von „Ökonomie“ zu sprechen. Deshalb sind alle Individualisierungen und „Aneignungen von Unten“ als Konzepte potentiell ideologieträchtig, weil sie genau jener kapitalistischen Tendenz zuspielen, Fragen des Ganzen in fetischistischer Weise auf den/die Einzelne bzw. das Kleine herunterzubrechen.

Eine Analyse der praktischen Grenzen von Umsonstökonomie ergibt also folgendes Bild: Gebrauchswert und Tauschwert werden als Kategorien in potentiell ideologischer Weise reduziert auf eine individuelle Bestimmungsebene, was den Blick auf die gesamtgesellschaftliche (Re-)Produktion verkehrt. Während Umsonstökonomie im Kleinen eine „Gebrauchswertorientierung“ nahelegt und den Tauschwert beseitigen will, tut sie – trotz bzw. gerade auf Grund dieses Anspruches – im Lichte eines größeren Ganzen genau das Gegenteil. Sie versperrt sich durch die (gezwungenermaßen erfolgende, aber so nie mögliche) Fokussierung auf den „einzelnen Gebrauchswert“ konsequent der eigentlich relevanten „Gebrauchswertdimension“, nämlich jener der gesamtgesellschaftlichen stofflichen Reproduktion in allgemeiner Perspektive. Zugleich kann sie dem Nimbus des Tauschwerts nicht entkommen: dies kommt nicht nur in der Bezeichnung „umsonst“ zum Ausdruck, es wird auch in dem Anspruch eine „Ökonomie im Kleinen“ zu begründen, deutlich. Immer schwingt hier der „negative Markt“ mit, der beispielsweise auch in vermeintlichen „Planwirtschaften“ im Osten stets da präsent war, wo eigentlich eine „Aufhebung“ der auf Ausschluss und Konkurrenz basierenden Tauschwertdimension angestrebt wurde (Kurz 1994, p. 154ff). Wo eine „alternative Ökonomie“ im Kleinen begründet werden möchte, der Tauschwert dadurch ganz radikal und „praktisch“ kritisiert werden soll, dass „Dinge“ in der Umsonstökonomie vermeintlich von ihm freigemacht werden, kommt es in Wahrheit zu einer Verkehrung des Tauschwerts: Indem er individualisiert gedacht wird, wird eben jenes (klein-)bürgerliche Muster der Unmittelbarkeit bedient, das konsequent von den Aporien der („tauschwertfundierten“) Zirkulation absieht. Dabei werden reale Aspekte gesamtgesellschaftlicher „Tauschwertdimensionen“, insbesondere die Verteilungsfrage und darin angelegte Momente des Klassenkampfs um den Mehrwert, ignoriert. Das darin zutage tretende „Modelldenken“ im Ökonomischen ist in vieler Hinsicht gleichermaßen mit (klein-bürgerlichen) UtopistInnen und (bürgerlichen) ÖkonomInnen in eine Reihe zu stellen: beiderseits wird die Illusion einer Abstraktion „des Ökonomischen“ von der Realität der gesamtgesellschaftlichen Totalität bedient. Gewissermaßen muss hier allerdings weitergegangen werden und der Begriff der Ökonomie selbst in Frage gestellt werden, da er, wie gezeigt wurde, intrinsisch mit dem Kapitalismus und seiner spezifisch fetischistischen Verschweißung von Tauschwert und Gebrauchswert verwoben ist.

3.1.2 Politik und Ökonomie – Verortung und Kritik einer Sphärentrennung

Betrachten wir den Begriff „Ökonomie“ aus kritischer Perspektive näher, so kommen wir rasch zur Frage seiner Paarung mit „Politik“. Nicht umsonst geht es ja auch um Kritik der „Politischen Ökonomie“. Damit wollte Marx zumindest prinzipiell auf das Programm einer notwendigen gemeinsamen Kritik beider Seiten hinaus. Ohne hier auf die spezifischen Eigenheiten der modernen Politikform eingehen zu können, möchte ich auf Marx aufbauend das Verhältnis von Ökonomie und Politik selbst historisch kontextualisieren und als „kapitalistisch“ bezeichnen. Es ist gerade die Besonderheit des modernen warenproduzierenden Patriarchats (=Kapitalismus), dass es nicht nur in der Geistesgeschichte und mit Hinblick auf das moderne Subjekt (das in scheinbar klarer Opposition zum „Objekt“ gesetzt wird), sondern auch auf der aggregierten Ebene der gesamtgesellschaftlichen Konstitution eine widersprüchlich aufeinander verwiesene Binarität etablierte. Diese Binarität artikuliert sich in einer „Sphärentrennung“, die u.a. topologische Effekte, wie die Trennung in „Öffentlich“ und „Privat“, hervorbringt. Eine genauere Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden Problemen ist hier nicht möglich und auch nicht angebracht. Wird jedoch die historische Stoßrichtung der Kritik der Politischen Ökonomie ernst genommen, dann muss es auch um eine (Geschichte machende) Abschaffung dieser Binarität selbst gehen. Das heißt nun nicht, dass nicht Aspekte des Inhalts jener Trennung – etwa die reine technische Debatte über die Möglichkeiten stofflicher Reproduktion – weiter Bestand haben werden. Aber eine ernsthafte Formkritik der herrschenden Gesellschaftskritik muss auch die formelle Trennung als systemisch funktionale und zwanghafte hinterfragen. Es sollte in diesem Sinne keine rigide Trennung mehr zwischen „Ökonomie“ (Sphäre der Bedürfnisbefriedigung) und „Politik“ (Sphäre der sozialen Entscheidungsfindung) geben. In dieser Trennung ist selbst bereits eine fetischistische Relationalität impliziert, da davon ausgegangen wird, dass Ökonomie „von alleine“ und quasi naturhaft von sich geht und Politik absolut getrennt von „sachlichen Zwängen“ stattfindet. In einer befreiten Gesellschaft würde diese Trennung zugunsten eines gesamtgesellschaftlichen Zustands aufgelöst, indem Bedürfnisartikulation bzw. -Diskussion (als soziale und nicht technisch-sachlich orientierte) und Bedürfnisbefriedigung zusammenfallen. Umsonstökonomie scheint diese Perspektive insofern nicht teilen zu können, als sie diese Trennung schon qua Begrifflichkeit („Ökonomie“) reproduziert. In dieser Hinsicht müsste sie sich entscheiden: will sie ökonomisch „sein“ und damit systemimmanent bleiben (was aus vielerlei Gründen schwer zu bewerkstelligen sein wird) oder sich selbst hinterfragen und damit aber auch die Trennung von der Politik hintertreiben. Konsequenterweise könnte es dann aber auch nicht mehr primär um „Bedürfnisbefriedigung“ im Hier und Jetzt gehen, sondern Umsonstökonomie müsste gerade die spezifische Problematik der Sphärentrennung reflektieren und kritisch wenden. Es würde dann jedoch rasch klar, dass zwei Aspekte der Umsonstökonomie eigentlich nicht haltbar sind: die Vorstellung einer „Emanzipation im Kleinen“ und die Idee einer „Ökonomie von Unten“, die von politischen Aspekten klar zu scheiden ist.

Erstere (Selbst-)Kritik trifft also, von der abstrakten Ebene gesellschaftlicher Synthesis kommend, den sogenannten „Keimform-Gedanken“. Ihm zufolge kann der Totalität der herrschenden Gesellschaft entkommen werden, indem im Hier und Jetzt Nischen aufgebaut werden, die bereits in sich den Keim der anderen Welt tragen. Paradoxerweise wird die Rede von der Keimform oft mit „wertkritischen“ Ansätzen in Verbindung gebracht, was u.a. auf den bekannten Aufsatz von Robert Kurz „Antiökonomie und Antipolitik“ (Kurz 1997) zurückgeht. Kurz hat sich in dieser Arbeit tatsächlich kritisch mit alternativen Modellen der (Re-)Produktion in den bestehenden Verhältnissen auseinander gesetzt. Deren Einschätzung kann sicherlich aus vielerlei Perspektive erfolgen und wie auch schon von mir nahegelegt, geht es keineswegs um eine Delegitimierung von (irgendwelchen) konkreten Praxen per se. Anzustreben ist jedoch, wie schon gesagt, eine Kontextualisierung und Grenzbestimmung, die den Rahmen einer (notwendig) immanenten Kritik der bestehenden Verhältnisse ernst nimmt und mögliche ideologische „side-effects“ aufdeckt. Das heißt u.a., dass der Keimformgedanke in einer bestimmten Metaphorik zu lesen ist. Falsch wäre es z.B., ein Bild zu malen, das davon ausgeht, dass mit den heutigen (wenn auch selbst noch als klein erkannten) Versuchen der Umsonstökonomie die „Wurzeln“ gepflanzt werden, aus welchen dann irgendwann eine Pflanze wächst, die schlussendlich als Blume der befreiten Gesellschaft mit „ganz anderer Ökonomie“ gedeiht. Dies ist dem oben entworfenen Verständnis der Kritik der Politischen Ökonomie nach von vorneherein unmöglich, weil das Pferd von der falschen (weil individualisierten) Seite her aufgezäumt würde. Um das Bild anders zu malen: Praxen der Umsonstökonomie könnten höchstens ein „Übergangspflänzchen“ sein, von dem sich soziale Bewegungen nähren, solange sie im falschen Wald der herrschenden Verhältnisse verbleiben. Es ginge aber vornehmlich darum, diesen Wald abzuholzen und einen neuen mit einer gänzlich anderen Flora zu pflanzen. Umsonstökonomie kann also höchstens eine Keimform sein, insofern sie den Keim für Veränderung trägt, aber nicht jenen einer langfristigen Perspektive für etwas Neues. Natürlich impliziert dies, dass AkteurInnen im Emanzipationsprozess im Kleinen lernen können und manche Konzepte für alternative Ideen gesamtgesellschaftlicher Organisation durch eigentlich gesellschaftlich irrelevante Prozesse befördert werden. Letztlich muss all dieses Lernen aber auch mit einer gezielten sozialen Aufhebungsbewegung kombiniert sein, will es schlussendlich Bestand haben. Dies sagt auch Robert Kurz deutlich, wenn er sich gegen eine „Verallgemeinerungsthese“ wendet.

„Überhaupt muß noch einmal betont werden, daß die genannten Beispiele zwar auch im einzelnen praktiziert werden können (und das ist heute vor allem an den Punkten wünschenswert, wo es sich um eine elementare Logistik für die theoretische Gesellschaftskritik selber handelt), daß aber eine gesellschaftliche Wirksamkeit nicht in erster Linie durch die allmähliche Verallgemeinerung praktischer Einzelbeispiele erreicht werden kann. Das wäre die alte, im schlechten Sinne utopische Vorstellung. Vielmehr muß es das Ziel sein, eine Art Programm oder den Umriß einer Antwort auf die unvermeidliche „Was tun?“-Frage einer neuen sozialen Bewegung auszuarbeiten.“ (Kurz 1997, S. 89)

Diese zentrale Stoßrichtung wurde und wird in Kreisen der alternativen Ökonomie konsequent übersehen oder ignoriert. Die absolute Unselbstständigkeit von „alternativen Ökonomie“ im Kontext des Bestehenden wird als solche selten integral in die eigenen Praxistheoreme und –Reflexionen eingebaut: Nicht nur weil ein solches Eingeständnis der Relativität der „eigenen“ Praxis gewisse unliebsame Effekte auf die Identitätsbildung und Selbstversicherung von Gruppen und/oder Individuen haben kann; ich denke, Reflexion fehlt auch, weil letztlich ein unterkomplexes Verständnis des (immanenten) Verhältnisses von Politik und Ökonomie allzu verbreitet ist, ja die rigide (fetischistische und ideologische Konsequenzen zeitigende) Trennung beider gerne affirmiert wird, weil sie eben dem oberflächlichen, aber alltäglich-unmittelbaren „Wahrnehmungshorizont“ der AkteurInnen entspricht. Ich spare mir hier organisationssoziologische und –psychologische Thesen über die Gründe für eine derartige Einseitigkeit. Gewiss hat sie mit gewissen Bewegungssegmenten, Subkulturen, Klassen- und Subjektpositionen zu tun, die z.B. in Opposition zu einer „politizistischen“ Linken stehen, welche – im (mehr oder weniger direkten) Anschluss an den orthodoxen Marxismus-Leninismus – weiterhin die einfache politische Überwindungsperspektive sehen und dabei Fragen der alternativen Lebensgestaltung völlig außen vor lassen. Dies muss an bestimmten Orten ebenso heftig kritisiert werden, wie eine blind-antipolitische Haltung. Hier soll es nun aber um die Umsonstökonomie gehen und im Zusammenhang einer ernsthaften Perspektive auf die Überwindung des herrschenden Systems (die ich vielen der in Umsonstökonomie involvierten AkteurInnen als Ambition sehr wohl zuspreche) ist in diesem Kontext das vermehrte Fehlen politischer Perspektiven im Sinne der dezidierten „Organisationsfrage“ augenscheinlich.

3.2 Politische Form und Wirkung

Gemäß dem oben vertretenen Schema eines Durchgangs durch Abstraktionsebenen gilt es nun, die spezifischer politische Seite der Umsonstökonomie zu beleuchten. Die Kritik der Politischen Ökonomie (der Umsonstökonomie) hat dabei ergeben, dass Umsonstökonomie als regelmäßige Praxis, aber auch schon als Konzept spezifischen verkürzten und falschen Vorstellungen über die Gestalt und Wirkung der Ökonomie unterliegt. Nun ist es nicht so, dass die Ebene des Ökonomischen per se allem anderen vorgelagert wäre, bzw. jene sich alleinig auf dem „höchsten“ Abstraktionsniveau befände,, quasi unberührt von anderen Belangen. Derartiges wäre natürlich als tatsächlich ableitungslogisches bzw. „ökonomistisches“ Denken abzulehnen. Allerdings ist damit das Problem der Vermittlung der scheinbar ehernen Gesetze des Ökonomischen mit den vermeintlich völlig offenen „historischen“ und ereignisbezogenen Momenten des Politischen noch nicht vom Tisch. Im Gegenteil muss dieses Verhältnis selbst noch einer fundierten Formkritik unterworfen werden, die das systematische Fehlen einer Kritik der Politikform anspricht. Dabei muss die Politik als ebenso historisch situierte „Sphäre“ verstanden werden wie die Ökonomie. Das heißt wiederum nicht, dass ihr gesamter Inhalt in dieser Form aufgeht. Aber „kapitalistische Politik“ zeichnet sich durch eine Abstraktion der Aushandlung sozialer Belange von ihrer unmittelbaren Geltungsgrundlage aus. Dies passiert meist (aber nicht immer) im Kontext der Fokussierung auf den Staat als Repräsentant dieser „abstrakten Allgemeinheit“. Gleichzeitig ist diese Allgemeinheit nie als rückgebundene, von unten kommende, möglich, da sie einerseits stets mit den Sachzwängen des Ökonomischen verknüpft ist, andererseits selbst noch tautologische Formen einer „Eigenlogik von Macht“ institutionalisiert (re-)produziert, sodass diese als notwendige Handlungmatrizen erscheinen. Diese sind in einer gewissen Weise freilich weniger offensichtlich als jene des Ökonomischen (auch nach einer fundierten Kritik), da sie tatsächlich auf der Basis prinzipieller historischer Kontingenz der Entscheidung beruhen. Das, was unter Politik verstanden wird, zerfällt per definitionem in einzelne Entscheidungen (über allgemeinere soziale Belange) bzw. deren strukturelle Verstetigung. In der abgespaltenen Sphäre des Politischen wird also (anders als in der „natürlichen“ Sphäre des Ökonomischen) das Moment absoluter Gestaltbarkeit verortet. Näher betrachtet erweist sich diese Kontingenz aber realiter als eine einer bloß komplexeren, aber ebenso determinierenden, Formlogik des Politischen folgende Scheinoffenheit: es kann zwar alles Mögliche als „politische Handlung“ definiert werden, aber „politisch relevant“ werden Dinge erst, wenn sie sich ins Herz der (staatlich konstituierten) abstrakten Allgemeinheit und damit einer spezifischen „Metaphysik der Macht“ begeben. Jene Formlogik des Politischen muss als Grenze von Praxis ebenso berücksichtigt werden, wie die ökonomischen Zwänge. Ein solcher „Politikfetischismus“ wird jedoch meist noch weniger berücksichtigt (sei es implizit oder explizit, durch Theoriearbeit fundiert) als jener des Ökonomischen. Diese fehlende Perspektive, die sich regelmäßig in einer Vereinseitigung äußert, erweckt oftmals überhaupt erst den Eindruck eines „Ökonomismus“ einerseits und der radikalen Offenheit von emanzipatorischer Praxis andererseits. Im Falle der Umsonstökonomie aktualisiert sich der „(Politik)-Fetischismus“ aus dieser Perspektive als reduktionistische (oder fehlende) Einschätzung der politischen Aufladung des eigenen Handelns auf der einen und falsche Betrachtung der ökonomischen Realität auf der anderen Seite. Dies hat wiederum Konsequenzen für die Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen (politischen) Wirkung, die ja als Effekt einer Zielorientierung emanzipatorischer Praxis stets von Interesse sein sollte. Ich werde nun zuerst die Ursachen für die reduktionistische Sicht auf das Politische betrachten, um dann die gesamtgesellschaftliche und symbolische Wirkung dieses Reduktionismus bzw. der Umsonstökonomie als solcher einschätzen zu können.

3.2.1 Das Fehlen politischer Perspektiven

Gemeinhin hat emanzipatorische Praxis den Anspruch Herrschaftsverhältnissen loszuwerden und ihnen andere, bessere soziale Bezugnahme entgegenzusetzen, wobei beides von AkteurInnen oft unter dem Label „politisch“ verkauft wird. Tatsächlich impliziert dies eine doppelte Perspektive: Auseinandersetzung mit dem Bestehenden und Schaffung von etwas Neuem. Beides kann nicht immer gemeinsam passieren – so schafft etwa der Kampf gegen den Faschismus nicht (notwendigerweise) eine alternative, bessere Form, die dem autoritären Charakter entgegenstünde. Genauso aber ist ein „alternativer Freiraum“, in dem andere Weisen der Interaktion erprobt werden sollen, kein verlässlicher Garant gegen gewaltförmige Eingriffe von außen bzw. gegen die (strukturelle) Gewalt, die in den gesellschaftlichen Verhältnissen generell angelegt ist. Es tut sich hier also bereits eine gewisse Widersprüchlichkeit zwischen Immanenz und Transzendenz auf, die auch für „politische“ Perspektiven eine Rolle spielt. Einerseits muss ein „immanenter Kampf“ stets in der politischen Form von statten gehen, ja wird in sie quasi gezwungen und so automatisch in den institutionellen oder eben bloß gespiegelt anti-institutionellen Kampf um immanente Gestaltungsmacht, mit Gramsci gesprochen: „Hegemonie“, hineingezogen. Dies bringt zahlreiche Probleme mit sich, die hier nicht vorrangig interessieren. Jedenfalls ist es aber sehr offensichtlich dass sowohl ein anti-institutioneller als auch ein institutioneller immanenter Kampf nicht bloß regelmäßig, sondern ganz unumgänglich in der Eigenlogik der Politikform und ihrer letztlich affirmativen Gestalt aufgeht, wenn nicht zumindest ein gewisses Moment an transzendenten, alternativen (Lebens-)Perspektiven erhalten bleibt. „Praxen der Transzendenz“ sind demgegenüber nicht per se in die politische Form gegossen, sondern sind potentiell für all das, was nicht in der Machtlogik des Politischen aufgeht (bzw. aufgehen kann), offen bzw. gehen aus diesem „Anderen“ hervor. Derartige Praxen können sich unterschiedlich artikulieren, bis hinein in die intimen Geflechte von persönlichen Beziehungen, sie werden als „kulturell“ oder auch „künstlerisch“ umschrieben und zielen auf einen nicht-identischen Rest, der aber nie erreicht werden kann, solange jedwede Praxis Teil der herrschenden Totalität ist. Dies hat sich auch bereits in der Entlarvung der Umsonstökonomie als – hinsichtlich ihrer ökonomischen Funktionalität betrachteten – „Realparadoxie“ erwiesen. Diese Wahrnehmung ist zentral: Transzendenz ist notwendig immer auch Immanenz (die Umkehrung dieser Relation ist allerdings selbstverständlich nicht korrekt). Praxen, die auf Transzendenz, auf „alternative Keimformen“ abzielen, sind selbst (mindestens) hinsichtlich ihres politischen Gehalts immanent; denn wo immer ein (auch noch so geringer) Bezug zur Gesellschaft erhalten bleibt – und das ist so gut wie immer der Fall –, haben soziale Praxen eine repräsentative Außenwirkung und zielen somit auf eine Geltung in der politischen Form, die als monopolisierte Instanz sozialer Allgemeinheit die einzige gesellschaftlich relevante „Handlungsform“ darstellt. Ebendies ist die andere Seite der Medaille – ohne Politik im „entfremdeten“ Sinne geht es nicht. Um sie kommt Praxis letztlich nicht herum und dass „Keimform-Konzepte“ dies teilweise versuchen, stellt ihre große Schwäche dar.

Umsonstökonomie ist hier oft einschlägig unterwegs, indem sie auf den Aspekt der „Subsistenz“ im Kleinen verweist. Sie zielt auf die Organisation in einem Mikrokosmos, auf Gemeinschaftlichkeit statt Anonymität und auf unmittelbare Reproduktion, die unter Rücksichtnahme auf eine „Gebrauchswertorientierung“ stattfinden soll. Die stofflich-reproduktive Unmöglichkeit jener Orientierung wurde bereits erwiesen. Hinsichtlich der (Macht-)Politik positioniert sich Umsonstökonomie dabei meist zurückhaltend bis abwehrend – es wird so getan, als ob eine rein „anti-politische“ Haltung der Abkehr von der gesellschaftlichen Allgemeinheit und ihren Problemen möglich wäre. Das Moment der „Ökonomie“, d.h. der stofflichen Versorgung im eigentlichen Sinne, ist dabei – so meine These – eigentlich mehr Mittel zum Zweck. Das schöne, aber recht idealistische, Motiv der Transzendenz einer „nicht-entfremdeten Ökonomie“ steht für das eigentliche Ziel einer anderen sozialen Allgemeinheit, in der die Verwaltung der Dinge eben wirklich ein rein technisches Problem (der Naturverhältnisse) wird und nicht eine eigene, „zweite Natur“ darstellt. Die Notwendigkeit einer allgemeinen Durchsetzungsform, mithin des politischen Kampfes, wird aber zumindest im Konzept und wohl meist auch in der Praxis ausgeblendet oder jedenfalls unterbelichtet. Dies führt vornehmlich zu Illusionen über das Verhältnis von Politik und Ökonomie, die im (linearen) Keimformgedanken kulminieren: Vermeint wird, dass das „Schenken im Kleinen“ eine tatsächliche gesellschaftliche Veränderung implizieren könnte, während übersehen wird, dass die eigene Praxis nur dann überhaupt relevant werden kann, wenn sie sich (politisch) verallgemeinert. D.h., dass von Praxen der Umsonstökonomie eine gewisse inhaltliche, aber v.a. eine starke organisatorische Einbindung in politische Kämpfe bzw. die Sphäre „linker Politik“ angestrebt werden müsste, gerade weil die Gefahr besteht, dass die Keimform sonst von vorneherein im Keim erstickt wird. Die gängigste Version dieser (Selbst-)Erstickung ist das völlige Aufgehen in den selbstgebauten Habitaten, die alleinige Fokussierung (und oft zwanghafte Verteidigung) von „Wohlfühl-“, „Schutz-“ und „Freiräumen“, die dann oft selbst eine dogmatische Absicherung nötig machen und (mangels Umsetzbarkeit und dem verständlichen Leiden daran) schlussendlich meist in einem Ausstieg aus jeglicher emanzipatorischen Praxis resultiert (wahlweise auch zur „Flucht aufs Land“ führt, die wohl summa summarum fast immer ähnliche Resultate wie das „Aufhören“ in der Stadt zeitigt). Dies ist nun weder als Plädoyer gegen Versuche im Kleinen und die darin erkämpften emanzipatorischen Standards zu werten. Es geht mir aber darum, vehement und erneut darauf zu pochen, dass der darin oft verborgene Wunsch einer „heilen Welt im Kleinen“ keine hinreichende oder auch nur (langfristig) funktionierende emanzipatorische Perspektive ist. Dies wird besonders deutlich in der Verkehrung von Inhalt und Zweck, die bei den AkteurInnen der Umsonstökonomie entweder dazu führt, dass sie ihre eigene gesellschaftliche Position (mithin jene des „Ökonomischen“) völlig verkennen und den Keimformgedanken gänzlich unkritisch reproduzieren; oder den Effekt einer relativen Unbegründbarkeit der Motive und Ziele der eigenen Handlung hervorbringt: Warum ein „umsonst-ökonomischer“ und nicht anders „netter“ Mikrokosmos erschaffen werden soll, kann weder theoretisch (z.B. hinsichtlich des Ökonomischen) noch politisch, mit Sicht auf die emanzipatorischen Effekte der eigenen Handlungen, kaum noch legitimiert werden. Ähnlich wie bei vielen linksradikalen Mikrowelten wird die Argumentation für die eigene emanzipatorische Praxis bestenfalls ich-bezogen („Mir tut das gut und ich habe diese und jene Ansprüche“) und regelmäßig tautologisch („Wir machen Politik, um unsere Räume zu schützen und wir schützen unsere Räume, um Politik machen zu können“). Die Verkehrung einer derartigen tautologischen Position und ihres individualistisches Konterpart haben nun ihre gemeinsame Ursache in der fehlenden Berücksichtigung der Zwänge der Verallgemeinerung, mithin der gesamtgesellschaftlichen Perspektive des Politischen. Politik ist letztlich – auch wenn das viel weniger deutlich erweisbar ist, als es im Ökonomischen der Fall ist – nur mit Hinblick auf gesamtgesellschaftliche Geltung möglich und emanzipatorische Praxis muss immer auch politisch sein. Auch hierin alleine liegt die (negativ angelegte) Möglichkeit einer Überwindung begründet: Erst wenn gesamtgesellschaftliche Veränderung eintritt, können die einzelnen Veränderungen letztlich Sinn machen. Wer dies nicht anerkennt, ist nicht „radikal“, insofern er/sie nicht an die Wurzeln geht – denn im Herzen der immer wieder auftretenden Realparadoxien liegt eine fetischistische Relationalität, die jene tautologische conditio überhaupt erst hervorbringt. Der Widerspruch von Immanenz und Transzendenz (in der Immanenz) ist letztlich also nur zu überwinden, wenn auf die Gesellschaft, welche ihn hervorbringt, abgezielt wird. Theoretisch setzt dies ein hinreichendes Verständnis der Gesellschaft voraus; auf die diesbezüglichen Fallstricke der Umsonstökonomie wies die Verhandlung der Kritik der Politischen Ökonomie bereits hin. Praktisch verweisen die so abgesteckten Grenzen auf die Orientierung hin zur politischen Organisation und die Einbindung in Kämpfe mit Allgemeinheitsanspruch, denn nur so wird zumindest der Versuch einer wirklichen, d.h. auf die Totalität abzielenden, Transzendenz möglich.

Dies ist die Grenze, wie sie von Gesellschaftskritik abstrakt abgesteckt werden kann. Aus dieser Perspektive lassen sich natürlich strukturelle Transformationen intermediärer Art oder gar einzelne Praxen nie endgültig bewerten oder hierarchisieren, hier sind Kontextbindung und „situiertes Wissen“ von Nöten. Eine Einschätzung der (politischen) Effekte ist jedoch trotzdem möglich, wenn auch um einiges weniger sicher, als die abstrakteren, formkritischen Grenzziehungen. In diesem Sinne möchte ich nun kurz die möglichen gesellschaftspolitischen Effekte von Umsonstökonomie als (politischer) Praxis diskutieren. Ausdrücklich hebe ich dabei den konjekturalen und beispielhaften Charakter dieser Diskussion hervor: andere Einschätzungen wären möglich (und durch konkretere sozialwissenschaftliche Forschung zu fundieren) und auch ist mit dem Folgenden nur ein Aspekt von vielen angerissen.

3.2.2 Mögliche gesellschaftspolitische Effekte

Wenn festgehalten wird, dass Umsonstökonomie nicht nur im eigenen Mikrokosmos Wirkung zeigen soll bzw. kann, dann muss die Frage gestellt werden, wie sie sich auf die herrschende Gesellschaft – meist verstanden als in nationalstaatlichen Grenzen abgesteckt – auswirkt.

Zuerst einmal muss hier die geographische Differenz von gesellschaftlichen Kontexten in Betracht gezogen werden: Während in der globalen Peripherie die Krise der ökonomischen (und meist auch politischen) Synthesis ein gewisses Vakuum hinterlässt, welches – gepaart mit einer ohnehin oftmals noch unabgeschlossenen „formellen Subsumption unter das Kapital“, einer „unfertigen“ Modernisierung im Sinne des Kapitalismus – andere Formen der Versorgung nicht nur möglich, sondern nötig macht. Im Kontext von etwa lateinamerikanischen Ländern sind Formen der Subsistenzwirtschaft, der „NachbarInnenschaftshilfe“ und der alternativen Ökonomie schlechthin keine bewussten politischen Programme, sondern schlicht Überlebensnotwendigkeit. Als solche fehlt vielen dieser unmittelbareren Formen der Versorgung regelmäßig nicht nur eine politische und längerfristige Perspektive, sondern jeglicher emanzipatorische Anspruch. Real existierende „Umsonstökonomie“ ist also nichts an sich erstrebenswertes, wenn sie auf einem faktischen Versagen der marktförmigen Zirkulation beruht (lokale Produktion ist in einer globalisierten Welt ja alles andere als notwendig), Regionen schlicht zu „arm“ sind, um für kapitalistische Verwertung von Interesse zu sein. Denn wo „Ökonomie“ tatsächlich (wieder) „Kampf ums Überleben“ bedeutet, werden Fragen der Emanzipation, der prinzipiell möglichen Befreiung meist hinter unmittelbarere Notwendigkeiten zurückgestellt. Das heißt nun nicht, dass soziale Bewegungen in den Peripherien, die vielfach auch noch um einiges „direkter“ kämpfen, gleichgültig wären, die Revolution nur in den Zentren passieren kann, wie es der Sozialismus der zweiten Internationale vermeinte. Allerdings sind die strukturellen Gegebenheiten unterschiedlicher Gesellschaften zu berücksichtigen. Während „alternative Ökonomie“ in Ländern der Peripherie eine tatsächliche, aber pragmatisch-behelfsmäßige Rolle spielen kann, ist dies in den Ländern des globalen Zentrums nicht der Fall. Ist Umsonstökonomie dort tatsächlich (wenn überhaupt, denn Geldökonomie ist meistens ja nicht völlig zurückgedrängt und Geld spielt folglich weiter eine – aber eben eingeschränkte – Rolle) in einem unmittelbaren, kleinen und „vor-modernen“ Sinne zu verstehen und hat somit wenig mit politischem Anspruch zu tun, verhält es sich hier (noch) umgekehrt: Umsonstökonomie ist v.a. politische Praxis und spielt wenig Rolle in der stofflichen Versorgung. Hierfür ist die Warenökonomie zu sehr verallgemeinert, selbst noch die armen Bevölkerungsteile sind nicht völlig aus der formellen Ökonomie ausgeklinkt. Im Gegenteil sorgt der Staat, d.h. eine politische Instanz, mittels sozialen „Transferzahlungen“ bewusst dafür, dass auch den Ärmsten zumindest ein kärgliches Weitervegetieren innerhalb einer geldvermittelten Ökonomie ermöglicht wird. Dies ändert sich jedoch. Gerade vor dem Hintergrund der globalen Krise, die seit den 1970ern zuerst die „nachholende Modernisierung“ der meisten Länder der Peripherie zum Stehen brachte und nun auch immer umfassender die Zentren erreicht, werden die „fordistischen Errungenschaften“ des Wohlfahrts- und Rechtsstaats mehr und mehr beschnitten. Nicht zuletzt stellt das wirtschaftspolitische Programm des Neoliberalismus (bzw. die faktische historische Tendenz, die mit jenem oft vermengt wird) einen gewissen repressiven Umgangsmechanismus mit dieser Krisenentwicklung dar, die umfassende sozialstrukturelle Transformationen mit sich bringt. Die neoliberale Notstandsverwaltung betrifft v.a. und zuerst die Funktionsweise des Staates: Ihm wird – eben auch auf Grund der ihm eigenen Rolle, die mit der Sphäre der Politik und auch der ideologischen Repräsentation jener bei den „einfachen Leuten“ zu tun hat – eine ordnende und krisenbewältigende Funktion zugewiesen, also er straft (Repression, Kontrolle, Rechtssicherheitsherstellung v.a. im Lichte des Funktionierens der Ökonomie), aber auch belohnt (sozialstaatliche Anreize). In der Krise sparen nun Staaten nicht umsonst bei der „belohnenden“ Seite, indem sie zum „aktivierenden Sozialstaat“ (Rentschler 2004) werden, denn die Gewährleistung der Sicherheitsfunktionen stellt zumindest in einer kurzfristigen Perspektive (zu längerfristiger gesellschaftlicher Planung sind kapitalistische Institutionen ohnehin nicht fähig) eine dringendere Notwendigkeit dar. Dass die Chance einer „Aktivierung“ der sozial Schwachen bei gleichzeitiger systemischer Krise dabei natürlich eine enden wollende ist, kann die staatlichen AkteurInnen schon deshalb nicht interessieren, da sie per definitionem kein Verständnis von längerfristiger Krisenhaftigkeit haben können. Ideologisch und politisch wird durch diese Transformation des Sozialstaats aber faktisch dennoch eine Verschiebung von einem Versorgungs- zu einem Leistungsdispositiv erwirkt. In dieser Verschränkung von politischen und ökonomischen Entwicklungen laufen Ansätze der „alternativen Ökonomie“ ganz generell Gefahr, zum Teil dieser Notstandsverwaltung gemacht zu werden. Als erweiterter Arm des Staates und seiner Krisenstrategien wird sie dann einerseits politisch kooptiert und erkauft ihre neue (wohl real immer noch geringe) wirtschaftliche Tragfähigkeit durch ihre unbewusste Rolle als „Lückenbüßer“, welche – neben vielen anderen „kreativen“ Lösungsversuchen – bloß für den weiteren Verfall der Verhältnisse und insbesondere die politische Zurückdrängung der Wohlfahrtsstaatlichkeit steht. Diese mögliche Gefahr kann von Seiten der Umsonstökonomie mittelfristig erneut nur durch eine möglichst klare politische Positionierung und (organisatorische) Einbindung in soziale Bewegungen verhindert werden.

Dieser Einbindung widersprechen nun aber nicht nur die bereits genannten akzidentiellen und systematischen Bezüge auf das „Kleine“, sie wird auch durch symbolische und subjektmäßige Aufladungen des Ansatzes gefährdet. Abschließend möchte ich deshalb noch kurz dieser Perspektive Rechnung tragen, um schließlich mögliche Chancen des Ansatzes zu sondieren.

3.3 Umsonstökonomische Praxis und symbolisch(-geschlechtliche) Aufladungen

Wenn politische Praxis im Allgemeinen und Umsonstökonomie im Besonderen betrachtet werden, sollten Aspekte der subjektiven und symbolischen Aufladung stets Beachtung finden. Es muss also bei einer Einschätzung einer Praxisform auch darum gehen, inwieweit sie durch subjektive Motivationen von Individuen bedingt ist und diese gleichzeitig (re-)produziert. Dies ist aber deshalb nicht mit einem „cui bono“ zu verwechseln, weil es aus der Perspektive kritischer Theorie nicht darum geht, die Zielorientierung der Einzelnen auf ihre Werte hin abzuklopfen und dann sofort wieder unmittelbar neu zu bewerten. Es geht „erklärender Kritik“ nicht darum, Handlungsvorgaben auf einer individuellen Ebene zu machen oder moralisierende Korrektive einzuführen. Im Gegenteil ist das normative Moment der Kritik auf einer abstrakten Ebene verortet: Kritisiert wird die gesellschaftliche Synthesis als solche, als notwendigerweise Widersprüche hervorbringende. Diese Widersprüche ziehen sich durch alle (Abstraktions)-Ebenen der Gesellschaft und stellen auch für individuelle Praxis insofern eine Grenze dar, als es kein „außen“ gibt. (Manche) Widersprüche mögen im Hier und Jetzt ver- und bearbeitbar sein, aber die Bewältigung von Widersprüchen schafft stets neue und lässt so die AkteurInnen der Widerspruchsmatrix als solcher nie endgültig entkommen. Der Kerngehalt dieser Matrix lässt sich mit Verweis auf neuere kritisch-dialektische Theoriebildung am besten als „Wert-Abspaltung“ fassen, wobei an die grundlegende marxistisch-feministische Theoriebildung zu Fragen der „Hausarbeit“ und der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung angeschlossen wird (Scholz 1992). Zu dieser selbst noch „ökonomisch-abstrakten“ Problemstellung gesellt sich jedoch unmittelbar ein „subjektiver Aspekt“, nämlich insofern, als die Frage der Vergeschlechtlichtung – anders als jene des gesellschaftlichen Naturverhältnisses, auf dem Ökonomie aufbaut – ein inneres Verhältnis widerspiegelt, das zwischen und durch Individuen hindurch wirkt. Dieses innere Verhältnis ist wesentlich eines von Subjekt und Objekt, wie es etwa in der Hegelschen „Herr-Knecht“ Parabel vorzufinden ist und als Spannung die gesamte psychoanalytische Tradition durchzieht. Um es halbwegs kurz zu halten, beschränke ich mich auf den Endeffekt dieser stark von (post-)strukturalistischen und feministischen Ideen beeinflussten Überlegungen. Dieses „innere Verhältnis“ des Subjekts korreliert gemäß der Wert-Abspaltungstheorie in der Moderne in spezifischer Weise mit dem äußeren Verhältnis der „abstrakt-objektiven“ Dimension (z.B. Ökonomie, Politik). Kritische Theorie versucht die Art und Weise dieser Vereinigung von Subjektivem und Objektivem unter dem Begriff „Fetischismus“ zu fassen. Wichtig für das Verständnis des modernen Fetischismus ist es, einige meta-methodische Prämissen zu akzeptieren:

  • Diese Perspektive stößt an die Grenzen formaler Wissenschaftlichkeit.
  • Es drängt sich eine notwendig historische Perspektive auf das Subjekt (und Objekt) auf.
  • Dies ist mit einem dialektisch-kritischen Zugang verknüpft.
  • Darstellbar wird diese fetischistische Beziehung von Subjekt und Objekt erst auf einer symbolischen Perspektive, die Erkenntnis abseits der wissenschaftlichen Methode (und ihrer strikten Trennung von Fakt/Wert und Empirisches/Gedachtes) betrachtet.

Einfacher zusammengefasst: Eine Dimension des Symbolischen ist eminent wichtig, um nicht nur eine Kontinuität über die Abstraktionsniveaus hinweg zu gewährleisten, sondern auch um die im Subjekt, „dem Kleinsten“, eingeschlossene Widersprüchlichkeit fassen zu können. Denn in unserer unmittelbaren Selbst-Reflexion, in der „Innenperspektive“ des Subjekts, kommt wissenschaftliche Methode zwangsläufig an ihre Grenzen. Das heißt nun nicht, dass nicht symbolische Momente auch für die Betrachtung abstrakterer Tatbestände bis hin zum Verhältnis „Ökonomie-Politik“ selbst von Relevanz wären. Allerdings sind die Subjektkritik sowie die Beschäftigung mit unmittelbaren Aspekten zwischenmenschlicher Praxis auf Grund ihrer Beschaffenheit um einiges stärker auf einen derartigen Zugang angewiesen. Marxistische Theorie hat dies lange Zeit übersehen und ist deshalb zu Recht von feministischen Interventionen in die Schranken gewiesen worden: Ihr Fokus auf das „Materielle“ hat gerade die fetischistische Vermengung von „materiell und ideell“ im warenproduzierenden Patriarchat krude verkannt. Tatsächlich müsste es aber darum gehen, die ursprünglichen Tendenzen des „westlichen (Neo-)Marxismus“ aufzugreifen und sie mit der Dimension der (vornehmlich subjektiv bleibenden) Kritik des Symbolischen, wie sie v.a. von Seiten feministischer Theorie lanciert wurde, zu verknüpfen. Die Wert-Abspaltungs-Kritik versucht dies und hat folglich eine differenziertere Perspektive auf die Ökonomie, die z.B. auch über differenzfeministische Erörterungen der Verbindung von Patriarchat und Kapitalismus hinausgeht.

In jener differenzfeministischen Tradition, die v.a. durch die sogenannten „Bielefelder Subsistenztheoretikerinnen“ (Maria Mies, Claudia Werlhof, Veronika Bennholdt-Thomsen) Bekanntheit erlangte, wurde eine implizite symbolische Dimension der herrschenden geschlechtlichen Arbeitsteilung erstmals systematisch (und affirmativ gewendet) ans Tageslicht gebracht. Das moderne Patriarchat wurde so interpretiert, dass die „Tauschwertseite“ männlich und herrschaftsförmig ist, während der Gebrauchswert auf einen weiblichen Kern verweist, der zugleich mit Natürlichkeit, Nachhaltigkeit und ökologischer Orientierung assoziiert wurde. Matriarchale Ordnungen seien demnach durch Gebrauchswertorientierung und insgesamt harmonisch-friedliche Verhältnisse geprägt, während patriarchale Organisation den mehr oder minder artifiziellen Tauschwert hervorbringe (und kultiviere), gewalttätig sei und die Umwelt zerstöre. So sehr diese Sicht ein offensichtlich vereinfachtes Weltbild transportiert und in ihrer unmittelbar normativ-moralisierenden Ausrichtung nicht zu überzeugen vermag, spiegelt sie eine gewisse Wahrheit der herrschenden Ordnung wider: Tatsächlich gibt es eine gewisse vergeschlechtlichte symbolische Trennung im Status Quo und sie wirkt sich besonders auf die „gesellschaftliche Arbeitsteilung“ aus, wie sie durch vielfältige subjektive, kulturelle und unmittelbarer herrschaftsförmig-patriarchale Mechanismen abgesichert ist. Weiblichkeit wird dabei die (vermeintlich) symbolische „Konkretheit“ zugewiesen, indem sie mit Friedlichkeit, Gemeinschaftsausrichtung, Fokus auf das Kleine und Häusliche, Natürlichkeit und dem Bezug auf das Unmittelbare assoziiert wird. Die Reproduktions- und Konsumarbeit ist deshalb auch stark weiblich markiert (z.B. Hausfrau, „Shoppen gehen“, Zuständigkeit für die „emotionale Ökonomie“, ästhetische Gestaltung des Heimes etc.). Insgesamt kann die „ökonomische Kleinteiligkeit“ selbst als ein feminisiertes Moment gedacht werden.

Demgegenüber wird Männlichkeit mit einer nach außen gewandten Produktions- und geschäftstätigen Zirkulationsorientierung in Verbindung gebracht (formelle Arbeit, Zuständigkeit für die ökonomische Absicherung en gros, harte und kompetitive Ausrichtung auf den Markt, funktionale Rationalität des Ökonomischen etc.). Sie zielt auf Herrschaft im Abstrakten und die („tauschwertgetriebene“) immanente Verwirklichung in der kapitalistischen Ökonomie ab.

Heutzutage hat sich diese binäre Aufteilung zweifelsohne empirisch pluralisiert, d.h. insbesondere, dass einzelne Individuen durchaus unterschiedliche Momente in sich vereinen können. Als gesamtgesellschaftliche Matrix taugt diese Gegenüberstellung jedoch insofern noch, als sie generalisiert, gewissermaßen als grundsätzliches kollektives Unbewusstes, immer noch weiterexistiert, was sich nicht nur in quantitativ weiterhin dominanten geschlechtergetrennten „Normalkarrieren“ äußert, sondern in der Doppelbelastung von Frauen, die nun partiell Weibliches und Männliches zugleich inkorporieren „dürfen“, zugleich aber den herrschaftsförmigen Seiten der funktionalen Zuweisung (z.B. Reproduktionstätigkeiten, emotionale Ökonomie) unterworfen sind. Gleichzeitig wird ökonomische Führung („Top-Manager“) immer noch stereotypisch Männern zugesprochen und eine „Verweiblichung“ von Männern wird vehement abgewehrt.

Auf der Ebene der Auseinandersetzung mit Umsonst-„Ökonomie“ spielen nun aber ohnehin weniger die ganz empirischen Fragen der Verteilung im „formellen Sektor“ eine Rolle, es geht mehr um die grundsätzliche Artikulation der hegemonialen gesellschaftlichen Symbolebene in der (unmittelbaren) Praxis.

Ganz allgemein kann hier festgestellt werden, dass die meisten alternativ-ökonomische Konzepte viel mit der schon von den Bielefelderinnen beschworenen Gebrauchswert- oder Subsistenzorientierung zu tun haben. In gewisser Weise könnte – negativ gewendet – behauptet werden, dass es eine „real existierende Umsonstökonomie“ gäbe, und zwar im Haushalt, den informellen Reproduktionstätigkeiten und der „aufgezwungenen Subsistenz“ der (globalen) Elendsverwaltung. Diese negativ existierende und als solches äußerst relevante „Ökonomie“ ist jedoch weder eine emanzipatorisch motivierte noch sonst wie besonders wünschenswerte Sache. Sie ist vielmehr die dialektisch verwiesene Kehrseite der „formellen Ökonomie“ und ihr unsagbares Anderes. Aber auch Momente der „bewussten Umsonstökonomie“ als emanzipatorischer Praxisversuch zielen umfassender symbolisch auf das Kleinteilige, bedachte, Nischen schaffende und Gemeinschaftliche ab und wenden sich regelmäßig gegen jene Aspekte der herrschenden Ökonomie, die am stärksten männlich konnotiert sind, wie „großteiliges Planen“, „abstrakt-rationales (Kosten-/Nutzen-)Kalkül“ oder Organisation von „oben herab“. Umsonstökonomie könnte dabei als insofern potentiell effeminierte Praxis bezeichnet werden, als sie nicht nur diese Orientierungen übernimmt, sondern möglicherweise auch weibliche AkteurInnen in dieser Praxisform die ihnen zugewiesenen gewohnten Rollenmuster reproduzieren. So etwa die Kleinteiligkeit, den „Nestbau“ bis hin zur ästhetischen Ausgestaltung von Räumen, die Abwehr alles Funktional(-Männlichen) und den Rückzug vor den männlich konnotierten (politischen) Organisationsaufgaben im Öffentlichen zugunsten der „sicheren“ Organisation im (relativ) Privaten. Hinzu kommen typische Konsum- und Reproduktionsarbeiten wie etwa die Reinigung, das Schlichten von Gegenständen in einem Umsonstladen etc. Das heißt natürlich nicht, dass nicht auch Männer sich in umsonstökonomischen Praxen wohlfühlen können – einerseits z.B. auf Grund eines eigenen Scheiterns an den hegemonialen Männlichkeitskonzepten und der dadurch gerne in Kauf genommenen differenten Geschlechterrolle, andererseits aber auch im Sinne einer weiteren, sekundären geschlechtlichen Arbeitsteilung innerhalb des „abgespaltenen“ Bereichs der Umsonstökonomie, wie etwa Konzentrieren auf die Außenorientierung, Zugang auf das „Publikum“, Versuchen der Öffnung für die breite Allgemeinheit etc. Aspekte dieser Arbeitsteilung sind nicht nur in umsonstökonomischen Praxen vorzufinden, die Umsonstökonomie bietet ihr jedoch – so meine These – durch ihre von vorne herein weiblich codierte Markierung eine spezifische symbolisch-performative Basis. Wird diese vergeschlechtlichte Symbolik mit den obigen kritischen Überlegungen zur Abstraktion der Kategorien Gebrauchswert/Tauschwert von ihrer gesamtgesellschaftlichen Gültigkeit in Verbindung gebracht, so ergeben sich hier einige Gefahren der funktionalen Reproduktion von Geschlechterideologien und -Subjektivitäten.

Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass die Perspektive der Subsistenz aus den obigen Gründen nicht taugen kann, ja selbst noch einer gewissen (reaktionär-rückwärtsgewandten, anti-technologischen und gesellschaftsfeindlichen) Ideologie geschuldet ist, die nicht ausschließlich, aber vielleicht gehäuft bei weiblich sozialisierten Menschen auftreten mag. Kann die klassisch marxistische Erkenntnisbrille, die bloß auf die „Produktion im Großen“ und die damit verbundenen Klassenverhältnisse fokussierte, als strukturell männlich dechiffriert werden, so müsste die alternativökonomische Perspektive als die einer weiblichen Erkenntnisprivilegierung entsprechende Brille verstanden werden. Das Kleinteilige, die Perspektive auf das Private und die Wirtschaft „von unten“ könnten damit auch als bewegungspraktische Sublimierung der eigenen Erfahrungen mit einer sozialisatorischen Orientierung hin zur reproduktiven Ökonomie (des Haushalts) und der daraus resultierenden Ablehnung der „formellen Ökonomie“ und ihrer Konkurrenz- und Machtlogik gedacht werden. D.h. nicht nur, dass weibliche AktivistInnen sich der Gefahr einer „sekundären (versteckten) Reproduktion“ der eigenen Geschlechterstereotypen bewusst sein müssten, sondern auch, dass die Zurückweisung des Männlich-Abstrakten (Ökonomischen) eine falsche Unmittelbarkeit darstellt. Denn auf den ersten Blick mag die Ablehnung der „männlichen Werte“ (des Ökonomischen) in der Umsonstökonomie ja – trotz der weiblichen Aufladung der entgegengesetzten Werte – ein Desiderat darstellen, mögen die (symbolischen) Praxen der kleinteiligen „(Haus-)Wirtschaft“ – ganz im Sinne der Bielefelder Subsistenzperspektive – als vorteilhaft angesehen werden. Die Perspektive der Kritik der Politischen Ökonomie hat jedoch erwiesen, dass der „Keimformgedanke“ nicht konsequent durchzuhalten ist, sondern höchstens als bewusst partikular verstandene Praxis sinnvoll sein mag. Dies bedeutet aber ebenso, dass hier (potentiell) eine Illusion der Emanzipation im Kleinen angestrebt wird, die sich ihrer geschlechtlichen Markierung und deren funktionaler Einbettung nicht bewusst ist. Denn auch Versuche der Emanzipation von einer vergeschlechtlichten Arbeitsteilung bzw. ihrer Rollenmodelle werden nicht nur von den (versteckten) Kontinuitäten eines gewissen, ganz immanenten, Bias in der Umsonstökonomie konterkariert, sondern sind schlussendlich ebenso nur in einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive möglich. Dies verweist nun natürlich wieder auf die (wohl größtenteils männlich codierte) Sphäre der öffentlichen politischen Aktivität und Veränderung, was die grundlegende Aporie der Umsonstökonomie hinsichtlich der patriarchalen symbolischen Herrschaft bzw. ihre widersprüchliche Re-Aktualisierung bestätigt: Die Ablehnung der einen (herrschaftsförmigen) Widerspruchsseite kommt nicht umhin, auf die andere verwiesen zu bleiben, gerade weil schlussendlich eine Transzendenz von beiden relational aufeinander verwiesenen Momenten angestrebt wird. Das Weibliche als unterworfenes „Anderes“ kann sich stets nur im Durchgang durch das Männliche transzendieren – auch und gerade, wenn es die Abschaffung der starren Geschlechterbinarität als solcher anstrebt.

