Extremismus-Theorie, Postpolitik und der unerschrockene Glauben an das Demokratische der Politik
Linke Theoriebildung strebt – wie jede andere auch – ihre eigene Verbreitung an. Zwangsläufig stößt die Vermittlung eigener Botschaften dabei regelmäßig an die Mauern der bürgerlichen Medien, die als einzig wirkmächtige Instanz der Verbreitung von Information den Status Quo reproduzieren. Auf den ersten Blick mag es als Erfolg erscheinen, wenn nun linke Ansätze trotz der immanenten Hürden die harte Nuss der Rezeption durch die Massenmedien knacken. Auf den zweiten Blick erweist sich jedoch oft, dass die Errungenschaft gar keine ist, vielmehr verfremdete Fragmente der Theorie übernommen werden und derart eine gar nicht genehme Rezeption befördern. Manchmal jedoch erweist ein dritter, tiefer bohrender, Blick (von außen) die Unzugänglichkeiten der Ansätze selbst, die ihnen eigentlich immer schon anhafteten und nun in der vermeintlichen „Fehlrezeption“ zu sich kommen. Dass Postpolitiktheorem von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe ist ein Paradebeispiel dieser Art von „falscher richtiger Übernahme“ durch den Mainstream. Da die Verarbeitung der Koryphäen des „Post-Marxismus“ in diesem Mainstream jedoch über den rein ideologiekritischen Aspekt hinaus kritisch gewandt dennoch einige Erkenntnisse über die Politikform in der Krise zu liefern vermag, lohnt eine Auseinandersetzung mit derartig inspirierten Analysen. Exemplarisch ins Auge fassen möchte ich hier einen längeren Artikel, der kürzlich in „Die Zeit“ erschien und als Ausgangspunkt die weitverbreitete Empörung über den „rechtsextremen Terror“ hatte. Überhaupt interessant ist dieser Text, da er sich von der phänomenologischen Oberflächenebene der spektakulär-politischen Inszenierung des Horizonts einer „Ereignispolitik“ recht schnell distanziert und sich in einer Analyse der tiefergehenden Mechanismen von Extremismen schlechthin versucht. Dabei wird nicht nur augenscheinlich vermittelt, wie eine kontemporäre Version der altbackenen Extremismustheorie aussieht, auch kommt darin die ideologische Verzerrung der krisenhaften Transformationen der Politikform idealtypisch zur Geltung. Exemplarisch lässt sich an diesem Thema also eine breitere Untersuchung der Krise der Politik anknüpfen, die ich in Folge in Form darstellender Kritik holzschnittartig herauspräparieren möchte.
Die Verwiesenheit von Extremismustheorie und Antinomie der modernen Politikform
Der Kern einer etwas differenzierteren bürgerlichen Extremismustheorie war stets die Selbstlegitimierung der eigenen demokratischen Ideale. Gemäß der „Hufeisentheorie“ gäbe es ein Spektrum des „guten“ – weil demokratieaffirmativen – Pluralismus politischer Positionen und an den unteren Enden des Bogens jeweils die linken und rechten Extremismen, die den Konsens brechen. Die Gemeinsamkeiten sind leicht benannt: Statt Friede (vulgo: Akzeptanz des bürgerlichen Gewaltmonopols) werde da Gewalt gegen das System propagiert, statt Akzeptanz anderer Meinungen (vulgo: Toleranz, solang sie nicht weh tut) die eigene verabsolutiert und statt konstruktiver Verbesserung des Machbaren im Hier und Jetzt (vulgo: Akzeptieren der „Sachzwänge“) wird auf destruktive Zerstörung des Bestehenden zugunsten eines utopischen Anderen gesetzt. Schon immer wurden in dieser Denkart normative und deskriptive Momente vermischt, der Rahmen des Bestehenden einerseits als richtiger gelobt und andererseits als einzig realistischer positiviert. Genaugenommen sind beide Argumentationsschienen eigentlich voneinander abhängig: nur weil das Bestehende auch gut ist, kann es bestehen und weil es besteht, muss es irgendwie gut sein. Dabei wird einerseits die Unumstößlichkeit eines gewissen Rahmens des Politischen festgeschrieben, der eben auf Staat, repräsentative Demokratie, das „männliche-weiße-westliche“ Subjekt als „zoon politikoon“ und nicht zuletzt auch die aufklärerischen Ideale des universalistisch-androzentrischen Denkhorizonts des modernen politischen Imaginären verweist.
Andererseits wird jedoch die Gesetztheit dieser politischen Form selbst zum Ausgangspunkt genommen für die Vorstellung von „gutem“ politischen (Aus)handeln, dem „Prozess“ Politik, der sinnbildlich in der allseitigen Hochhaltung der „demokratischen Legitimierung“ von Auseinandersetzungen zu sich kommt. Es ist also nicht bloß ein von vorneherein festgelegtes Dogma, dass demokratische Herrschaft absichert, sondern eben auch eine Art des „politischen Handelns“ selbst, welche die „totalitären“ Verwerfungen der extremistischen Ausläufer des Meinungsspektrums diskreditieren kann. Es wird abgesteckt, welche Meinung vertretbar ist und welche nicht, aber dies geschieht nicht unmittelbar, in einer taxonomischen Setzung, sondern durch eine komplexe Verwobenheit von scheinbar unumstößlichen Strukturen (die aber natürlich einem „demokratischen Prozess“ entspringen) und scheinbar offenen politischen Handlungspraxen (die ebenso natürlich auf „demokratische Institutionen“ verweisen). Diese innere Verwiesenheit, welche philosophisch eigentlich einer antinomischen Konstellation gleichkommt, ist also mehr als ein ideologisches Residuum einer bestimmten politischen Position. Vielmehr lässt sich anhand der Extremismustheorie sehr gut die sonst nicht ganz einfach offenliegende basale widersprüchliche Form des modernen Politischen dechiffrieren. Zweifellos gab es in dieser Dualität von scheinbar offener prozessualer Aushandlung des Vertretbaren (und folglich nicht durch Staatsgewalt Unterdrückten) und schon vorgefundener quasi-natürlicher Struktur des Politischen gewisse Verschiebungen, die Grundstruktur dieser politischen Form blieb jedoch relativ lange intakt. Sie weist die typische Symmetrie einer dialektischen Figur auf (beide Seiten setzen einander notwendig voraus und schließen sich trotzdem aus) und kann so mit der allgemeinen fetischistischen Verfasstheit des modernen warenproduzierenden Patriarchats assoziiert werden: Struktur und Prozess sind auf spezifische Art miteinander verwoben und erscheinen doch als getrennte, scheinbar kontingente soziale Fragmente. Die Verknüpfung beider, die dem Telos der vergeschlechtlichten Wertvergesellschaftung entspricht, steht dabei als „unsagbares Drittes“ im Hintergrund und ist auf der Oberflächenebene dualistischer Oppositionen – so etwa auch jener zwischen „rechtem“ und „linken“ Extremismus – immanent nicht mehr ausmachbar. Dies macht gerade die Schwierigkeit fetischistischer Verhältnisse aus: was „real“ ist und was bloßes Ideal lässt sich – gerade ob der oberflächlich scheinbar klaren Dualismen – so einfach nicht mehr differenzieren, eine dahinterstehende Logik der Entwicklung gesellschaftlicher Verhältnisse derart nur als gebrochene dechiffrieren. Prototypisch hat dies das Wert-Abspaltungstheorem als Weiterentwicklung der Marxschen Fetischkritik erwiesen und die darin angelegten Erkenntnisse sind analog auch für das moderne Politische urbar zu machen. Rudimentär lässt sich jedenfalls sagen: was uns – durchaus auch im radikalen Sinne – als politisch erscheint, ist so unschuldig gar nicht und die zugrundeliegende Formebene ist selbst noch zu problematisieren. Vorzüglich lässt sich dies an der heute radikalsten der radikalen Demokratie- und Politiktheorien, jener Laclau/Mouffes exemplifizieren.
Vom Leiden am Postpolitischen (featuring: Laclau und Mouffe)
Dass diese Antinomie der Politikform in bürgerlicher Extremismustheorie also nicht offenliegt, dabei jedoch die Annäherung an eine gewisse, nahezu aristotelische „goldene“ Mitte immanent durchaus einer Binnenrationalität folgt, der nicht so einfach zu entkommen ist, wird analog zur Ebene des obigen „zweiten Blicks“ einsichtig. Denn wo auf den ersten Blick von linker Seite stur die eigene minoritäre Meinung des „radikalen Dagegens“ als Absolutum gesetzt wird, kommt diese einfache, von der unmittelbaren politischen Positionierung getragene, Ablehnung der Extremismustheorie bereits nach etwas kritischer Selbstreflexion ins Wanken. Der/die gewogene politische Theoretiker/in – vorzugsweise mit politisch-philosophischer Vorprägung, gerne auch geschult an habermasianisch-(diskurs-)ethischen „Ausstiegsszenarien“ aus radikaler Systemkritik – könnte auf der ewigen Suche nach dem richtigen Fundament des eigenen politischen Handelns etwa folgenden Gedankengang entwickeln, der gewissermaßen einer transzendentalen Kritik gleichkommt: Die eigene Position soll das Bestehende radikal hinterfragen, aber zugleich natürlich nicht den Vorurteilen ihrer KritikerInnen entsprechen, also muss sie offen und vor totalitärem Dogmatismus gefeit seine. Ihr Ausgangspunkt kann folglich nicht mehr – wir leben ja längst auch in Post-Zeiten – der eine (eigene) identitäre Standpunkt sein, sei es nun „Klasse“, „Rasse“, „Geschlecht“ oder welch andere Subjektposition auch immer. Nur kein klares Fundament ermöglicht es, zugleich offen zu sein und trotzdem radikal zu kritisieren. Dies treibt den/die suchende TheoretikerIn allerdings an den Rand einer existentiellen Schwierigkeit, welche das ganze Projekt ins Wanken bringt – nur ein uneindeutiges Fundament ermöglicht weiterhin politisches Handeln abseits des Alps von Totalitarismusvorwurf und dogmatischer Versteifung; gleichzeitig ist etwas Uneindeutiges aber auch etwas, mit dem eins praktisch nicht viel anfangen kann. Die Lösung ist jedoch in Sicht mit dem Sprung auf die zweite Ebene: Es gilt schlicht das zu verteidigen, was scheinbar der kleinste gemeinsame Nenner ist, jedoch die eigene radikale Position immer noch zulässt – die Logik des offenen, undefinierten politischen Antagonismus selbst ist zu verteidigen, denn wo eine Auseinandersetzung möglich ist, kann zumindest potentiell die eigene Position durchgesetzt, „Hegemonie errungen“ werden. Sehr ähnlich schlussfolgern Laclau/Mouffe in ihrer von Gedankenexperimenten und abstrakten Schlussfolgerungen geprägten Vermählung von poststrukturalistischen und pragmatischen Argumentationsfiguren und treffen damit den Nerv der Zeit. Offensichtlich jedoch nicht nur den des linken Mainstreams, sondern auch des bürgerlichen, ja möglicherweise auch Rechten. Vor allem wenden sie sich gegen eine Erstarrung der Prozessdimension des Politischen; damit aber auch gegen einen Zustand, nämlich jenen, der nicht bloß von Laclau/Mouffe, sondern einer Vielzahl politischer PhilosophInnen als „postpolitisch“ bezeichnet wird.
Damit gemeint ist im Wesentlichen die – oftmals mit dem sogenannten „Neoliberalismus“ in Verbindung gebrachte – Transformation der politischen Landschaft in den letzten Jahrzehnten, die neben Politikverdrossenheit und „Ökonomisierung“ des (Wohlfahrts-)Staates v.a. auch eine Nivellierung der substantiellen, in einer umgangssprachlichen Diktion oft „ideologisch“ genannten, Antagonismen in der real existierenden Politik. Anstelle von „wirklichen“ politischen Kämpfen scheinen heute vielfach die Spin-DoktorInnen eines spektakulär-aufgeblasenen wie inhaltsleeren Populismus getreten zu sein. Es ist eine Binsenweisheit, dass alle großen politischen Parteien sich in den wirklich relevanten Fragen recht einig sind, ja hier eine gewisse unsichtbare Hand der „Sachzwänge“ vorzuherrschen scheint, die den ehemals so lustigen politischen Hick-Hack zu einem faden Einheitsbrei verkommen lässt. Die neoliberale Hegemonie hat also schlussendlich die demokratische Kultur quasi zugeschüttet, es gibt keinen Streit mehr und folglich auch keine Möglichkeit für radikale (linke) Positionierung. Hiergegen machen die KritikerInnen der Post-Politik – und hier kann sich nun auch unser/e geplagte linke/r TheoretikerIn wiederfinden – just ihre Vorstellung des ewigen Antagonismus stark, gewissermaßen einer Kultur des Streitens, die als solche den Kerngehalt einer „gesunden“ Demokratie ausmachen solle.
Die Schwierigkeit, welche dieser Ansatz in der Abgrenzung von bürgerlicher Extremismustheorie hat, erweist sich jedoch prompt, nämlich wenn die rein philosophischen Überlegungen für bare Münze genommen werden und ihre politisch-analytisch Substantialisierungen finden. So auch in besagtem Zeit-Artikel von Maximilan Probst. Probst dreht nun nämlich den Spieß um und stellt eine unmittelbare Verbindung zwischen der populistischen Dimension, Neoliberalismus und Extremismen her. Ähnlich wie auch im Gros linker Kritik wird der ominöse Neoliberalismus als Wurzel allen Übels betrachtet, jedoch zugleich mit dem Zustand der Postpolitik in Verbindung gebracht:
”Nun wird es in einer Demokratie immer Leute geben, die Schauermärchen erzählen und damit zu ihren Gunsten Politik machen. Die neoliberale Propaganda war nicht das Problem. Ein Problem entstand, als das Schauermärchen nach 1989 von nahezu allen geglaubt wurde (einmal abgesehen von den Ewiggestrigen der PDS). Keinem fiel eine Alternative ein, auch nicht der alten bundesrepublikanischen Linken – das war der Moment, an dem unsere Demokratie zunehmend Züge des Postpolitischen zeigte.“ (M.P.)
Klar ist: auch hier geht es um die Verteidigung „unserer“ Demokratie. Jedoch wird aus der neoliberal induzierten Vereinheitlichung ganz unmittelbar auf den Extremismus geschlossen. Denn wo alles nur noch Wurst sei – wie schon damals, in der DDR –, keine Wahl mehr zwischen verschiedenen Aufschnittsorten bestehe, suchten die Leute eben nach „jenseitigen“ Alternativen, schlachten sich ihre eigene Sau. Der Extremismus wird so quasi-materialistisch erklärt – er kommt aus eben jener Frustration des Politischen, die mit Laclau/Mouffes Postpolitiktheorem erklärt sein soll. Wenn nun der Aufwind rechtsradikaler Extremismen aus den bestehenden postpolitischen Verhältnissen hergeleitet wird und noch dazu mit dem bösen Neoliberalismus in Verbindung gebracht wird, so mag das zuerst einmal dem/der linken TheoretikerIn nicht als Fehler erscheinen. Im Gegenteil scheint damit ja doch einiges der eigenen Kritik im Mainstream angekommen zu sein. Allerdings wird natürlich sofort klar, dass mit Extremismus durchaus auch die eigene, linke Position gemeint sein kann – die gleiche Herleitung kann als Retourkutsche auch von Rechts kommen, wie der Autor im Verweis auf die „ideologische Radikalität“ (M.P.) des neuen Parteiprogramms der Linken klarstellt. Auf sicherer Seite ist dabei scheinbar immer nur die Mitte. Doch tatsächlich steht natürlich auch sie in dieser Konstellation auf tönernen Beinen. Dies wird deutlich, wenn es an die eigentliche Begründung jenes durch postpolitische Verballhornung „entfremdeten“ politischen Begehrens geht:
”Man sollte dieses politische Begehren auf keinen Fall unterschätzen. Von Aristoteles bis Hannah Arendt hat uns die Philosophie immer wieder darauf gestoßen, wie wichtig es für den Menschen ist, sich als politisch handelndes Subjekt empfinden zu können, als ein Subjekt, das in einem emphatischen Sinn über eine Stimme verfügt. Das heißt, der Mensch muss das Gefühl haben, dass seine Stimme zählt und dass diese Stimme der direkte Ausdruck persönlicher Grundüberzeugungen ist. Der postpolitische Konsens der Mitte, der sich in den Neunzigern bildete, lässt für dieses politische Empfinden aber kaum Raum, erst recht nicht, wenn diese Mitte auch noch in den Ruch gerät, ohnehin dem Diktat einer globalen Ökonomie unterworfen zu sein.“ (M.P.)
Das Begehren wird – wie bereits oben in der Kritik der Politikform angerissen – überhistorisch ontologisiert und tendenziell naturalisiert. Der Mensch ist eben ein zoon politikoon, wie gerade die Lieblingsphilosophin des liberal-intellektuellen Bildungsbürgertums, Hannah Arendt, herausstellte. Wenn es jedoch darum geht, zu erklären, was dies nun bedeutet, wird es jedoch deutlich relativistischer, die Prozessdimension des Politischen kommt zu Tage: der Mensch müsse „das Gefühl haben, dass seine Stimme zählt“ – es geht nicht darum, dass sie wirklich zählt, dass etwas bewirkt wird, oder eine tatsächliche Schnittmenge zwischen „Grundüberzeugung“ und „Realität“ existiert. Was zählt ist reale Illusion, in einem antagonistischen Prozess eine Stimme zu haben. Das scheinbar so unumstößliche politische Begehren des Menschen ist also zugleich eine recht inhaltslose Sache. Rein philosophisch bestünde hier noch keine Inkongruenz mit Laclau/Mouffe. Wird all dies realpolitisch gedeutet, so wird jedoch schnell klar, dass ein „politisches Begehren“, der „politische Antagonismus schlechthin“, nicht ohne einer historisch-materialen Inhaltlichkeit zu haben sind. Für die Position der Mitte ist dies natürlich die „rationale“ Position der abwägenden und sachlichen Auseinandersetzung, die nicht von extremistischen oder – was fast ident zu sein scheint – populistischen Positionen, welche „wesentliche Probleme zu verschleiern und vor sich herzuschieben trachte[n]“ (M.P.) übertüncht wird. Wo der Kern dieser „sachlichen Sache“ selbst zu verorten ist, wird dabei natürlich nie gefragt. „Sachlich“ und „rational“ geht es aber gemeinhin vor allem im Ökonomischen vor sich und hier beißt sich die Affirmation des Politikfetisches, der schnöden Akzeptanz des Widerspruches zwischen strukturell-ontologisierter Dimension der Politik und prozessual-kontigenter Dimension des Politischen in den eigenen Schwanz. Denn die „wesentlichen Probleme“ sind eben heute mehr denn je der gemäß oberflächlicher Wahrnehmung als dichotom-getrennt erscheinenden Sphäre des Ökonomischen zugeordnet. Die sich zuerst strikt-ökonomisch artikulierende Krise des warenproduzierenden Patriarchats war nun aber gerade der Ursprung jener – auch als politisch-hegemonial wahrgenommener – Intervention des „Neoliberalismus“, die für Probst und viele linke TheoretikerInnen zur illegitimen „wirtschaftspolitischen Handlungsunfähigkeit“ des politischen Systems gegenüber „Hochfinanz und Lobbyisten“ (M.P.) führte. Der Neoliberalismus war bekanntlich die Bewältigungsstrategie gegen das, was historisch als Krise des Keynesianismus – etwas breiter betrachtet: der fordistischen Entwicklungsphase des Kapitalismus – bekannt wurde. Die Lösungen, welche der „bürgerlichen Mitte“ hier, abseits von Versuchen, die illusionäre Dimension der politisch-prozessualen Antagonismen künstlich wiederanzuheizen, einfallen, sind bezeichnenderweise absurd. In veraltet-malthusianischer Manier wird die Bevölkerungsschraube als Vehikel der Lösung des wesentlichen Problems erachtet und festgehalten, dass „es die Einwanderer sind, die den überalterten Laden Deutschland einzig noch retten können“ (M.P.). Das einzige was sich hieraus lernen lässt: Offensichtlich ist die Angst um die eigene Rente in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen.
