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Arbeit? Welche Arbeit?!

Arbeit scheint ein alltägliches Konzept zu sein und als solches kaum hinterfragenswert. Konkrete Arbeitsverhältnisse mögen ob ihrer Verfasstheit (z.B. als moralisch verwerflich) von Interesse für den kritischen Blick sein, auch polarisieren bestimmte Arbeiten, wie etwa Sex-Arbeit; Der Arbeitsbegriff selbst wird jedoch kaum reflektiert. Dabei ist er als Gattungsbegriff von sich aus bereits mit einer spezifischen Aufladung versehen, die sowohl gesellschaftstheoretische als auch ideologiekritische Relevanz haben kann.

Eine Begriffsbestimmung führt dies deutlich vor Augen: Arbeit stammt vom lateinischen „arvum“, das Feld, ab und ist somit mit einer spezifischen, mühseligen und schmerzvollen Tätigkeit assoziiert. Ähnlich hat bspw. auch das französische „travail“ seinen Ursprung in einem recht unbequemen Bezugsrahmen: es stammt vom lateinischen „tripalus“ ab, was ein Folterwerkzeug war.1 Wie kam es zu dieser eigentümlichen Genese des heute so normal erscheinenden Begriffs? Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass Arbeit eine relativ neue Gattungsbezeichnung ist. Der Begriff war vor der Moderne als solcher nicht bekannt, es war nicht intelligibel, dass alle möglichen, sehr unterschiedlichen Tätigkeiten unter einem Begriff zusammengefasst werden könnten. Dies ist jedoch nicht nur ein bloß ideelles, ein begriffliches Problem, denn Arbeit ist – gerade auf Grund ihrer Ubiquität – eine ganz besondere sozialwissenschaftliche Kategorie. Anders etwa als die Begriffe „Haus“ oder „Tisch“, bei welchen das bezeichnete Signifikat relativ unproblematisch erscheint und eine gewisse überhistorische Persistenz beanspruchen kann, steht Arbeit ganz unmittelbar mit einer bestimmten gesellschaftlichen Entwicklung in Verbindung. Arbeit ist eine kapitalistische Kategorie und streng genommen ist es eine illegitime Rückprojektion, wenn Tätigkeiten in anderen historischen Formationen als „Arbeit“ verstanden.

Diese Art von Rückprojektion ist natürlich nicht immer problematisch, z.B. wenn es nur um den versinnbildlichenden Gehalt des Begriffes Arbeit geht. Wird jedoch eine historisch-materialistische Analyse angestrebt, d.h. eine, die ideelle und materielle Aspekte von Geschichtlichkeit zusammendenkt, ja in ihrer Wechselwirkung betrachtet, so verbietet es sich dieses Konzept ahistorisch zu essentialisieren. Denn die Abstraktion Arbeit beruht nicht nur auf einer rein begrifflichen Vereinheitlichung verschiedenster Tätigkeiten, sondern verweist auf eine historische Entwicklung, hinter die zwar nicht mehr zurückgegangen werden kann, die jedoch in ihrer Eigenqualität akzentuiert werden muss. Als solches ist Arbeit nicht irgendeine Abstraktion, sondern eine Realabstraktion. Dieses von Alfred Sohn-Rethel (Sohn-Rethel 1973) systematisch entwickelte Konzept soll verdeutlichen, dass manche Abstraktionsleistungen eben nicht bloß im Kopf erfolgen (können), sondern gewissermaßen unmittelbar mit einer zugrundeliegenden historischen Realität verknüpft sind. Diese Verknüpfung von Denken und Materialität wird eben dann schlagend, wenn die verhandelten Tatbestände nicht bloß beliebige (sozialen) sind, sondern eine spezifische Rolle in der gesellschaftlichen Synthesis spielen. Wenn also nachgewiesen werden kann, dass Gesellschaftstheorie um ihre Konzeptualisierung nicht herumkommt, die Kategorie allgegenwärtig ist und somit als konstitutiv für die Erschließung von Denken und Realität gleichermaßen zu gelten hat. Um dieser Eigenheit der Arbeit als moderner Kategorie nun nachzugehen, bietet sich immer noch die von Karl Marx ersonnene Herleitung von Arbeit an.

 

Arbeit bei Marx

In der Marxschen Darstellungslogik des Kapitals nimmt die Arbeit eine zentrale Rolle ein. Marx Kritik der Politischen Ökonomie fußt auf einer Kritik der Arbeitswertlehre der Klassiker, welcher er vorwirft, das Verhältnis von Inhalt der Arbeit (bestimmte Tätigkeit) und ihrer Form als Tätigkeit schlechthin, eben als Arbeit, nicht genügend reflektiert zu haben. Er hebt dabei hervor, dass Arbeit, wird sie idealtypisch betrachtet, stets zwei Seiten hat. Sie ist einerseits konkrete Arbeit, insofern sie stets eine bestimmte Tätigkeit ist; andererseits ist sie aber auch abstrakte Arbeit, nämlich insofern sie einen spezifischen gesellschaftlichen Charakter aufweist, der in bestimmter historischer Weise zu deuten ist. Abstrakt ist Arbeit, insofern sie Waren herstellt und somit Wert schafft. Abstrakte Arbeit bei Marx ist bezogen auf die gesellschaftliche Synthesis zu denken, die am Markt bloß in der privat(rechtlich)en Form erscheint: die methodologische Perspektive des vereinzelten Einzelnen muss erst historisch hergestellt werden, sie ist eben nicht vorauszusetzen (wie dies etwa die klassischen Ökonomen noch taten). Der Status Quo, dass Individuen im Kapitalismus als BesitzerInnen der Ware Arbeitskraft fungieren, verweist auf eine meist blutige Durchsetzungsgeschichte der „Proletarisierung“, in der die Menschen gegen jene real stattfindende Subsumption kämpften. Dies darf nicht vergessen werden, denn diese Kämpfe gegen die Subsumption unter die Arbeit versinnbildlichen ihre historische Relativität und Bezogenheit ebenso wie sie auf die gesamtgesellschaftliche Tragweite der Arbeitsvergesellschaftung hindeuten. Das heißt natürlich nicht, dass die Menschen im Umbruch zur Moderne gegen eine Kategorie kämpften; sie kämpften aber gegen die Durchsetzung von gesellschaftlichen Verhältnissen, die eine homogenisierende Versachlichung darstellten, welche durch die vereinheitlichende Begriffsfindung repräsentiert wird.

Die Kämpfe dagegen lassen sich auf vielen Ebenen nachvollziehen; Nachdem sie alle möglichen Tätigkeiten, die früher außerhalb einer sachlichen, privaten Form stattfinden konnten, betraf, ist auch der Bruch nicht nur „rein ökonomisch“ zu betrachten, wie es die Exemplifizierung bei Marx noch war, der u.a. auf die „Einhegung“ von ehemals gemeinen Land durch proto-kapitalistische GroßgrundbesitzerInnen verwies. Es könnt etwa auch argumentiert werden, dass die Durchsetzung der Arbeit zugleich auf die Etablierung des modernen Subjekts verweist, das seinerseits maßgeblich auch als arbeitendes auftrat. Dabei wurde – schon längst bevor vom klassischen „Fabrikarbeiter“ des 19. Jahrhunderts die Rede sein konnte – ein Prozess der Normierung und Normalisierung in Gang gesetzt, der u.a. Frauen ausschloss, ihnen tendenziell einer Art „Natürlichkeit“ zuwies, die sie einerseits auf ihre biologische Funktion in der Fortpflanzung reduzierte, andererseits aus der Welt der Arbeit, verstanden als „Naturunterwerfung“ hinausdrängte. Auch wenn dies natürlich nie für eine relevante Menge der Bevölkerung faktisch zutraf – Frauen waren immer auch schon in der öffentlichen Sphäre der Arbeit zugegen – so etablierte sich auf einer symbolischen Ebene dennoch diese spezifische patriarchale Kodierung, die eben gesamtgesellschaftlich und durch die Individuen hindurch wirkt. Dies gehört ebenso zum Wesen der Realabstraktion Arbeit, was Marx in dieser Weise freilich nicht interessierte.

Abstrakte Arbeit impliziert aber auch bei ihm immer schon eine größere Aggregatebene, ist niemals als „einfache Kategorie“ zu fassen. Sie ist auf das Kapital bezogen, dem sie auf der Oberflächenebene der gesellschaftsimmanenten Antagonismen im Klassenkampf gegenüber steht. Arbeit als wertschaffende Tätigkeit will und muss immer schon ausgebeutet werden; sie muss Mehrwert produzieren, der akkumuliert wird und als Kapital prozessieren kann. Beim Kapital ist es offensichtlich, dass es nur als gesellschaftliche Prozesskategorie zu erfassen ist: denn eine Bewegung, in der am Anfang dasselbe wie am Schluss steht, nämlich Geld, kann in einer analytischen Binnenperspektive auf „das Einzelne“ nur als tautologisch, ja widersinnig erscheinen. Erst die prozessuale und gesamtgesellschaftliche Ebene und damit das beständige „Wachstum“ als Garant für eine quantitative Verschiebung (Vermehrung der „Königsware“ Geld), die zugleich auch eine qualitative ist (Ausdehnung des „automatischen Subjekts“ Kapitalismus), macht Kapital denkbar. Kapital ist also letztendlich nur als Totalitätsprozess zu konzeptualisieren. Bei der Arbeit scheint dies hingegen nicht so selbstverständlich zu sein, sie scheint als individuelle, überhistorische Bezeichnung für Tätigkeit schlechthin ein „einfacher“ Gattungsbegriff zu sein. Da Arbeit als Substanz des Kapitals jedoch direkt auf jenes verwiesen ist, kann aber auch sie strenggenommen nicht auf der Ebene einer vereinzelten Tätigkeit erschlossen werden:

„Der besondren Substanz, worin ein bestimmtes Kapital besteht, muß natürlich die Arbeit als besondre entsprechen; aber da das Kapital als solches gleichgültig gegen jede Besonderheit seiner Substanz, und sowohl als die Totalität derselben wie als Abstraktion von allen ihren Besonderheiten ist, so die ihm gegenüberstehende Arbeit hat subjektiv dieselbe Totalität und Abstraktion an sich.“ (Marx 1983, p. 218)

Obwohl die Entwicklung des Arbeitsbegriffs bei Marx ihre Ambivalenzen hat und sicherlich nicht unisono in jener radikal arbeitskritischen Lesart aufgeht, lassen sich seine Ausführungen doch mit jener oben vorgeschlagenen radikalen Kritik vereinbaren. Als Totalitätskategorie müsste Arbeit deshalb ebenso rigoros kritisiert werden wie das Kapital.

 

Arbeit oder/und Hausarbeit?

Nur wenn dies vorausgesetzt wird, lässt sich schließlich auch eine Schwierigkeit überkommen, welche der geschlechterblinde Marx wiederum gar nicht sah, die jedoch die (sozialistische) Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts massiv tangierte: die Frage nach der gesellschaftlichen Qualität der sog. „Hausarbeit“, all jener Tätigkeiten, die im privatisierten Bereich zur Reproduktion der (gesellschaftlich produzierten) atomisierten „Lebenseinheit“ Familie, aber insgesamt natürlich (damit) auch zur Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems als solchem beitragen. Denn der Streit darüber, ob diese Tätigkeiten betrachtet mit der Brille eines „methodischen Individualismus“, also reduziert auf eine einzelne, idealtypische „Situation“, nun Wert schaffend sind oder nicht kann auf dieser Ebene gar nicht gelöst werden und sollte einem kritischen Ansinnen folgend auch gar nicht auf ihr behandelt werden; Vielmehr ist die grundsätzliche patriarchale Spaltung auf der gesellschaftlichen Totalitätsbene, auf der sie beruht, zu untersuchen. Die Herausbildung eines warenproduzierenden Patriarchats, welches beständig eine „Wert-Abspaltung“ hervorbringt, vergeschlechtlichte Dualismen produziert, die symbolisch das Männliche privilegieren und eine (symbolische und sich auch strukturell verstetigende) Sphärentrennung mit sich bringen, hat dabei als Vorlage zu dienen. Diese gesellschaftstheoretische Vorlage ist jedoch keine zeitlose, essentialistisch zu betrachtende, ebenso wie sie nicht vermittlungslos auf die Ebene des Einzelfalls, der Individuen, der Tätigkeiten in einer spezifischen Situation transponiert werden kann. Es lässt sich also sagen, dass en gros jene Tätigkeiten, die mit der gesellschaftlichen Maschine des Kapitals verknüpft sind „Arbeit“ darstellen, während all jene, die hiervon distinkt gehalten werden, die Reproduktion der Arbeitenden sichern, dieser Qualifikation entbehren. Dies lässt sich erneut weit interpretieren, z.B. auch in einem globalen gesellschaftlichen Raum, wo die (westliche) Welt der durchgesetzten Arbeit nur die Spitze eines Eisbergs von halbformellen oder gar nicht in einer kapitalistischen Arbeitsform erscheinenden Tätigkeitsformen ist. Gewissermaßen könnte gesagt werden, dass hier tatsächlich eine Analogie besteht, denn ohne Zweifel baut das westlich-hegemoniale System der Arbeit schon alleine insofern auf die Peripherie, als jene maßgeblich zur „stofflichen Reproduktion“ qua natürliche Ressourcen beiträgt. Ähnlich argumentierten auch bereits die Bielefelder Subsistenztheoretikerinnen (Werlhof 1983), jedoch eben ohne dem arbeitskritischen Totalitätsbezug. So zogen sie aus der an sich interessanten theoretischen Erweiterung falsche, weil allzu unmittelbare politische Schlüsse. Denn Reproduktion und Produktion, hegemoniale und subalterne Momente sind eben nicht einfach aufzulösen, indem festgehalten wird, dass ja eigentlich eine große Masse an nicht-wertschaffenden Tätigkeiten die Basis der kapitalistische Ökonomie im engeren Sinn ist und dieser Tatsache nur politisch Geltung verschafft werden muss. Denn dies würde gerade die eigentliche (patriarchale) Herrschaftslogik des Kapitalismus ignorieren, die in der fetischistischen Verkehrung von Inhalt und Form liegt: es ist kein „reales“ Substrat, keine „wirkliche“ Basis der Tätigkeiten ausmachbar; „real“ wird nur, was in der Form aufgeht und zugleich ist die Form der Arbeit die einzige relevante Realität. Die damit einhergehenden Ausschlussmechanismen sind konstitutiv und spannen ein Netz immanenter Widerspruchsachsen auf, die sich beständig auftun, wenn eine transzendierende Perspektive angestrebt wird. Hiergegen kann im Einzelnen natürlich sehr wohl aufbegehrt werden; die systematische Ignoranz gegenüber reproduktiven Tätigkeiten (im Haushalt wie auch in globalerer Perspektive), ja ihre gesellschaftlich wirkliche Irrelevanz wird dadurch aber niemals überwunden werden. Hierfür müsste die gesamte Logik der Arbeit als hegemoniales, gesellschaftsordnendes Prinzip ausgehebelt werden.

Wider der Politik vom Standpunkt der Arbeit aus

Im Lichte dieser kategorialen und geschlechterkritischen Arbeitskritik lässt sich dann auch die Politisierung des Begriffs Arbeit in der klassischen ArbeiterInnenbewegung problematisieren. Sie musste in zweierlei Hinsicht zu kurz greifen.

Einerseits bezog sie sich durch und durch positiv auf Arbeit, nicht nur im Sinne der Standpunktposition des Proletariats, sondern noch viel weitergehend mit Bezug auf die „produktiven“, schaffenden Seite der Arbeit und der zugehörigen kulturellen Vermittlung (z.B. des „Proletkults“). Die (enthistorisierte) Betonung der Produktivität und des Wachstumsaspekts war jedoch im Totalitätsbezug natürlich stets auf die Kapitalseite verwiesen. Die verquere „staatskapitalistische“ Akkumulation der realsozialistischen Länder verdeutlichte dies anschaulich, da in ihr – trotz des Versuches der Eliminierung von Marktkonkurrenz und Klassenherrschaft – weiterhin der stumme Produktivitätszwang einer „sekundären Arbeitsvergesellschaftung“ wirkte2. Dass Kapitalismus als totalitäre Vergesellschaftung in pluralsten Spielarten auftreten kann und selbst noch in gemäß der eigenen Logik defizitärer Form (ohne umfassender Marktvermittlung) relativ lang existieren konnte, lässt sich hieraus lernen. Ebenso sollte hieraus der Schluss gezogen werden, dass der positive Bezug auf Arbeit immer in eine Sackgasse führt. Auch eine vorsichtigere Politik, die den Arbeitsstandpunkt verteidigen will um ihn letztlich abzuschaffen, ist hier noch kritisch zu betrachten: Sie hat zwar ihre immanente Berechtigung in den alltäglichen (Über-Lebens-)Kämpfen der Arbeitenden; dennoch ist sie letztlich nicht nur insofern durch und durch immanent, als sie auf das Hier und Jetzt bezogen ist, sondern auch zu problematisieren, weil sie dazu tendiert den Status Quo zu verfestigen und somit letztlich sogar noch der Durchsetzung der weiteren Arbeitsvergesellschaftung zuzuspielen.

Schließlich ist allerdings die arbeiterInnenbewegte Politisierung der Arbeit auch in einer patriarchatskritischen Hinsicht letztlich nicht zu halten. Denn im Standpunkt der Arbeit wird niemals das (weibliche) Andere aufgehen können, es wird ihm bei allen Annäherungsversuchen stets äußerlich bleiben müssen, da auf einer tiefen symbolischen Ebene Arbeit als „Motor“ des warenproduzierenden Patriarchats immer männlich besetzt bleiben wird. Dies selbst dann noch, wenn es gar nicht mehr „biologische Männer“ sind, die da arbeiten – die Rollenzuschreibung folgt weiterhin einer patriarchalen, heteronormativen Logik, in der klar ist, dass die wertförmig-patriarchale Herrschaftsmaske und das, was sie als „das Männliche“, als maskulinistische Ideologie hervorbringt, trotz aller Flexibilisierungen dominant bleiben. Dieses Schisma beweist wiederum auch die historische Erfahrung der zweiten Frauenbewegung, in der sich die sozialistischen und feministischen Positionen sukzessive voneinander weg entwickelten, je mehr geschlechterkritische Theorie und Praxis sich radikalisierte. Immanent sind diese Seiten auf Grund der basalen Formlogik auch nicht zusammen zu bringen, müssen zwei oppositionelle Achsen des im System stattfindenden Emanzipationskampfes darstellen3. In der Kritik des Gesamtzusammenhangs sollten sie jedoch als dialektisch aufeinander bezogene Seiten des einen Systems „warenproduzierendes Patriarchat“ verstanden werden.

Politische Handlungspotentiale müssen nun zwangsläufig im Bestehenden beginnen, gerade wenn sie jenes Bestehende überwinden möchten. Wollen sie dies aber wirklich konsequent tun, in diesem Sinne „politisch radikal“ sein, so müssen sie die Ebene der kategorialen Kritik zumindest implizit nachvollziehen. Dies bedeutet für Bewegung mit der Standpunktbestimmung „Arbeit“ (oder auch „Hausarbeit“ bzw. die ganze Sphäre der „weiblichen“ Tätigkeitsfelder, die ja prinzipiell eben nicht eingehegt ist, viel stärker mit dem „Frau-Sein“ als solchem verknüpft ist), dass sie mindestens in ihrer Überwindungsperspektive über bloße Lippenbekenntnisse hinauskommen muss. Eine positive Bezugnahme auf die eigene Subjektposition mit all ihren symbolischen Gehalten verbietet sich insofern, was natürlich die paradoxe Situation einer widersprüchlichen Politik mit sich bring: „nach außen hin“ muss ein Status verteidigt werden, der „nach innen hin“ nicht nur abgelehnt werden sollte, sondern als Zumutung, als Pein und als „unechte Notwendigkeit“ verspürt werden müsste. Das chauvinistische Pochen auf Produktivität und Fleiß müsste dabei zu allererst fallen, ebenso wie eine bloße Anerkennungsperspektive in der Logik des Systems immer nur als Mittel zum Zweck, als notwendige Nebensache fungieren dürfte. In diesem Punkt ist Paul Lafargue – der nicht zuletzt selbst aufgrund seiner Hautfarbe als „Anderes der Arbeiterbewegung“ diskriminiert wurde und so die widersprüchliche Konstitution wohl deutlicher vor Augen hatte, als die meisten Anderen – immer noch ein guter Stichwortgeber für ein politisches Credo: Für ein „Recht auf Faulheit“!

Literatur:

Bierwisch, M. 2003. Arbeit in verschiedenen Epochen und Kulturen – Einleitende Bemerkungen. In Die Rolle der Arbeit in verschiedenen Epochen und Kulturen, ed. Bierwisch, M, 7-19. Berlin: Akademie Verlag.

Kurz, R. 1994. Kollaps der Modernisierung Leipzig: Reclam.

Marx, K. 1983. Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. Vol. MEW 42 of. Berlin: Dietz.

Sohn-Rethel, A. 1973. Warenform und Denkform. Versuch über den gesellschaftlichen Ursprung des “reinen Verstandes”. In Geistige und körperliche Arbeit, 30-115. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Werlhof, C.V. 1983. Lohn ist ein „Wert“. Leben nicht? Auseinandersetzung mit einer „linken Frau“. Replik auf Ursula Beer. Prokla 50.

2 Vgl. hierzu anschaulich: (Kurz 1994)

3 Dabei ist natürlich auch eine Politik vom Standpunkt der Frau aus zu problematisieren. Aus falschen Motiven, aber in der Konsequenz der Kritik der Identitätspolitik richtig hat dies auch Judith Butler in ihren Arbeiten nachgewiesen.

Autor: Elmar Flatschart

Erschienen in POLITIX (31/2012).

 

Arbeitskritik. Begriffliche und historische Hinterfragung eines alltäglichen und scheinbar natürlichen Konzepts

Unsere Sprache sagt nicht nur viel über unser Denken aus, sie zeugt manchmal auch von breiteren historischen Veränderungen, die unsere gesellschaftlichen Daseinsformen betreffen. Hierfür gibt es wohl kein besseres Beispiel als die Entwicklung des Begriffs „Arbeit”. Heute ist dieses Wort die Bezeichnung für eine sozial gültige Tätigkeit im engeren Sinn, also meist „Erwerbsarbeit”. Sein Verwendungsfeld dehnt sich aber immer weiter auf Bereiche aus, die weit über diese Definition hinausgehen. So ist bei der Erbringung von intellektuellen Werken von „der Arbeit” die Rede, zum Beispiel von der „Schularbeit”. Noch viel persönlicher und extensiver sind neue Wortkombinationen wie „Beziehungsarbeit” oder „Emotionsarbeit”. Der Arbeitsbegriff (nicht nur die reale Tätigkeit dahinter) ist aber auch ein umkämpfter: Die „Hausarbeitsdebatte”, die Frage nach der Definition und Wertung der mehrheitlich von Frauen erbrachten Reproduktionstätigkeiten, kann als ein zentrales Diskussionsfeld neuerer feministischer Bewegungen betrachtet werden. Eines wird schnell klar – „Arbeit” ist ein hochrelevantes und weltweit durchgesetztes Konzept, das allerdings wenig hinterfragt wird.

Es mag verwundern, dass die breite Bedeutung des Begriffs eigentlich relativ jung ist. Ursprünglich war der Wortstamm (vgl. auch „labor”, „travail”, „rabota”) nämlich nicht Überbegriff für alle nur denkbaren Tätigkeiten, sondern vorbehalten für Tätigkeiten, die große Mühe, Qual, Kummer, Schmerz und Unterwerfung mit sich brachten. Erst allmählich wurde „Arbeit” für spezifische Tätigkeiten von HandwerkerInnen1 verwendet. Die Durchsetzung des Wortes auch für Kopfarbeit ist in Verbindung zu setzen mit der modernen Teilung von Kopf- und Handarbeit, die in der Industriellen Revolution vollendet wurde. Eine allmähliche Totalisierung des Arbeitsbegriffs kann also in gewisser Weise parallel zur historisch-gesellschaftlichen Entwicklung des Kapitalismus gedacht werden. Überspitzt gesagt, hat sich das Bedeutungsfeld von geknechteter und mühseliger Tätigkeit absolut verallgemeinert, so dass heute potenziell jede Tätigkeit darunter fällt. Die gleichgemachte Arbeit als zentrales Unterdrückungsmoment der Moderne zu verstehen, ist also begrifflich nicht so weit hergeholt – mag dies auch den meisten vorerst sehr seltsam erscheinen.

„Arbeit ist scheiße?”

Nun ist es natürlich nicht so, dass die Durchsetzungsgeschichte der Arbeit eine konfliktfreie gewesen wäre. Abseits einer hegemonial werdenden „protestantischen Arbeitsethik”, die als frühe Durchsetzungsideologie des Kapitalismus gelten kann, gab es zahlreiche Widerstandsmomente und Kämpfe gegen die Zumutungen jener gesellschaftlichen Vereinheitlichung, die Arbeit bedeutete. In gewisser Weise können die verschiedenen frühen sozialen Bewegungen gegen die Modernisierung (von deutschen Bauernrevolten, bis Levellers/Diggers zu Ludditen) auch als Kämpfe gegen den Zwang der sich ankündigenden modernen Arbeitsverhältnisse verstanden werden.

Denn diese „gleichgemachte” Arbeit, das ominöse begriffliche Etwas, unter dem beinahe alle Tätigkeit subsumiert wird, trat schließlich zu Beginn nicht so frei auf, wie sie es heute (in den westlichen Ländern zumindest) tut: „Arbeitshäuser”, die als unmittelbarer Zwang durch aufstrebende kapitalistische UnternehmerInnen1 und Repression eines zunächst absolutistisch-durchrationalisierenden Staats entstanden sind, zeugen davon. Die Durchsetzung der Arbeit war eine blutige, dennoch präsentiert sie sich heute als das Natürlichste und Freieste überhaupt – denn wer würde schon von sich behaupten, dass sie/er nicht arbeiten wolle? Eine unlösbare historische Paradoxie? Nein, denn gerade die weitere Entwicklung der Widerstandsbewegungen gegen das herrschende Regime liefert den Schlüssel für das Verständnis des Rätsels. Mit der organisierten ArbeiterInnenbewegung entstand erstmals eine Instanz, die den Unterdrückten nicht nur Organisation, sondern auch eine politische Subjektivität gab. Damit wurde zwar die schlimmste Not der ArbeiterInnen gelindert, ja schließlich sogar eine Teilhabe am bürgerlichen Staat erkämpft. Gleichzeitig kam es jedoch zu einer Festigung der allgemeinen Unterwerfung unter den Arbeitszwang – war doch der eigene Status als ProletarierIn Ausgang aller Emanzipationsüberlegungen.

Die implizite kategoriale Ablehnung von Arbeit, die sich früher noch mit der moralischen Kritik der Arbeit(sverhältnisse) vermengte, wurde immer mehr zugunsten einer moralischen Kritik des Klassenverhältnisses beziehungsweise der Ausbeutung durch die KapitalistInnen aufgegeben. Die ArbeiterInnenbewegung war, trotz zahlreicher Brüche und Widersprüche, eine Bewegung für die Arbeit. So wurde schlussendlich – und die Sozialdemokratie ist lebender Beweis dafür – der Widerstand gegen das System selbst Teil des Systems.

Für eine kategorische und radikaleArbeitskritik

Das Problem an der moralischen Arbeitskritik, wie sie in der ArbeiterInnenbewegung vollendet ist, ist also nicht nur ihr historisches Scheitern, sondern eben ihre ideologische Wirkung: Da sie kategorial zu kurz greift, verdeckt sie die tatsächliche Tragweite des Problems. Die Arbeitskategorie kann nämlich keine Grundlage für Emanzipation sein, da sie selbst für KnechtInnenschaft und Unterdrückung steht – auch wenn dies heute nicht (mehr) so klar ersichtlich ist. Kategorische Kritik muss sich – so verrückt dies klingt – gegen Arbeit selbst wenden.

Mit der Kritik der politischen Ökonomie kann theoretisch angeknüpft werden. Denn der Arbeitsbegriff hat seine hegemoniale Wirkung als Überbegriff nicht bloß einfach so oder weil es praktisch ist, alle Tätigkeiten unter einen Hut bringen zu können. Diese begriffliche Dimension kann nur gemeinsam mit der historisch-realen Entfaltung von Arbeit verstanden werden: Arbeit meint tätig sein für die Reproduktion des Kapitalismus, das heißt (Mehr-)Wert schaffende Tätigkeit. Marx führte hierfür einen doppelten Arbeitsbegriff ein: „Abstrakte Arbeit”, die Wert schafft und „konkrete Arbeit”, die für die spezifische Tätigkeit selbst steht. Nun kann mit Hinblick auf die totalisierte und globalisierte Waren produzierende Gesellschaft gesagt werden, dass beide Seiten eigentlich nicht scheidbar sind, und die von der Abstraktion determinierte Arbeit, der vollendete (Selbst-)Zweck der Wertschaffung, absolute Dominanz erlangt hat. Nicht nur über den Arbeitsprozess im engeren Sinn, sondern über das Leben der Menschen schlechthin. Nur von dieser Basis ausgehend lässt sich die heute überbordende (metaphorische und symbolisch vielschichtige) Bedeutungsmacht des Begriffs denken. Dieser ist eben mehr als ein bloßer Begriff, er ist eine Real-Abstraktion – die allgemeine Abstraktheit muss gemeinsam mit ihrer realen, historischen Funktion gedacht werden.

Daraus folgt ein komplexes Netz notwendiger Widersprüche für (linke) Theorie und Praxis – und vor allem die schwierige Konsequenz: Wir müssen Arbeit als solche radikal hinterfragen und auf eine Abschaffung hinstreben. Das heißt natürlich nicht, dass die darunter verstandenen Tätigkeiten allesamt abgeschafft werden sollten. Es bedeutet aber, dass ihre herrschende historische Möglichkeits- und Denkform selbst abgelehnt werden muss. Diese arbeitskritische Position konnte hier freilich nur angeschnitten werden – vielleicht hat sie der einen oder dem anderen LeserIn aber Lust auf mehr gemacht (siehe Literaturtipp). Schwierig ist allerdings auch die praktischeUmsetzung. Denn auf der Basis von Arbeit ist nicht nur keine Befreiung möglich; emanzipatorische AkteurInnen müssen sich auch der widersprüchlichen Konsequenzen bewusst sein, welche sich hieraus für ihre „eigene Arbeit” ergeben.

Literaturtipp zum Weiterlesen:

Gruppe Krisis: Manifest gegen die Arbeit. http://www.krisis.org/navi/manifest-gegen-die-arbeit

1 Obwohl eine geschlechtergerechte Form gewählt wurde, muss an dieser Stelle auf den geringen Anteil von Frauen in der erwähnten Berufsgruppe hingewiesen werden.

 

Autor: Elmar Flatschart, 2010.

Erschienen in Unique.

Siehe

2010/11 Lesekreis: Zwischen feministischer und Marxscher Theorie. Perspektiven einer materialistischen Kritik der Geschlechterverhältnisse

Was? Warum?

Im Lesekreis soll es um eine Wiederaneignung theoretischer Essentials eines Strangs kritischer marxofeministischer Theoriebildung gehen. Die Anfänge der Auseinandersetzung liegen in den 1970er Jahren, sie wurde in den 1980ern verstärkt aufgegriffen, später allerdings nur ganz sporadisch vorangetrieben.
Nach dem „postmodern turn“ wurden viele der damaligen Debatten abgebrochen und ein bereits erreichter gesellschaftstheoretischer Erkenntnisstand erodierte mehr und mehr. Wir möchten dieses Wissen ausgraben und sehen, was sich davon heute (noch) verwenden lässt.
Es geht um die Haltbarkeit von „Großtheorie“, die versuchen feministische und marxistische Ansätze integral zu kombinieren, d.h. Fragen nach der Geschlechterordnung und der Warenproduktion nicht nur „additiv“ im Sinne einer eklektizistischen oder „intersektionalen“ Herangehensweise zusammendenkt, sondern auf die gesellschaftliche Totalität abzielt und aus ihr heraus Momente wie Wert, Arbeit, Geschlechterdichotomie, patriarchale Herrschaft, moderne Subjektform, Ideologie oder auch (gesellschaftliches) Unbewusstes erklärt.
Derartige Ansätze die „aufs Ganze“ gehen sind bekanntlich rar geworden. Um sie zu verstehen reicht es oft nicht aus, die (wenigen) aktuellen Texte zu lesen, es bedarf einer sukzessiven Aufrollung zentraler Etappen ihrer Entstehungsgeschichte. Diese Genealogie der Kritik am warenproduzierenden Patriarchat steht aber auch für sich, denn sie verbreitert das Wissen über eine immer schon marginalisierte und heute fast vergessene Tradition geschlechterkritischer Gesellschaftstheorie.

Wann? Wo?

· Jeden Donnerstag, während Uniferien oder Feiertagen nach Vereinbarung
· Im Theoriebüro (Schenke, Pfeilgasse 33, 1080, Wien)

Formales

Der Lesekreis richtet sich an Menschen, die schon etwas mit Theoriearbeit vertraut sind. Vorkenntnisse zum spezifischen Thema sind natürlich nicht nötig, aber absolute Basics der feministischen und/oder marxistischen Debatte sind von Vorteil. Ganz allgemein sollten TeilnehmerInnen eine gewisse Erfahrung im Umgang mit (wissenschaftlichen) Texten mitbringen, denn angestrebt wird, für einen Text nicht mehr als 1-2 Einheiten zu verwenden. Es wird also einiges zu lesen geben, pro Woche im Schnitt 30 Seiten. Nachdem die Textstruktur aufeinander aufbaut macht eine Teilnahme nur Sinn, wenn du wenigstens den Großteil der Termine wahrnehmen kannst. Wir möchten uns nach Möglichkeit einmal pro Woche (exklusive Uni-Ferien u.ä.) treffen, um mit dem Programm so halbwegs durchzukommen.
Bezüglich des Ablaufs des Lesekreises können wir uns noch verständigen. Bewährt hat es sich aber, dass jeweils eine Person den Text (gründlicher) vorbereitet und so die Diskussion moderiert.
Falls die Gruppe zu groß wird (absolutes Maximum 10 Personen) bestünde auch die Möglichkeit zwei Lesekreise zum selben Thema zu machen.
Die Texte werden in einem gebundenen Reader bei Facultas im NIG aufliegen (Kosten: 15-20€) und werden teilweise auch eingescannt zur Verfügung stehen.

Gliederung

I Kritik der fehlenden Rezeption feministischer Theorie in der „Wertkritik“

II Abstoßungspunkt in der feministischen Theorie: Die Hausarbeitsdebatte

1. Die zwei Stränge der Hausarbeitsdebatte
2. Die Debatte zwischen Kontos/Walser und Bock/Duden
3. Die Prokla Debatte zwischen Ursula Beer und Claudia v Werlhof
4. Anknüpfungs und Abstoßungspunkte bei Kornelia Hauser und Frigga Haug
III Werttheoretische Alternativen zum Standpunkt der Hausarbeitsdebatte

1. Die Neubestimmung von Gebrauchswert und Konsumtion bei Robert Kurz

a) Gebrauchswertfetischismus bei Kornelia Hafner
b) Die wertabspaltungkritische Wendung bei Kurz: Geschlechterfetischismus

2. Anknüpfungspunkte auf Grundlage dieser Neubestimmung

a) Dorothea Meys „Die Liebe und das Geld“
b) Helga Grubitzsch „Frauen und Konsumgesetze“
IV Feministische Vernunftkritik / Kritik der Frankfurter Schule

1. Symbolische Ordnung und Gewalt bei Helga Geyer-Ryan
2. Die Hegel Kritik von Genevieve Lloyd und Heidemarie Bennent
3. Feministische Kritiken an Horkheimer und Adorno

a) Der fehlende Patriarchatsbegriff (Christine Kulke)
b) Das fehlende Verständnis von Gender (Irmgard Schultz)
c) Die unzureichende Fassung der Natur/Kultur Dialektik (Elvira Scheich)

V Das „gesellschaftliche Unbewußte“ und Subjektkritik

1. Roswitha Scholz Kritik an der Bestimmung der Kategorie bei Regina Becker Schmidt
2. Mögliche Weiterentewicklung der Kategorie durch Rekurs auf Cornelia Ott
3. Hildegard Heise: Subjekt, Patriarchat und kapitalistische Produktionsweise

Inhalt

(I)
Den Einstieg in den Lesekreis macht eine von Roswitha Scholz vorgebrachte Kritik an androzentrischer Theoriebildung im „eigenen Haus“: der „alten“ Wertkritik wird ihre Auslassung patriarchaler Herrschaft vorgeworfen. Gleichzeitig liegt in dieser Kritik aber auch eine gesellschaftstheoretische Erweiterung begründet, die nicht nur auf die wertkritische Gesellschaftskritik aufbaut, sondern gleichermaßen aus
feministischen Theorien hervorgeht.

(II)
Besonders relevant und bekannt ist hier eine Debatte, die sich um ein wesentliches politisches und theoretisches Kampffeld der (zweiten) Frauenbewegung dreht, der Hausarbeit. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Frauen zahlreiche Dienste im „Privaten“ unentgeltlich leisten, stellt sich aus gesellschaftstheoretischer Perspektive die Frage nach der Einordnung dieser Tätigkeiten. Ist Hausarbeit „Wert-schaffend“ oder nicht? Ist sie ein „vormodernes Relikt“, das „neben“ dem Kapitalismus steht, oder ist der Kapitalismus selbst patriarchal und die Hausarbeit insofern funktional? Wie verhält sich die Sphäre der „versteckten Ökonomie“ zu Wert, Lohnarbeit und Kapital? Wie treffen hier normative und
analytische Momente zusammen bzw. behindern sich gegenseitig?

(III)
Im nächsten Teil kommen jene Positionen zu Wort, die gegenüber der Hausarbeitsdebatte als solcher kritisch eingestellt sind, da sie einen anderen/weiter gefassten Wertbegriff haben. Insbesondere geht es dabei um die Essentialisierung des Gebrauchswerts bzw. dessen Kritik. Von einigen Positionen wurde Hausarbeit u.a. mit Konsum in Verbindung gebracht und als individuelle (anstatt produktive) Konsumption betrachtet. Kritik daran versuchte Tauschwert/Arbeit und Gebrauchswert/Hausarbeit dialektisch zu vermitteln und in ihrer gegensätzlichen Funktionalität auszuweisen, wobei die Seiten von ihrer normativen Aufladung befreit werden. Ausgehend davon zwingt sich allerdings eine Neuauseinandersetzung mit dem normativen Telos von Kritik auf, wobei weit über das ökonomische hinaus symbolische und subjektkritische Momente relevant werden.
(IV)
Im nächsten Teil wird es folglich um die Kritik von Vernunft und Aufklärung gehen, wobei die Kritische Theorie Frankfurter Schule ein wichtiger Referenzpunkt ist. Feministische Autorinnen haben einerseits die Aufklärung bzw. ihre androzentrischen Auslassungen kritisiert, oder sich, vermittels einer Ausweisung der Mängel der Frankfurter Schule, einer erweiterten Kritischen Theorie zugewandt, die produktiv an die alten Theorien (u.a. Dialektik der Aufklärung) anschließt. Bei alledem spielt die Frage nach dem (bürgerlichen) Subjekt, seiner Vergeschlechtlichung und der damit einhergehenden patriarchalen Grundgestalt der modernen Gesellschaft bereits eine große Rolle.
(V)
Im letzten Abschnitt werden Fragmente eines gesellschaftlichen Unbewussten, psychoanalytischer Gesellschaftsinterpretationen sowie von Sexualität und Macht behandelt, wobei u.a. auch Foucuault zu seinem Recht kommt. Kritisiert werden in diesem Zug auch Ansätze, die zwar die „Metastruktur“ des warenproduzierenden Patriarchats gut erschließen, jedoch die Subjekt- und Vernunftkritik außen vor lassen (Hildegard Heise). Schlussendlich soll auch ein Text von Roswitha Scholz gelesen werden, wobei es um eine abschließende Einschätzung ihrer „integrativen Leistung“ hinsichtlich des zuvor gelesenen gehen könnte.

Literatur

Zu I:
1. Roswitha Scholz: Der Wert ist der Mann. In Krisis 12 (1992)
Zu II:
2. Gabriele Dietrich: Die unvollendete Aufgabe einer marxistischen Fassung der Frauenfrage. In: Projekt sozialistischer
Feminismus (Hg.): Geschlechterverhältnisse und Frauenpolitik. Berlin 1984 (AS 110)
3. Gisela Bock/Barbara Duden: Arbeit aus Liebe-Liebe als Arbeit. Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus.
In Gruppe Berliner Dozentinnen (Hg.): Beiträge zur Berliner Sommeruniversität. Berlin 1976
4. Irmgard Schultz: Der erregende Mythos vom Geld. Über Zeit, Geld und Geschlecht im Ökologiezeitalter.
Frankfurt 1994, Kapitel 1 (Debatte zwischen Bock/Duden und Walser/Kontos)
5. Ursula Beer: Marx auf die Füße gestellt?. Zum theoretischen Entwurf von Claudia v. Werlhof. In: Prokla 50
(1983)
6. Claudia v Werlhof: Lohn ist ein „Wert“. Leben nicht? Auseinandersetzung mit einer „linken Frau“. Replik
auf Ursula Beer. In: Prokla 50 (1983)
7. Frigga Haug/Kornelia Hauser: Geschlechterverhaltnisse. Zur internationalen Debatte um Marxismus/
Feminismus. In: Projekt sozialistischer Feminismus, a. a. O
8. Frigga Haug/Kornelia Hauser: Marxismus/Feminismus. In Knapp/Wetterer (Hg.): TraditionenBrüche. Entwicklungen
feministischer Theorie. Freiburg 1992
9. Kornelia Hauser: Strukturwandel des Privaten? Das „Geheimnis des Weibes“ als Vergesellschaftungsrätsel.
Berlin 1987
Zu III:
10. Kornelia Hafner: Gebrauchswertfetischismus. In: Behrens (Hg.): Gesellschaft und Erkenntnis. Freiburg
1993
11. Robert Kurz: Geschlechterfetischismus. In Krisis 12 (1992)
12. Dorothea Mey: Die Liebe und das Geld. Weinheim/Basel 1987
13. Helga Grubitzsch: Konsumarbeiterinnen und Lockvögel. Frauen in der kapitalistischen Konsumtion. In:
Beiträge zu feministischen Theorie und Praxis 15/16 (1985)
Zu IV:
14. Helga Geyer Ryan: Zur Geschichte des weiblichen Vernunftverbots. In: Kulke/Scheich (Hg.): Zwielicht der
Vernunft. Die Dialektik der Aufklärung aus der Sicht von Frauen. Pfaffenweiler 1992
15. Genevieve Lloyd: Das Patriarchat der Vernunft: Männlich und weiblich in der westlichen Philosophie. Bielefeld
1985
16. Heidemarie Bennent: Galanterie und Verachtung. Eine philosophiegeschichtliche Untersuchung zur Stellung
der Frau in Gesellschaft und Kultur. Frankfurt/New York 1985
17. Christine Kulke: Die Logik patriarchaler Vernunftkritik. . Ein weiblicher Zugriff auf die Dialektik der Aufklärung.
In: Deuber-Mankowsky u. a. (Hg.) 1789/1989: Die Revolution hat nicht stattgefunden. Tübingen
1989
18. Irmgard Schultz: Julie & Juliette und die Nachtseite der Geschichte Europas. Naturwissen, Aufklärung und
pathetische Projektion in der „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno. In: Kulke/Scheich a.
a. O. (siehe auch Kapitel 3 im erregenden Mythos vom Geld)
19. Elvira Scheich: Denkverbote über Frau und Natur. In: Kulke (Hg.): Rationalität und sinnliche Vernunft.
Frauen in der patriarchalen Realität. Berlin 1988
Zu V:
20. Roswitha Scholz: Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose
des Patriarchats. Bad Honnef 2000
21. Cornelia Ott: Die Spur der Lüste. Sexualität, Geschlecht und Macht. Opladen 1998
Zu VI:
22. Hildegard Heise: Flucht vor der Widersprüchlichkeit. Kapitalistische Produktionsweise und Geschlechterbeziehung:
Frankfurt/New York 1986
23. Hildegard Heise: Rationalität und Rationalisierung: Dominante Formen der bürgerlichen Gesellschaft? In:
Kulke/Scheich a. a. O