All dies bedeutet nun nicht automatisch, dass „antipolitische“, oftmals weiblich codierte Praxisformen keinerlei emanzipatorischen Gehalt hätten, dass nicht auf einer subjektiven Ebene gerade durch die Reflexion dieser Probleme ein persönliches und gruppenmäßiges Wachsen an der Widerspruchsbearbeitung möglich ist – im Gegenteil. Insbesondere männlich sozialisierte Menschen sollten sich regelmäßig an diesen Praxisformen messen und sie auch in der Funktion des eigenen Ver-Lernens männlichen Herrschaftsverhaltens betrachten. Es gilt also ganz generell auch die umgekehrte Regel: Die Überwindung der repressiven Geschlechterbinarität ist nicht alleine auf Basis „männlicher“ Prinzipien möglich, sondern stets auf das weibliche Andere verwiesen. Im Falle der umsonstökonomischen Praxis kann allerdings wie gesagt nicht von einer hegemonial-männlich geprägten symbolischen Aufladung ausgegangen werden, weshalb hier die Frage der Auslassung eher umgekehrt zu stellen ist.

Die geschlechtliche Aufladung der Praxen ist insgesamt – wie schon eingangs erwähnt – nichts Verwerfliches, Unmoralisches oder einfach Ablegbares (was den Umkehrschluss zuließe, dass die – partielle – Reproduktion von diesen und jeglichen Geschlechtlichkeiten per se schon anzukreiden wäre). Mein Anspruch war es, für gewisse Grenzen der Praxis zu sensibilisieren. Grundsätzlich bleibt es den AkteurInnen in emanzipatorischen Bewegungen überlassen, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Trotzdem werde ich nun abschließend einige eigene Überlegungen aus diesem kritischen Durchgang ableiten, die die mögliche Potentiale der Praxisform „Umsonstökonomie“ nochmals stärker herauspräparieren sollen.

4 Conclusio: Potentiale der Umsonstökonomie

Bisher habe ich zahlreiche Schwächen sowohl des Konzepts als auch der Praxis Umsonstökonomie angeführt. Als markanteste Kritikpunkte kristallisierten sich dabei heraus: der falsche Ökonomiebegriff, welcher einen „methodischen Individualismus“ der Kategorien voraussetzt; die mangelnde Perspektive auf die Kontextualisierung der eigenen Praxis; die reduktionistische Zirkulations- und Gebrauchswertorientierung; ein damit verbundener gewisser „kleinteiliger“ (und wenn gewollt „kleinbürgerlicher“) Utopismus; die fehlende Berücksichtigung politischer Praxis im strikten Sinne; die Reproduktion gewisser geschlechtlich-symbolischer Dimensionen der Wert-Abspaltung durch die (gesamten) Kategorien der Umsonstökonomie hindurch. All diese Schwierigkeiten sind konzeptueller Natur und wie schon erwähnt nicht unmittelbar auf einzelne Praxen herunterbrechbar.

Neben diesen Schwierigkeiten mögen die positiven Aspekte eher oberflächlich erscheinen. So ist die Versorgung mit nutzbaren Dingen sicherlich eher ein Nebenzweck, selbst wenn der „Überschuss“ in Gesellschaften des Zentrums immer noch manch brauchbare Dinge einer sinnvollen Nutzung zuführt. Alleine dieser Nebenzweck würde die aufwendige Praxis von unten wohl nicht rechtfertigen. Auch die Perspektive einer „Gemeinschaftsorientierung“ wird durch die obigen Punkte relativiert. Offensichtlich kann in umsonstökonomischen Netzwerken ein anderer Umgang gelernt werden, was emanzipatorische Effekte erzeugen kann und allen Beteiligten in ihrem persönlichen Leben helfen mag. Aber diese Effekte sind dabei eher weniger ein Spezifikum umsonstökonomischer Praxis, könnten vielmehr in zahlreichen anderen Praxen genauso gut (oder besser) erzielt werden. Die Sensibilisierung für das „eigene Wirtschaften“ ist als solche und ohne weitere (durchaus anspruchsvolle) theoretischer Unterfütterung ohnehin eher gefährdet ins Ideologische abzugleiten, als sie eine wirklich transzendente Perspektive zu eröffnen vermag.

Paradoxerweise liegt jedoch gerade in der Frage der Transzendenz die möglicherweise größte Stärke der Umsonstökonomie begründet. Diese lässt sich jedoch nur über einen „Umweg“ erschließen.

Eigentlich hat Umsonstökonomie ja den Anspruch eine „ökonomische Praxis“ zu sein, das Moment der „politischen Praxis“ steht also nicht explizit im Vordergrund. AkteurInnen bringen natürlich ihre (zusätzlichen) „politischen“ Einstellungen mit, die das Gesamtprojekt der Umsonstökonomie prägen. Darüber hinaus wird jedoch eine Diskussion der politischen Ausrichtung der Umsonstökonomie als solcher durch ihre Fokussierung auf die „ökonomischen Seiten“, wie etwa die Dienstleistungen in Umsonstläden oder den gebrauchswertorientierten Austausch von Dingen in umsonstökonomischen Nutzungsgemeinschaften o.ä. eingeschränkt. Nun könnte – im Sinne der durch die Kritik erlangten Reduktion des eigentlichen „ökonomischen“ Gehalts – die Frage nach der politischen Ausrichtung von Umsonstökonomie trotzdem gestellt werden. Die obige Überlegung zur Politik der Transzendenz und Immanenz aufgreifend, müsste Umsonstökonomie wohl eindeutig als Praxis der Transzendenz betrachtet werden. Sie kämpft weniger gegen bestehende Herrschaftsstrukturen, sondern versucht etwas Neues zu schaffen. Betrachtet eins Umsonstökonomie nun aber als vornehmlich politische Praxis – wofür unter anderem auch die immer wieder auftauchende Notwendigkeit einer Anbindung an soziale Bewegungen und die politische Außenperspektive spricht –, so erscheint das „Ökonomische“ tatsächlich als eher sinnloses Beiwerk. U.a. mögen sich die Beteiligten dann fragen, warum sie all die mühsame Tätigkeit, die diesem Beiwerk dient, überhaupt auf sich nehmen und nicht andere Praxen ohne diesen Ballast vorziehen sollten. Hierfür gibt es m.E. einen gewichtigen Grund, der gewissermaßen als Umdrehung und Nutzbarmachung der fetischistischen Verkehrung, die hier begründet ist, betrachtet werden könnte: Umsonstökonomie kann immanent wohl tatsächlich bloß eine „fragmentierte Keimform“ im Sinne realer Gebrochenheit und Widersprüchlichkeit verstanden werden. Sie weist an sich kein ernstzunehmendes „ökonomisches Moment“ auf und ist so eine recht paradoxe politische Praxis, die als etwas anderes firmiert, als sie eigentlich ist. Sind sich die AkteurInnen dieser Widersprüchlichkeijedoch bewusst, so liegt gerade in ihr eine ungemeine Stärke begründet, die sie von anderen (immanenten) Praxen, die in die Öffentlichkeit intervenieren, unterscheidet. Denn in der ideologischen Außenwahrnehmung auf „die Wirtschaft“, wie sie beim allergrößten Teil der Bevölkerung anzutreffen ist, muss das Konzept einer „Ökonomie im Kleinen“ in der noch dazu alles umsonst ist, ein beträchtliches Aufsehen erregen. Es kann zu einem Bruch in der (ökonomischen) Realitätswahrnehmung führen, gerade weil eine individualisiert-ideologische Perspektive auf die Ökonomie vorherrschend ist, die gleichzeitig die kapitalistischen Kategorien Arbeit, Geld, Ware und Wert naturalisiert. Die „Natürlichkeit“ dieser gesellschaftlichen Fetische ist derartig in die Subjekte eingesunken, dass ein – wie auch immer beschränkter – Bruch einen ernstzunehmenden individuellen Effekt darstellen kann. Zugleich bietet die umsonstökonomische Praxis – politisch betrachtet – ein Potential, um das sie fast alle Gruppen, die eine breitere Außenwirkung erzielen möchten und ihre Inhalte zu vermitteln trachten, beneiden müssten: Eine große Anzahl von Menschen wird durch den Schein einer „Ökonomie im Kleinen“, in der alles umsonst ist, angelockt und diese Menschen bringen wohl oftmals eine gewisse Grundoffenheit für (andere) linke Inhalte auf, die – wenn vorsichtig und bewusst gehandhabt – zahlreiche Möglichkeiten der Vermittlung eröffnet. Dabei wird ein weiterer wünschenswerter Effekt erzielt: Menschen, die mit der Motivation der unmittelbaren materiellen Bedürfnisse den Laden aufsuchen (also solche, die gemeinhin den „unteren“ gesellschaftlichen Schichten angehören) und solche, die sich aus idealistischen Motiven, eventuell gerade auf Grund eines expliziten (natürlich selbst noch ideologischen) Interesses an der „Alternativökonomie“ beteiligen (und regelmäßig aus privilegierteren Schichten kommen) treffen recht ungezwungen und unmittelbar aufeinander. Dies gilt natürlich auch für den direkten Kontakt von AktivistInnen (die ja selbst zumindest hierzulande eher selten besonders „proletarischer“ Herkunft sind) und möglichen InteressentInnen und TeilnehmerInnen. Es ist also gerade die paradoxe Positionierung von Umsonstökonomie an der Grenze von (immanenter) Politik und Ökonomie (bzw. transzendenter Politik), die zahlreiche einzigartige Chancen bietet.

Dies setzt nun aber voraus, dass die notwendige und wünschenswerte Gemeinschafts- und Innenorientierung mit der eigentlichen Stärke des Konzepts – einer spezifischen Außenwirkung – sinnvoll vermittelt wird. Hier sind die Gefahren der Überschätzung der ökonomischen Seite bzw. die mangelnde theoretische Durchdringung des Verhältnisses Politik-Ökonomie in der eigenen Praxis die eine Seite der Medaille. Die andere liegt in der Unterschätzung und konsequenten Fehlbetrachtung der politischen Seite begründet. Eine solche kann sich als fehlende bewusste Auseinandersetzung mit der Außenorientierung, einer Anbindung an soziale Bewegungen und der organisatorischen Verstetigung im Kontext jener äußern; sie kann jedoch auch, den Fehlern der falschen Bestimmung des politischen Moments aufsitzend, in einer allzu starken (unbewussten) politischen Färbung von umsonstökonomischer Praxis im eigentlichen Sinne resultieren. Denn AkteurInnen der Umsonstökonomie bringen regelmäßig auch Erfahrungen aus anderen Emanzipationsbestrebungen mit und geben der eigenen Praxis so – notwendigerweise – einen gewissen Bias. Dies ist zwar grundsätzlich nicht schlecht, wird allerdings dann zum Problem, wenn es mit der eigentlichen Stärke des Ansatzes – der prinzipiellen Offenheit und Neutralität, die durch das Prinzip „Ökonomie“ nach außen kommuniziert wird – allzu unmittelbar im Konflikt steht. Während nämlich bei anderen emanzipatorischen Praxen das offensive Vertreten eigener emanzipatorischer Werte und der inkludierende Effekt, den dies auf andere (Gleichgesinnte) hat, positive Wirkungen zeigen kann, sind bei der Umsonstökonomie Effekte, welche die Gruppendynamik auf ein Gros des sonst angesprochenen „Außen“, der mehr oder weniger unemanzipierten „Normalbevölkerung“ hat, ein starkes Gegenargument gegen subkulturelle Prägung, gegen offensive Ausschlüsse und die ganz offene und plakative Vermittlung von (offensichtlich) radikalen politischen Botschaften. Dies würde der Stärke des Konzepts mittelfristig entgegenarbeiten und tatsächlich die spezifischen Potentiale von Umsonstökonomie als fragmentierter „Keimform“ einer größeren sozialen Bewegung versanden lassen. Wie alle anderen Praxisformen auch weist Umsonstökonomie gewisse wünschenswerte und manche weniger angenehme Seiten auf, die sich hier vielleicht schärfer als in anderen Ansätzen an der Grenze zwischen „Innen- und Gemeinschaftsorientierung“ und „Außen- und Wirkungsorientierung“ artikulieren. AktivistInnen müssen sich entscheiden, wo für sie die Prioritäten liegen. Diese Prioritätensetzung sollte aber möglichst bewusst vor sich gehen und die allgemeinen, konzeptuellen wie auch spezifischeren, praktischen Grenzen von emanzipativem Handeln im Auge behalten werden. In diesem Sinne sollte Umsonstökonomie nicht nur ihren Möglichkeitsrahmen (aus der Perspektive der Kritik der Politischen Ökonomie) reflektieren, sie sollte sich auch beständig mit den Widersprüchen ihrer eigenen, individuell und kollektiv erfahrenen Praxen auseinandersetzen. Ich hoffe mit diesem Artikel insbesondere einen neuen Impuls in diese Auseinandersetzung eingebracht zu haben: das Nachdenken über die politische Praxisform Umsonstökonomie. Denn ebenso, wie auf der anderen Seite „politizistische“ Linke oftmals Aspekte des Kleinteiligen, der Reproduktion und der „gelebten Utopien“ vergessen, scheint mir jener Kontext, in dem auch die Umsonstökonomie angesiedelt ist, die Frage des Politischen allzu schnell abzuhandeln. Eine emanzipatorische Bewegung hat allerdings nur Chancen, wenn sie beide Seiten der modernen Widerspruchsmatrix Politik-Ökonomie gleichermaßen bearbeitet. Hierfür wäre eine gesteigerte Kommunikation unterschiedlicher Bewegungssegmente sicherlich von Vorteil. Letztlich kommt aber wohl niemand an der umfassenden Auseinandersetzung mit den je eigenen Reduktionismen vorbei. Dabei ist die Hinterfragung der (vermeintlichen) „Stärke“ der eigenen Praxis sicherlich ein guter Ausgangspunkt, denn es sind meist jene distinktiven Merkmale, die zu Abschattung nach außen und Desinteresse an (anderen) Bewegungspraxen führen. Genau in diesem Sinne müsste sich Umsonstökonomie – wie jedes andere emanzipatorisches Unterfangen auch – als Teil einer gemeinsamen sozialen Bewegung verstehen. Als solche könnte sie überhaupt nur dann Erfolg haben, wenn sie sich sowohl „arbeitsteilig“ segmentiert, eigene Zusammenhänge mit eigenen Zielen begründet, als auch ihre Verwobenheit in FreundInnenschaften, „Bündnisse“, soziale Netze, öffentlich-politische Repräsentationen und viele andere Formen des Gemeinsam-Werdens wahrnimmt und sie bewusst vorantreibt. Kritische Theorie kann hier nur die Rolle eines Wegweisers einnehmen, letzten Endes aber nicht das Beschreiten des mühsamen Weges abnehmen.

Literatur

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Scholz, R. 1992. Der Wert ist der Mann. Thesen zu Wertvergesellschaftung und Geschlechterverhältnis. In Krisis, 19-52. Bad Honnef: Horlemann.

Anmerkungen

Das heißt, dass nicht nur eine große Komplexität verschiedener „Schichten“ sozialer Strukturen angenommen werden muss (Stratifikation), sondern diese auch in einer ganz bestimmten, historisch bedingten, jedoch eine eigene Widerstandsfähigkeit aufweisenden (hierarchischen) Art und Weise aufeinander aufbauen (Emergenz). Als ordnendes und kohäsives Muster kann die moderne Widerspruchslogik der Wert-Abspaltung verstanden werden.

Unter „Politisch“ verstehe ich solche Handlungsmuster, die einer gewissen Form(logik) folgen, welche intrinsisch mit Strukturmerkmalen der (repräsentativen) „gesellschaftlichen Allgemeinheit“ bzw. ihrer Herstellung und Reproduktion verbunden ist. Staatlichkeit, d.h. die Ausrichtung auf den Staat als Materialisierung dieser Allgemeinheit, ist hier immer schon notwendig (ob positiv oder negativ, als Anknüpfungs- oder Abgrenzungspunkt) impliziert. „Anti-politisch“ sind dagegen Momente der sozialen Praxis, die sich nicht nur von der politischen Form abgrenzen, sondern (ob dies nun gewollt oder nicht einmal bewusst ist) ihr von vorneherein entgegenlaufen, in ihr nicht aufgehen können und für ein – in der herrschenden Gesellschaft nicht systematisch artikulierbares – „Anderes“ stehen, welches – weil eben nicht verallgemeinerbar – innerhalb des Bestehenden zur umfassenden Belanglosigkeit verdammt ist.

Damit ist natürlich das Risiko verbunden, aus einer abstrakten theoretischen Perspektive präskriptive Vorgaben für konkrete Praxen zu machen, die sich eventuell in dieser Definition nicht wiederfinden. Gemäß der einführenden Absteckung der Zielsetzung dieses Artikels (und kritischer Theoriebildung im Allgemeinen) sollten die nun folgenden Definitionen und Absteckungen des Gegenstands (soweit sie konkrete Praxen betreffen) als Vorschläge verstanden werden. Insbesondere erhebt der inhaltliche Fokus keinen Anspruch auf Vollständigkeit was die Möglichkeiten emanzipatorischer Praxen betrifft.

Das heißt freilich nicht, dass bei VertreterInnen der Solidarökonomie auch nur regelmäßig ein hinreichend verständige Kritik des Marktes oder gar eine umfassende Kritik kapitalistischer Ökonomie als Ganzer vorzufinden ist.

Die Kritik der Politischen Ökonomie als Zugang selbst ist untrennbar mit der Person Karl Marx und seinen ökonomiekritischen Werken verbunden. Jegliche Kritik der Politischen Ökonomie ist also bis zu einem gewissen Grad „marxistisch“, insofern sie sich auf Marx beruft, der die Grenzen des Forschungsprogramms der Kritik zum ersten Mal systematisch absteckte. Mithin ist auch Gesellschaftskritik als umfassendes, auf die gesamte Totalität zielendes Unternehmen nicht ohne Bezug auf Marx bzw. sein theoretisches Erbe denkbar.

Im weiteren Sinne würde ich darunter einen Modus der Kritik verstehen, der den Anspruch hat gesellschaftliche Totalität als solche zu fassen. Dies beschränkt sich selbstverständlich nicht auf Ökonomiekritik, sondern muss die Kritik der gesellschaftlichen Spaltung in „Sphären“ als solche kritisieren. Insbesondere zu erwähnen ist hier die Kritik der Politik, die auf ähnlich systematische Weise wie die Ökonomie zu hinterfragen wäre.

Wiewohl es auch vorkapitalistische Formen des Tausches gab, ist der präzise, gesamtgesellschaftlich vermittelte und zur absoluten Allgemeinheit gereifte Äquivalententausch nur im modernen Kapitalismus vorzufinden. Er setzt eben – wie ich gleich argumentieren werde – bestimmte historische Produktions- und Reproduktionsbedingungen voraus, die nicht in einer bloßen „Identitätslogik“ des Tausches aufgehen.

Als prägend interpretiere ich hier Debatten, die von der als „Wertkritik“ verhandelten Theoriebildung in den 1990ern und frühen 2000ern ausgingen und maßgeblich um das damalige Zeitschriftenprojekt „Krisis“ gruppiert waren.

Inkongruenzen zwischen beiden führen – verkürzt gesagt – zu konjunkturellen Wirtschaftskrisen. Der Einfachheit halber lasse ich hier die gesamte Dimension der Krisenhaftigkeit des Kapitalverhältnisses außen vor.

Robert Kurz hat die Schwierigkeiten eines allzu emphatischen Bezugs auf die informationale Seite des postmodernen Kapitalismus (bzw. eine Kritik eines solchen Bezugs) gut in seinem Artikel „Der Unwert des Unwissens“ verhandelt (Kurz 2008).

Für eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Aporien der bürgerlichen VWL vgl. z.B. Ortlieb, C.P. 2004. Markt Märchen. EXIT. Krise und Kritik der Warengesellschaft, no. 1: 166-84.

Dass ein beständiges Gebot der „Selbstreflexion“, wie es in hiesigen linksradikalen Szenen zur ultima ratio gehört, selbst noch gewisse problematische Momente bürgerlicher (die AkteurInnen sind nicht umsonst meist auch „soziologisch“ betrachtet bildungsbürgerlicher Herkunft ) Ideologie in sich trägt, ist hier von Bedeutung: Bürgerliche Sozialisierung, nämlich jene der Distinktion und des „kulturellen Individualismus“ , des ideologischen Strebens nach individueller „Einzigartigkeit“ und „Perfektion in sich“ sind Ingredienzien des aufgeklärt-(bildungs-)bürgerlichen Subjekts. Das Bestreben „alles reflektiert“ zu haben, die (Selbst-)Kritik (vermeintlich) auf die absolut mögliche Spitze getrieben zu haben, dient dabei – unabhängig vom Inhalt oder des mehr oder weniger bewussten Vollzugs dieser symbolischen Codes – als „kulturelles Kapital“ (Pierre Bourdieu), welches im symbolischen Wettstreit mit anderen einen Vorsprung verschafft. Dieser Gedanke kann hier nicht unterfüttert werden, wäre aber für eine „Theorie der (unmittelbaren emanzipatorischen) Praxis“ durchaus von Relevanz.

Erwähnenswert sind hier etwa Ansätze der „Nicht kommerziellen Landwirtschaft“ (NKL), wie sie z.B. am durchaus auch durch Theoriearbeit inspirierten Landkommunenprojekt „Karlshof“, nahe Berlin, ausprobiert werden.

Ich setze hier teilweise in Anführungszeichen, da ich selbst noch mit sehr vereinfachten Begriffen arbeite, die in einer fundierten ökonomiekritischen Auseinandersetzung partiell revidiert werden müssten. Aus darstellungspragmatischen Gründen und dem Ziel dieses Artikels folgend geschieht dies hier nicht.

Die philologischen Überlegungen über die Unvollständigkeit des Marxschen Gesamtwerks, das (zu einem gewissen Zeitpunkt) bekanntlich einen 6-Bücherplan vorgesehen hätte, lasse ich hier außen vor.

Das Projekt einer Formkritik des Politischen ist meiner Einschätzung nach um einiges weniger weit gediehen als jenes der Formkritik des Ökonomischen. Die Gründe hierfür sind teilweise Schwierigkeiten in der Sache selbst („ausgeschiedene“, nicht uniformierte und prinzipiell als historisch offen erscheinende Gestalt der Politik) zu suchen, aber sicherlich auch der (oft immer noch traditionsmarxistisch gefärbten) „politischen“ Eigenpositionierung von Theoriepraxis geschuldet. Formkritik und Inhalt sollten aber auch im Politischen erst einmal auseinandergehalten werden.

Hierzu später mehr.

Meine Erfahrungen und Einschätzungen der Umsonstökonomie beziehen sich hauptsächlich auf ihre Verstetigung in Umsonstläden, die zusätzlich zur bloß „ideellen“ Seite eine materiell-räumliche Komponente aufweisen und wohl auch das prominenteste „real existierende“ Beispiel für Umsonstökonomie sind. Ich denke jedoch, dass die meisten meiner Einschätzungen über diese Form der Umsonstökonomie hinaus Gültigkeit haben.

Der springende Punkt bei der Bestimmung des Fetischismus wäre eigentlich die Ausweisung seiner Ubiquität abseits einer differenzierungstheoretischen „Aufsplittung“. Insofern gehören „Politik-“ und „Ökonomiefetisch“ natürlich von vorneherein zusammen. Darstellungspragmatisch ist es jedoch (bis zu einem gewissen Grad) stets nötig, die moderne Widerspruchsmatrix der Wert-Abspaltung, hier bis hinein in die Sphärentrennung Ökonomie-Politik, analytisch nachzuvollziehen. Dies verweist auf die Grenzen des (systematischen) Denkens, die in diesem Text als solche nicht wissenschaftskritisch aufgearbeitet werden können.

Zumindest wenn Gewalt als Schranke der politischen Form ebenfalls noch als ihr notwendiges Konstituens angesehen wird. Diese Definition hat ihre Grenzen erneut in einer gesamtgesellschaftlichen Prozessperspektive – wenn das Gewaltmonopol nicht einmal mehr ansatzweise herstellbar ist, ein Zustand „negativer Anarchie“ umfassend erreicht ist, muss diese Formkritik überdacht werden. Eine derartige völlige Sistierung von Staatlichkeit ist aber selbst in den globalen Krisenregionen der „failed states“ nicht zur Gänze erreicht, was unmittelbar mit der globalisierten Gestalt des warenproduzierenden Patriarchats zusammenhängt.

In diesem Zusammenhang können Überlegungen zu „hegemonialen Männlichkeiten“ (Connell 2006) konkreteren Aufschluss geben über Bewältigungsstrategien und Abwehrmechanismen. Die grundsätzliche Unmöglichkeit einer umfassenden „doppelten Vergesellschaftung“ des Mannes ist jedoch in seiner gesellschaftlichen Rolle selbst begründet: als Dominierender und Aktiver Part patriarchaler Gesellschaft kommt ihm die Funktion der Aufrechterhaltung des Herrschaftsgefälles schlechthin zu. Die Verteidigung des symbolisch Männlichen (auf vielen Fronten und auf teilweise „versteckte“ Arten) ist deshalb nicht nur im Sinne der Sicherung von Privilegien zu verstehen, sondern stellt eine systemische Notwendigkeit dar, die intrinsisch mit der Grundgestalt der herrschenden Gesellschaft als sowohl patriarchaler als auch warenproduzierender verknüpft ist.

In diesem Sinne kann und wird sie – wie die obige Begriffsbestimmung schon erwiesen hat – auch nie vollständig als „Ökonomisches“ anerkannt werden. Versuche der „Bezahlung für Hausarbeit“ sind deshalb wohl auch aus einer pragmatischen, immanenten Kampf-Perspektive eher fehlplatziert, weil sie strategisch auf „ungünstige“ Widersprüche stoßend.

Nach diesem kurzen Abriss könnten nun alle bisher entwickelten Gedanken auf den unterschiedlichen Abstraktionsebenen im Lichte dieser symbolischen Perspektive betrachtet werden und erhielten dann eine spezifische einschlägige Formaufladung. Dies überlasse ich hier der Kreativität des/der LeserIn bzw. späteren Arbeiten.

 

Autor: Elmar Flatschart

Exit. Krise und Kritik der Warengesellschaft:

"Unibrennt-Bewegung" und die reale existierende universitäre Linke – eine (selbst-)kritische Rekapitulation

Selten bildet die Ausweisung des eigentlichen Motivationshintergrunds den Einstieg ins publizistische Schaffen. Dies bietet sich hier aber an, ist doch der Grund für diesen Artikel die fehlende Behandlung des „brennenden“ Themas in früheren Politix-Ausgaben. Offensichtlich ist unibrennt nämlich nicht nur an mir, sondern auch an anderen Personen und Zusammenhängen, die schon länger im Moloch Universität anzutreffen sind, in eigentümlicher Weise vorübergegangen. Nicht dass jemand die Existenz, die „Highlights“ und die ungefähre Verlaufsform des letzten heißen Herbstes hätte verpassen können – dafür waren die Proteste viel zu sehr in Medien und nicht zuletzt auch im gemütlich von zu Hause konsumierbaren Internet präsent. Trotzdem – oder vielleicht: gerade weil – unibrennt eigentlich offen, leicht zugänglich und in fast schon gespenstischer (weil in größeren Maßstäben funktionierender) Weise „selbstorganisiert“ war, schienen weite Teile der im und um die Universität herum organisierten „Linken“ paralysiert zu sein und wussten oftmals zuerst gar nicht richtig, wie sie mit dem Phänomen umgehen sollten. Dieser Eindruck ergab sich mir aus zahlreichen Gesprächen mit Bekannten und FreundInnen, aber auch dem Verhalten einiger bekannter Gruppen und Zusammenhänge.

Wie kann es nun also sein, dass unibrennt für so viele Menschen mit emanzipatorischen Anspruch ein unbeschriebenes Blatt blieb, die Bewegung weitgehend der „jungen Generation“, dogmatischen Polit-Sekten, einer mehr als laschen österreichischen „Zivilgesellschaft“ und bloß wenigen engagierten Einzelpersonen aus dem Kreis der kritischen Lehrenden und unipolitischer AktivistInnen überlassen blieb?
Die damalige Sonderausgabe der Unique versammelt ein (uni-)politisches Lager mit einer klaren Antwort: die Bewegung war es für „wirklich Linke“ schlicht nicht wert, sich dafür herzugeben. Sie wurde als reduktionistisch, ideologiebefangen und von vorneherein zum Scheitern verurteilt demarkiert. Die Stimmung dieser gerade im ÖH-Umfeld und universitär verorteten Linken alles andere als minoritären Position manifestiert sich treffend in folgender Überschrift eines Artikels aus der damaligen Unique: „Der gefährliche Wahnsinn der ‚Bewegung'“. Ich halte diese Einschätzung für problematisch1. Es liegt mir zwar fern über die Wahrnehmungen einzelner hinwegzugehen, die frustriert von tatsächlichen Versuchen der Partizipation und geschockt von sicherlich zuhauf vorkommenden sexistischen o.ä. übergriffigen Verhaltensweisen einiger PartizipantInnen von der Bewegung abließen. Diese Wahrnehmungen sind ebenso wichtig wie die Ausweisung und Kritik von in der Bewegung existenten ideologischen Formen und anderer problematischer Praxen. Trotzdem ist weder die Diktion noch die Reichweite der Kritik haltbar: Gerade „erfahrene“ AkteurInnen undogmatischer sozialer Bewegungen sollten wissen, dass mit der Größe und Offenheit von Initiativen immer auch der inhaltliche Konsens und die Geschlossenheit der eigenen Reflexions- und Umgangsformen leidet. Die Unibewegung als solches, bzw. ihre Manifestation, die AudiMax-Besetzung, konnte demnach gar nicht als solche ein „linker Freiraum“ sein – dafür war sie zu groß, heterogen und pluralistisch. Sie war jedoch eine Bewegung die zumindest im Kern auf einige progressive Kernelemente baute. Deshalb hätte sie für emanzipatorische AkteurInnen v.a. als ein Residuum kleinteiliger und mühsamer Veränderungsprozesse sein sollen, in der v.a. auch einzelne Individuen und losere Gruppenzusammenhänge „politisch sozialisiert“ werden können. Während orthodox marxistische Organisationen diese Intervention seit jeher sehr pointiert (und borniert) betreiben und auch diesmal wieder präsent waren, schien es weniger dogmatischen, starr organisierten und machtpolitisch kalkulierenden Zusammenhängen schwer zu fallen, Fuß zu fassen.

Anstatt die Bewegung für etwas zu kritisieren, dass sie nicht war und auch gar nicht sein konnte, sollte bei den eigenen Strukturen angefangen werden. Spätestens hier kann auch die berechtigte Frage beantwortet werden: Was hat dies alles in der Zeitschrift des Instituts für Politikwissenschaft verloren?
Einerseits finden die Proteste natürlich in und um das Institut statt. Andererseits muss jedoch die Frage gestellt werden, inwieweit davon geredet werden kann, dass das Institut für Politikwissenschaft in diese Proteste eingebunden war oder ist. Diese Frage stellt sich weniger (alleinig) hinsichtlich der tatsächlich institutionell gebundenen Personen und Strukturen, dem „Lehrkörper“ und der Administration. Sie stellt sich jedoch viel mehr angesichts einer holistischeren Betrachtung des „Mikrokosmos Politikwissenschaft“, denn so gesehen kann das Institut als sozialer Raum und Feld politischer Praxis betrachtet werden. Aus dieser Perspektive kann nur von Tendenzen, (symbolischen) Aufladungen und halbdurchlässigen strukturellen Verstetigungen die Rede sein, präzise – gar wissenschaftliche – Aussagen sind selbst für diesen beschränkten Raum schwer zu erlangen. Nichtsdestoweniger macht es Sinn, dieser Ebene nachzuspüren. Meine These ist hier, dass der „Mikrokosmos Politikwissenschaft“ in den letzten Jahren einen signifikant „linken“ und kritischen Anstrich bekommen hat. Dies äußert sich nicht nur im Lehrangebot und den Lehrenden selbst, sondern ist als „Klima“ spürbar, selbst für Personen (wie mich), die nicht mehr voll im Studium integriert sind, da sie die Querschnittsmasse des/der „VollzeitstudentIn“ verlassen haben. Letztlich denke ich, dass auch der Wechsel der Studienrichtungsvertretung in diesem Lichte zu betrachten ist: die alte Bagru Politikwissenschaft war zwar kritisch und auf ihre Weise wohl auch „links“, allerdings repräsentierte sie in ihrer Ausrichtung zumindest lange Zeit eine relative Distanz vom Mainstream des Studiums (der eben auch nicht so überwiegend „links“ war) und war auch ihrer Organisationsform nach für viele Studierenden wohl wenig einladend. Einzuordnen wäre sie eher in der vorher benannten Position „ÖH-Umfeld und universitär verortete Linke“2, die den Protesten schnell sehr kritisch oder zumindest ratlos gegenüberstand. Die 2009 erfolgte institutsinterne Verschiebung des politischen Mandats der Studienrichtungsvertretung, welche doch eine recht abrupte und deutliche war, illustriert also einerseits eine interne Entwicklung des Mikrokosmos PoWi. Sie hatte aber andererseits auch hinsichtlich der Unibrennt-Bewegung Folgen: die neue Krisp-Führung war den Protesten gegenüber deutlich wohlgesinnt eingestellt und förderte den studentischen Aktivismus nicht nur passiv oder durch partielle Einflussnahme, sondern war (und ist) an seinem Fortgang proaktiv beteiligt.

Manche mögen an dieser Stelle anhalten und vermeinen, dass die Sache damit geklärt ist: es gibt die neuen, „guten“ Strukturen, die es fertigbringen, Teil der Proteste zu sein; und die alten, „schlechten“ universitären Linken, die nicht von ihrem Sessel hochkommen oder die Bewegung bloß von außen aufs giftigste bespeien.

So einfach ist es aber nicht, denn nicht nur ist der Mikrokosmos PoWi als integriert in einen breiteren emanzipativeren Makrokosmos „universitäre Linke“ zu denken; auch ist die Wertung der Positionen schlussendlich nicht zu halten. Spontaner Aktivismus, (dessen) Organisierung und strukturelle Absicherung sind ohne Zweifel wichtige Momente universitärer (und gesamtgesellschaftlicher) Emanzipationsversuche. Sie stellen die im engeren Sinne „politische“ Frage(n), beschäftigen sich mit tagesaktuellen Themen, welche von allgemeiner Bedeutung sind und versuchen in die sogenannten „Kräfteverhältnisse“ einzugreifen. Diese Ausrichtung, in der sich – grob generalisiert – neuere Entwicklungen am Institut und die Machart und Stoßrichtung (eines Gros) der Audi-Max-Bewegung treffen, hat allerdings auch ihre Schwächen und Kehrseiten. Diese lassen sich – nicht zufällig – paradigmatisch im Widerspruch zur Position der etablierten universitären Linken erläutern. Während letztere Zusammenhänge sich durch langjähriges und langsames „Hineinwachsen“ in eine „alternative“ Sozialisierung auszeichnen, beruht die politizistische Strategie auf einer schnellen und themenorientierten Anziehung möglichst vieler Menschen. Dabei kommt es leicht zu einer Art „Durchlauferhitzer-Effekt“: Menschen engagieren sich kurzfristig intensiv und schenken einen großen Teil ihrer (freien) Zeit „der Politik“, um dann nach einigen Wochen oder Monaten völlig ermattet wieder zurück ins „normale Leben“ zu kehren. Eine derartige Politisierung ist nicht nachhaltig, gerade weil sie sich auf die Politik beschränkt und nicht die gesamte Lebensrealität der AkteurInnen verändert. Es geht hier aber nicht nur um Subkultur, denn das Modell Aktivismus in der Politikform ist notwendig auch wenig(er) sensibel für Ideologien, personale Unterdrückungsverhältnisse bzw. Ausschlüsse und distanziertere kritische Betrachtung von Zusammenhängen – hierfür braucht es Zeit, Ruhe und ein geeignetes Umfeld, denn eine diesbezügliche Sensibilisierung, ein derartiges Lernen, setzen eine profunde Veränderung der Einzelnen voraus. Nun kann nicht absolut negiert werden, dass dies auch im Rahmen von politizistischen Netzwerken möglich ist, es ist jedoch durch die starke Formdetermination des „Politischen“ jedenfalls viel schwieriger und in den meisten Situation wohl unmöglich. Die Sozialisierung im mehr oder minder emanzipatorischen Makrokosmos „Universitäre Linke“ (die nicht zuletzt stark auch im Umfeld der diversen ÖH-Strukturen stattfindet) ermöglicht eine graduelle Entwicklung hin zu einer umfassenderen und meist nachhaltigeren linken Identität3. Zweifelsohne ist diese Identität (beständig!) zu kritisieren und zu transzendieren und weist ihrerseits problematische Ausschlussmechanismen und ideologische Verklärungen auf. Sie gewährleistet jedoch eine kontinuierlichere Entwicklung von alternativen Strukturen und Lebensweisen. Sie trägt so letztlich auch zur Veränderung eines (gesamtgesellschaftlichen) Klimas bei bzw. ist der einzige Weg dorthin. Während „Kämpfe“ und „Bewegungen“ in der Politikform aufgehen, sich notwendig mit den Themen oder den mehr oder weniger strukturell eingerahmten „Kampfzyklen“ ein gutes Stück weit selbst erledigen, da schlussendlich nach dem Ende der „Kämpfe“ nur der „harte Rest“ der „BerufspolitikerInnen (oder RevolutionärInnen)“ übrigbleibt, machen gerade Momente, die eigentlich „antipolitisch“ sind, nicht oder nur schwer politisierbar sind und das mehr oder minder sublime „Hintergrundrauschen“ der „articulated politics“ darstellen, die Kontinuität und Dichte von emanzipatorischen Bewegungen aus. Sie prägen nicht zuletzt auch wirklich ernsthafte Politiken, denn nur die ruhigeren Phasen abseits des Aktivismus ermöglichen eine (selbst-)kritische Sondierung und Schärfung der eigenen Vorstellungen und Lebenswelten, was als Voraussetzung für emanzipatorische Politik zu gelten hat. Hierzu kann dann auch das (bedächtig und ausgewählt betriebene) Studium der Politikwissenschaften beisteuern. Für all dies ist die allzu starke Fokussierung auf den Aktivismus bzw. eine politizistische Grundhaltung geradezu hinderlich, weil sie nicht nur zeitmäßig, sondern auch im Bezug auf die (eigenen) Perspektiven von Momenten einer emanzipatorischen Sozialisierung wegführt4.

Diese Ausweisung der Gefahren und strukturellen Selektivitäten eines manifesten linken Aktivismus/Politizismus darf nun aber erneut nicht als Absage an Basisarbeit, Aktivismus und das Agieren in der Politikform schlechthin verstanden werden. Wie schon anfangs gesagt, liegt mir nichts ferner als die zuerst einmal politische und aktionistische „Spitze“ der AudiMax-Bewegung als solche zu desavouieren. Dies Sache ist schlicht so widersprüchlich wie sie klingt: Aktivismus/Politizismus und eine nachhaltige linke Sozialisierung schließen sich punktuell zu einem hohen Grad aus. Trotzdem sind sie aufeinander angewiesen, denn es bedarf nicht nur der – meist nur vermittels spektakulärer und zugespitzter politischer Inszenierungen erreichbaren – Erneuerung und (im Idealfall) Vergrößerung linker Zusammenhänge, auch zeichnen sich soziale Bewegungen natürlich dadurch aus, dass sich etwas bewegt – hierfür bedarf es politischer Impulse von außen, damit etablierte alternative Lebenswelten nicht zu Szenesümpfen verkommen oder in der „Flucht zur Landidylle“ enden. Im Umfeld der akademischen Landschaft lauert außerdem stets auch noch die Gefahr der „Wegetablierung“ in formellen Institutsstrukturen, universitären Leistungsdünkel und dem völlig abgekapselten Elfenbeinturm (Mainstream-wissenschaftlicher, aber auch kritischer) Theorie. Geht der Blick also über die einzelne Situation, einen engen Zeitrahmen und eingegrenzten Raum hinaus, bedingen sich beide Seiten gegenseitig. Auf den Punkt gebracht: Es kommt auf die Mischung, oder besser, die Vermittlung, an.

Durchaus auch selbstkritisch bleibt festzustellen, dass diese Vermittlung vonseiten der universitären Linken schief gegangen zu sein scheint: progressive AkteurInnen, die in irgendeiner Weise institutionell, habituell oder inhaltlich an den sozialen Raum „Universität“ gebunden sind (dies inkludiert natürlich gerade auch wissenschaftliches Personal im weiteren Sinne), haben es nicht geschafft, „longue durée“ und „kurze Wellen“ emanzipatorischer Bestrebungen zusammenzubringen. Welche Gründe lassen sich hierfür finden? Es gibt sicher zahlreiche, aber ich möchte hier vorerst zwei aufwerfen.
Zum einen ist es wichtig Probleme nicht nur personalisiert zu betrachten, sondern in einem breiteren Kontext. Der etablierten universitären Linken mangelt es an Strukturen, die sich bewusst um Vermittlungs- und Vernetzungsarbeit bemühen – sowohl untereinander, als auch nach außen bzw. gegenüber „Bewegungen“ wie unibrennt. Bestehende Netzwerke und Strukturen sind meist nur nach innen gerichtet und dementsprechend „zweckgebunden“. Auf Grund des Mangels funktionierender Transmissionsriemen ist es nur verständlich, wenn sich Einzelne, die mit dem Status Quo eines Nebeneinanders unzufrieden sind, überfordert fühlen und den Anschluss neuer AkteurInnen an bestehende Netzwerke, wie auch die Intervention in die Bewegung(en) nicht zuwege bringen.
Andererseits muss die universitäre Linke aber auch an der Abgeschlossenheit in den Köpfen arbeiten. Wiewohl die Herausbildung einer „alternativen Lebenswelt“ gegenüber bloßem Polit-Aktivismus die oben genannten Vorteile birgt, führt sie zuweilen auch zu dogmatischen Verengungen und Unverständnis gegenüber jenen, die noch nicht Teil der eigenen Zusammenhänge sind, „unreflektiert“ und rücksichtslos erscheinen (und es wohl oft auch sind). Es ginge hier auch darum differenzierte Einschätzungen manchmal vor persönliches Empfinden zu setzen und sich bewusst der „mühsamen“ Widersprüchlichkeit zu stellen, die sich ergibt, wenn Versuche einer gelebten Utopie und die reale Welt da draußen aufeinanderstoßen. Letztlich hat sich schließlich auch der emanzipatorische Gehalt von alternativen Strukturen daran zu messen, wie sehr sich selbige ihrer eigenen Situierung mitsamt der Privilegien, Wissensvorsprünge und erweiterten Lebensperspektiven bewusst sind und gegenüber anderen dessen eingedenk handeln. Dann würden sie ernsthafte AkteurInnen von Bewegungen wie unibrennt für ihren mangelnden Reflexionsstand eher bemitleiden als verteufeln und versuchen, möglichst vielen den Zugang zu der eigenen, „besseren“ Lebenswelt zu eröffnen. Wenn dies nicht gelingt, dann müssen wohl auch diese Lebenswelten selbst hinterfragt werden – auf dass sie besser werden und für möglichst viele ein möglichst gutes und widerständiges Leben ermöglichen.

1 Ebenso problematisch war/ist jedoch viel dessen, was als kritische Reaktion auf die Unique-Ausgabe verlautet wurde. Eine Auseinandersetzung mit der längeren Debatte, die sich in linken Medien zu diesem Thema entspannte, würde diesen Artikel allerdings sprengen.

2 Gleichwohl möchte ich mich dezidiert dagegen verwehren, dass jene Position insgesamt als „anti-deutsch“ zu bezeichnen ist. Diese Benennung mag für die Bagru Powi mehr oder minder zutreffend sein, aber das Feld universitärer Linker, welches ich hier beschreiben möchte geht über eine derartige Ausrichtung sehr weit hinaus und umfasst beträchtliche Teil von feministischen, queeren, „autonomen“, mehr oder minder anarchistischen und an manchen neomarxistischen Positionen orientierte Zusammenhänge (und einiges mehr, dass nicht in diese Schubladen passt, sich z.B. eher soziokulturell definieren ließe). Diese Pluralität findet sich selbst noch in der genannten „Unique“-Ausgabe wieder, weswegen auch hier längst nicht alles über einen Kamm geschert werden kann.

3 Mehr oder minder homogene Identitätskonzepte bleiben meiner Einschätzung nach trotz oder gerade auf Grund der vielbeschworenen Absage an die „Identitätspolitik“ relevant: KritikerInnen identitärer Festschreibungen setzten jene oft nur unbewusster und/oder versteckter um.

4 Dass es hier – wie schon vorweggeschickt – um Tendenzen geht, muss klar sein. Ebenso wie der/die AktivistIn oft einen oberflächlichen (und oft auch kurzen) Shift der Selbstwahrnehmung erfährt, gehen auch hartgesottene „Szene-Linke“ immer mal wieder auf Demos und lassen sich für die eine oder andere spektakuläre Aktion erwärmen. Letztlich sind konkrete Zuschreibungen auf dieser individuellen Ebene auch kaum zu halten.

 

 

Autor: Elmar Flatschart

Erschienen in POLITIX (29/2010)

Arbeit? Welche Arbeit?!

Arbeit scheint ein alltägliches Konzept zu sein und als solches kaum hinterfragenswert. Konkrete Arbeitsverhältnisse mögen ob ihrer Verfasstheit (z.B. als moralisch verwerflich) von Interesse für den kritischen Blick sein, auch polarisieren bestimmte Arbeiten, wie etwa Sex-Arbeit; Der Arbeitsbegriff selbst wird jedoch kaum reflektiert. Dabei ist er als Gattungsbegriff von sich aus bereits mit einer spezifischen Aufladung versehen, die sowohl gesellschaftstheoretische als auch ideologiekritische Relevanz haben kann.

Eine Begriffsbestimmung führt dies deutlich vor Augen: Arbeit stammt vom lateinischen „arvum“, das Feld, ab und ist somit mit einer spezifischen, mühseligen und schmerzvollen Tätigkeit assoziiert. Ähnlich hat bspw. auch das französische „travail“ seinen Ursprung in einem recht unbequemen Bezugsrahmen: es stammt vom lateinischen „tripalus“ ab, was ein Folterwerkzeug war.1 Wie kam es zu dieser eigentümlichen Genese des heute so normal erscheinenden Begriffs? Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass Arbeit eine relativ neue Gattungsbezeichnung ist. Der Begriff war vor der Moderne als solcher nicht bekannt, es war nicht intelligibel, dass alle möglichen, sehr unterschiedlichen Tätigkeiten unter einem Begriff zusammengefasst werden könnten. Dies ist jedoch nicht nur ein bloß ideelles, ein begriffliches Problem, denn Arbeit ist – gerade auf Grund ihrer Ubiquität – eine ganz besondere sozialwissenschaftliche Kategorie. Anders etwa als die Begriffe „Haus“ oder „Tisch“, bei welchen das bezeichnete Signifikat relativ unproblematisch erscheint und eine gewisse überhistorische Persistenz beanspruchen kann, steht Arbeit ganz unmittelbar mit einer bestimmten gesellschaftlichen Entwicklung in Verbindung. Arbeit ist eine kapitalistische Kategorie und streng genommen ist es eine illegitime Rückprojektion, wenn Tätigkeiten in anderen historischen Formationen als „Arbeit“ verstanden.

Diese Art von Rückprojektion ist natürlich nicht immer problematisch, z.B. wenn es nur um den versinnbildlichenden Gehalt des Begriffes Arbeit geht. Wird jedoch eine historisch-materialistische Analyse angestrebt, d.h. eine, die ideelle und materielle Aspekte von Geschichtlichkeit zusammendenkt, ja in ihrer Wechselwirkung betrachtet, so verbietet es sich dieses Konzept ahistorisch zu essentialisieren. Denn die Abstraktion Arbeit beruht nicht nur auf einer rein begrifflichen Vereinheitlichung verschiedenster Tätigkeiten, sondern verweist auf eine historische Entwicklung, hinter die zwar nicht mehr zurückgegangen werden kann, die jedoch in ihrer Eigenqualität akzentuiert werden muss. Als solches ist Arbeit nicht irgendeine Abstraktion, sondern eine Realabstraktion. Dieses von Alfred Sohn-Rethel (Sohn-Rethel 1973) systematisch entwickelte Konzept soll verdeutlichen, dass manche Abstraktionsleistungen eben nicht bloß im Kopf erfolgen (können), sondern gewissermaßen unmittelbar mit einer zugrundeliegenden historischen Realität verknüpft sind. Diese Verknüpfung von Denken und Materialität wird eben dann schlagend, wenn die verhandelten Tatbestände nicht bloß beliebige (sozialen) sind, sondern eine spezifische Rolle in der gesellschaftlichen Synthesis spielen. Wenn also nachgewiesen werden kann, dass Gesellschaftstheorie um ihre Konzeptualisierung nicht herumkommt, die Kategorie allgegenwärtig ist und somit als konstitutiv für die Erschließung von Denken und Realität gleichermaßen zu gelten hat. Um dieser Eigenheit der Arbeit als moderner Kategorie nun nachzugehen, bietet sich immer noch die von Karl Marx ersonnene Herleitung von Arbeit an.

 

Arbeit bei Marx

In der Marxschen Darstellungslogik des Kapitals nimmt die Arbeit eine zentrale Rolle ein. Marx Kritik der Politischen Ökonomie fußt auf einer Kritik der Arbeitswertlehre der Klassiker, welcher er vorwirft, das Verhältnis von Inhalt der Arbeit (bestimmte Tätigkeit) und ihrer Form als Tätigkeit schlechthin, eben als Arbeit, nicht genügend reflektiert zu haben. Er hebt dabei hervor, dass Arbeit, wird sie idealtypisch betrachtet, stets zwei Seiten hat. Sie ist einerseits konkrete Arbeit, insofern sie stets eine bestimmte Tätigkeit ist; andererseits ist sie aber auch abstrakte Arbeit, nämlich insofern sie einen spezifischen gesellschaftlichen Charakter aufweist, der in bestimmter historischer Weise zu deuten ist. Abstrakt ist Arbeit, insofern sie Waren herstellt und somit Wert schafft. Abstrakte Arbeit bei Marx ist bezogen auf die gesellschaftliche Synthesis zu denken, die am Markt bloß in der privat(rechtlich)en Form erscheint: die methodologische Perspektive des vereinzelten Einzelnen muss erst historisch hergestellt werden, sie ist eben nicht vorauszusetzen (wie dies etwa die klassischen Ökonomen noch taten). Der Status Quo, dass Individuen im Kapitalismus als BesitzerInnen der Ware Arbeitskraft fungieren, verweist auf eine meist blutige Durchsetzungsgeschichte der „Proletarisierung“, in der die Menschen gegen jene real stattfindende Subsumption kämpften. Dies darf nicht vergessen werden, denn diese Kämpfe gegen die Subsumption unter die Arbeit versinnbildlichen ihre historische Relativität und Bezogenheit ebenso wie sie auf die gesamtgesellschaftliche Tragweite der Arbeitsvergesellschaftung hindeuten. Das heißt natürlich nicht, dass die Menschen im Umbruch zur Moderne gegen eine Kategorie kämpften; sie kämpften aber gegen die Durchsetzung von gesellschaftlichen Verhältnissen, die eine homogenisierende Versachlichung darstellten, welche durch die vereinheitlichende Begriffsfindung repräsentiert wird.

Die Kämpfe dagegen lassen sich auf vielen Ebenen nachvollziehen; Nachdem sie alle möglichen Tätigkeiten, die früher außerhalb einer sachlichen, privaten Form stattfinden konnten, betraf, ist auch der Bruch nicht nur „rein ökonomisch“ zu betrachten, wie es die Exemplifizierung bei Marx noch war, der u.a. auf die „Einhegung“ von ehemals gemeinen Land durch proto-kapitalistische GroßgrundbesitzerInnen verwies. Es könnt etwa auch argumentiert werden, dass die Durchsetzung der Arbeit zugleich auf die Etablierung des modernen Subjekts verweist, das seinerseits maßgeblich auch als arbeitendes auftrat. Dabei wurde – schon längst bevor vom klassischen „Fabrikarbeiter“ des 19. Jahrhunderts die Rede sein konnte – ein Prozess der Normierung und Normalisierung in Gang gesetzt, der u.a. Frauen ausschloss, ihnen tendenziell einer Art „Natürlichkeit“ zuwies, die sie einerseits auf ihre biologische Funktion in der Fortpflanzung reduzierte, andererseits aus der Welt der Arbeit, verstanden als „Naturunterwerfung“ hinausdrängte. Auch wenn dies natürlich nie für eine relevante Menge der Bevölkerung faktisch zutraf – Frauen waren immer auch schon in der öffentlichen Sphäre der Arbeit zugegen – so etablierte sich auf einer symbolischen Ebene dennoch diese spezifische patriarchale Kodierung, die eben gesamtgesellschaftlich und durch die Individuen hindurch wirkt. Dies gehört ebenso zum Wesen der Realabstraktion Arbeit, was Marx in dieser Weise freilich nicht interessierte.

Abstrakte Arbeit impliziert aber auch bei ihm immer schon eine größere Aggregatebene, ist niemals als „einfache Kategorie“ zu fassen. Sie ist auf das Kapital bezogen, dem sie auf der Oberflächenebene der gesellschaftsimmanenten Antagonismen im Klassenkampf gegenüber steht. Arbeit als wertschaffende Tätigkeit will und muss immer schon ausgebeutet werden; sie muss Mehrwert produzieren, der akkumuliert wird und als Kapital prozessieren kann. Beim Kapital ist es offensichtlich, dass es nur als gesellschaftliche Prozesskategorie zu erfassen ist: denn eine Bewegung, in der am Anfang dasselbe wie am Schluss steht, nämlich Geld, kann in einer analytischen Binnenperspektive auf „das Einzelne“ nur als tautologisch, ja widersinnig erscheinen. Erst die prozessuale und gesamtgesellschaftliche Ebene und damit das beständige „Wachstum“ als Garant für eine quantitative Verschiebung (Vermehrung der „Königsware“ Geld), die zugleich auch eine qualitative ist (Ausdehnung des „automatischen Subjekts“ Kapitalismus), macht Kapital denkbar. Kapital ist also letztendlich nur als Totalitätsprozess zu konzeptualisieren. Bei der Arbeit scheint dies hingegen nicht so selbstverständlich zu sein, sie scheint als individuelle, überhistorische Bezeichnung für Tätigkeit schlechthin ein „einfacher“ Gattungsbegriff zu sein. Da Arbeit als Substanz des Kapitals jedoch direkt auf jenes verwiesen ist, kann aber auch sie strenggenommen nicht auf der Ebene einer vereinzelten Tätigkeit erschlossen werden:

„Der besondren Substanz, worin ein bestimmtes Kapital besteht, muß natürlich die Arbeit als besondre entsprechen; aber da das Kapital als solches gleichgültig gegen jede Besonderheit seiner Substanz, und sowohl als die Totalität derselben wie als Abstraktion von allen ihren Besonderheiten ist, so die ihm gegenüberstehende Arbeit hat subjektiv dieselbe Totalität und Abstraktion an sich.“ (Marx 1983, p. 218)

Obwohl die Entwicklung des Arbeitsbegriffs bei Marx ihre Ambivalenzen hat und sicherlich nicht unisono in jener radikal arbeitskritischen Lesart aufgeht, lassen sich seine Ausführungen doch mit jener oben vorgeschlagenen radikalen Kritik vereinbaren. Als Totalitätskategorie müsste Arbeit deshalb ebenso rigoros kritisiert werden wie das Kapital.

 

Arbeit oder/und Hausarbeit?

Nur wenn dies vorausgesetzt wird, lässt sich schließlich auch eine Schwierigkeit überkommen, welche der geschlechterblinde Marx wiederum gar nicht sah, die jedoch die (sozialistische) Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts massiv tangierte: die Frage nach der gesellschaftlichen Qualität der sog. „Hausarbeit“, all jener Tätigkeiten, die im privatisierten Bereich zur Reproduktion der (gesellschaftlich produzierten) atomisierten „Lebenseinheit“ Familie, aber insgesamt natürlich (damit) auch zur Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems als solchem beitragen. Denn der Streit darüber, ob diese Tätigkeiten betrachtet mit der Brille eines „methodischen Individualismus“, also reduziert auf eine einzelne, idealtypische „Situation“, nun Wert schaffend sind oder nicht kann auf dieser Ebene gar nicht gelöst werden und sollte einem kritischen Ansinnen folgend auch gar nicht auf ihr behandelt werden; Vielmehr ist die grundsätzliche patriarchale Spaltung auf der gesellschaftlichen Totalitätsbene, auf der sie beruht, zu untersuchen. Die Herausbildung eines warenproduzierenden Patriarchats, welches beständig eine „Wert-Abspaltung“ hervorbringt, vergeschlechtlichte Dualismen produziert, die symbolisch das Männliche privilegieren und eine (symbolische und sich auch strukturell verstetigende) Sphärentrennung mit sich bringen, hat dabei als Vorlage zu dienen. Diese gesellschaftstheoretische Vorlage ist jedoch keine zeitlose, essentialistisch zu betrachtende, ebenso wie sie nicht vermittlungslos auf die Ebene des Einzelfalls, der Individuen, der Tätigkeiten in einer spezifischen Situation transponiert werden kann. Es lässt sich also sagen, dass en gros jene Tätigkeiten, die mit der gesellschaftlichen Maschine des Kapitals verknüpft sind „Arbeit“ darstellen, während all jene, die hiervon distinkt gehalten werden, die Reproduktion der Arbeitenden sichern, dieser Qualifikation entbehren. Dies lässt sich erneut weit interpretieren, z.B. auch in einem globalen gesellschaftlichen Raum, wo die (westliche) Welt der durchgesetzten Arbeit nur die Spitze eines Eisbergs von halbformellen oder gar nicht in einer kapitalistischen Arbeitsform erscheinenden Tätigkeitsformen ist. Gewissermaßen könnte gesagt werden, dass hier tatsächlich eine Analogie besteht, denn ohne Zweifel baut das westlich-hegemoniale System der Arbeit schon alleine insofern auf die Peripherie, als jene maßgeblich zur „stofflichen Reproduktion“ qua natürliche Ressourcen beiträgt. Ähnlich argumentierten auch bereits die Bielefelder Subsistenztheoretikerinnen (Werlhof 1983), jedoch eben ohne dem arbeitskritischen Totalitätsbezug. So zogen sie aus der an sich interessanten theoretischen Erweiterung falsche, weil allzu unmittelbare politische Schlüsse. Denn Reproduktion und Produktion, hegemoniale und subalterne Momente sind eben nicht einfach aufzulösen, indem festgehalten wird, dass ja eigentlich eine große Masse an nicht-wertschaffenden Tätigkeiten die Basis der kapitalistische Ökonomie im engeren Sinn ist und dieser Tatsache nur politisch Geltung verschafft werden muss. Denn dies würde gerade die eigentliche (patriarchale) Herrschaftslogik des Kapitalismus ignorieren, die in der fetischistischen Verkehrung von Inhalt und Form liegt: es ist kein „reales“ Substrat, keine „wirkliche“ Basis der Tätigkeiten ausmachbar; „real“ wird nur, was in der Form aufgeht und zugleich ist die Form der Arbeit die einzige relevante Realität. Die damit einhergehenden Ausschlussmechanismen sind konstitutiv und spannen ein Netz immanenter Widerspruchsachsen auf, die sich beständig auftun, wenn eine transzendierende Perspektive angestrebt wird. Hiergegen kann im Einzelnen natürlich sehr wohl aufbegehrt werden; die systematische Ignoranz gegenüber reproduktiven Tätigkeiten (im Haushalt wie auch in globalerer Perspektive), ja ihre gesellschaftlich wirkliche Irrelevanz wird dadurch aber niemals überwunden werden. Hierfür müsste die gesamte Logik der Arbeit als hegemoniales, gesellschaftsordnendes Prinzip ausgehebelt werden.

Wider der Politik vom Standpunkt der Arbeit aus

Im Lichte dieser kategorialen und geschlechterkritischen Arbeitskritik lässt sich dann auch die Politisierung des Begriffs Arbeit in der klassischen ArbeiterInnenbewegung problematisieren. Sie musste in zweierlei Hinsicht zu kurz greifen.

Einerseits bezog sie sich durch und durch positiv auf Arbeit, nicht nur im Sinne der Standpunktposition des Proletariats, sondern noch viel weitergehend mit Bezug auf die „produktiven“, schaffenden Seite der Arbeit und der zugehörigen kulturellen Vermittlung (z.B. des „Proletkults“). Die (enthistorisierte) Betonung der Produktivität und des Wachstumsaspekts war jedoch im Totalitätsbezug natürlich stets auf die Kapitalseite verwiesen. Die verquere „staatskapitalistische“ Akkumulation der realsozialistischen Länder verdeutlichte dies anschaulich, da in ihr – trotz des Versuches der Eliminierung von Marktkonkurrenz und Klassenherrschaft – weiterhin der stumme Produktivitätszwang einer „sekundären Arbeitsvergesellschaftung“ wirkte2. Dass Kapitalismus als totalitäre Vergesellschaftung in pluralsten Spielarten auftreten kann und selbst noch in gemäß der eigenen Logik defizitärer Form (ohne umfassender Marktvermittlung) relativ lang existieren konnte, lässt sich hieraus lernen. Ebenso sollte hieraus der Schluss gezogen werden, dass der positive Bezug auf Arbeit immer in eine Sackgasse führt. Auch eine vorsichtigere Politik, die den Arbeitsstandpunkt verteidigen will um ihn letztlich abzuschaffen, ist hier noch kritisch zu betrachten: Sie hat zwar ihre immanente Berechtigung in den alltäglichen (Über-Lebens-)Kämpfen der Arbeitenden; dennoch ist sie letztlich nicht nur insofern durch und durch immanent, als sie auf das Hier und Jetzt bezogen ist, sondern auch zu problematisieren, weil sie dazu tendiert den Status Quo zu verfestigen und somit letztlich sogar noch der Durchsetzung der weiteren Arbeitsvergesellschaftung zuzuspielen.

Schließlich ist allerdings die arbeiterInnenbewegte Politisierung der Arbeit auch in einer patriarchatskritischen Hinsicht letztlich nicht zu halten. Denn im Standpunkt der Arbeit wird niemals das (weibliche) Andere aufgehen können, es wird ihm bei allen Annäherungsversuchen stets äußerlich bleiben müssen, da auf einer tiefen symbolischen Ebene Arbeit als „Motor“ des warenproduzierenden Patriarchats immer männlich besetzt bleiben wird. Dies selbst dann noch, wenn es gar nicht mehr „biologische Männer“ sind, die da arbeiten – die Rollenzuschreibung folgt weiterhin einer patriarchalen, heteronormativen Logik, in der klar ist, dass die wertförmig-patriarchale Herrschaftsmaske und das, was sie als „das Männliche“, als maskulinistische Ideologie hervorbringt, trotz aller Flexibilisierungen dominant bleiben. Dieses Schisma beweist wiederum auch die historische Erfahrung der zweiten Frauenbewegung, in der sich die sozialistischen und feministischen Positionen sukzessive voneinander weg entwickelten, je mehr geschlechterkritische Theorie und Praxis sich radikalisierte. Immanent sind diese Seiten auf Grund der basalen Formlogik auch nicht zusammen zu bringen, müssen zwei oppositionelle Achsen des im System stattfindenden Emanzipationskampfes darstellen3. In der Kritik des Gesamtzusammenhangs sollten sie jedoch als dialektisch aufeinander bezogene Seiten des einen Systems „warenproduzierendes Patriarchat“ verstanden werden.

Politische Handlungspotentiale müssen nun zwangsläufig im Bestehenden beginnen, gerade wenn sie jenes Bestehende überwinden möchten. Wollen sie dies aber wirklich konsequent tun, in diesem Sinne „politisch radikal“ sein, so müssen sie die Ebene der kategorialen Kritik zumindest implizit nachvollziehen. Dies bedeutet für Bewegung mit der Standpunktbestimmung „Arbeit“ (oder auch „Hausarbeit“ bzw. die ganze Sphäre der „weiblichen“ Tätigkeitsfelder, die ja prinzipiell eben nicht eingehegt ist, viel stärker mit dem „Frau-Sein“ als solchem verknüpft ist), dass sie mindestens in ihrer Überwindungsperspektive über bloße Lippenbekenntnisse hinauskommen muss. Eine positive Bezugnahme auf die eigene Subjektposition mit all ihren symbolischen Gehalten verbietet sich insofern, was natürlich die paradoxe Situation einer widersprüchlichen Politik mit sich bring: „nach außen hin“ muss ein Status verteidigt werden, der „nach innen hin“ nicht nur abgelehnt werden sollte, sondern als Zumutung, als Pein und als „unechte Notwendigkeit“ verspürt werden müsste. Das chauvinistische Pochen auf Produktivität und Fleiß müsste dabei zu allererst fallen, ebenso wie eine bloße Anerkennungsperspektive in der Logik des Systems immer nur als Mittel zum Zweck, als notwendige Nebensache fungieren dürfte. In diesem Punkt ist Paul Lafargue – der nicht zuletzt selbst aufgrund seiner Hautfarbe als „Anderes der Arbeiterbewegung“ diskriminiert wurde und so die widersprüchliche Konstitution wohl deutlicher vor Augen hatte, als die meisten Anderen – immer noch ein guter Stichwortgeber für ein politisches Credo: Für ein „Recht auf Faulheit“!

Literatur:

Bierwisch, M. 2003. Arbeit in verschiedenen Epochen und Kulturen – Einleitende Bemerkungen. In Die Rolle der Arbeit in verschiedenen Epochen und Kulturen, ed. Bierwisch, M, 7-19. Berlin: Akademie Verlag.

Kurz, R. 1994. Kollaps der Modernisierung Leipzig: Reclam.

Marx, K. 1983. Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. Vol. MEW 42 of. Berlin: Dietz.

Sohn-Rethel, A. 1973. Warenform und Denkform. Versuch über den gesellschaftlichen Ursprung des „reinen Verstandes“. In Geistige und körperliche Arbeit, 30-115. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Werlhof, C.V. 1983. Lohn ist ein „Wert“. Leben nicht? Auseinandersetzung mit einer „linken Frau“. Replik auf Ursula Beer. Prokla 50.

2 Vgl. hierzu anschaulich: (Kurz 1994)

3 Dabei ist natürlich auch eine Politik vom Standpunkt der Frau aus zu problematisieren. Aus falschen Motiven, aber in der Konsequenz der Kritik der Identitätspolitik richtig hat dies auch Judith Butler in ihren Arbeiten nachgewiesen.

Autor: Elmar Flatschart

Erschienen in POLITIX (31/2012).

 

Film: Defending Walter Benjamin against his devotees?

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Short film on Walter Benjamin and his essay „The Work of Art in the Age of Mechanical Reproduction“.

The film tries to show that Benjamin in this essay sketches a theory of film that can be linked to the work of Sergei Eisenstein and Charlie Chaplin.

Martin Bartenberger, Vienna 2010/2011

 

Quality

By default the video is shown in HD-quality (720p). This can cause problems on slower computers. To reduce the quality to 480p click on the 720p icon in the menu after the video has started.

Subtitles/Transcript

There are english subtitles for this film, that are enabled by default. If – for whatever reason – you want to disable them click on the icon that appears at the down right corner at the beginning of the film. While the film is running you can switch subtitles on and of by clicking on the menu icon

The transscript for the film can be downloaded here: Transcript – Defending Walter Benjamin against his devotees?

Original version/In German

The original version in german is available at https://theoriebuero.org/1670
In the original versions the text inserts are in german.

Download

Coming soon.

 

Sources of the film

Most of the sources that were used for the film are in german. The original list of them can be found on the website of the original version.

Walter Benjamin

» The Work of Art in the Age of Mechanical Reproduction
The book is available as Penguin Book with a . All the translations of the text in the film were taken from this edition. Another translation is online at

» Benjamin and Adorno
On the differences between Adorno and Benjamin see

Sergei Eisenstein

» Texts
I bet there are some collections of Eisensteins texts available in english. Especially influential are his text on montage. Also read his text about Chaplin called „Charlie the Kid“.

» Strike
I used a famous scene of his first feature film „Strike“. It is (as some of his other films) available at

 

Charlie Chaplin

»Autobiography
Chaplins autobiography, describes his life and the reasons why he still did silent films when nobody else did anymore.

» Slavoj Zizek über das Ende von City Lights
Zizeks intepretation of the last scene of Chaplins great movie City Lights. The scene is regarded by many to be one of the best film endings ever, a part of it is shown in my film.

 

Theory of film

» Manifest of Sound
This manifesto was signed by russian filmmakers Eisenstein, Pudowkin and Alexandrow and can be read as opposite position to Benjamins sound film scepticism.
(Be careful: in this PDF Dziga Vertov is also mentioned as author, but as far as I know he hasn’t signed the manifesto)

» Introduction to documentary – Bill Nichols
In the last part of the film I’m referring to Nichols and his conceptf documentary modes.
See also

 

Film: Walter Benjamin gegen seine Liebhaber verteidigen?


Kurzfilm über Walter Benjamins Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technichen Reproduzierbarkeit“.

Der Film versucht zu zeigen, dass Benjamin in seinem Essay eine Filmtheorie skizziert die sich (praktisch) bei Sergej Eisenstein und Charlie Chaplin finden lässt.

Martin Bartenberger, Wien 2010/2011

 

Bildqualität

Standardmäßig wird das Video in HD (720p) abgespielt, auf weniger leistungsfähigen Computern kann der Film daher ruckeln. Um die Bildqualität zu reduzieren, kann nach Start des Videos rechts unten in der Menüleiste auf 720p geklickt werden, und die Qualität auf 480p herabgesetzt werden.

Untertitel/Transkript

Der Film ist mit deutschen Untertiteln versehen. Zum Aktivieren auf das Symbol klicken, das nach dem Start des Videos im rechten unteren Eck erscheint. Während des Films können die Untertitel über das Menü-Icon am Player ein- und ausgeschaltet werden.

Das Transkript des Filmes kann hier heruntergeladen werden: Transkript – Walter Benjamin gegen seine Liebhaber verteidigen

Englische Fassung/In English

Eine englisch untertitelte Fassung ist online unter https://theoriebuero.org/1839
A version with english subtitles is available at https://theoriebuero.org/1839

Download

Coming soon..

 

Materialien die für diesen Film von Bedeutung waren

 

Zu Walter Benjamin

» Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit: Drei Studien zur Kunstsoziologie
In dieser Suhrkamp Ausgabe finden sich neben dem Kunstwerk-Essay auch noch die beiden thematisch verwandten Texte „Kleine Geschichte der Fotografie“ und „Eduard Fuchs, der Sammler und Historiker“.

» Kommentar von Detlev Schöttker
Diese Ausgabe des Kunstwerk-Aufsatzes ist deswegen besonders nützlich, weil sie neben dem Essay selbst auch einen Kommentar von Detlev Schöttker sowie alle wichtigen Materialien (Briefe,…) enthält.

» Walter Benjamin: Lumpensammler, Engel und bucklicht Männlein. Leben und Werk
Dieses Buch von Jean-Michel Palmier ist das beste, das ich über Benjamin gefunden habe. Unglaublich ausführlich, dafür auch ziemlich teuer.

 

Zu Sergej Eisenstein

» Schriften
Eisensteins Schriften sind auf Deutsch in unterschiedlichen Sammelbänden erhältlich. Daneben gibt es auch noch die Schriften-Reihe von Hans Joachim Schlegel.

» Streik
Eisensteins erster Langfilm „Streik“, von dem ich einen bekannten Ausschnitt verwendet habe, ist (so wie andere Eisenstein Filme) online unter archive.org.

 

Zu Charlie Chaplin

» Charlie Chaplin: Eine Ikone der Moderne von Dorothee Kimmich
Ein lesenswerter Sammelband mit Texten über Chaplin. Die AutorInnen sind u.a. Brecht, Tucholsky, Kracauer, Adorno, Arendt und – für unseren Zusammenhang besonders interessant – Benjamin und Eisenstein.

 

» Autobiografie – Mein Leben
Chaplins Autobiografie, der u.a. seinen ungewöhnlichen Werdegang und die Gründe für sein langes Festhalten am Stummfilm schildert.

» Slavoj Zizek über das Ende von City Lights
Zizeks Interpretation der letzten Szene aus Chaplins großartigem Film City Lights, die auch in meinem Film vorkommt.

 

Zur Filmtheorie

» Texte zur Theorie des Films von Franz-Josef Albersmeier von Reclam
Gute Text-Sammlung, Schwerpunkt liegt auf frühe Filmtheorie, darunter zwei Texte von Eisenstein (Montage der Attraktionen, Dramaturgie der Film-Form. Der dialektische Zugang zur Film-Form). Das ebenfalls abgedruckte „Manifest zum Tonfilm“ von Eisenstein, Pudowkin, Alexandrow kann als Gegenentwurf zu Benjamins Tonfilm-Skepsis gelesen werden.

» Introduction to documentary – Bill Nichols
Besonders im letzten Teil des Films beziehe ich mich auf Nichols Konzept der documentary modes.
Siehe auch

Mit Public Value zur Gegenhegemonie?

Versuch einer historisch-materialistischen Policy Analyse des neuen ORF-Gesetzes

Diplomarbeit, Wien 2010.

Autor: Martin Bartenberger

 

Abstract

Das Ziel dieser Arbeit ist der Versuch einer historisch-materialistischen Policy Analyse des neuen ORF-Gesetzes, unter besonderer Berücksichtigung der Rolle des Public Value Konzeptes. Theoretischer Bezugspunkt ist dabei die Hegemonietheorie Antonio Gramscis. Mit deren Hilfe wird von einer neoliberalen Hegemonie, auch im Bereich der Medienpolitik ausgegangen.

Daran schließt sich die Fragestellung an, welches Potenzial das Public Value Konzept besitzt diese neoliberale Hegemonie zu unterlaufen. Zunächst wird gezeigt, dass das Public Value Konzept in seiner Widersprüchlichkeit und seiner Entwicklung (Mark H. Moore, BBC, EU) als „postneoliberal“ zu verstehen ist. Diese allgemeinen Überlegungen werden schließlich im zweiten großen Teil, der empirischen Realanalyse des Konflikts ums neue ORF-Gesetz, weitergeführt.

Zuerst wird die Vorgeschichte der aktuellen Entwicklungen skizziert, sowie die zentralen Akteure des gegenwärtigen Konflikts vorgestellt. Die Analyse des Konflikts selbst verläuft im Wesentlichen chronologisch unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der EU.

Danach wird der eingangs erwähnten zentralen Fragestellung nachgegangen – die der Arbeit auch ihren Titel gegeben hat: Wie ist das gegenhegemoniale Potenzial des Public Value Konzeptes zu bewerten?

Das Ergebnis des Konflikts ist das neue ORF-Gesetz. Dieses wird im letzten Kapitel analysiert, mit Blick auf die Rolle des Public Value Konzeptes sowie der hegemonietheoretisch inspirierten Frage: Welchen Akteuren ist es gelungen eigene Interessen im Gesetz zu verallgemeinern? Dabei kommt diese Arbeit zum Schluss, dass sich die neoliberale Hegemonie im aktuellen ORF-Gesetz fortschreibt.

Wissenschaftliches Arbeiten und politische Praxis

Dieses Kurzreferat wurde im Rahmen der Veranstaltungsreihe theorie:laden am 30.5.2011 in Wien gehalten.

Mehr Informationen zur Veranstaltungsreihe theorie:laden

 

Motivation

  • Frage: Hängt meine Vorliebe für bestimmte Theorien auch mit meiner Praxis zusammen und umgekehrt?
  • Der Versuch Vorurteile zwischen Wissenschaft und politischer Praxis abbauen

Die folgenden Ausführengen entstanden aus einem sozialwissenschaftlichen Hintergrund, inwiefern sie auf andere Wissenschaften zutreffen könnte man diskutieren.

Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik wird bestimmt dadurch wie einzelnen Elemente definiert werden.
Je nachdem wie man Wissenschaft konzipiert ist auch das Verhältnis zur politischer Praxis eine andere

Zwei (überzeichnete) Konzeptionen von Wissenschaft lassen sich feststellen.

I. „Positivistisch-Empiristische“ (Mainstream) Konzeption

Alles ist durch Wissenschaft Erkennbar, Wissenschaft kann wertfrei sein
Wissenschaft schafft Fakten, Tatsachen.
Definition von Politik in diesem Kontext: Politik als Problemlösung, Wissenschaft als Beratung die Anleitungen geben kann, Entscheidungen treffen

II. „Relativistische“ Konzeption

Wirklichkeit ist nicht erkennbar, alles Wissen ist subjektiv und damit gleichwertig
Wissen(schaft) als Macht/Unterdrückung
Keine/kaum Trennung von Wissenschaft und Politik

 

Gegen die Unzulänglichkeiten dieser beiden Konzeptionen nun ein paar Elemente einer möglichen dritten Konzeption

III. „kritisch-realistisch/emanzipatorisch“(?) Konzeption


1. Abstraktion/Konzepte
Abstraktes Denken Kernmerkmal von Wissenschaft
Das bedeutet aber nicht, dass Wissenschaft damit „abgehoben“ oder weg von „der Realität“ ist
Denn: Wir haben immer Konzepte/Theorien der Realität. Was macht aber die Besonderheit wissenschaftlicher Konzepte/Theorien aus?
Ich würde sagen das Zielen auf Mechanismen/Strukturen, jenseits des Alltagverstandes
(Anmerkung: was wären andere Konzeptionen von Theorien in der Wissenschaft, zB der obigen zwei Modelle: widerspruchsfrei, widerlegbar, …?)

2. Strukturen
Wir können die Welt nicht einfach nur durch unser Handeln ändern. Es gibt Strukturen/Mechanismen die wir erkennen müssen. Das ist Aufgabe der Wissenschaft.
Soziale Strukturen sind nicht bewusst und intentional, es gilt sie zu erkennen und gegebenfalls zu ändern
Bsp.: Zusammenhang Bildung/Karriere und soziale Herkunft (Was bestimmt darüber welche Leute auf die Uni gehen, in gewisse Jobs kommen, etc.?)
Erklärungen könnten sein und sind/waren ja auch: Sexistisch (Männer sind klüger), rassistisch, elitistisch, biologistisch
=> stattdessen lässt sich sozialwissenschaftlich die Bedeutung der sozialen Herkunft (Klasse, Geschlecht, Ethnie) feststellen
d.h. Wissenschaft hat eine implizit kritische Dimension

3. Wissenschaft als soziale Praxis
Wissenschaft ist soziale Praxis => aus dieser Sicht: Probleme aber auch Chancen
Probleme

  • Wissenschaft hilft Status Quo aufrechterhalten
    Kann Unterdrückungsmechanismus sein, Wissenschaft als Herrschaftstechnologie, Technik/Naturwissenschaften (Man denke nur an eine Demo, mit welchen auch wissenschaftlichen produzierten Mitteln einem da die Polizei gegenübersteht, der gesamte Überwachungskomplex ) bis zu Sozialwissenschaft (um soziale Ungleichheit rechtfertigen, im Bereich der psychosozialen „Gesundheit“ die Zurichtung von Menschen für den Arbeitsmarkt)
  • Wissenschaft kann sozialen Ausschluss bewirken
    Andere Formen des Wissens werden nicht ernst genommen, nicht wahrgenommen
    Ausschluss von Personen (zB Frauen) und Inhalten

Diese Probleme, auf die besonders die zweite Konzeption hinweist muss man sich bewusst machen.
ABER auch einen gewissen Anspruch wahren: weniger richtige Theorien können erkannt und zurückgewiesen werden (Bsp. Bildung und soziale Herkunft), ansonsten verfällt man in Relativismus und beraubt sich die Möglichkeit der (Herrschafts)kritik

4. Keine Vorhersagen, keine Anleitung
Wissenschaft bringt keine Handlungsanleitungen hervor
Die Entscheidungen was getan werden soll ist wissenschaftlich nicht endgültig entscheibar, muss anders getroffen werden (Bereich der Ethik, Demokratie, Politik)
ABER: Wissenschaft ist relevant (nicht „realitäts/praxisfern“) sollte in Entscheidungen einbezogen werden

Schluss: Wissenschaft und politische Praxis
Wie können nun kleine politische Gruppen, Bewegungen mit Wissenschaft, wissenschaftlichen Erkenntnissen umgehen?
Man sollte nicht einfach auf wissenschaftl. Wissen zurückgreifen wenns grad für die eigene Position passt, sondern wissenschaft kritisch als spezifische Form des Wissens betrachten.
Wissenschaft

  • Kann einen anderen, reflektierten Blick aufs eigene Handeln werfen (zB über Seminar-, Diplomarbeiten) => Gefahren?
  • Kann helfen gewisse Mechanismen, Strukturen zu erkennen
  • Kann aber kein Totschlag-Argument sein, dass anderes Wissen einfach verdrängt. Wissenschaftliches Wissen ist ein spezifisches Wissen mit Stärken und Schwächen. Hat aber in gewisser Weise (wenn es um Strukturen, Mechanismen geht) eine privilegierte Positition

Martin Bartenberger

Empfohlene Literatur

Andrew Sayer – Method in Social Science.
Berth Danermark u.a. – Explaining Society. An Introduction to Critical Realism in Social Science.
Max Horkheimer – Traditionelle und kritische Theorie.

Kleine Reflexion des Re-Thinking Marx Kongresses

Über Themenverfehlungen, die Wichtigkeit der Unterscheidung von Fetisch und Ideologie und die „Dialektik der Politik“

Autor: Elmar Flatschart

 

Zwischen akademischer Konferenz und Event

Vom 20.-22. Mai 2011 fand in Berlin die Konferenz „Re-Thinking Marx“ statt, die mit dem Anspruch auftrat, Marx nicht nur wieder ins Rampenlicht zu rücken, sondern ihn auch weiterzudenken. Aus der Perspektive des theoretischen Frameworks der Wert-Abspaltungskritik erscheint dies alles zuerst einmal vielversprechend (deswegen habe ich die Konferenz besucht). Zugleich muss dem Zweifel, ob der vielen gebrochenen Versprechen linker Theoriebildung, besonders ihrer akademischen Spielart, schlussendlich doch wieder ausreichend Raum gegeben werden. Ich möchte in einem kurzen (zweifellos selektiven) Bericht nicht nur meine Wahrnehmung der Ereignisse, sondern auch eine kurze Diskussion einiger der zentralen theoretischen Probleme darstellen.

Zuerst zum Setting: Die Konferenz wurde offensichtlich langfristig und professionell geplant. Dies äußerte sich nicht nur in der relativ reibungslosen Umsetzung, sondern auch bereits im „Line-Up“. Zahlreiche Berühmtheiten der akademischen Marx-Rezeption waren anwesend, etwa Wendy Brown, Etienne Balibar, Michael Heinrich, Alex Demirovic, Axel Honneth, Oliver Marchart und schließlich Moishe Postone; darüber hinaus auch einige dem Marxismus nahestehende Intellektuelle wie die Humangeographin Saskia Sassen und die post-koloniale Theoretikerin Christine Löw. Es war also nicht nur ein breites Spektrum der deutschen akademischen Linken anwesend, die Einladungspolitik ging bei weitem über die Sprachgrenzen hinaus. Besonders die englischsprachige Debatte und auch einige französische Positionen waren präsent, was durchaus zum Erkenntnisgewinn beitrug.

Die Berliner Philosophin Rahel Jaeggi trat als „graue Eminenz“ der Konferenz auf und hat offensichtlich auch bei der inhaltlichen Gestaltung der Konferenz viel zu sagen gehabt. Deutlich tritt dies erst im Nachhinein aus dem Programm hervor, da natürlich davor viele Namen und Positionen noch nicht bekannt erscheinen. Die Ausrichtung war eine ideologietheoretische/kritische, Themen wie Entfremdung und die Frage einer „humanistischen“ Lesart Marxens stellten einen deutlichen Schwerpunkt dar und nicht zuletzt war die Fraktion der mehr oder weniger von Hegel inspirierten Positionen über das sonst Gewohnte hinaus präsent.
Um die Atmosphäre etwas einzufangen: anwesend war ein sehr großes und unterschiedlich zusammengesetztes Publikum, darunter auch viele junge und „bunte“ Menschen. Dies trug zu einer angenehmen Stimmung bei, die zwischen intellektuellem Austausch, Kaffee-Kränzchen im selbstverwalteten Studi-Cafe und alternativem Kulturprogramm zwischen den Veranstaltungen insgesamt doch recht abwechslungsreich war. Der Eindruck war zeitweise mehr der einer großen Zusammenkunft der theoretisch interessierten jungen Linken ohne politisch-agitatorische Zwangsbeglückungen ebenso wie ohne klare Fraktionierungen. Natürlich waren auch die üblichen Alt-Linken vereinzelt auszumachen, etwa wenn honorige DDR-Marxisten (sic) auftraten und ihre „Wortbeiträge“ (vulgo Co-Referate) tatkräftig zu Ende geklatscht werden mussten.

Trotz dieses positiven Gesamteindrucks war eine Sache klar (darin drückt sich dann vielleicht doch noch eine heimliche Reminiszenz an die DDR-Linke aus): eine Grenze zwischen der „engagierten Masse“ und der „akademischen Elite“ wurde ganz deutlich gezogen. Die Hierarchie zwischen den einfachen BesucherInnen und dem Kreis der Vortragenden aufrecht zu halten, stellte offensichtlich ein organisatorisches Desiderat dar – die vorderen Plätze waren für die (Re-)PräsentantInnen reserviert, sie bekamen in den – außergewöhnlich knapp gehaltenen – Fragerunden mit dem Publikum das Mikro fast ausschließlich in die Hand, und auch das individuelle Distinktionsbedürfnis wurde durch hübsche Namenschilder und nicht zuletzt einen „VIP Bereich“ für die „richtigen“ TeilnehmerInnen bedient.

Ohnehin war der/die Vorstellende meist von sich aus durch das (den Außentemperaturen inadäquate) formell-zugeknöpfte Aussehen vom Rest zu unterscheiden. In diesen Zusammenhang passt natürlich die strukturell männliche Markierung dieser akademischen Form – es waren deutlich mehr Männer auf den diversen Podien (ausgenommen natürlich die „abgespaltenen“ Theoriemomente Gender&Co) vertreten, und noch viel deutlicher artikulierte sich der „male bias“ in dem anscheinend für Frauen nicht sehr einladenden Gesprächsklima – während des ganzen Kongresses konnte ich (abseits der Gender-Veranstaltung) eine Wortmeldung von einer Frau verzeichnen. Dies schien irgendwie niemanden zu stören, weder die weiblichen Referentinnen, noch die durchaus paritätisch anwesenden Frauen unter den Zuhörenden. Die meisten der Männer schienen mir ohnehin in distinkten Zirkeln anzutreffen zu sein, was wohl nicht nur mit der thematischen Segmentierung der Interessensschwerpunkte zusammenhängt, sondern recht gut die Struktur informeller akademischer Männerbünde widerspiegelt. Dies ist aber wohl nicht weiter verwunderlich, nicht zuletzt gibt es Ähnliches ja auch in nicht-akademischer kritischer Theoriebildung.

Zum Einstieg und den Themenverfehlungen

Den inhaltlichen Einstieg in die Konferenz machte eine Vorrede von Rahel Jaeggi. Obwohl sie die Relevanz einer (philosophischen) Auseinandersetzung mit Marx unabhängig von den jeweiligen gesellschaftlichen Konjunkturen hochhielt, konnte eins sich des Eindrucks nicht verwehren, dass sie die Aufbruchsstimmung durchaus nicht aus sich heraus begründet sah – die wiederentdeckte Relevanz von Marx angesichts der Krise wurde von ihr ebenso herausgestrichen wie auch eine (damit einhergehende) neue Unbefangenheit gelobt. „Re-Thinking Marx“ ist also durchaus etwas, das mit historischen Konjunkturen zu tun hat. Diese wichtige Einschätzung ist nicht nur für den spezifischen Event von Bedeutung – sie sollte alle kritische Theoriebildung zu verstärkter Anstrengung und neuen Versuchen der Zusammenarbeit veranlassen. Unmissverständlich kenntlich machte sie aber auch den wohl zentralen theoretischen Schwerpunkt dieser Konferenz, der nicht zuletzt mit dem Habermasianischen Bruch in der Kritischen Theorie zu tun hat (dazu mehr weiter unten): die Frage nach dem Verhältnis einer „sozialen“ und „normativen“ Kritik der Gesellschaft, letztlich der Skandalisierung von entweder Ausbeutung oder Entfremdung. Dies stellt zweifellos eine interessante und durchwegs pointierte Vorlage für eine Konferenz über Marx dar, die nicht zuletzt auch von der Widersprüchlichkeit der heutigen Rezeptionslinien weiß. Die Latte wurde also hochgelegt.

Wiewohl auf eine inhaltlich anspruchsvolle Debatte Wert gelegt wurde, gab es offensichtlich auch einige Themenverfehlungen, die ich gleich am Anfang abhandeln möchte. Am prominentesten war diese bei Saskia Sassen vorzufinden, die in ihrem „Dialog mit Marx“ nicht nur die Äußerlichkeit der eigenen Position von vorneherein akzentuierte, sondern auch bewies, dass sie tatsächlich sehr jenseits der Debatten ist – ihre Kritik an Marx traf dessen „Politik-Verständnis“ bzw. den Marxschen „Internationalismus“. In einer einzigartig einseitigen Lektüre Marxens – die Basis ihrer Auseinandersetzung stellte nach eigenen Angaben das „Kommunistische Manifest“ dar – schlitterte sie gänzlich an dem, was eine produktive Marx-Rezeption sein könnte, vorbei und beschränkte sich im Wesentlichen auf die rein phänomenologische und statische Feststellung, dass der Marx des Manifests das Politische, nämlich den National-Staat und seine Maßstäbe, nicht so verstand wie Sassen, welche in der heutigen Welt die Grenzen des Nationalen schwinden sieht. Unabhängig von dem analytischen Befund Sasssens hatte ihr Vortrag wenig mit Marx und noch weniger mit von Marx inspirierter Theorie zu tun.

Ähnlich enttäuschend war für mich nur noch der Beitrag Étienne Balibars. Sein Vortrag war wohl sicherlich von Marx inspiriert und verfehlte insofern das Thema (vielleicht) nicht. Es mochte mir jedoch – trotz großer Aufmerksamkeit und eifrigen Mitschreibens – nicht gelingen, den roten Faden zu entdecken bzw. die Quintessenz des Gesagten zu durchdringen. Dies mag an meiner mangelnden intellektuellen Fähigkeit liegen (rein sprachlich konnte ich folgen); jedenfalls aber blieb bei mir nur der Eindruck eines recht verwirrten Sammelsuriums aller möglichen angerissenen Aspekte rund um das Feld „Staat-Markt-Klasse“. Was einzig hängen blieb, war für mich das klare Bekenntnis zur Aktualität des Klassenthemas. Im Gang durch mannigfaltige post-politische, staatstheoretische und gar krisenphänomenologische Aspekte wollte Balibar die besondere Rolle des Klassenkampfes irgendwie doch noch retten. Trotz performativer Höchstleistung bei der Bedienung des Habitus-Typus „alter, eigensinniger und freundlicher Theoretiker“, die durchaus auch einige Sympathiepunkte einbringen mag – Balibar zeigte sich mit der „kämpfenden Jugend“ in Spanien solidarisch, wollte seinen Vortrag gern dort übertragen sehen – war der inhaltliche Ertrag für mich recht mager.

(Keine) Überraschungen mit und ohne Gender

Eine Überraschung stellte der Beitrag von Wendy Brown dar. Sie überzeugte mit einem profunden Bezug auf den „esoterischen“ Marx und versuchte Parallelen zwischen einer Kritik der Religion als Projektion sozialer Verhältnisse und der projektiven Dimension des Warenfetischismus auszumachen. Anders als viele andere Vortragende machte sie dabei den Unterschied zwischen Fetischkritik und dem bloß Ideologischen stark – während Ideologien falsche Vorstellungen sind, beruhen fetischistische Verhältnisse auf einer in den Naturverhältnissen begründeten Eigenlogik, welche Religions-ähnliche Projektionen produziert und die Unterscheidung zwischen analytischen und kritischen, physikalischen und theologischen Dimensionen aufnötigt. Einem positivistischen Verständnis einer „Greifbarkeit“ der Ware setzt Brown so von vorneherein die verdinglichte Dimension der sozialen Verhältnisse, die zur Ware führen, voraus. Für sie ist deshalb die religiöse Begrifflichkeit bei der Marxschen Beschreibung des Fetischismus nicht bloß Metaphorik, sondern stellt eine heuristische Notwendigkeit dar, um die anvisierten sozialen Verhältnisse fassen zu können. Zweifellos ist diese übermäßige Betonung des religiösen Charakters kapitalistischer Vergesellschaftung hinterfragbar. Dennoch scheint mir der Vorstoß in eine interessante Richtung zu gehen und z.B. gerade für die im EXIT ansatzweise geführte Debatte über „vormoderne (=religiös begründete) Fetischverhältnisse“ und das Verhältnis von Kapitalismus und Religion durchaus von Relevanz zu sein. Interessant war auch Browns spezifisch staatstheoretischer Zugang, der fetischismuskritisch fundiert sein will. Der Staat wurde von ihr wesentlich als Mystifikation menschlicher Souveränität erschlossen und somit als „otherwordly“ und imaginäre, letztlich entfremdete Form der Gemeinschaft kritisiert. Zu kritisieren wäre demnach schon die normative Idee einer ideellen Zentrierung der Souveränität in einem Zentrum. Hier verbleibt Brown zweifellos bei einer recht assoziativen, abgeleiteten Bestimmung des Staates, die schlussendlich selbst noch „ökonomistisch“ ist, insofern sie Momente des Warenfetisches recht unbedarft aufs Politische überträgt. Dennoch wäre auch hier ein näherer Blick auf das Werk Browns sicherlich gewinnbringend.

Auch die Gender-Frage selbst war natürlich mit einem eigenen Panel vertreten (umso weniger durchzog sie die allgemeine Diskussion). Die Veranstaltung erwies sich jedoch als weniger neu und apannend als meinerseits ursprünglich erhofft – jedenfalls wurde in keiner Weise die Höhe der marxo-feministischen Theoriebildung erreicht, welche vor dem „postmodern turn“ anzutreffen war.

Den Einstieg machte die englische Professorin Stevi Jackson. Sie vertritt nach eigener Aussage einen „materialistischen Feminismus“, der sich in Opposition zu „psychoanalytischen Differenz-Feminismen“ verortet, welche Jackson heute auf dem Vormarsch sieht. Der Vortrag bestand dann auch im Wesentlichen aus einer Rekapitulation des Entwicklungsweges jenes „materialistischen Feminismus“, der sich gewissermaßen zwischen marxistischen Feminismen und Differenzfeminismen positioniert. Stichwortgeberinnen sind neben Simone de Beauvoir v.a. die französische Schule um Monique Wittig und Christine Delphy. Die Position könnte ungefähr so zusammengefasst werden: Die Marxsche Werttheorie (etwa die Debatte um den Wert der Hausarbeit) interessiert nicht, weil zu „technisch“; es besteht folglich eine Distanz zu explizit marxistischen Feminismen; Fragen des allgemeinen Gesellschaftlichen interessieren weniger, Momente (politischer) Herrschafts- und Ungleichheitsachsen jedoch schon; die Abgrenzung vom postmodernen/poststrukturalistischen Feminismus wird gesucht, jedoch ergeben sich auch an einigen Punkten Schnittstellen; insbesondere Fragen der Bedeutung(-skonstruktion) und der Subjektivität sind von Relevanz. Diese Stellung einer doppelten Abgrenzung gegenüber marxistischen und differenzfeministischen Positionen war mir so nicht bekannt und ist in gewisser Weise instruktiv, v.a. angesichts der sarkastischen Nebenbemerkung Jacksons, dass zahlreiche der überzeugtesten Vertreterinnen einer „technischen“, marxistischen Position nach den Debatten der 1970er mit fliegenden Fahnen zum Poststrukturalismus wechselten. Interessant sind dabei v.a. die subjekttheoretischen Momente des präsentierten „materialistischen Feminismus“. Er hebt in radikaler Weise die soziale Konstruktion der Geschlechterbinarität hervor, ebenso wie die historische Relativität der Unterscheidung zwischen Homo- und Heterosexualität. Gleichermaßen wird aber auch die Materialität dieser sozialen Verhältnisse herausgestrichen, die – wie auch Klassenrelationen – eine starke Verharrungstendenz aufweisen. Über die gesellschaftstheoretische Begründung jener Beharrlichkeit sagte Jackson zwar erwartungsgemäß nichts, dennoch ist die Insistenz auf die hierarchische und materiale Struktur der sozialen Konstruktion von Geschlechtlichkeit, ebenso wie die Verbindung dieser mit der Dimension der Heterogeschlechtlichkeit durchaus erkenntisbringend. Anders als poststrukturalistische Ansätze, die sich auf die Tatsache der Differenz selbst und die bloße „Heteronormativität“ kaprizieren, wird so eine realistische Perspektive auf Gesellschaft ermöglicht, die Bedeutung, Subjektivität und das „Alltagsleben“ nicht auf das rein aktuale Performative reduziert. Auch wenn größere ideologiekritische Entwürfe wie etwa Wittigs Kritik eines „heterosexuellen Kontrakts“ letztlich begrenzte Heuristiken darstellen und nochmals gesellschaftstheoretisch geerdet werden müssten, stellen sie zweifellos eine gute Basis nicht nur für kritisch-dialektische Weiterentwicklungen, sondern auch eine Kritik poststrukturalistischer Positionen dar: denn wie Jackson glaubhaft machen konnte, basiert der Gender-Konstruktivismus Judith Butlers nicht nur stark auf einer Rezeption Wittigs und des französischen materialistischen Feminismus; Butlers Lesart ist selbst eine sehr einseitige und dekontextualisierte, was wiederum der auf sie aufbauenden Theoriebildung als ganzer vorgeworfen werden kann. Etwas lau war dann jedoch die Moral von der Geschicht – mit all ihrer materialistischen Kritik kommt Stevi Jackson schlussendlich doch wieder beim „Common Sense“ der neueren (halbwegs bodenständigen) feministischen Debatte an – es bedürfte einer „intersektionalen Analyse“, die sich zwar nicht nur auf Identitäten beschränken, sondern auch materielle Herrschaftsachsen in den Blick nehmen sollte; aber schlussendlich doch froh darüber sein kann, den Anspruch „totalisierender“ Großtheorien nicht mehr gerecht werden zu müssen. Paradoxerweise sollen also die Verwobenheiten von Herrschaftsmomenten materialistisch untersucht, dabei aber nicht „Alles“ erklärt werden. Das Resultat – der regelrechte Stolz auf Eklektizismus und „pragmatische“ Theoriebildung – kann leztlich also wenig überzeugen.
Mit Terrell Carver – dem einzig Mann auf dem Podium – ging es jedoch nicht unbedingt vielversprechender weiter. Carver ist offensichtlich ein passionierter Komiker, der sich gerne den Touch der Coolness eines verruchten Abenteurers gibt – sein Referatsduktus entsprach dem jedenfalls und ein solches Auftreten war ob der überwiegend weiblichen ZuhörerInnenschaft etwas peinlich. Auch die präsentierten Resultate einer „gendered Critique of Political Economy“ waren wenig mehr als amüsante Anekdoten. Der Bristoler Professor, der einschlägigerweise auf Hermeneutik spezialisiert ist, versuchte Marx so darzustellen, wie er „wirklich war“ und zwar „als Person“. Abgesehen von der etwas gewagten These, das Marx keineswegs Philosoph oder gar ökonomischen Theoretiker, sondern einzig und alleine „politisch motivierter Journalist“ war, gab der Vortrag wenig, was über ein Wiederkäuen von Altbackenem (die Reproduktionsperspektive kommt bei Marx nicht vor) und Absurdem („Aspekte wie die Sklaverei in der Familie und die Unterdrückung der Frau wurden von Marx ja doch, an einer Stelle auf Seite so und so im Kapital, erwähnt – zumindest ließe sich das so interpretieren…“) hinausginge. Im Ganzen konnte sich Carver nicht entscheiden, ob er Marx nun verteidigen oder anklagen wollte. Einzig seine über das eigentliche Thema hinausweisenden und anscheinend eigenen Arbeiten entnommenen sporadischen Bemerkungen über die „Männlichkeit der Ökonomie“ und damit einhergehende Effekte tönten potentiell interessant – für eine genauere Einschätzung waren sie jedoch tatsächlich zu dünn gesät.

Wirklich grässlich (oder unglaublich lächerlich) wurde es aber beim letzten Vortrag des Panels, der von zwei „feministischen Ökonominnen“ – gespaltene AutorInnen-Persönlichkeiten sind seit J.K. Gibson-Graham scheinbar schick geworden[1] – gemeinsam referiert wurde, Esra Erdem und Ceren Özselçuk. Beide standen auch inhaltlich nah bei der „poststrukturalistischen Ökonomiekritik“ des australischen Autorinnenkollektivs. Sie plädierten in einem bunten Sammelsurium aus wissenschaftskritischen, politischen, ökonomischen und subjekttheoretischen Momenten für eine epistemologische Neuorientierung in der Ökonomiekritik, die mit der „reflektiven, realistischen“ Position endlich bricht. Das Zauberwort war demnach Kontingenz, die überall gefunden werden sollte. Aus der Marxschen Theorie müsse demzufolge einfach das Programm einer „post-kapitalistischen Politik“ geschwurbelt werden, indem er auf „Differenz und Kontingenz“ (das reimt sich!) gelesen wird. In einem oberflächlichen Durchgang durch das Kapital, dessen Tiefe wohl von jedem/r TeilnehmerIn eines Marx-Lesekreises nach zwei bis drei Sitzungen übertroffen würde, kamen sie zu einem bahnbrechenden klassentheoretischen Schluss: „Klasse“ sollte nicht mehr nur durch die Augen des Kapitalismus gesehen werden. Denn eigentlich wird Klasse ja erst durch das marxistische Denken als solches konstruiert. Tatsächlich kann Klasse nie eine endgültige Gestalt gegeben werden, die „Kartographie der Klasse“ dient bloß als „Wegweiser“, um etwas ganz anders – nämlich die Klassendifferenz zu artikulieren. Klasse ist also nur eine „Technologie“, um unterschiedliche Klassenorganisationen zu untersuchen (sic!). Daraus folgt: es gibt auch „viele Ökonomien“, ökonomische Diversität ist ja schön und die Rede von einer „kapitalistischen Totalität“ ist ohnehin Schwachsinn, müsste wohl selbst noch – so könnte eins sie im Anschluss an andere poststrukturalistische Ansätze weiterdenken – als „epistemische Gewalt“ verstanden werden. Gewalttätig zumindest gegenüber einer „kontingenten, nicht-deterministischen“ Lesart des Kapitals. Gewagterweise brachten Özselçuk/Erdem dann doch noch eine allzu „deterministische Lesart“ ein, für die sie sich auch sogleich entschuldigten, nämlich folgende kongeniale Formel:

M – C …P … C’ – M’

M steht dabei für Markt, C für Kapital und P für Produktion. Was diese Formel abgesehen von einer „kontingenten“ Umdeutung Marxens genau bringen soll, konnten die Referentinnen nicht so recht vermitteln. Wofür sie steht (wenn eins dazu denkt, dass wohl auch hier alles mindestens einmal kontingent weiterinterpretiert werden muss), wurde jedoch verlautet: der Kreislauf des Kapitals ist keine unvermittelte, invariante Logik – er formuliert eine „Metamorphose des Kapitals“ (sic), bei der die Kreation des Werts niemals flüssig vonstattengeht, sondern „kontingent auf sozialen Technologien“ aufbaut. Es gibt also keine essentialistische Logik der kapitalistischen Reproduktion; nur Kontingenz. Und das Beste kommt zum Schluss: es gibt andere ökonomische Organisationsformen. Denn: die „Flüsse des Mehrwerts“ können ja auch different gelenkt werden, wenn nur die „Binarität zwischen dem Kapitalismus und seinem Äußeren“ destabilisiert würde. Bezeichnenderweise schloss der Vortrag mit einem Verweis auf Louis Althusser, dessen theoretische Innovation gegen den „marxistischen Feminismus“ und dessen zwar wichtiger (weil eine „autonome und andere“ Sphäre kreierenden), aber dann doch irgendwie langweiliger Perspektive auf die Hausarbeit lanciert wurde: Aus der kapitalistischen „Re-Reproduktion“ (sic) wird die Perspektive auf die „soziale Reproduktion“. Durch diese Perspektive selbst würde dann auch schon der „performative Akt“ der Fokusverschiebung auf die „imaginierte Welt“, die Utopie, welche eins sich wünscht, gesetzt – Politik machen, auf poststrukturalistisch, quasi! Wie das weiter aussehen kann, wurde dann als Antwort auf eine Frage aus dem Publikum an Hand eines enthusiastischen Beispiels verdeutlicht: Es gibt doch tatsächlich in den USA ein paar Firmen, die sich gemeinsam dazu entschlossen haben, einen Teil ihrer Profite für den Zweck der Schaffung von unabhängigen GenossInnenschaften zu spenden. Doch wer dies als die in den Vereinigten Staaten recht übliche Form der „Charity“ abzutun geneigt ist, hat das utopische Potential der Sache weit verfehlt: denn diese Firmen tun damit etwas, was in sich schon dem „kapitalozentrischen Imaginären“ widerspricht – sie nehmen einen Teil des Mehrwerts aus der „Metamorphose des Kapitalismus“ einfach so heraus! Das ist nun etwas völlig Neues und sollte endgültig allen eine Lehre erteilen, die die kapitalistische Reproduktion immer noch „deterministisch konstruieren“. Kein Kommentar…

Ein Kernproblem der Konferenz: Die Verhältnisbestimmung von Fetisch- und Ideologiekritik

Der wirklich substantielle Kern dieser Konferenz war also leider nicht in der feministischen Weiterentwicklung der Marxschen Theorie zu finden. Eine Annäherung an ihn kann jedoch in Abstoßung vom zweifellos sympathischsten Vortrag entwickelt werden, jenem von Moishe Postone. Herausragend war Postone nicht nur ob des Inhalts seines Vortrags – den Präliminarien einer fetischismuskritischen Perspektive auf die kapitalistische Totalität (dies kannte ich natürlich und muss ich hier wohl nicht weiter ausbreiten); sondern auch, da er trotz der grundsätzlichen Bekanntheit des Inhalts immer noch zu fesseln vermochte und nicht zuletzt auch eine probate, Unruhe stiftende diskursive Intervention in den „Common Sense“ der Konferenz hinbekam. Abgesehen von der deutlichen Kritik am Arbeiterbewegungsmarxismus bestach vor allem das klare Bekenntnis zur Fetischkritik und das Postulat, dass diese nicht auf Ideologiekritik reduzibel ist. Das Hervorkehren einer distinktiv negativen Dialektik, die eine Fokussierung auf den Prozess impliziert, war ein wichtiger wissenschaftstheoretischer Kontrapunkt zu den anderen Ansätzen, die mehr oder weniger statische Verständnisse vertraten (inklusive der durchaus anwesenden unmittelbar hegelianisch inspirierten Philosophen, welche ich hier nicht weiter erwähne). Dabei wurde durch Postone das „Andere“ implizit immer auch schon angesprochen – wenn auch natürlich nicht expliziert; eine gewisse ökonomistische Schlagseite wurde ihm schließlich auch schon von Seiten der EXIT-Position vorgeworfen. Auf jeden Fall liefert dies aber Ansätze für eine abspaltungskritische Revision. Ohnehin interessant und noch immer viel zu wenig aufgearbeitet bleibt die These der zwei Zeiten des Kapitalismus (konkrete und abstrakte), die ihrerseits noch einer abspaltungskritischen Interpretation harren würde. Die Kontakte nach Chicago zu stärken – was ich leider in Anbetracht des doch sehr honorig-professoralen Auftreten Postones versäumte – lohnt für das Projekt kritisch-dialektischer Theorie also jedenfalls.

Nicht nur theoretisch, sondern auch in Form von recht direkten Angriffen grenzte sich der erklärte Buhmann des Kongresses, Axel Honneth deutlich von seinem Podiums-Genossen Postone ab. Er steht aber gewissermaßen auch für den „heimlichen Konsens“ einer Konferenz, die auf den ersten Blick in erfreulicher Weise einen Kontrapunkt zu den hegemonialen akademischen Debatten setzte, die allzu weit weg sind von Themen wie „Ideologie“, „Entfremdung“, „Verdinglichung“, „Dialektik“ und den Fragen des Hegelianischen Erbes bei Marx. Honneths Beitrag titelte bezeichnenderweise „Die Moral im Kapital“ (auch das reimt sich, offensichtlich hatte Pumuckel unrecht) und hätte eigentlich eher „Die Moral gegen das ‚Kapital‘“ oder vielleicht auch „Mit Moral zum Kapital“ heißen müssen. Es ging ihm nämlich um einen ganz bestimmten, nein nicht den epistemologischen, Bruch im Marxschen Werk, den der „Westliche Marxismus“ vermeintlich ans Tageslicht gebracht habe – die Unterscheidung zwischen den moralischen Absichten kollektiver AkteurInnen und der „ökonomischen Funktionsimperative“. Für Honneth steht hinter dieser Unterscheidung nicht nur der Gegensatz zweier Handlungslogiken, er ermöglich auch gänzlich andere theoretische Grundannahmen als jene des „ökonomiekritischen Marx“. Diese wiederum lägen in der „normativen Konfliktualität allen Sozialens“ begründet und äußerten sich in spezifischen historischen Vorgängen. Dahinter stünde die unterschiedliche Temporalität des Ökonomischen und des Moralischen, eine prozesshafte auf der einen und eine ereignishafte auf der anderen Seite, eine schlussendlich synchrone versus eine in sich diachrone Zeitlichkeit. Im 18. Brumaire des Louis Bonaparte und den Schriften über den Bürgerkrieg in Frankreich will Honneth auch bei Marx Spuren des Nicht-Ökonomischen entdeckt haben – hier würden plötzlich nicht mehr nur Charaktermasken, sondern „normative AkteurInnen“ in „politischen Kämpfen“ herumlaufen. Durch die politische Konfliktualität um die Setzung der akzeptierten Normen bewiese die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung selbst die ereignishafte Seite historischer Prozesse, in der sich auch Bedeutungen in Abhängigkeit voneinander ändern könnten. Demgegenüber wären die historisch-politischen Kapitel des Kapitals linear aufgebaut und durch von vorneherein vereinheitlichte Interessen geprägt, die sich im Wesentlichen auf die zwei Kollektivsubjekte „Kapital“ und „Proletariat“ beschränken.

Im zweiten Teil seines Vortrags träumt Honneth davon, was wäre, wenn Marx auch im Kapital den „Einsichten seiner historisch-politischen Schriften“ gefolgt wäre. Er begreift das Kapital nämlich bloß als eine kritische Darstellung der herrschenden Nationalökonomie und ihres „Nutzenkalküls“, die um eine Politisierung und Soziologisierung ergänzt werden müsste. Es geht also – und hier begann Honneth endgültig, sich immer und immer zu wiederholen – um die „normative Konfliktualität“, die selbst noch das Kapitalverhältnis durchzieht. Der „utilitaristische Begriff des ökonomischen Akteurs“ müsste also so uminterpretiert werden, dass er selbst die eigenen Interessen nur in Form von Normen umsetzen kann und hier folglich schlussendlich keine Einheitlichkeit mehr vorherrschen kann. Recht sprunghaft wird das dann mit Rekurs auf ein seinerseits eigentlich recht „ökonomisches“ Paradigma, die institutionalistische Perspektive auf die „varities of capitalism“ (vulgo „rheinischer Kapitalismus vs. angelsächsischer) begründet. Es gibt also nicht den Kapitalismus, darum bräuchte es eine „Einsicht in die normative Plastizität wirtschaftlicher Interessen“ (sic). Natürlich, so Honneth, dürfte die „synchrone Temporalität“ des Verwertungszwangs nicht gänzlich vergessen werden. Welche Rolle sie in einer „soziologisierten Kapitalismusanalyse“ spielen soll, wenn es „ebensoviele Akteursgruppen wie normative Einstellungen“ gibt, bleibt jedoch offen. Die folgenden, beinahe revolutionistischen Verweise auf die Möglichkeiten, wie Randerscheinungen zu historischen Ereignissen werden können, sollten wohl davon ablenken. Ob die genannten „Konsumgenossenschaften“ das beste Beispiel für die Veränderbarkeit von Strukturen sind, sei dahingestellt (als Österreicher muss ich instinktiv an „Raiffeisen“ denken). Viel interessanter war jedoch die weitere Argumentation im Kreuzzug gegen die Vorstellung einer kapitalistischen „Rationalität“. Denn der gute Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung hat offensichtlich seine Hausaufgaben gemacht und die Fahne nach dem Wind gerichtet, denn er kam – oh Wunder – auf die „Kräftekonstellationen“ zu sprechen, die hier weiter eine Rolle spielen würden. Die Kräfteverhältnisse von Gruppen würden sich demnach dauernd ändern, und es bedürfe deshalb einer „Situationsanalyse“, in die auch die „moralisch-kulturelle Gesamtstimmung“ miteinbezogen werden müsste. Worauf das hinausläuft mag nicht mehr verwundern – auch aus Frankfurt wird Antonio Gramsci angerufen und mit ihm die Notwendigkeit „soziologischer Analysen“ des „spezifisch historischen Ereignisses“ eingeklagt. Natürlich sind dann alle Auseinandersetzungen komplex, und vieles spricht gegen eine „Subsumption unter das Kapital“. Die Moral sei es, die nötig wäre, um den Kampf um den Kapitalismus (sic) möglich zu machen. Wer das anerkennt, kann auch die Spannungen im Markt sichtbar machen und sehen, dass es keine normativen Schließungen gibt – auch nicht im Kampf um die Länge des Arbeitstags.

Also – weg mit der „Hegelschen Geschichtsphilosophie“, der „linearen Entwicklung“, denn die ist bloße „praktische Selbsteinschüchterung“. Was wir brauchen ist eine „theoretische Verabschiedung der Kritik der Politischen Ökonomie“ (sic). Stattdessen muss der „normative Einwurf“her, der die ökonomische Rationalität übertüncht. Klar wird natürlich allen sein, dass es neben den Bewegungen immer auch „Gegenbewegungen“ gibt… Aber im Büro des Institutsdirektors interessiert das natürlich nur insoweit, als er den finalen guten Rat gibt, angesichts all der Komplexität besser an die politisch-historischen Schriften anzuschließen. Recht einig war er sich dann auch mit seinem Nachredner, dem englischen Professor für politische Theorie Russell Keith, der sich – auf ähnlich normativistischer Basis – für die Unmöglichkeit einer nicht-marktwirtschaftlichen Gesellschaft aussprach (weshalb er die „soziale Marktwirtschaft“ gegen den „Kapitalismus“ stark machte), sich aber sehr wohl einen „normativen Marktsozialismus“ ohne „Entfremdung und abstrakte Arbeit“ vorstellen konnte.

In Form eines recht einfach gestrickten, selbst noch politischen Programms, das sich hinter dem vermeintlich theoretischen Bezug auf Marx versteckt, bietet Axel Honneth mit seinem Vortrag (der übrigens auch in der nachfolgenden Podiumsdiskussion noch zu – den Maßstäben der akademischen Etikette nach – teils scharfen Einwürfen gegen Moishe Postone führte) einen guten Überblick über den Grundkonflikt, der mir nicht nur den Re-Thinking Marx Kongress, sondern auch einen guten Teil der theoretischen Debatte der sich auf Marx beziehenden Linken zu durchziehen scheint. Es geht um die Henne-Ei-Frage, die Priorität des „Politischen“ vor dem „Ökonomischen“. Die offensichtlich reformistisch-sozialdemokratische und insgesamt recht widerliche Raison, die sich aus Honneths Ausführungen ergibt, stellt hier jedoch nur die Spitze des Eisberges dar, und der gesamte Brocken kann nicht einfach mit Verweis auf diesen Spitz abgetan werden. Dies verdeutlichte die streckenweise viel ambivalentere Argumentation der „dritten Generation“ der letztlich auf Habermas zurückgehenden Tradition der Frankfurter Schule. Vertreten war diese Generation, mit der nicht zuletzt auch Rahel Jaeggi in gewisser theoretischer Verbindung stehen dürfte, etwa im Panel „Ideologie, Entfremdung und Verdinglichung“. Vorherrschend war hier ein Typus des straighten, nüchternen und überszientifischen (präzisionsfetischistischen) Akademikers im Nadelstreif, der auch theoretisch zumindest „komplex“ argumentiert – komplexer als der recht offensichtlich agitatorische Honneth. Demgegenüber wirkt die akademische „Polit-Linke“ um Gramsci um vieles sympathischer und einschätzbarer. Eine inhaltliche Richtschnur, auf die ich nun näher eingehen möchte, bietet dahingehend der Vortrag von Titus Stahl, der zum vielsagenden Titel „Ideologiekritik als Kritik sozialer Praxis“ sprach.

Stahls dichter Vortrag behandelte im Wesentlichen ein Grundproblem der Beschäftigung mit Ideologie, das bereits in der Definition des Worts ausgemacht werden kann. Unter Ideologie wird in der kritischen Debatte für gewöhnlich die Vorstellung von „notwendig falschem Bewusstsein“ verstanden. Dies impliziert zwei Momente: Einerseits ist das Bewusstsein falsch, was die Doppelbedeutung einer wahrheitsmäßigen (analytische Dimension) und einer moralischen (normative Dimension) Negation zulässt. Gemeinhin wird hier in der marxistischen Debatte nicht so genau unterschieden, jedoch dominiert wohl eine Vorstellung, bei der die Falschheit im Sinne der mangelhaften Wiedergabe der Realität dominiert. Das typische Beispiel des „Pfaffenbetrugs“ verdeutlicht dies: Eigentlich wird gesagt, dass die Herrschenden die „wirklichen Verhältnisse“ verschleiern; es geht also in erster Linie um die Ausweisung der Falschheit der inkriminierten Argumentation. Dabei schwingt jedoch implizit, gewissermaßen performativ, auch immer bereits die moralische Anklage mit, dass die „Falschheit“ auch darin besteht, dass die Herrschenden durch die Produktion dieser Illusionen besser ausbeuten können o.ä. Diese mangelnde Präzision in der Definition der Falschheit stellt selbst noch ein Problem dar. Andererseits ist das Bewusstsein aber auch notwendig, d.h. es geht unmittelbar und gewissermaßen zwingend aus den sozialen Verhältnissen (sozialtheoretische Dimension) hervor. Jene erklärende Perspektive macht die Skandalisierung des „Pfaffenbetrugs“ eigentlich erst wirklich aussagekräftig, denn ohne die Sedimentierung einer breiteren Explikation des Kontextes, in dem der Betrug stattfindet, wäre dieser weder intelligibel noch die skandalöse (normative) Dimension ausweisbar.

Nun werden diese Dimensionen praktisch zwar zusammengedacht, theoretisch jedoch als zumindest potentiell trennbare erachtet. Ideologiekritik und Ideologietheorie werden als unterscheidbare Seiten betrachtet. Dies führt jedoch zu einer Schwierigkeit, die gewissermaßen einen performativen Selbstwiderspruch produziert, der das Konzept der Ideologie selbst hintertreibt: wenn davon ausgegangen wird, dass das Bewusstsein falsch ist, dann müsste es eigentlich ausreichen, diese Falschheit auszuweisen und ihr das Richtige (egal ob in normativer oder analytischer Dimension) entgegenzusetzen. Die Falschheit müsste in sich begründet sein. Wenn ein Bewusstsein falsch ist, dann ist es eben unrichtig, unabhängig davon, wo oder wie es auftritt. Die Konsequenz wäre aber, dass der Begriff Ideologie obsolet würde und sich einfach durch „falsche Aussage“ ersetzen ließe. Rein kognitiv wäre nicht zu entscheiden zwischen diesem oder jenem „falschen Bewusstsein“, es ließe sich also nicht argumentieren, warum „1+1=3“ eine andere Qualität der „Falschheit“ aufweisen sollte als die Aussage „die Ware Arbeitskraft ist das gleiche wie Arbeit“. Umgekehrt ist jedoch auch das Thema der sozialtheoretischen Begründung der Ideologie ähnlich verfänglich. Soll davon ausgegangen werden, dass Ideologie sich aus den historischen Verhältnissen erklären lässt, aus ihnen tatsächlich notwendig hervorgeht, bleibt zu fragen: Was unterscheidet Ideologie dann von anderen Bewusstseinsformen, die, materialistisch gedacht, ja stets aus den gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgehen? Wie lässt sich hier eine (Dis-)Qualifikation als „falsch“ begründen, die Ideologie von anderen gesellschaftlich bedingten ideellen Emanationen unterscheidet? Schlussendlich gar nicht.

Mit dem ersten Problem sind klassischerweise Arten der Ideologietheorie konfrontiert, die sich v.a. auf die kognitiv-epistemischen Momenten des Ideologischen beziehen. Am prominentesten ist hier sicher die althusserianische Schule. Das zweite Problem trifft v.a. VertreterInnen einer Ideologiekritik, die „materielle Ideologien“ wie Verdinglichung und Entfremdung, aber oft auch ein bestimmtes Verständnis von Fetischismus stark machen.

Titus Stahl gehört zweifellos zur zweiten Gruppe, jedoch ist die Sache nicht so einfach. Denn Stahl sieht die obige Problematik durchaus, was sich auch in seinem Vortrag wiederfand. Er stellt sich eben die Frage, wie Ideologiekritik als nicht-epistemische Kritik möglich ist, wie also der nicht rein wissenschaftliche Status der Ideologie als nur im Kontext der sozialen Realität verstehbare, aber dennoch auch das kognitivistisch-wissenschaftliche Momente der Falschheit implizierende Instanz möglich ist. Er kritisiert dabei sowohl die Illusion einer explanatorischen Autarkie des Geistigen, wie sie etwa bei Marx und Engels noch in der Deutschen Ideologie vorzufinden ist. Gleichzeitig erkennt er jedoch auch, dass es sich doch gewissermaßen um „Überzeugungen zweiter Ordnung“ über den Status des Geistigen handelt, wir es indessen dennoch bis zu einem gewissen Grad mit einer „Struktur unserer kognitiven Vorstellungen“ zu tun haben. Auf diese Weise präzisiert er als seine These über den nicht-epistemischen Charakter der Ideologiekritik folgendermaßen:

„Ideologiekritik ist eine Kritik der reflexiven Struktur des kognitiven Verhältnisses von Individuen zur (gesellschaftlichen) Realität, die sich nicht primär auf epistemische Normen stützt.“

Er entscheidet sich also für die Ideologiekritik vermeintlich materialistischer Facon und gegen eine bloß epistemische Ideologietheorie, führt jedoch den „Vermittlungsschritt“ des kognitiven Verhältnisses der Einzelnen zu dieser Realität ein. Dies erscheint nun alles recht plausibel, denn tatsächlich geht es beim „falschen Bewusstsein“ um „reflexive Formen“ (die Sperrigkeit der Begriffe sollte nicht über den sehr grundlegenden Charakter der Problematik hinwegtäuschen, hier tritt das Problem des akademischen Selbstzwecks klausulierter Formulierungen zu Tage); auch macht es offensichtlich Sinn, diese nicht auf epistemische Normen zu reduzieren, will eins der oben skizzierten Widerspruchskonstellation entgehen. Dies führt nun dazu, dass sich Stahl aber auch zur Frage der materiellen Gestalt der Realität selbst äußern muss, und er stellt hier die These auf, dass Ideologie eben nicht „rein kognitiv“ falsch wäre, sondern vielmehr der „angemessene Ausdruck einer falschen Realität“ wäre. Was hiermit aber gemeint ist – und dies sagt der Referent auch so – ist der spezifische Fetischcharakter der gesellschaftlichen Verhältnisse. Es scheint nicht nur so, als ob Geld eine materielle Instanz ist, sie ist es in dieser Gesellschaft tatsächlich. Eine Kritik über ideologische Vorstellungen über das Geld (etwa eine strukturell antisemitische Zinskritik) verweist so immer automatisch auf diese Dimension der Gesellschaftskritik. Die grundlegende Frage ist jedoch, ob Ideologiekritik das gleiche ist wie Fetischkritik bzw. Gesellschaftskritik. Stahl plädiert dafür und verknüpft diese Vorstellung von materialistischer Kritik mit einem „nicht-expressivistischen“ Verständnis des Verhältnisses Realität-Bewusstsein (der „Angemessenheit des Ausdrucks“) und einer Lokalisierung des Ideologischen nicht im „(wahrheitsmäßigen) Gehalt, sondern der Form des kognitiven Zustands“. Auch dies mag nun zuerst einmal interessant tönen, geht es doch auch der Fetischkritik um eine Kritik von real-abstrakten Formen, die Tätigkeiten und Denken zugrunde liegen. Die Schwierigkeit liegt aber im Detail, nämlich wie diese Kritik der Formen verstanden wird. Hier findet sich auch der entscheidende, aufs Ganze gehende Abstoßungspunkt der Stahl’schen Argumentation von einer wert-abspaltungskritischen. Denn im weiteren Vortrag wird mit dem Problem der Vermittlung von Gehalt und Form in zweierlei Weise umgegangen: einerseits wird die Bestimmung der materialen Realität als „szientifisches Problem“, also als eines der letztlich wahrheitsmäßigen Korrespondenz definiert; andererseits wird ein Begriff sozialer Praxis schlechthin eingeführt, der sie als „Zusammenhang menschlichen Handelns, der durch normative Standards der Richtigkeit intern strukturiert wird“ definiert. Die Fokussierung auf die Form, die vom Inhalt abstrahiert, und eine allgemeine sozialontologische Vorstellung von Praxis als „normorientierter“ ermöglichen nun eine gänzlich differente Weiterentwicklung auf Basis der bisherigen Prämissen, die noch sehr progressiv gewirkt haben mögen. Denn die Falschheit der Verhältnisse ist nun nicht mehr inhaltlich zu explizieren; sie ist auch keine der Inkohärenz (das kognitive Moment der Ideologietheorie wird also eigentlich völlig abgekappt). Sie ist nur noch in Bezug zu setzen zu den (stillschweigend als ontologische Konstante eingeführten) „internen Standards von Praktiken“ schlechthin. Aus der „ersten und zweiten Natur“ gesellschaftlicher Verhältnisse im Anschluss an eine Fetischkritik werden dann die „erste und zweite Ordnung von praxiskonstitutiven Unterscheidungen“ sozialer Handlung, die wiederum intrinsisch mit einem spezifischen, praxistheoretischen Ideologiebegriff verknüpft sind, nämlich dem folgenden: „Ein kognitives Phänomen ist genau dann ideologisch, wenn es nur in einem Vokabular rekonstruiert werden kann, das konstitutive Unterscheidungen einer Praxis explizit macht, deren Regeln es nicht erlauben, sie als praktisch konstituierte Unterscheidungen zu behandeln.“ Dies mag nun recht sperrig erscheinen, aber im Grunde zielt es darauf ab, dass es gewisse in sich falsche Handlungsformen geben muss, die durch richtige zu ersetzen sind. Hier taucht recht unverblümt wieder die Habermasianische Vorstellung eines „richtigen“ Kommunikativen Handelns auf, welches die „Zweckrationalität“ der kapitalistischen Verhältnisse bloß ergänzen müsste. Das Perfide des präsentierten ideologiekritischen Ansatzes ist nun, dass es diese Zweckrationalität zwar als falsch darstellt, jedoch nicht ausweist, dass hier eigentlich keine kategoriale, sondern bloß eine immanente Kritik angestrebt wird. Die herrschenden Verhältnisse werden nicht als solche kritisiert, sondern nur für ihren uneingelösten „konstitutiven Anspruch auf Transparenz und Autonomie“. Rationalisierung ist so aber eigentlich nicht mehr der Form selbst nach problematisch, sondern nur der fehlenden (kommunikativen) Ergänzung dieser Form. Jener Schritt wird meist nicht deutlich genug gemacht, weshalb auch die Rede von Fetisch, Entfremdung und Verdinglichung beirren mag. Mit Rückgriff auf die „Basis“ der älteren Frankfurter Schule ließe sich die Sache etwa so deuten, dass die Identitätslogik des Tausches nicht selbst das Problem ist, sondern nur ihre mangelnde politisch-kommunikative Verhandelbarkeit.

Horkheimer und Adorno betrachten hingegen diese Bewußtseinsstrukturen, also das, was sie subjektive Vernunft und identifizierendes Denken nennen, als grundlegend; die Tauschabstraktion ist lediglich die historische Gestalt, in der das identifizierende Denken seine welthistorische Wirkung entfaltet und die Verkehrsformen der kapitalistischen Gesellschaft bestimmt. Die gelegentlichen Hinweise auf die in Tauschverhältnissen objektiv gewordenen Realabstraktionen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß Horkheimer und Adorno keineswegs wie Lukács (und Sohn-Rethel) die Denkform aus der Warenform ableiten.“ (Habermas 1982, 506)

Es verwundert nach dieser, wie Habermas selbst sagt, „idealistischen Rückübersetzung“ (Habermas 1982, 507) nicht mehr, dass Ideologie und Fetischkonstitution in eins gesetzt werden. Denn es gibt schlicht nur noch das idealistische Moment, jegliche materialistische Basis wird entweder der „positiven Wissenschaft“ zugeschlagen oder eben auf „instrumentelle Rationalität“ reduziert. Angesichts dieser Konstruktion erscheint es ganz notwendig, dass das Ideologie-Problem aufhört, eines des Verhältnisses von Ideellem und Materiellem zu sein – es wird ja von vorneherein gesetzt, dass insgesamt nur das Ideelle relevant ist! Ideologische Praktiken werden somit deshalb falsch, weil sie die „Verletzung interner Standards von Praktiken (schlechthin)“ sind. Somit kann eins wiederum recht gemütlich konzedieren, dass Ideologie „nie überhistorisch falsch ist“ und in Wahrheit ein „politisches Problem für rationale Wesen“ ist. Womit wir wieder bei Gramsci & Co angelangt wären[2]… Diese Argumentation ist aber auch in sich löchrig, denn was nicht wirklich erklärt wird – aber bei der Bestimmung und Berechtigung von Ideologie als solcher von erstem Rang ist – ist eben das Verhältnis von Bewusstsein und Handeln. Habermas setzt dies in seinem Konzept des „kommunikativen Handelns“ krude in eins. Ebenso folgelogisch muss dann auch Ideologie- und Fetischkritik zusammenfallen. In diesem Schritt liegt aber nicht nur eine idealistische Verschiebung weg vom Gegenstand Gesellschaft selbst (der einer „neutralen“ szientifischen Analyse überlassen wird) begründet; es wird auch das Problem der widersprüchlichen Bestimmung von Ideologie nur deshalb umschifft, weil eine (nicht mehr begründete) ontologische Instanz – das „richtige“ kommunikative Handeln – eingesetzt wird. Der Ideologiebegriff wird damit aber in Wirklichkeit nicht nur entschärft (weil eingeengt auf eine ganz bestimmte, tendenziell sprach- und sprachhandlungstheoretische Problematik); er wird auch seiner in sich widersprüchlichen Determination beraubt. Um dies zu konstatieren und den präsentierten Vorschlag einer Ideologiekritik als unkritisch zu diskreditieren müsste also noch nicht einmal die völlige Falschheit aller Habermas‘schen sozialontologischen Annahmen über menschliche Kommunikation bewiesen werden; es reicht aus, zu zeigen, dass diese Regeln nur auf einer gewissen Ebene der Argumentation eine Rolle spielen, die jedoch ob der spezifisch-gesellschaftstheoretischen Theoretisierung der bestimmten historischen Widersprüche des „automatischen Subjekts“ des warenproduzierenden Patriarchats völlig in den Hintergrund tritt. Zugespitzt ließe sich sagen, dass gerade weil Ideologien als materialisierte „falsche Bewusstseinsformen“ mehr sind als Inkongruenzen auf einer bloß individuell-abstrakten Handlungsebene, weil sie von einer nicht bloß kognitiven Rationalisierungstendenz, sondern der faktischen „irrationalen Rationalität“ der Wertverwertung und ihrer permanenten Abspaltung geprägt sind, lässt sich diese kommunikationstheoretische Perspektive als nachgeordnete Problematik betrachten.

Demgegenüber müsste ein wirklich dialektischer, negativer Zugang zur Ideologiefrage (den ich ansatzweise doch auch einer „materialistischen Rückübersetzung“ Adornos und Horkheimers anheimstellen würde) den von Stahl eingangs aufgemachten immanenten Widerspruch nicht nur ernst nehmen, sondern ihn als bestimmendes Moment der Ideologiedefinition selbst betrachten. Bestimmend heißt jedoch nicht, „schon von vorneherein bestimmt“. Der Kern der Ideologie ist ihre widersprüchliche Zwischenstellung zwischen kognitiver und sozialtheoretischer Dimension, um mit den Worten der Habermas-Schule zu sprechen. Diese Widersprüchlichkeit ist jedoch keine überhistorische und auch keine bloß ideelle, sondern eine immer schon gesellschaftlich induzierte, die auf eine materiale „Handlungslogik“ verweist, welche sich ihrerseits nicht bloß abstrakt-individuell definieren lässt, sondern eben nur im Verhältnis zu einer sozio-strukturellen Ebene, wie das Konzept der Realabstraktion nahelegt. Die gesellschaftsbestimmende Fetischkonstellation findet sich dann in der Widersprüchlichkeit des Ideologischen wieder, dessen Eigenschaften jedoch auch nicht einfach auf die Determination durch den Fetischismus zu reduzieren sind. Ideologie ist eben auch nicht von der anderen, „materialistischen“, Seite her reduzibel auf den Fetisch, wie es bei Lukács tendenziell der Fall war. Dies würde tatsächlich eine „ökonomistische“ Reduktion von Ideologie bedeuten, die nicht zuletzt auch von vorneherein blind wäre für Aspekte der Abspaltung und der daraus folgenden gebrochenen, letztlich nicht auf eine (einwertige) „Kernstruktur“ reduzierbare Vorstellung des Ideologischen. Es handelt sich bei Ideologie und Fetisch folglich um distinkte Momente mit unterschiedlicher kausaler Wirksamkeit im Sinne der gesellschaftlichen Konstituierung. Ideologisches ist nicht einfach aus den konstitutiven fetischistischen Verhältnissen „abzuleiten“; es wird jedoch durch diese determiniert und selbst noch von der fetischistischen Logik als Widerspruchs-generierende-Formlogik durchzogen[3]. Diese Art dialektischen Denkens fällt schwer, da sie die Grenzen formaler Kausalbeziehungen sprengt. Der immanente Widerspruch des Ideologiebegriffs ist aber gerade seine produktivste und spezifische Erkenntnis generierende Eigenschaft. Er ist es auch, der letztlich eine tatsächlich distinkte Bestimmung von Ideologie möglich macht. Während das, was unter Fetischismus verhandelt wird, freilich nicht ohne kognitiv-bewusstseinsmäßige Aspekte auskommt, steht es für eine materiale, zwar historisch emanierte, aber dennoch absolut rigide Vorgabe aller gesellschaftlichen Interaktion. Ideologie ist umgekehrt nicht bloßes „Bewusstsein“, denn sonst ließe sich die Problematik ja tatsächlich kognitiv-formallogisch, im Sinne einer szientifischen „Falschheit“ abhandeln. Sie steht jedoch für die variableren, prinzipiell sich auch im herrschenden System verändernden diskursiv konstituierten Handlungsmatrizen – wenn eins Foucault’sche Terminologie bedienen will: „Dispositive“ – die eher einer bewusstseinsmäßigen Bestimmung naheliegen.

Dies sind freilich nur Fragmente einer wert-abspaltungskritischen Ideologiekritik. Gezeigt werden sollte damit v.a., wie wichtig es ist, auf die Notwendigkeit einer Trennung von Fetischismus und Ideologie zu pochen. Darauf hat klugerweise auch Moishe Postone in seinem Vortrag explizit hingewiesen. Die Vermengung beider scheint mir nämlich nicht nur in dieser spezifisch habermasianischen Verhandlung des (selbstproklamierten) Themenkomplexes „Ideologie, Entfremdung, Verdinglichung“ – Fetischismus kommt nur am Rande vor – verbreitet zu sein, sie dürfte vielmehr in weiten Teilen einer mehr oder minder von dialektischem Denken inspirierten theorieaffinen Linken in der einen oder anderen Form vorzufinden sein. Inwieweit das mit dem Einfluss einer „idealistischen Rückübersetzung“ der neuen Frankfurter Schule zu tun hat, die auch den Re-Thinking Marx Kongress maßgeblich geprägt hat, kann ich nicht beurteilen. Als kritische Vorlage auf durchaus hohem Niveau kann diese jedoch gelten. Nicht zuletzt wird wert-abspaltungskritische Theorie wohl auch v.a. in diesem Milieu neue Gesichter überzeugen können, da doch eine gewisse inhaltliche Nähe besteht, was einen ersten, oberflächlichen Zugang zu Marx anbelangt: das dialektische Erbe wird nicht per se verworfen, sondern ernst genommen; Aspekte wie Verdinglichung und Fetischismus werden zumindest verhandelt; ein nicht bloß analytisches, sondern auf Totalität zielendes Verständnis wird durchaus hochgehalten. Das Problem scheint mir hier eher weniger ein Zuwenig an Hegel zu sein, als ein Zuviel. Dies äußerte sich auch in der, bereits erwähnten, Einladung einiger sehr merkwürdigen (marxistischen) Hegelianer, die recht unverblümt idealistische Thesen hochhielten und damit alles Mögliche zu begründen trachteten. Vor dieser Schlagseite muss ernstzunehmende dialektische Theorie sich tatsächlich hüten, denn hegelianische Argumentationsmuster können allzu leicht ins Dogmatische kippen und stellen dann in sich durchaus schlüssige ideelle Matrizen dar, die jedoch tatsächlich nur einem Selbstzweck dienen – dem der Bestätigung der impliziten ontologischen Annahmen des hegelianischen Rhetorikers. Dabei ist es mitunter schwer, diese versteckten ontologischen Annahmen auszuweisen, was nicht zuletzt der dialektisch-kritischen Marx-Rezeption eine Grube gräbt, aus der sie sich, solche rein argumentative Strategien abwehrend, immer wieder herausgraben muss.

Zum Abschluss: Über die (Kritik der) Politik

Demgegenüber bleibt aber doch ein Problem, dass sich trotz der Kritik all der Fallstricke und falschen Wege der besprochenen Theorietradition nicht auflöst und sich als wichtige inhaltliche Tendenz auch durch die Konferenz hindurch zog. Es ist dies die Frage nach dem Verhältnis von Ökonomischem und Politischem, oder vielleicht eher noch nach Determination und Kontingenz (denn beides ist nur polar in den jeweiligen „Sphären“ verdichtet, tritt aber nicht unilokal auf). Hier ist auch die Rede von der „synchronen“ und „diachronen“ Zeitform, die Axel Honneth aufbrachte, nicht ganz von der Hand zu weisen. Zweifellos kann eine negative, dialektisch-kritische Perspektive diese Momente nicht distinkt voneinander denken, sondern muss sie entlang der allgemeinen modernen Widerspruchslogik der Wert-Abspaltung denken. Dies reicht aber natürlich nicht hin, um etwa eine auch nur ansatzweise stichwortgebende Theorie des Politischen präsentieren zu können. Die Vorlage der habermasianischen und auch der üblichen an Gramsci, Poulantzas und Althusser geschulten Verdächtigen bietet hier freilich auch wenig, da sie die Form der Politik selbst für gewöhnlich nicht hinterfragt.

Umso überraschender war deshalb der Vortrag von Alex Demirovic, der bezeichnenderweise den Titel „Die Dialektik des Politischen. Zur Kritik der Politik und ihren Folgen“ trug. Demirovic ist zwar auch ein Frankfurter Schüler, der noch bei Adorno&Co studierte; er hat jedoch in den letzten Jahren eher durch seine Hinwendung zu einem voluntaristischen Verständnis von „kritischer Theorie“ Furore gemacht und ist nicht zuletzt durch seine ausführliche Auseinandersetzung mit Poulantzas und dessen Neu-Interpretation bekannt geworden[4]. Nichtsdestoweniger hat er die Ufer einer dialektischen Theoriebildung anscheinend zumindest nicht völlig verlassen, wovon ich mich auch in einer durchwegs spannenden Vorlesung an der Universität Wien einstmals selbst überzeugen konnte.

Demirovic schloss nun an eine Fragestellung an, die sich durch die ganze Konferenz in ungewöhnlich deutlicher (wenn auch nicht explizit formkritischer) Weise hindurch zog: wie lässt sich die Politik selbst thematisieren und historisch kontextualisieren, was sind ihre Grenzen und Spielräume und nicht zuletzt, wie ist sie ins Verhältnis zur Ökonomie zu setzen? Dabei wurde viel auf die Marx-Schrift „Zur Judenfrage“ verwiesen und die darin angelegte radikale Kritik der Politik diskutiert. Wenn auch die Kritik der Formlogik selbst verhalten blieb, so stellt für mich die Debatte ein gewisses Novum dar – zumindest angesichts der recht wenig hinterfragten Politik-Konzepte einer eher gramscianisch geprägten akademischen Linken. Ob dies eine neue Bewegung ist, oder ich schlicht nur an den falschen Quellen saß, kann ich nicht unmittelbar sagen. Jedenfalls stellt diese Tendenz – nicht zuletzt angesichts der diesbezüglich auch in der wert-abspaltungskritischen Theorie noch eklatanten Auslassungen – eine interessante Entwicklung dar, die es aufzugreifen gilt. Auch Demirovic setzt sich mit der Marxschen Frühschrift zum Politischen auseinander, er ist jedoch merklich angewandter und weniger philologisch unterwegs. Er kritisiert eingangs die Vorstellung Zizeks, dass es einer „ereignishaften“ und subversiven Form der neuen, „guten Politik“ bedürfte, welche die konstituierende Wirkung der herrschenden in Frage stellt. Diese Opposition zwischen „guter“ (weil z.B. „basisnaher“) und „schlechter (weil repräsentativer) Politik ist im Grunde ein Evergreen linker Debatte und führt immer wieder zu aporetischen Oppositionen. Demirovic meint nun, dass die Opposition selbst Thema werden müsste und somit eine „Dialektik der Politik“ anvisiert werden sollte. Politik ist dementsprechend nie als nur subversive oder rein konstituierende zu haben, sie ist der „ideale Durchschnitt“ von beiden Momenten. Bezeichnenderweise wird auch beides von Marx kritisiert, nämlich auf Grund der immanenten Natur diese Widerspruches selbst – die Politik hat insgesamt nicht die Macht und die Mittel, um das gewünschte Gemeinwesen herzustellen. Zumindest dann nicht, wenn mit Emanzipation der radikale Bruch gemeint ist, der v.a. auch mit der kapitalistischen Produktion und ihrer Allokation am Markt Schluss macht. Anstelle von Regierungen müsste die „Verwaltung von Sachen“ treten, der Staat würde absterben. Viel weitergehend würde das aber auch ein Ende der Politik bedeuten, denn die Spannung zwischen dem Anspruch auf Allgemeinheit und dem Partikularen würde verschwinden. Wenn es diese Antagonismen, die letztlich immer auch auf die Verfügung über Ressourcen abzielen, nicht mehr gibt, wäre diesbezüglich keine politische Diskussion mehr nötig, sondern nur noch eine rein technische.

Demirovic fährt mit einer Darstellung der Kritik dieser Position fort, und zwar jener von Seiten des Berliner Philosophen Frieder Otto Wolf. Dieser meint, dass die These vom Absterben des Staates (bisher) immer zum Gegenteil führte, nämlich einem autoritären Staat, der in Technokratie und somit der negativen Utopie eines „unpolitischen Allgemeinen“ aufging. Diese Linie der Kritik der Marxschen Kritik der Politik spitzt sich zu in der politischen Philosophie von Laclau und Mouffe, die bekanntlich von einem dauernden Konflikt über das Allgemeine als ontologischer Konstante ausgehen und folglich jegliches Monopol einer Definitionsgewalt über das Allgemeine kritisch beäugen. Die Individuen sollen vielmehr konfliktbereit sein, jedoch nicht im gewalttätigen Antagonismus, sondern der agonistischen Formen der Konfliktverhandlung, die wohl durchaus in der demokratischen Republik am ehesten vorhanden scheint. Demirovic interpretiert die beiden AutorInnen dabei so, dass sie den Klassenkampf letztlich sistieren wollen, insofern er bei Marx impliziert, dass eine partikulare Gruppe (Proletariat) politische Allgemeinheit beansprucht. Es würde also eine Art deliberatives Bild der Gesellschaft vertreten, in der v.a. die universalistische Inszenierung des Partikularen hinterfragt werden soll.

Unabhängig davon, ob diese Laclau/Mouffe Rezeption ihnen völlig Recht tut, ist Demirovic‘ Antwort sympathisch (so ich sie nicht missverstanden habe): er kritisiert jene Marxrezeption, die davon ausgeht, dass das Proletariat als Partikulares sich Universalisieren will[5] und meint, dass Marx höchstens eine negative Universalität des Proletariats vorschwebte, deren Ziel die Aufhebung aller Klassen- und Standesunterschiede war. Es ginge also darum, gar nicht mehr genötigt zu sein, die „eigene Partikularität anderen als Universales aufzuzwingen“ und somit um eine „Emanzipation von der Logik des Unrechts selbst“. Dies kann als utopische Vorlage der Frühschriften betrachtet werden, die jedoch auch auf den Maßstab der Kritik der Politik verweist – Marx ist gegen die Gleichmacherei der französischen Revolution, und die positive Einschätzung der Pariser Commune als „soziale Revolution gegen den Staat selbst“ legt nahe, dass er dieser Haltung auch in späten Jahren zumindest teilweise treu blieb. Auch die Commune ist nach Demirovic natürlich noch kritisch zu betrachten, da sie eine bloße Verallgemeinerung des Wahlrechts anstrebte, aber immer noch politisch blieb, was in engem Zusammenhang damit steht, dass der Produktionsapparat der Gesellschaft unberührt blieb. Hier endete der Vortrag mit der „Unabgegoltenheit der Marxschen Kritik der Politik“, die auch der Referent nur durch vage Verweise auf das Rätesystem und eine „neue Form der gesellschaftlichen Differenzierung, in der kollektive Entscheidungen vorgenommen werden“ zu ergänzen wusste. Trotz – oder vielleicht gerade auf Grund – dieser Offenheit am Schluss fand ich den Vortrag insgesamt überzeugend. Er war zwar durchgängig eher tentativ angelegt und beschränkte sich auf eine darstellende Auseinandersetzung mit den Positionen der Marxschen Kritik der Politik und ihrer GegnerInnen; dennoch ist mir nicht ganz einsichtig, wie die eigenen Positionierung Demirovic‘, die mir hier implizit doch angelegt zu sein scheint, sich mit seinen sonstigen Ansinnen im Kontext der akademischen „Polit-Linken“ vereinbaren lässt. Er hat zwar die immanente Rolle des politischen Kampfes nicht explizit verworfen (was ja auch keine ernstzunehmende Position tun würde), umgekehrt ist aber der auf den gramscianischen politischen Strategismus zurückgehende linke Theorie jegliche Vorstellung einer Kritik der Politik selbst für gewöhnlich sehr fern. Zweifellos kenne ich die Textgrundlage des Vortrags nicht und auch sonst nicht alle Äußerung Demirovic‘; vielleicht habe ich auch etwas missverstanden. Die grundsätzliche Ausrichtung würde ich dennoch als weiterführend werten.

Dies gilt insbesondere angesichts des Übergewichts an „falschen Illusionen“ über die deliberative Funktion des Politischen als überhistorischer und eigentlich neutraler „Aushandlungsform“. Auch hier gilt: selbst wenn Momente einer deliberativen Sozialontologie stimmen mögen, sind sie durch die „Sachzwänge“ der genuin modernen Politikform dermaßen überlagert, dass Gedanken über sie eben nicht viel mehr sein können als Gedankenspiele. Gefährliche Gedankenspiele jedoch, da sie nicht nur von den herrschenden Ideologien und fetischistischen Formzwängen ablenken können, sondern auch die Vorstellung einer Emanzipation, die „aufs Ganze“ geht, heimlich hintertreiben. Denn wenn Ökonomie und Politik als intrinsisch verwoben betrachtet werden, kann eine einseitige Überwindung nicht funktionieren. Das heißt umgekehrt natürlich, dass eine „starke“ These über die Möglichkeit einer befreiten Sozietät vertreten werden muss. Communismus kann nichts anderes heißen, als die weitestgehende Schließung der Dimensionen der Deliberation, insofern, als das Prinzip des Antagonismus tatsächlich bereits auf der Ebene der sozialontologischen Grundkonstitution des sozialen Ganzen (ich würde hier sowohl die Begriffe „Gemeinschaft“ wie auch „Gesellschaft“, wie sie seit Ferdinand Tönnies als Opposition verhandelt werden, bewusst vermeiden) von vorneherein umfassend sistiert ist. Diese Vorstellung einer „organischen Totalität“, die größtmögliche Transparenz mit größtmöglicher Solidarität verbindet, mag utopisch klingen. Aber ist nicht die reale Existenz einer „automatischen Totalität“ der Wert-Abspaltung, wie wir sie heute ertragen müssen, eine von außen betrachtet mindestens genauso abwegige Paradoxie? Wir leben in dieser Paradoxie und müssen mit ihren widersprüchlichen Konsequenzen erst einmal umgehen lernen. Hierfür bedarf es eines produktiven Diskurses kritischer Theorien, welche die Falschheit des Falschen (frei nach Titus Stahl) überhaupt verständlich machen. Trotz der Ambivalenzen sehe ich in der Möglichkeit und auch dem faktischen Ablauf einer breit angelegten und nun auch wieder „salonfähigen“ Debatte über Marx (hinaus) als wichtigen Schritt in diese Richtung. Recht schlecht prognostizierbare historische Konjunkturen „politischer“ Art mögen dazu beigetragen haben. Jedenfalls ist es, so denke ich, an der Zeit, dass diese positiven Impulse auch von der kritischen Theoriebildung aufgegriffen werden und v.a. wieder zu organisatorischer Verstetigung und einer Verstärkung der ergebnisoffenen, aber trotzdem ergebnisorientierten Diskussion miteinander führen. Um Politik wird dabei niemand herumkommen, jedoch besteht angesichts des (ideologie-)kritischen Stands der Debatte m.E. durchaus die Chance, dass Theoriepolitik nicht im Politischen aufgeht und somit weiter immanent bleibt. Hierfür muss freilich sowohl inhaltlich als auch praktisch „gekämpft“ werden, und große Veranstaltungen wie der Marx Kongress können hierzu beitragen, ebenso wie die Organisation im Kleinen. Jedenfalls gilt es – gerade angesichts der sich zuspitzenden Krisenverhältnisse – Altes zu überdenken und Neues auszuprobieren.

von Elmar Flatschart,
erschienen zuerst unter

 

Literaturverzeichnis

Demirovic, Alex. Nicos Poulantzas. Aktualität und Probleme materialistischer Staatstheorie. Münster: Westfälisches Dampfboot , 2007.

Graham, J., & Gibson, K. (2006). The end of capitalism (as we knew it). A feminist critique of political economy. Minneapolis : University of Minnesota Press.

Habermas, Jürgen. Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1982.

Anmerkungen

[1] Wem die neuesten Kleider der poststrukturalistischen Dekonstruktion noch nicht geläufig sind:  Julie Graham und Katherine Gibson traten gemeinsam als AutorInnenkollektiv auf und publizierten bis zum Tod von Graham auch stets gemeinsam unter diesem Alter-Ego. Ihre Position findet sich im bereits 1996 erschienen Werk „The end of capitalism (as we knew it). A feminist critique of political economy” (Graham & Gibson, 2006), scheint aber in der hiesigen Debatte erst in letzter Zeit rezepiert zu werden.

[2] Dies verweist auch auf die heimliche Verwandtschaft einer – idealistischen – Ideologietheorie im Anschluss an das Erbe Althussers und einer ebenso idealistischen selbstproklamierten Ideologiekritik mit Bezug auf die Habermas’sche „idealistische Rückübersetzung“ der Kritischen Theorie. Den gemeinsamen Nenner stellt der homologe Verweis auf das Politische als mehr oder minder kontingente Aushandlungsform dar. Politik wird zwar durch die von Gramsci inspirierte voluntaristische Deutung viel konfliktorischer interpretiert als durch den repressiven Reformismus der neuen Frankfurter Schule; beide sind jedoch auf dieselbe politische Formlogik als „ultima ratio“ der Kontigenz verwiesen und unterliegen gleichermaßen einer falschen Vorstellungen über die historische Formbestimmung des Politischen selbst. Das heißt nun natürlich nicht, dass alle Aspekte der einschlägigen Politik- wie Ideologietheorien gänzlich zu verwerfen sind; sie sind jedoch grundlegend zu revidieren und im Lichte einer Fetischkritik auch des Politischen neu zu betrachten.

[3] Das ist übrigens auch das gewichtigste Argument gegen eine Form von Denunziation der Fetischkritik, die ihr vorwirft, erneut „Nebenwidersprüche“ auszumachen. Wenn sich der eine, grundlegend zu bestimmende, Widerspruch der Wert-Abspaltung durch alle Aggregatzustände des Theoretisierbaren hindurch reartikuliert, heißt das weder, dass er mit scheinbar distinkten Ideologien wie Homophobie ident ist, noch von ihnen völlig unabhängig (was ja auch eine Ableitungslogik erst möglich machen würde). Es geht hier schlicht um eine andere, nicht-einwertige Art des Denkens in Widersprüchen selbst, die eine – selbst noch gebrochene – Widerspruchslogik inkarnieren. Als Formlogik ist sie damit eben nicht distinkt vom Inhalt getrennt; die Bezeichnung als „Form“ steht bloß für das dominante hierarchische Verhältnis, dass in der Wert-Abspaltung selbst impliziert ist und „das Andere“, Abgespaltene stets schon zum Nicht-Sagbaren und Unterworfenen macht.

[4] Vgl. hierzu (Demirovic 2007)

[5] Diese Tendenz zu überwinden ist im Wesentlichen auch der Kern der wert-abspaltungskritischen Kritik des ArbeiterInnenbewegungsmarxismus.