Jedenfalls klar ist, dass die Ansätze von Laclau/Mouffe nicht nur nichts taugen, wenn es um eine kritische Theorie der modernen Politikform geht; es hat sich auch erwiesen, dass sie mit ihrem Eintreten für die Prozessdimension des politisch-demokratischen Antagonismus völlig anschlussfähig sind für regressiv-bürgerliche Positionen, die sowohl den demokratisch-herrschaftsförmigen Status Quo absichern, als auch letztlich – sei es auf ominöse und immer offener brüchige Weise – zu einem Neuaufguss der Extremismustheorie führen. Linke Kritik schießt sich damit also doppelt ins Knie.
Hin zur Postpolitik als Phänomen systemischer Krisentendenzen
Dennoch – derart blanke und recht unmittelbar interessensbezogene Reduktionen auf das ökonomische Moment, wie sie den Abschluss des eigentlich von bildungsbürgerlich-idealistischen Grundtenor geprägten Artikel von Probst auszeichnen, verweisen nun trotzdem auf eine tiefere Wahrheit in den zugrundeliegenden Konzepten. Sie zeigt sich auf den „dritten Blick“ und stellt den wahren Kern der Postpolitikanalysen dar: Es gibt offensichtlich in der modernen Politikform kategoriale Veränderungen, die sich nicht auf sekundäre Erscheinungsformen – etwa einer Politikverdrossenheit, wie sie in der Weimarer Republik bisweilen als Folge der Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit konstatiert wird – reduzieren lassen. Denn wie Probst richtigerweise feststellt, baute jene vorübergehende „antipolitische“ Haltung gegenüber den politischen Institutionen (bzw. ihrer Unfähigkeit, die ökonomischen Probleme zu lösen) gerade auf einer Basis der sich zuspitzenden politisch-identitären Antagonismen auf. Damals konnte also keineswegs von Postpolitik die Rede sein und es käme auch niemanden in den Sinn, die Gedanken rezenter „Post-Theorie“ auf die Hochphase des Fordismus zu übertragen. Insofern ist natürlich die präsentierte weiterführende Definition von „funktionierender Demokratie“ als „heikle[r] Balance“ zwischen „extremer Lagerbildung und postdemokratischem Konsens“ (M.P.) eine ahistorisch-entkontextualisierte. Diese Balance, die sich heute als fatal-schwierig herzustellende erweist, ist tatsächlich erst unter gegebenen Verhältnissen, in der postfordistischen Krise des warenproduzierenden Patriarchats eine relevante. Augenscheinlich wird dies auch daran, dass Politik und Demokratie ganz ohne weiteres in der Beschreibung des „Post-Zustands“ in eins gesetzt werden – ganz ohne Frage ist das Politische demokratisch. Dies verweist einerseits darauf, wie sehr die Politikform sich tatsächlich hin zu ihrem Ideal der demokratischen Ausgestaltung des Politikfetisches entwickelt hat – es ist heute ganz klar, dass die Dialektik von politischer Prozess- und Verstetigungsdimension, von Illusion und Realität des Politischen sich am besten in der hegemonialen, als einzig „wahrer“ und „natürlicher“ Form geltenden Gestalt der Demokratie verwirklicht. Zugleich wird andererseits auch deutlich, dass diese Form selbst in die Krise geraten ist. Dies heißt nun eben nicht, wie in der Hochzeit der Durchsetzung des Fordismus, dass im Jenseits der Demokratie der Faschismus lauert. Auch wenn zweifellos umfassende Veränderungen hin zu autoritären Momenten konstatierbar sind, so finden diese doch allesamt innerhalb demokratischer Formhüllen statt. Ausgehöhlt wird dabei aber nur, was immer schon hohl war – dies erweist augenscheinlich die fetischistische Basis der Eingrenzung des politischen Rahmens und der Ausgrenzung des Extremismus. Dass diese Basis nun selbst in die Krise gerät, ist allerdings kein Zeichen eines immanenten bzw. immanent lösbaren Problems, sondern deutet auf eine gesamtgesellschaftliche Krisendynamik hin, in der ökonomische und politische Momente nicht bzw. nicht mehr – oder jedenfalls immer weniger – distinkt zu halten sind. Während der gesamten Entwicklungsphase des warenproduzierenden Patriarchats waren Politik und Ökonomie zwar schon immer dialektisch verwoben, artikulierten sich jedoch – mit unterschiedlichem Akzent – stets als getrennte Sphären. Die Dominanz von im engeren Sinne „politischen“ und „ökonomischen“ Aspekten variierte dabei historisch, analog zu unterschiedlichen Durchsetzungsstufen des Systems. Bekanntlich stand oftmals eine absolutistisch-etatistische Überdominanz eines (sich selbst erst etablierenden) „starken Staates“ am Anfang der „Erfolgsstory“ des Kapitalismus. Die nachholenden Modernisierungsregime des „realsozialistischen“ Ostens sind ein später Nachklang dieser Tendenz, ebenso wie sie allgemeine „Zyklen“ der relativen Dominanz politischer und liberal-marktförmiger Regulationsmodi darstellen. Kennzeichnend für die gesamte Durchsetzungsgeschichte war jedoch die sich erweiternde Aufgliederung und immanente funktionale Stabilität des Politikfetisches selbst – auch in nicht-demokratischen Verhältnissen war stets ein relatives Equilibrium zwischen antagonistischen Dimensionen der (vermeintlichen) Interessensdurchsetzung und verstetigten Aspekten der (scheinbar) natürlichen politischen Strukturen vorzufinden. Diese Kondition gerät heute immer mehr ins Trudeln und die meisten jener Phänomene, die unter dem Label „Postdemokratie“ firmieren, lassen sich in Wahrheit als Erscheinungsformen einer umfassenderen, systemischen Krise verstehen. Postpolitik heißt insofern wirklich „nach der Politikform“ – denn eine Rückkehr zum Status quo ante ist nicht absehbar. Dies ist alleine schon im Verweis auf die ökonomischen „Sachzwänge“ augenscheinlich; die Tendenz zu einer allgemeinen Systemkrise ist jedoch darüber hinaus bereits logisch in der fetischistischen Gestalt nicht nur der ökonomischen, sondern auch der politischen Form angelegt: gewissermaßen hat sich die moderne Demokratie als fetischistischte und komplexestes Artikulation dieser Form über sich hinaus und gegen sich selbst durchgesetzt. Die Grenzen zwischen Illusion und politischer Realität – in der Oberflächenwahrnehmung: Populismus und Sachpolitik – verwaschen zunehmend unter dem Primat einer ökonomisierten „Rumpfpolitik“, die zwar nicht das gesamte Politische determiniert, jedoch immer mehr zum aporetischen „wesentlichen Problem“ der Politikform wird. Demokratie wird damit nicht ausgesetzt, sondern in ihrer totalen Durchsetzung – es kann durchaus vom „Totalitarismus der Demokratie“ gesprochen werden – zu ihrer eigenen Verfallsform. Die „heikle Balance“ des Politikfetisches wird demgemäß zunehmend prekär oder gerät mit sich selbst in Konflikt, wenn „Sachpolitik“ in der Krise als solche illusionär wird und „Populismus“ zum tatsächlichen Movens des Politischen zu werden scheint.
Von dieser – gebrochenen – Tendenz sind nun mutatis mutandis schlussendlich auch die Schwierigkeiten mit der Extremismustheorie betroffen. Denn die Crux an der Extremismusdefinition – und somit auch des Argumentationsgerüsts des besprochenen Artikels – in postpolitischen Zeiten ist, dass die Basis der Bestimmung einer genuin politischen Mitte vielfach immer schwieriger wird. Denn wenn populistische Verwaschungen, Politikverdrossenheit und Selbstrelativierung politischer Institutionen sich nicht bloß als Abkehr von einer – bloß wiederherzustellenden – „wahren“ politischen Form erweisen, sondern vielmehr die kontemporäre, durchgesetzte Gestalt dieser Form selbst in ihrer Krise darstellen, so wird die Ein- und Abgrenzung zunehmend problematisch. Dies ist jedoch kein Grund zur Freude für linke Emanzipationsprojekte, auch wenn sie der Politikform – sowohl im von Laclau/Mouffe akzentuierten antagonistisch-prozessualen Moment des Politischen als auch im verstetigt-institutionellen der (Sach-)Politik – immer schon kritisch gegenübergestanden haben. Denn was sich radikal gegen die systemische Logik auch noch in ihrer Verfallsform wendet, wird von ihr weiterhin bekämpft werden. Die Krise der Politik macht es im Gegenteil zunehmend schwieriger, die eigenen Ansätze, Theoreme und Praxen zu situieren – auch, aber nicht ausschließlich hinsichtlich der Opposition von „links“ und „rechts“. Deutlich wird dies nicht nur in einer oberflächlichen Kritik an „Neoliberalismus“, „Finanzkapital“ und „Ökonomisierung“, die von links und rechts zunehmend identisch wird. Viel grundlegender äußert es sich in der Problematik der schwieriger werdenden Scheidung der politischen und ökonomischen Sphäre, die auch emanzipatorische Praxen ihrer klaren Wirkungsmodi beraubt. In letzter Instanz kommt dabei eine Unselbstständigkeit des Politischen zu sich, die ihre grundsätzliche Grenzen im Formenkorsett des warenproduzierenden Patriarchats selbst hat: das Politische konnte noch nie umfassend, kann nun aber zumindest immer weniger als offene Form der Herstellung von Konsens, Entscheidung und Repräsentation unter frei handelnden vergesellschaften Individuen verstanden werden. Das Utopische im Politischen geht zunehmend verloren – dies muss selbst noch aus der Kritik der Position von Laclau/Mouffe mitgenommen werden. Was politisch (artikulierbar) ist, wird infolgedessen in Hinkunft noch umfassender von der herrschenden Fetischlogik subsumiert werden, wenn sich die Antinomien der modernen Politikform unter dem Vorzeichen der systemischen Krise zuspitzen. Mehr denn je wird es vor diesem historischen Hintergrund der kategorialen Kritik bedürfen, die zwar nicht handlungs- aber doch richtungsweisend sein kann. Inwiefern die Erosion der Politikform zugleich auch emanzipatorische Projekte der „Anti-Politik“ befördern kann, wird sich dabei zu erweisen haben. Jedenfalls sollte eines nicht erst nach der Lektüre der bürgerlichen Rezeption, sondern bereits der affirmativen Theoretisierung durch Laclau/Mouffe klar sein: die moderne Politikform ist ebenso wie die des Ökonomischen radikal zu überwinden, wenn eine wirkliche andere Gesellschaft angestrebt wird. Dass dies nur durch die Bearbeitung und umfassende Überwindung der bestehenden Widersprüche hindurch machbar ist, sollte dabei nicht vergessen werden.
Probst, M. 2011. Der falsche Frieden. Die Zeit 24.11.2011., in Hinkunft als (M.P.) zitiert.
Die Unterscheidung zwischen Politik und Politischem spielt in Theorien der Post-Demokratie/Politik bisweilen eine relevante Rolle. Während sich die poststrukturalistisch inspirierten Ansätze zumeist einseitig auf die Seite des Politischen schlagen und Politik im verstetigten Sinne – bis hin zur Gleichsetzung letzterer mit „polizey“ bei Jacques Ranciere – kritisieren, konstituiert sich der moderne Politikfetisch gerade in der Vermengung beider Seiten. Die idealistische Reduktion auf das Politische verbaut postmodernen Ansätzen folgelogisch die Dechiffrierung der materialen Seite der eigenen Affirmation von Demokratie und Politik.
Autor: Elmar Flatschart
EXIT. Krise und Kritik der Warengesellschaft: