Die feministische Debatte ist heute stark geprägt von „poststrukturalistischen“ bzw. „dekonstruktivistischen“ Ansätzen, die gerade im deutschsprachigen Raum umfassend mit dem Namen Judith Butler verknüpft sind. Damit einher geht oftmals die Vorstellung, dass Feminismus nur noch in Verknüpfung mit einer performativen Queer-Theorie „zeitgemäß“ zu haben ist. Dieser inzwischen nahezu hegemoniale Trend wird allerdings nicht nur aus „politischen“ Gründen von vielen Feministinnen hinterfragt, es gibt auch zahlreiche theoretische Bedenken. Insbesondere Autor_innen mit materialistischem Background kritisieren dabei v.a. die alleinig „dekonstruktive“ Perspektive auf Geschlecht und vergeschlechtlichte Herrschaft und fordern ein „rekonstruktives“ kritisches Projekt ein, das Herrschafts-verhältnisse auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene verortet.
Der Sammelband „Feminism as Critique“ aus dem Jahr 1987 beweist, dass viele Problemstellungen von damals immer noch Gültigkeit haben, aber auch Debatten eines „rekonstruktiven“ Projekts seither eher eingeschlafen sind. In vieler Hinsicht finden sich in den oppositionellen Beiträgen „in statu nascendi“ Frontstellungen, welche auch heute feministische Theorie durchziehen, wobei das Problem der Bezugnahme auf (subjektivierende) Effekte von Macht allerdings damals noch weniger die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen ausschloss. Aus dem Anspruch, breitere Herrschaftsstrukturen zu thematisieren, resultiert bereits ein erster Fokus der Auseinandersetzung: die Trennung von Öffentlich und Privat und ihre patriarchale Funktion, die v.a. an liberalen Vorstellungen kritisiert wird. Diese ist – ältere marxistisch-feministische Ansätze zur „Hausarbeit“ aufgreifend – nur eingebettet in eine „versteckte“ gesellschaftliche Arbeitsteilung zu verstehen, die Frauen systematisch eine (symbolisch) untergeordnete Rolle zuwirft. Zeitgemäße kritische Theorie kann jedoch nicht bei dieser gleichermaßen einfachen und unkonkreten Feststellung stehen bleiben, da insbesondere in der sogenannten „Postmoderne“ eine Pluralisierung der Verhältnisse stattgefunden hat, die auch die Formen der Subjektivierung von Frauen (und Männern) betrifft.
In dem Buch versuchen sich die Autor_innen deshalb an einer differenzierten Kritik, die klassisch marxistische Überlegungen v.a. in zwei Hinsichten erweitert: einerseits mit Hinblick auf die stark von Jürgen Habermas geprägte Transformation der Kritischen Theorie Frankfurter Schule in eine „rationale Diskursethik“ der Moderne; andererseits mit Bezug auf die psychoanalytische und subjektkritische Diskussion selbst, sowie die dort verhandelten durchgängig negativen Bezugnahmen auf eine „universale Emanzipation“. Die Texte bewegen sich also im Spannungsfeld eines Projekts einer „immanenten Kritik“, das zumindest Teile des Bestehenden – und dabei oft auch eine Vorstellung von (Zwei-)Geschlechtlichkeit – als notwendige Basis der Kritik und damit vielfach auch als Teil einer möglichen Emanzipationsperspektive betrachtet. Aus dieser Position wird beispielsweise Michel Foucault, aber auch die von Jacques Lacan beeinflusste Tradition feministischer (psychoanalytischer) Theorie kritisiert. Demgegenüber sind allerdings auch Einwürfe vertreten, die auf radikalere Weise den Essentialismus einer solchen Position gerade hinsichtlich der Geschlechterdifferenz problematisieren. Am pointiertesten vertritt dies Judith Butler (die damals noch nicht weltberühmt war) in ihrem Beitrag. Auf ähnliche Weise stehen sich auf dem Terrain der Ethik zwei Positionen gegenüber: Die eine, welche spezifische Momente einer „weiblichen“ (Care-)Ethik erhalten möchte, die sich von der universalistischen Gerechtigkeitsethik unterscheidet und etwa von Habermas im Konzept der Lebenswelt (unkritisch) situiert wurde; Und die andere, welche stärker die binäre Basis von (ethischen) Unterscheidungen wie jener von Rationalität und Begehren hinterfragen möchte und dabei gar nicht mehr auf die immanenten Werte abzielt.
Im Lesekreis wollen wir uns dem spannenden und komplexen Themenfeld widmen und in respektvoller Atmosphäre über diese für ein feministisches und auch ein breiteres gesellschaftskritisches Projekt wichtigen Fragen diskutieren. Genaues Procedere und Termine klären wir gemeinsam in der ersten Einheit. Für diese sollte bereits auch die instruktive Einleitung zum Band gelesen werden.
Wann? Donnerstags, 19Uhr. Erster Termin am 21.03.2013
Wo? Theoriebüro. Pfeilgasse 33, 1080 Wien (@ „Schenke“)
Infomaterial: Flyer.pdf, Infoblatt.pdf
Lesestoff für die 1.Einheit: Einleitung.pdf
Weitere Texte werden per Mail/Hand verteilt.
Interessante Rezension des gesamten Bandes: