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Weihnachtskritik = Religionskritik = Gut?

Oder: Warum einfache Gleichungen meist gar nicht so einfach sind

Vor mehr als 150 Jahren schrieb ein Mann mit langem weißen Bart: „Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.”1 Obwohl dieser Mann oft mit der Farbe Rot assoziiert wird, handelt es sich nicht um den Weihnachtsmann. Auch hat der Mythos, welcher von ihm ausging, eindeutig mehr Wahrheitsgehalt als jener um Santa Claus. Nun gilt es, jedwede Mythologie beständig zu hinterfragen und Weihnachten scheint ein guter Zeitpunkt zu sein, um dies zu tun. Zuerst stellt sich die Frage: Ist Weihnachten überhaupt noch ein Fest der Religion? Die Kritik an Kommerz, Spektakel und Leerheit des „Weihnachtsgedankens” wird immer lauter und kommt aus verschiedensten Ecken der Gesellschaft. Diese Wahrnehmung ist so weit verbreitet, dass sich gar unheimliche Gemeinsamkeiten auftun zwischen jenen, die für und wider das Jesuskind streiten : In der Kulturkritik am „amerikanisierten” Weihnachten treffen sich religiös/spirituell Motivierte mit KämpferInnen gegen den Kapitalismus. Scheinbar fallen der Standpunkt der Kritik der Religion und ihrer Verteidigung zusammen und bilden ein Ressentiment, das durch breite Schichten der Bevölkerung geht. Bloß: Es ändert nichts. Weihnachten bleibt wie es ist. Eine paradoxe Mischung aus nicht einholbaren Erwartungen und der schnöden Realität des Kaufens und Schenken(müssen)s.


Auf zur Religionskritik!

Beide Punkte, die ideologische Verkehrung und die von ihr sehr offen divergierende Realität, schreien nach einer Erklärung. Es bietet sich hier an, bei dem Grundgedanken zu beginnen, der zumindest für Linke viel zu unhinterfragtes Essential ist: Was bedeutet es, dass die Kritik der Religion Voraussetzung aller Kritik ist? Damit gemeint ist nämlich nicht einfach (nur), dass Religion zu kritisieren ist. Gesagt wird, dass es sich dabei um eine Vor‐Aussetzung handelt, etwas, das eben zeitlich, aber auch inhaltlich, vorauszugehen hat. Es war dies freilich das große Steckenpferd der Aufklärung, dass die alte Welt des Glaubens an übernatürliche Determination zerschlagen wurde. Nicht mehr die Religion sollte das herrschende Bindeglied von Gesellschaft sein, sondern Vernunft. War das im 19. Jahrhundert noch nicht zu Ende gebracht, so kann das vom 20.Jahrhundert mit Fug und Recht behauptet werden. Religion bleibt zwar ein wichtiger ideologischer Apparat, sie ist jedoch in vielen Teilen der Welt kein gesellschaftsordnender Faktor mehr. Sie wurde quasi aus dem Öffentlichen ins Private verschoben und reüssiert hier heute auf dem postmodernen Markt der Identitäten als eine neben anderen identitätsstiftenden Instanzen. Religion zu kritisieren ist also weiterhin legitim, es sollte jedoch der neue Kontext, in dem diese Kritik sich bewegen muss, berücksichtigt werden. Eine aufklärerische Kritik, die der Religion bloß die Vernunft gegenüberstellt und die
Meriten der modernen verwissenschaftlichten Welt hochhält, greift deshalb zu kurz. Einerseits übersieht sie die historische Veränderung, welche die gesellschaftliche Rolle der Religion durchgemacht hat – es kann nicht die eine, „objektive” Kritik geben, sondern Religionskritik muss zuerst Kritik der gesellschaftlichen Funktion von Religion sein. Andererseits muss auch ideengeschichtlich weitergefragt werden, nämlich ob nicht der Standpunkt der Kritik selbst kritisiert werden
sollte. Denn es stimmt zwar, dass die Kritik aller vormodern‐religiösen Sinnsysteme eine notwendige Voraussetzung jedweder Emanzipation ist – in ihnen gibt es schlicht keinerlei Selbstbestimmung der Menschen, nur Schicksal. Allerdings heißt das nicht, dass dabei stehen zu bleiben ist. In vielerlei Hinsicht stellt die aufklärerische Vernunft selbst eine neue, religionsartige Ideologie dar und erfüllt so eine herrschaftslegitimierende Aufgabe2. Zweifelsohne wäre es falsch, den „Glaube an die Vernunft” mit jenem an Gott gleichzusetzen. Die durch aufklärerische Vernunft vermittelte Herrschaftslogik verläuft in einer komplexen Verkehrung, die als „Dialektik der Aufklärung”3 fassbar ist – als gleichzeitiger Prozess der Emanzipation und Unterwerfung unter eine „instrumentelle Rationalität”, wie sie für das moderne warenproduzierende Patriarchat kennzeichnend ist. Es ist also dieser kleinste gemeinsame Nenner einer Identitätslogik der Ware, der uns in der Form der Vernunft begegnet, die strukturell männlich ist. Alle darin nicht aufgehenden Elemente des Sozialen werden abgespalten, als natürlich, inferior oder schlicht nicht bezeichenbar markiert, um schließlich als „das Andere” projiziert zu wer‐den. Klassisch hat für diese widersprüchliche „Sphärenteilung”, die gleichzeitig auch eine Art von Arbeitsteilung ist, vor allem „die Frau” herhalten müssen. Religionskritik, die nicht gleichzeitig Gesellschaftskritik ist und die Dialektik der Aufklärung nicht mitdenkt, tendiert folglich dazu, ideologisch zu werden. Eine gesellschaftskritische Position, die nicht die spezifisch modernen Mystifikationen avisiert, läuft hingegen Gefahr zu bloßem Moralismus zu degradieren. Kapitalismus ist für sie nur deshalb schlecht, weil er schlechte Phänomene produziert, aber nicht, weil er auf einem grundverkehrten Prinzip beruht. Soweit, so philosophisch.

Was lässt sich hiermit nun unter dem Christbaum anfangen?
Wie es sozial wirkmächtige Rituale so an sich haben, kommt es auch bei diesem zu einer Kulmination gesellschaftlicher Widersprüche. Das „Fest der Stille” soll aus dem kapitalistischen Alltag reißen und eben jene (abgespaltenen, oft auch „weiblichen” ) Seiten betonen, die für gewöhnlich zu kurz kommen: Intensive soziale Interaktion im Kreis der Nahestehenden (zumeist Familie), Ruhe und Besinnung (oft in Verbindung mit Spiritualität) und rituelle Reproduktion der eigenen kulturellen Identität (die durchwegs völkischkonservativ aufgeladen ist). Dass dies aber meistens nicht funktioniert, im Gegenteil oft in Entmutigung, Familientragödie oder anderen psychischen Ausnahmezuständen endet, wird nun im „Massenbewusstsein” so verarbeitet, dass das eigene Scheitern dem vermeintlich Anderen, Kommerziellen – sinnbildlich: dem Coca‐Cola‐Weihnachtsmann – in die Schuhe geschoben wird. Und dies trifft eben nicht nur für die VerteidigerInnen der Religion zu, sondern auch für ihre KritikerInnen. Die ach so vernünftige, atheistische, vielleicht sogar linkspolitische Position fühlt sich weit erhaben über all das, was Weihnachten bedeuten soll. Sie kritisiert wahlweise Religion oder Kapitalismus, verkennt aber deren innere Gemeinsamkeit. Meine These ist, dass das Scheitern an dem Ritus Weihnachten ein viel breiteres Phänomen ist, als es seine GegnerInnen wahrhaben wollen. Denn viele sind mit der sozialen Praxis Weihnachten sozialisiert, die (oft fremden) Erwartungen, aber auch (ganz eigenen) Bedürfnisse
sind tief verwurzelt. Wir gehen nur unterschiedlich damit um. Letztlich gibt es auch keinen „richtigen” Umgang mit Weihnachten. Es gibt notwendige Kritik, beispielsweise an dem bigotten Familien‐Kitsch, in dem vielfach ein altes (strukturell patriarchales) Familienideal gegen die Realität der neuen Patch‐Work‐Familien ausgespielt wird. Nicht nur als Ideologie ist dieser zu kritisieren, sondern auch auf Grund des Leides, das dadurch alljährlich entsteht. Es sollte aber auch hinter die Ideologien (von Religion und Vernunft) geblickt werden, denn dort befinden sich basale Bedürfnisse der Menschen, die in der herrschenden Gesellschaftlichkeit kaum einlösbar sind. Sie werden von ApologetInnen der Vernunft wie auch der Religion nicht ihrem eigentlichen Gehalt nach gesehen. Denn die Bedürfnisse nach Emotionalität (die allzu oft in Spiritualität eskamotiert werden), nach ehrlichen und nahen sozialen Bezügen (die im Korsett Kleinfamilie schon immer zum Scheitern verurteilt waren) und ja, selbst nach sinnvollen gesellschaftlichen Ritualen, sollten nicht ignoriert, sondern als normatives Ziel von Gesellschaftskritik ernst genommen werden. Weihnachten ist nicht zu retten, wie auch die Gesellschaft, die es hervorbringt. Aber gerade deshalb ist es als Phänomen auch nicht zu ignorieren, sondern kritisch aufzugreifen. Denn es bleibt letztlich niemandem erspart, persönlich einen erträglichen Umgang mit Weihnachten zu finden.

Anmerkungen

1 Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. MEW 1, S. 378

2 Ein Literaturtipp für eine kontroverse Position zum Thema: Robert Kurz: Blutige Vernunft. Horlemann.

Bad Honnef 2006

3 Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Suhrkamp.

Frankfurt/Main 2006

 

Autor: Elmar Flatschart, 2009.

Erschienen in Unique:

 

Siehe