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Zwei Jahre danach: Was bleibt von Occupy Wall Street?

Am 17. September 2011 versammelten sich einige hundert Menschen im kleinen Zuccotti Park in New York City unter einem verwegenen Motto: Occupy Wall Street. Der Protest, der von Bewegungen in Spanien und Nordafrika inspiriert wurde, breitete sich rasch über die gesamten Vereinigten Staaten aus. In allen größeren Städten wie Los Angeles, Chicago und Washington, aber auch in vielen kleineren Orten, entstanden Occupy-Camps. Im Laufe des Herbstes wurden die Besetzungen allerdings vor zunehmende Probleme gestellt und verloren in der Folge an Zulauf.1 Die Besetzungscamps, so auch jenes im New Yorker Zuccotti Park, wurden schließlich im November 2011 in einer großangelegten Polizeiaktion geräumt oder lösten sich selbstständig auf.

Seitdem ist es ruhig geworden um Occupy Wall Street. Zwei Jahre nach dem Beginn der Besetzungen ist daher ein guter Zeitpunkt um die Frage zu stellen: Was bleibt von Occupy Wall Street?

Bewegung und Alltagsinitiativen

Wie Sebastian Dörfler in der Juni-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik überzeugend dargelegt hat, sind es insbesondere die von Occupy ausgehenden Initiativen im Reproduktionsbereich, die nach dem Ende der Besetzungen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.2 So unter anderem das Schuldenstreikprojekt Rolling Jubilee oder die Katastrophenhilfe von Occupy Sandy. Diese Entwicklung darf allerdings nicht als Abkehr vom Politischen und Hinwendung an lediglich praktische Alltagsprobleme missverstanden werden. Vielmehr unterstreicht sie einen Anspruch, den Occupy von Beginn an zu verkörpern versuchte: die angestrebten Veränderungen in der Form und den Strukturen der Bewegung bereits vorwegzunehmen und dadurch schlussendlich alle gesellschaftlichen Beziehungen zu umfassen und zu verändern. Den Kernpunkt bildet dabei die Tatsache, dass dieser Anspruch nicht auf dem Reißbrett oder durch das Verfassen glühender Manifeste umgesetzt wurde, sondern mittels praktischer Versuche. Den Prinzipien von Fallibilismus, Experimentalismus und Deliberation verpflichtet, gelang es Occupy in seinen besten Momenten, den alten Widerspruch von Theorie und Praxis in den Griff zu bekommen und praktisch aufzulösen. Es ist daher kein Zufall, dass mehrere Autoren auf die Verwandtschaft der Occupy-Bewegung mit dem amerikanischen Pragmatismus hingewiesen haben.3

Die Alltagsinitiativen die aus den Besetzungen hervorgegangen sind, gehen damit auch über den reinen Reproduktionsbereich hinaus. Sie versuchen vielmehr, die grundlegenden Erfahrungen die während der Besetzungen gemacht wurden, in weitere Gesellschaftsbereiche hinauszutragen. Einheitliche Forderungen oder Ideologien waren der Bewegung daher ebenso fremd wie Anführer oder Sprecherinnen. Diese Eigenschaft, die Occupy von vielen als Schwäche ausgelegt wurde, war vielmehr der Spiegel eines neuen demokratischen Verständnisses, dessen Tragfähigkeit in der Bewegung selbst getestet und erfahren wurde und auch über das Ende der Besetzungen hinaus noch immer nachwirkt.

Erfahrungen von Demokratie

Wenn es um die konkreten Erfahrungen geht die Occupy geschaffen hat, dann ist insbesondere dieses Demokratieverständnis von größter Bedeutung. Demokratie ist dabei zu verstehen als alltägliche Praxis und Erfahrung, getragen von einem Geist des do-it-yourself. Enttäuscht von den bestehenden politischen Institutionen, ging es Occupy von Anfang an darum mit neuen Formen von Institutionen zu experimentieren. Die Vollversammlungen (general assemblies) an den Orten der Besetzungen, die unzähligen Arbeitsgruppen sowie die Entwicklung eigener Kommunikationswege, sei es die Nutzung sozialer Medien oder die beeindruckenden human microphones, sind Zeugen dieses Versuches zu neuen Formen der demokratischen Verständigung und Entscheidungsfindung zu gelangen. Auch wenn der demografische Charakter der Proteste die amerikanische Gesellschaft keineswegs repräsentativ abbildete, sondern vor Ort tendenziell von weißen, besser gebildeten Bevölkerungsschichten getragen wurde,4 so reichten diese neue demokratischen Erfahrungen doch in weite Teile der Bevölkerung hinein.

Es darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass die Besetzungen zu einem Zeitpunkt auftraten, als die Desillusionierung über die Obama-Regierung neue Höhepunkte erreichte. Angesichts des Weiterbestehens des Gefangenenlagers in Guantanamo, der Kompromisse um die Gesundheitsreform und der Verschärfung des Drohnenkrieges wandten sich viele junge und liberale Amerikaner von jenem Präsidenten ab, dessen Wahlkampf sie drei Jahre zuvor noch enthusiastisch unterstützt hatten. Zieht man in Betracht, dass die Gründe für diese Desillusionierung in Obamas zweiter Amtszeit bislang eher zugenommen haben (Überwachungsmaßnahmen, keine Reform der Waffengesetze, schleppende Immigrationsreform) und praktisch alle bestehenden politischen Institutionen der USA betreffen, könnten diese Erfahrungen von eigenen politischen Institutionen, wie sie im Zuge von Occupy eingesetzt und bekannt gemacht wurden, in naher Zukunft also wieder an Bedeutung gewinnen.

Die demokratischen Erfahrungen von Occupy Wall Street bleiben also erhalten und haben sich auf die Suche nach neuen Betätigungsfelder begeben. Entscheidend wird dabei aber sein, inwiefern diese Erfahrungen auf breitere Teile der Bevölkerung übertragen und emanzipatorisch gewendet werden können, damit die Unzufriedenheit mit bestehenden politischen Institutionen nicht im Modus der Tea Party verpufft.

Soziale Ungleichheit und Öffentlichkeit

Wenn es um diese notwendige Überzeugung der Öffentlichkeit geht, ist es besonders die Debatte um die steigende gesellschaftliche Ungleichheit, die die Occupy-Bewegung bisher als Steigbügel in die Mainstream-Medien nutzen konnte. Viel von der Beständigkeit von Occupy wird daher davon abhängen, ob diese Debatte in den USA nachhaltig weitergeführt wird oder bei den ersten Anzeichen eines Wirtschaftsaufschwungs wieder verebbt. Diesbezüglich fällt die aktuelle Bilanz ambivalent aus.

Hatte die Besetzungen in den ersten zwei Monaten zu einer Verfünffachung der medialen Berichterstattung über Einkommensungleichheit geführt5 und damit einen eindeutigen Erfolg verbuchen können, so ist das Thema mittlerweile wieder in den Hintergrund gerückt. So ergab eine Analyse der wichtigsten US-amerikanischen TV-Nachrichtensendungen im April 2013, dass in Beiträgen zur ökonomischen Lage nur in 9% der Fälle ökonomische Ungleichheit zur Sprache kam.6 Gleichzeitig wurde innerhalb der Occupy-Bewegung die Entwicklung von Initiativen wie Occupy Sandy als Abkehr von der ursprünglichen Kernbotschaft, also der Kritik sozialer Ungleichheit und des Finanzkapitalismus, beklagt.

Die große Unbekannte in diesem Zusammenhang bleibt dabei weiterhin die US-amerikansiche Bevölkerung. Denn inwiefern sich diese überhaupt für die stark gestiegene ökonomische Ungleichheit interessiert und daraus ein stärkeres Mandat für Umverteilungspolitik ableitet, bleibt weiterhin Gegenstand hitziger akademischer Debatten.7 In diesem Zusammenhang scheint es nicht die schlechteste Strategie von Occupy zu sein, nun verstärkt dorthin zu gehen, wo die Menschen in ihrem Alltag unmittelbar mit den Auswirkungen gesellschaftlicher Ungleichheit konfrontiert sind: bei ihren Schulden, ihrer Wohnsituation, der Gewalt auf den Straßen und dem Justizsystem. Ob Occupy es dabei schafft, eine substantielle Verbindung zur allgemeinen Kritik gesellschaftlicher Ungleichheit weiterhin aufrechtzuerhalten, oder die Einzelinitiativen diese aus den Augen verlieren, bleibt die große Herausforderung vor der die Bewegung aktuell steht.

Zukunftsperspektiven

Es wäre ein Fehler den Erfolg von Occupy lediglich anhand konkreter politischer Erfolge zu messen. Legt man diesen eingeschränkten Maßstab an, so würde die Bilanz von Occupy in der Tat bescheiden ausfallen. Begreift man Occupy jedoch als eine Bewegung für „wirkliche Demokratie“,8 die die Umgestaltung der sozialen Verhältnisse auch experimentell vorzuleben versucht, so ist es um ihre Nachhaltigkeit besser bestellt. Zum Einen leben die Ideen und Strukturen von Occupy zumindest teilweise in zahlreichen Einzelinitiativen wie Rolling Jubilee oder Occupy Sandy weiter. Andererseits sind die Erfahrungen, die im Zuge der Bewegung in den gesamten Vereinigten Staaten gemacht wurden, weiter präsent und werden in Anbetracht der politischen Vertrauenskrise weiterhin ein wichtiger Bezugspunkt bleiben. Und auch wenn die Debatte über soziale und ökonomische Ungleichheit spätestens seit den Präsidentschaftswahlen 2012 wieder etwas eingeschlafen ist, so gibt es für die Zukunft zahlreiche weitere Betätigungsfelder in die aus Occupy-Perspektive interveniert werden kann. Ein prominentes Beispiel ist dabei die Diskussion um die rassistische Schlagseite des US-amerikanischen Justizsystems, wie sie z.B. im Stop-and-Frisk Programm der New Yorker Polizei exekutiert wird.9 Occupy war von Beginn an an den Protesten gegen dieses Programm beteiligt und hat sich über Initiativen wie Occupy the NRA auch in die Debatte um strengere Waffengesetze eingeschaltet.

Man mag nun einwenden, dass sich Occupy mittlerweile zu einem reinen Franchise-Unternehmen gewandelt hat, dass den unterschiedlichsten Proteste lediglich ein bekanntes Label bietet. Wie die hier gezogene Bilanz aber zeigt, wäre dieser Schluss zu vorschnell. Durch seine dezentrale Organisierung und do-it-yourself Mentalität, war die Occupy-Bewegung von Anfang an darauf ausgelegt, Experimentierräume zu schaffen und in unterschiedlichste Gesellschaftsfelder zu diffundieren. Zwei Jahre nach dem September 2011 gilt daher: Das Potential und die Erfahrungen von Occupy bleiben in den USA bestehen. Ob und wann sie aber wieder an die Oberfläche dringen bleibt vorerst hinter dem Schleier sozialer Kontingenz verborgen.

 

1 Zu dem ständigen Druck von staatlicher Seite, der im teils äußerst brutalen Vorgehen der Polizei seinen Höhepunkt fand, kamen interne Probleme der Camps selbst. So berichtet Todd Gitlin, Professor für Journalismus an der Columbia University, auch von der Erleichterung die nach dem Ende der Besetzungen vorhanden war. Vgl. Todd Gitlin, Occupy Nation. The Roots, the Spirit, and the Promise of Occupy Wall Street, New York 2012, S. 92.

2 Sebastian Dörfler, Occupy: Von den Plätzen in den Alltag, in: „Blätter für deutsche und internationale Politik“ 6/2013, S.13-16.

3 Vgl. Michael C. Dorf, Could the Occupy Movement Become the Realization of Democratic Experimentalism’s Aspiration for Pragmatic Politics?, www.ssrn.com und Albert R. Spencer und Tyler G. Olson, Occupy Pragmatism: A Reconstruction of America’s Political Economy, www.webpages.uidaho.edu.

4 Der zuverlässigsten Studie zufolge waren etwa zwei Drittel der in New York City Involvierten weiß (white, non-Hispanic) während über drei Viertel einen College-Abschluss besaßen. Vgl. Ruth Milkman u.a., Changing the Subject: A Bottom-Up Account of Occupy Wall Street in New York City, New York 2012.

5 Dylan Byers, Occupy Wall Street is Winning, http://www.politico.com, 11.11.2011.

6 Albert Kleine, Media Push Economic Inequality To The Backseat, www.mediamatters.org, 14.5.2013.

7 Vgl. für aktuelle Beispiele Ilyana Kuziemko und Stefanie Stantcheva, Our Feelings About Inequality: It’s Complicated, www.nyt.com, 21.4.2013 sowie Scott Winship, How Much Do Americans Care About Income Inequality?, www.brookings.edu, 30.4.2013.

8 Michael Hardt und Antonio Negri, The Fight for ‚Real Democracy‘ at the Heart of Occupy Wall Street, www.foreignaffairs.com, 11.10.2011.

9 Beim stop-question-and-frisk Programm handelt es sich um eine Initiative des New York City Police Departments im Zuge dessen 532 911 Personen allein im Jahr 2012 angehalten wurden, 55% davon Afroamerikaner und 32% Latinos. Vgl. New York Civil Liberties Union, Stop-and-Frisk Data, www.nyclu.org.

29.11.2012: Die Krise und die Rolle von sozialen Bewegungen

Die derzeitige Krise hat verschiedene Regionen in unterschiedlichem Ausmaß getroffen und dabei teilweise sehr unterschiedliche Verläufe genommen. Insofern sind auch die sozialen Bewegungen, die sich im Laufe der Krise und Krisenbearbeitung gebildet haben, nicht als einheitlich zu verstehen. Ziel dieser Veranstaltung soll es daher sein, über die verschiedenen sozialen Bewegungen im Zusammenhang mit der derzeitigen Krise zu reflektieren und Differenzen aber auch Gemeinsamkeiten zu diskutieren.

Als Ausgangspunkt dient dabei ein kurzer Input zu aktuellen US-amerikanischen sozialen Bewegungen, die sich im Zusammenhang mit der Krise gebildet haben (Occupy-Movement, Rolle von community organisations, anti-eviction campaigns). Anschließend soll in gemeinsamer Diskussion die Lage der europäischen Protestbewegungen analysiert und Vergleiche mit Anti-Krisen Protesten in anderen Regionen gezogen werden. Im Zentrum steht dabei die Frage nach dem emanzipatorischen Gehalt der diversen Bewegungen sowie ob und wie eine stärkere Verständigung und Zusammenarbeit zwischen ihnen möglich ist.

Vortrag von Martin Bartenberger

Zeit: 29.11.2012, 19:30

Ort: Die Schenke, Pfeilgasse 33, 1080 Wien

 

Weitere Veranstaltungen in der Veranstaltungsreihe zur Krise

Hobsbawm, Eric (2012) "Wie man die Welt verändert"

„Wer glaubt, Karl Marx sei tot, der irrt. Die Krise des kapitalistischen Systems hat neues Interesse an seinen Ideen geweckt. Eric Hobsbawm, seit seiner Jugend überzeugter Marxist, zeigt, was wir noch heute von Marx lernen können. Ein Leben lang hat sich der Historiker aus Großbritannien mit den Widersprüchen beschäftigt, die seit der Finanzkrise selbst liberale Ökonomen am Weltbild eines schlichten Kapitalismus zweifeln lassen. Hobsbawms neues Buch zeigt, wie der Marxismus in den letzten 150 Jahren die angeblich alternativlosen Regeln der kapitalistischen Wirtschaft in Frage gestellt und widerlegt hat. In Hobsbawm hat Marx seinen souveränen Interpreten für das 21. Jahrhundert gefunden.“ (Quelle: s.u.)

  • Hobsbawm, Eric (2012) „„, München: Carl Hanser Verlag

Zur Kritik der (politischen) Umsonst-Ökonomie

Umsonstökonomie ist bisher zweifellos v.a. eine Sache der Tat, der unmittelbaren Praxis und des kreativen Versuches, etwas ganz Anderes zu schaffen. Dies ist grundsätzlich auch gut so, denn der überstrapazierte Wahlspruch einer (wohl ebenso überstrapazierten) mexikanischen Befreiungsbewegung – „Preguntando Caminamos – Fragend schreiten wir voran“ – spiegelt gerade im heutigen Status Quo die Anfordernisse an soziale Bewegungen wider. Wer heute „aufs Ganze“ gehen will, muss paradoxerweise klein anfangen. So schwierig eine positive Bestimmung von Praxen der Herrschaftsaufhebung auch sein mag – ganz ohne Bestimmung kommen auch Versuche „von unten“ nicht aus. Emanzipatorische Praxis muss sich stets ihrer (je historischen) eigenen Grenzen bewusst sein, will sie erfolgreich sein. Das heißt, dass sowohl ein Denken absoluter Kontingenz, die Vorstellung der grundsätzlich jetzt schon realisierbaren Utopie, als auch dogmatische Determinationskonzepte, die nicht nach Handlung fragen, abgelehnt werden müssen. Die Bestimmung der Grenze wäre in beiden Extremfällen obsolet und somit Theoriearbeit mit Bezug auf konkrete Praxen eigentlich hinfällig – wenn ohnehin absolute Freiheit bestünde, warum dann nicht einfach nur machen? Und wenn alles von vorneherein vorgegeben wäre – warum nicht einfach zurücklehnen und dem Gang der Geschichte aus der BeobachterInnenperspektive folgen? Es muss also sowohl abstrakter Theorie als auch konkreter Praxis um die Bestimmung der (eigenen und spezifisch aufeinander bezogenen) Grenze als solcher gehen.

1 Prolog zu Theorie und Praxis

Hinsichtlich dieser Grenzbestimmung ist der Ausgangspunkt dieser Arbeit klar ein theoretischer, nämlich der einer emanzipatorischen kritischen Theorie, die der Gesellschaftsveränderung systematisch, aber realistisch zuarbeiten möchte. Kritische Theorie hat sich deshalb dem Auftrag verschrieben, Grenzen zu bestimmen und somit abstrakte, negative Bestimmungen des Rahmens emanzipatorischen Handelns zu erarbeiten. Dieses Herantasten an die erkenntnistheoretischen aber auch ontologischen und praxeologischen Grenzen verweist jedoch auf einen tieferen Kern des Theorie-Praxis-Verhältnisses. Es geht um gesellschaftstheoretische Essentials, d.h. die grundlegende Frage nach der Bestimmung der spezifischen Definitionskriterien der (kapitalistischen, patriarchalen) Gesellschaft, in der wir leben und derart auch um die Essenz einer „dialektische Herangehensweise“. Dies ist so zu verstehen, dass Theorie und Praxis als widersprüchliches Verhältnis nicht einfach negiert wird, es wird vielmehr davon ausgegangen, dass sich in der herrschenden Gesellschaft (gerade auf Grund ihrer spezifischen Beschaffenheit) stets gewisse bestimmte Widersprüche auftun, die nicht einseitig immanent „aufgelöst“ werden können. Sie müssen in einem Prozess der Vermittlung bearbeitet werden, wenn emanzipatorische Praxis sich nicht in ideologisch-einseitigen Irrwegen verlaufen soll. Diese Gefahr droht immer und muss einkalkuliert werden, denn es gibt wenig „Nicht-Ideologisches“, d.h. in sich nicht irgendwie (unmittelbar oder mittelbar) „falsches“ Handeln. Derartig ist auch Adornos Diktum „es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ zu verstehen: wir können aktual nicht aus den Widersprüchen ausbrechen, aber ihre stetige Bearbeitung kann eine derartige Überwindungsperspektive trotzdem eröffnen. Das falsche Ganze mag in Stein gemeißelt sein, aber der Berg ist nicht unbezwingbar, die Perspektive seiner Sprengung und endgültigen Beseitigung ist auch schon im Hier und Jetzt theoretisch gegeben. In den heute vorherrschenden Verhältnissen, die vom Scheitern der klassischen Linken (in doppelter Hinsicht – sowohl „historisch“ als auch hinsichtlich ihres ursprünglichen theoretischen Anspruchs) und einer umfassenden, wie pluralen „Suchbewegung“ der neuen sozialen Bewegungen geprägt sind, muss damit allerdings klein angefangen werden. Kritische Theorie hat hier gezwungenermaßen eine Vorreiterinnenrolle, insofern eine ernsthaft organisierte emanzipatorische Bewegung auf Basis eines gemeinsamen umfassenden und negativen Gesellschaftsverständnisses (noch) nicht absehbar ist. Dies mag ernüchternd sein für Versuche der Organisation und trägt zweifellos zu einem problematischen, immer wiederkehrenden „hierarchischen“ Widerspruchsverhältnis von „abstrakter Theorie“ und „konkreter Praxis“ bei, Theorie scheint also der Praxis oft illegitimer Weise vorauszugehen und somit praktische Impulse schon von vorneherein überholt zu haben. Dieser Widerspruch ist aber auszuhalten, Theoriearbeit muss auf ihre Eigenständigkeit pochen, auch wenn dies die Gefahr der Besserwisserei und der Selbsteinsperrung in Elfenbeintürmen birgt. Denn die ihr zukommende Rolle und Situierung ist eben gesellschaftlich induziert, gewissermaßen ein Reflex auf die gegebenen Verhältnisse. Andererseits darf diese Spannung nicht als Aufhebung der Eigenqualität von Praxen auf unterschiedlichen Ebenen missverstanden werden: Kritik bleibt theoretisch, selbst wenn sie noch so radikale Urteile über Praxis fällt. Letztlich kann die Veränderung nur in den real existierenden, aktual produzierten und reproduzierten gesellschaftlichen Verhältnissen, also „praktisch“, erzielt werden. Damit ist nun zwar kein positives Programm der Praxis abgesteckt – dies kann Gesellschaftskritik ohnehin nicht leisten; Theoretische Vorarbeit trägt jedoch zu einer konstruktiven Verhältnisbestimmung bei, die einen Dialog mit (wohl nie endgültig zu erreichenden) performativen Anspruch auf Hierarchiefreiheit zumindest in Aussicht stellt. Jedenfalls notwendig wird es dabei sein, eben nicht dem alten Fehler einer Vereinseitigung von jeweils Theorie und Praxis zu erliegen: Es muss gesehen werden, dass gerade auf Grund der Beschaffenheit der heute vorherrschenden gesellschaftlichen Formzwänge, der komplexen und sozial stratifizierten wie auch emergenten Struktur, in der sich die Widerspruchslogik kapitalistisch-patriarchaler Vergesellschaftung aktualisiert, weder eine Auflösung der Theorie in Praxis, noch eine Reduktion der Pluralität der konkreten Praxen in abstrakte Theoriearbeit möglich ist. (Abstrakte) gesellschaftskritische Theorie und konkrete Praxis müssen angesichts der spezifischen sozialen Realität geschieden bleiben. In dieser Hinsicht ist auch das Modell der Einheit von Theorie und Praxis aufzugeben: Es war seit jeher ein intrinsisch politisches Konzept, bei dem sowohl die Praxis als auch die Theorie einem abstrakten „Politziel“ unterworfen wurden und somit letztendlich zum (mehr oder weniger sympathischen) Dogma mutierten. Dies stellt selbst noch eine ideologische Verarbeitung der bestehenden Real-Widersprüchlichkeit dar, zumal – wie ich in Folge zeigen möchte – die Gefahren eines „Politikfetisches“ verkannt und der (notwendig aktuale und partikulare) eigene Status Quo unbotmäßig universalisiert wird. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht auch verschiedene „Ebenen“ der theoretischen Auseinandersetzung und emanzipatorischen Praxis gibt, die eine der anderen „einfach so“ gegenüber steht. So kann Praxis ganz unmittelbar verstanden werden als Lebenspraxis des/der Einzelnen bzw. seines/ihres direkten Umfelds. Hier ist eine recht umfassende Abkehr von Momenten der „abstrakten, repräsentativen Politik“ noch am Greifbarsten. Etwas breiter lässt sich diese Praxis verstehen als größeres Netz von aktiven (Klein-)Gruppen, die etwa unter dem Begriff „grass roots“ zu fassen wären, wobei klassisch „anti-politische“ und „politische“ Momente vermengt auftreten. Weitergehend kann sie aber auch die weniger unmittelbar fassbaren Praxen im Gefüge bestehender (politischer) Strukturen meinen. Schließlich kann auch von gesamtgesellschaftlichen oder aggregierten Tendenzen sozialer Praxis schlechthin gesprochen werden, wobei jedoch die Rolle des/der Einzelnen in der Abstraktion relativ aufgehoben ist. Es kann also deshalb auch keinerlei „Handlungsperspektive“ auf dieser abstraktesten Ebene geben, vielmehr steht sie für die Dimension der „Handlung von Gesellschaft selbst“, nämlich jener derart bestimmten historischen Gesellschaft, die mehr als die Summe der Einzelhandlungen ist, insofern sie eine bestimmte grundlegende „Formlogik“ aufweist, die der eines „automatischen Subjekts“ (Marx) gleicht. Analog dazu muss von verschiedenen Ebenen der Theoriebildung ausgegangen werden, wobei am abstrakten Ende Gesellschaftskritik zu verorten ist, kritische Sozialwissenschaft klassischerweise intermediäre, in Strukturen verdichtete Praxen untersucht und Bewegungsforschung, kritische Sozialanthropologie oder auch Psychoanalyse theoretische Zugriffe auf die „unmittelbarsten“ Ebenen der Praxis „von unten“ ermöglicht. Es stellt sich nun die Frage, wie Ökonomie hier einzuordnen ist, denn in diesem Artikel soll es ja um eine Einschätzung der „Umsonstökonomie“ gehen. Da diese Frage nun nicht so einfach zu beantworten ist, ja in diesem Problem sich gewissermaßen das Erkenntnisinteresse dieser Auseinandersetzung kristallisiert, hoffe ich hier nun im inhaltlichen Gang durch zentrale Problematiken zur Aufhellung einiger dunkler Flecken beitragen zu können. Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit dem Begriff selbst, werde ich also die Umsonstökonomie auf den oben angedeuteten unterschiedlichen Ebenen kritisch diskutieren.

2 Zur Definition der Umsonstökonomie

Unter „Umsonstökonomie“ wird gemeinhin v.a. der Zustand eines geldfreien Wirtschaftens verstanden. Hiermit ist eine nicht nur rudimentäre Eingrenzung theoretisch eigentlich vorgeben, da die Vorstellung von Wirtschaft ohne Geld – so sie in ihrer komplexen Verwobenheit mit anderen, vermeintlich distinkten sozialen Momenten ernst genommen wird – notwendig einen Rattenschwanz gravierender gesellschaftlicher Veränderungen mit sich bringt. Die konkretere Ausgestaltung bleibt demgegenüber jedoch oft ausgesprochen vage. Insbesondere die Abgrenzung von Konsumkritik und (oft ökologisch motivierter) Kritik an der Wegwerfgesellschaft nach unten hin und Solidarökonomie und „alternativer Ökonomie“ nach oben hin erscheint ungenügend zu sein. Nachdem mir diese Ambiguität in der grundlegenden Bestimmung des Konzepts symptomatisch für eine inhärente Schwierigkeit zu sein scheint, möchte ich definitorisch hier zuerst einmal Klarheit schaffen, bevor ich auf das Konzept weiter eingehe.

Unter Konsumkritik einerseits und der Kritik der Wegwerfgesellschaft andererseits werden zahlreiche unmittelbare Praxen und inhaltliche Fragmente verstanden, die sich ablehnend auf bloße Erscheinungen der herrschenden Ökonomie beziehen. Damit soll nicht gesagt sein, dass eine gewisse entfremdende Form des Konsums nicht umfassende Folgen auf für die soziale Interaktion von Menschen hat bzw. das kulturelle Imaginäre recht umfassend prägt. Auch kann nicht verneint werden, dass die herrschende Form der Produktion und des Austausches von Gütern zu einem überaus hohen Grade notwendigerweise byproduct, im sprichwörtlichen Sinne „Müll“ hervorruft. Eine gewisse innere Beziehung zwischen dem Drang zu Konsum und der Tatsache, dass das, was konsumiert wird, (oft schon von vorneherein) Müll ist bzw. recht rasch zu solchen wird, kann dabei ebenfalls nicht verleugnet werden. Die darin begründeten Effekte sind teils recht einschneidend, mit persönlichem Leid und unmittelbar wahrgenommener Absurdität verbunden. Dennoch muss festgehalten werden, dass Ökonomie nicht den „Zweck“ hat, diese Effekte hervorzubringen. Sie sind eben nur eine Konsequenz, die sich unter Anderen (teilweise auch durchaus angenehmeren) aus einer gewissen Wesenslogik der Ökonomie ergibt. Diese Wesenslogik ist bekanntlich eine selbstzweckhafte, die dem Imperativ der „Plusmacherei“ (Marx), der beständigen Verwertung des Werts auf immer höherer Stufe, folgt. Für diese Logik zählen sowohl die menschlichen als auch die ökologischen Konsequenzen nicht im Geringsten (zumindest solange sie nicht selbst noch verwertbar werden, wie etwa in der kulturindustriellen Aufnahme eines gewissen Widerstands gegen den „Normkonsum“ oder durch die Nischenproduktion von „ökologischeren“ Waren – aber das hat freilich Grenzen). So sehr diese Praxen uns betreffen mögen, ja bis zu einem gewissen Grad die Motivation für Versuche anderen Wirtschaftens liefern mögen, können sie an sich nichts zur Definition einer möglichen anderen, nämlich „umsonst“ stattfindenden Ökonomie beitragen. Dies ist zumindest so, wenn Ökonomie im Sinne der Wesenslogik des Kapitals und in Übereinstimmung mit dem oben dargestellten basalen Verständnis von Gesellschaftskritik erschlossen wird. Wie sie anders zu verstehen sein mag, müsste sich dann auch aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem Bestehenden ergeben, wobei darin – wie noch zu zeigen sein wird – auch der Kern der Bestimmung des „Umsonst“, der Geldfreiheit und somit des definitorischen Grundgerüsts zu suchen ist. In jedem Fall kann aber nicht von bloßen Phänomenen der hiesigen Ökonomie auf die Bestimmung einer möglichen Anderen geschlossen werden.

Wie sieht es nun mit der Vorstellung von solidarischer bzw. „alternativer“ Ökonomie aus? Unter diese Begriffe fallen eine Vielzahl an unmittelbaren Praxen, unter anderem solche auf einer grass-roots-Ebene, aber inzwischen auch einige Momente der strukturell verstetigten Praxisformen. Unter solidarische Ökonomie kann etwa das grundsätzliche Postulat einer (individuellen) solidarischen Orientierung auf das (ökonomische) Gemeinwesen verstanden werden. Aber auch die Organisation in kleinen GenossInnenschaften und der Appell an politische Institutionen bis hin zum etablierten „nationalen Sekretariat für Solidarökonomie“ in Brasilien lassen sich damit fassen. Noch breiter ist die Vorstellung von „alternativer Ökonomie“ schlechthin. Während in den theoretischen und praktischen Konzepten der Solidarökonomie – qua Solidaritätsprinzip – zumindest eine recht umfassende Einschränkung der Prinzipien einer „freien Marktwirtschaft“ impliziert ist, kann dies von „alternativer Ökonomie“ nicht mehr gesagt werden. Der Begriff ist derartig vage, dass darunter bereits fast alles, was sich halbwegs umfänglich vom herrschenden „Neoliberalismus“ unterscheidet, gefasst werden kann. So etwa Konzepte einer „sozialen Marktwirtschaft“ oder einer „moralischen Ökonomie“. Gisela Notz verbleibt in ihrem Überblickswerk zu Theorien alternativen Wirtschaftens deshalb in der Definition zu Recht reichlich vage:

Auf jeden Fall markiert alternative Wirtschaft einen Übergangsbereich zwischen der marktorientierten kapitalistischen Wirtschaft, dem öffentlichen Produktions- und Dienstleistungssektor und der sogenannten informellen Ökonomie. In diesem Grenzbereich haben wir es mit höchst unterschiedlichen ökonomischen Strukturen zu tun. (Notz 2011, p. 28)

Das Konzept der „alternative Wirtschaft“ ist also derartig vage, dass es sowohl vom Gegenstand her betrachtet, auf den es sich kritisch bezieht, als auch mit Bezug auf eine mögliche positive Definition kaum einen brauchbaren gemeinsamen Nenner liefert. Die Bestimmung als einem „Grenzbereich“ zugehörig ist allerdings von Bedeutung, da sie in Folge für die weitere Einschätzung und Präzisierung der Idee der Umsonstökonomie eine Rolle spielt. Denn jene ist zwar offensichtlich ebenso an einer Grenze angesiedelt, diese Grenze erfährt jedoch durch das „umsonst“ im Namen eine nähere Bestimmung, die nur in ihrem negativen kritischen Bezug Sinn macht. Denn die angestrebte Ökonomie ist nicht in einem allgemeinen Sinne der (positiven) Ausrichtung auf etwas „umsonst“, sie ist umsonst nur mit Bezug auf die spezifische Konnotation, die jene Bezeichnung im Kapitalismus bekommt: denn „umsonst“ ist nicht etwa eine bestimmte Tätigkeitsform oder eine Eingrenzung von gewissen (wirtschaftlichen) Strukturen; umsonst ist etwas nur mit Bezug auf die herrschende Logik der Wert-Verwertung. D.h. ex negativo wird bestimmt, was nicht in dieser Formlogik aufgeht. Sinnbildlich dafür steht der Verzicht auf Geld, denn es erscheint auch dem/der unbedarften BeobachterIn eingängig, dass Kapitalismus nicht ohne Geld funktioniert. Auf nicht ganz offensichtliche Weise kommen hier also die Praxis und eine recht radikale Kritik der Politischen Ökonomie, wie sie bisher immer wieder als Blaupause zugrunde gelegt wurde, zusammen. Ich würde die Definition der Umsonstökonomie also als offen negative konzeptualisieren: Umsonstökonomie umfasst all jene Praxen, die sich gegen das Geld und damit eine herrschende Form der heutigen kapitalistischen Ökonomie wenden. Theoretisch-konzeptuell ist sie nur fassbar im Rahmen einer grundsätzlichen Kritik der Politischen Ökonomie (des Kapitalismus). Das heißt natürlich nicht, dass konkrete umsonstökonomische Praxen nicht auch ohne diese Kritik im Hintergrund verfolgt werden könnten; es heißt auch nicht, dass jegliche theoretische Beschäftigung mit diesen Praxen immer nur auf der Ebene der Kritik der Politischen Ökonomie stattfinden kann. Abgesteckt ist jedoch ein definitorischer Kulminationspunkt, der auf ein genau bestimmtes theoretisches Programm verweist und dieses ist wiederum nur mit Bezug auf ein gesamtgesellschaftliches Abstraktionsniveau, die viel beschworene „gesellschaftliche Totalität“ zu haben. Dies unterscheidet „Umsonstökonomie“ erst einmal deutlich von anderen Konzepten alternativer oder solidarischer Ökonomie. Mit diesem Vorverständnis im Hinterkopf gilt es nun, die inneren Widersprüche des Konzepts selbst auszuloten, die gewissermaßen gerade auch im Kontext des (allgemeinen) Widerspruchs zwischen Theorie und Praxis zu verstehen sind.

3 Kritik der Umsonstökonomie

Die oben gewonnene Erkenntnis der faktischen inneren Verwobenheit von umsonstökonomischen Konzepten und gesellschaftstheoretischen Ansätzen birgt nun für mögliche praktische Perspektiven einige Potentiale, aber auch Begrenzungen. Als Potential würde ich es betrachten, dass derartig informierte Praxen implizit mit einer umfassenden Kritik der Gesellschaft verbunden sind. Dies kommt zwar keineswegs einer „Einheit von Theorie und Praxis“ gleich, eher im Gegenteil, wie sich bald erweisen wird; es bietet jedoch zumindest die Anknüpfungsfähigkeit von ganz unmittelbaren Praxen an systematische und integrale Gesellschaftskritik. So gestaltete Praxis ist wenigstens potentiell dialogfähig, insofern es einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ gibt und bestimmte, theoretisch abgesteckte Widersprüche nicht nur unbewusst, sondern eingedenk der Grenzen von Handlungsmöglichkeiten bearbeitet werden können.

Umgekehrt ist Umsonstökonomie aber immer auch durch diesen Bezug auf die Gesellschaftskritik begrenzt. Sie muss sich in ihrer Widerspruchsbearbeitung an einem grundlegenden Rahmen messen, der hinsichtlich der Einschätzung der Wirkmächtigkeit und Tragfähigkeit der eigenen Ideen vielleicht nicht immer die gewünschten (einfachen) Antworten gibt. Im Durchgang durch die verschiedenen Abstraktionsebenen von Kritik und Praxis möchte ich nun die bisher umrissene Grenzbestimmung substanzialisieren.

3.1 Kritik der (Politischen) Ökonomie und Umsonstökonomie

Unter der Kritik der Politischen Ökonomie im engeren Sinne werden die v.a. in den Grundrissen (Marx 1974b) und dem Kapital (Marx 1974a; 1975a; b) vorgelegten ökonomiekritischen Arbeiten von Karl Marx verstanden. Dabei handelt es sich um eine umfassende darstellende Kritik der kapitalistischen Ökonomie in ihrem idealen Durchschnitt. Es werden also die grundlegenden Rahmenpfeiler für ein sehr abstraktes und umfängliches Verständnis des Kapitalismus geliefert. Dieser Artikel hat nicht den Anspruch Konzepte der Umsonstökonomie auf ganz generalisierte und umfassende Weise im Kontext der Kritik der Politischen Ökonomie zu verhandeln. Ich werde jedoch einige Aspekte herausgreifen, die auf einfache Art und Weise eine Vorlage für die kritische Diskussion bieten können und zentrale Widersprüche artikulieren.

3.1.1 Präliminarien der Ökonomiekritik

Wer Marx gelesen hat, wird wohl noch im Kopf haben, dass er von der Ware ausgeht und diese in Gebrauchswert und Tauschwert unterteilt. Dabei ist es – simpel ausgedrückt – die Tauschwertseite, welche sich in Geld misst, während die Gebrauchswertseite für den abstrakten Nutzen, der den Dingen zugeschrieben werden kann, steht. Das Paar Gebrauchswert-Tauschwert spielt auch in (mir bekannten) Konzepten der Umsonstökonomie eine Rolle, wie bereits auch die obige Definitionsarbeit nahelegte. Im „ABC der Alternativen“ heißt es dann auch beim einschlägigen Eintrag:

„Während selbst in der Tauschökonomie – wie beispielsweise in den Tauschringen praktiziert – menschliche Eigenschaften und menschliches Tun als abstrakte Werte getauscht und damit letztlich auf ihren Wert reduziert werden, wird in der Umsonstökonomie diese Tauschlogik überwunden.“ (Habermann 2007, p. 238)

Diese prinzipielle Absage an jeglichen (kapitalistischen) Äquivalententausch als kategorialer Basis von Geld und Kapital stellt ohne Zweifel einen kategorialen Fortschritt gegenüber anderen Modellen alternativer Ökonomien dar. Die Umsonstökonomie ist als inhaltliches Postulat emanzipatorischer, linker Praxis auch eine relativ neue Erscheinung, die wohl nicht zuletzt auch mit einer substantiellen Intervention durch kritische Theorie in Verbindung zu bringen ist. Zugleich muss aber bedacht werden, dass die binäre Bestimmung der Ware nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Zu Recht wenden manche KritikerInnen ein, dass der Kapitalismus doch um einiges komplexer ist und Marx deshalb auch drei Bände des Kapitals benötigte, um diese Komplexität annähernd einzufangen. Es reicht deshalb nicht hin, nur den Anfang des ersten Bandes zu lesen, denn dann erscheint die kapitalistische Ökonomie tatsächlich eine allzu simple Sache zu sein. Die methodische Abstraktion von der konkreten Totalität, welche sich in der anfänglichen Bestimmung der Ware wiederfindet, täuscht nämlich v.a. über eine Tatsache hinweg: der Kapitalismus ist nicht nur das Faksimile des Tauschwerts, der auf den Markt geht und zu Kapital wird. Eine derartige Momentaufnahme, die Kapitalismus allzu sehr mit „Marktwirtschaft“ assoziiert, sieht nicht, dass diese „einfachen“ Kategorien, die am Anfang des Kapitals so schön logisch erscheinen, tatsächlich historisch hergestellte sind und derart auf der beständigen Produktion und Reproduktion der real-abstrakten Kategorien und ihrer Möglichkeit beruhen. Das heißt, dass eigentlich die konkrete Totalität – ebenso wie das wirkliche Kapitalverhältnis – immer nur als Prozess zu denken ist, und zwar als einer, der sich auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene wiederherstellt. Kapitalismuskritik kann also ganz grundsätzlich nicht nur im „Kleinen“ gedacht werden, sondern muss strukturelle Dimensionen berücksichtigen. Hier kommt sowohl ein historisches Moment der Kontigenz zur Geltung – der Klassenkampf spielt im Rahmen der historischen Bedingungen eine formierende Rolle für die konkrete Ausgestaltung von ökonomischen Strukturen. Ganz generell ist damit aber auch auf die Rolle von abstrakter Arbeit, d.h. dem gesellschaftlich aggregierten „Stoffwechselprozess mit der Natur“ (Marx) verwiesen, die als „differentia specifica“ den Kapitalismus von anderen historischen Epochen abgrenzt. Denn erst durch die „produktive“ Wendung des Kaufmannskapitals, die ursprüngliche Akkumulation und formelle Subsumption der Menschen unter das Kapital wurde das herrschende System zu dem, was es ist.

Wenn nun Tauschwert und Gebrauchswert in einer generalisierten Dimension betrachtet werden, geht diese einher mit der Einteilung in „Zirkulation“ (Waren werden gegen Geld getauscht, Sphäre des Marktes, Tauschwert steht im Vordergrund) und „Produktion“ (Herstellung von Gütern, stellt Gebrauchswert her und somit auch Tauschwert, Arbeit). Auf der Ebene gesamtgesellschaftlicher Synthesis, also dem, was „das Ganze“ ausmacht, sind beide immer schon als verschränkt zu betrachten. Auch eine Überwindung des Kapitalismus muss auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene stattfinden (dies ist ein Problem für jedwede Praxis), jedoch müssen Konzepte alternativer Ökonomien sich an dieser funktionalen Sphärentrennung messen.

Hier wird nun sehr schnell deutlich, dass Umsonstökonomie vornehmlich als eine „Zirkulation ohne Geld (und Tausch)“ gedacht wird. Stoffliche Produktion findet nicht oder wenn dann höchstens in äußerst beschränkten Maße statt – etwa in Form von Selbsthilfewerkstätten und kleinhandwerklichen Liebhabereien. Eine eher internet-basierte Gemeinde rund um die Vorstellung von „intellektuellen Commons“ und den freien Austausch von Informationen bezieht sich – auf Grund anderer (sub)kultureller Backgrounds – meines Wissens zwar nur peripher auf das Konzept „Umsonstökonomie“; wo dies aber der Fall sein mag, ist klar, dass hier eine andere Dimension des Ökonomischen gemeint ist, als gemeinhin in der Umsonstökonomie. Produktion im stofflichen Sinne wird auch durch die Produktivkraftentwicklung der neuen IT und ihre partielle Entkopplung von einer unmittelbaren Verwertung nicht hinfällig, ebenso wie „intellectual property“ nicht per se aus der kapitalistischen Form fallen muss. Es ist auch für die meisten ProponentInnen der Umsonstökonomie klar, dass sie nichts herstellen, sondern vielmehr vom „Abfall des Systems“, dem nicht oder kaum mehr Verwertbaren zehren. Umsonstläden als „real existierende“ Manifestation der Umsonstökonomie etwa haben nicht umsonst den Charakter eines Flohmarkts. Dieser Zustand ist nun nicht per se schlecht, zumindest wenn nicht Ursache und Wirkung verwechselt wird, also z.B. das Hauptmotiv die Abfallvermeidung selbst ist. Darin liegt zweifellos wenig perspektivisches Potential, im Gegenteil ist dies doch eher ein systemimmanentes Moment. Der bewusstere Umgang mit Dingen, die berühmte Refokussierung auf den „Gebrauchswert“ und die Abkehr vom „bösen“ Tauschwert mag unmittelbar positive (individuelle, zwischenmenschliche) Effekte haben; Er bietet jedoch keine Lösung für Probleme auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene. Vielmehr verweist die allzu einfache Bezugnahme auf die Binarität Gebrauchs-/Tauschwert auf eine Grenze des gesamten Zugangs, die entscheidend ist. Wird sie nicht konsequent mitgedacht, laufen umsonstökonomische Anliegen Gefahr, ins Ideologische abzugleiten, wenn etwa vom schönen Prinzip des „Geben und Nehmen“ unmittelbar auf die Möglichkeit einer realen Ökonomie geschlossen wird. Hier liegt ein doppeltes Problem begraben:

Einerseits ist im Begriff Umsonstökonomie bereits eine gewisse Reduktion auf die Ebene der Zirkulation gesetzt, selbst dann noch wenn den AkteurInnen bewusst ist, dass es noch mehr bedarf als eines „Umsonst-Ladens“, in welchem die schon fertigen Dinge verteilt werden. Denn wie bereits in der obigen Begriffsbestimmung gezeigt wurde, kann „umsonst“ immer nur negativ verstanden werden, als kritischer Bezug auf herrschende (Wert-)Logik. Dieser negative Bezug ist nun einerseits eine Stärke, er ist jedoch andererseits aber auch halbiert, da „umsonst“ stets nur auf das Moment der Zirkulation von Waren qua Geld abzielt. Die Vorstellung, dass stoffliche Produktion an sich „umsonst“ stattfände, ist nur mit Bezug auf deren Orientierung auf das allgemeine Äquivalent irgendwie intelligibel. Jedoch ist auf dieser stofflichen Ebene eine „einfache“ Scheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert ganz endgültig nicht mehr möglich. Dies ist nicht deshalb so, weil in der Produktion der Gebrauchswert in Reinform auftreten würde. Im Gegenteil sind Gebrauchswert und Tauschwert hier auf komplexere Weise vermittelt, wodurch auch die scheinbar einfache Trennbarkeit mit Rekurs der auf dem Markt bereits „fertig“ vorliegenden Waren hintertrieben wird. Denn welcher Gebrauchswert produziert wird, wie und warum dies passiert, lässt sich nicht auf der Ebene einer „einfachen Warenproduktion“ feststellen. Es ist nur historisch und gesamtgesellschaftlich zu erschließen.

„Es gibt überhaupt keinen „individuellen Wert“. Dem Charakter der abstrakten Arbeit als Reduktion auf die Verausgabung menschlicher Energie und der einzelnen Ware als abstrakter Wertgegenständlichkeit (hinsichtlich ihrer gesellschaftlich gültigen Qualität) tut das überhaupt keinen Abbruch, nur ihre Größe ist unbestimmt, weil erst im gesamtgesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang als friktional vermittelte Einheit von Produktion und Zirkulation (Realisation) des Mehrwerts ermittelbar.“ (Kurz 2008, p. 161)

Kurz verweist hier auf die Prozessualität einer kreislauftheoretischen Wertbestimmung, die zahlreiche darstellungslogische und theoretische Komplexitäten beinhaltet, welche hier nicht aufgearbeitet werden können. Klar wird jedoch, dass Tauschwert und Gebrauchswert selbst nur auf einer gewissen Darstellungsebene „einfache“ Kategorien sind, die in ihrer Dualität erhalten werden können, ebenso wie Zirkulation und Produktion auf einer abstrakteren Ebene nicht letztgültig zu trennen sind. Diese Reflexion einer dialektischen Prozessdimension des Kapitalverhältnisses, welches selbst schließlich seiner Definition nach immer schon nur „in motion“ gefasst werden kann (Kapital als Bewegung G-W-G‘), sollte unbedingt ernst genommen werden, selbst wenn ihr genaues Verständnis komplexere theoretische Durchdringung notwendig macht, die im Kontext einer (Kritik der) Umsonstökonomie vielleicht nicht nachvollzogen werden müssen.

Spätestens bei der Bestimmung der Produktion muss also klar werden, dass die abstrakt-einfache Darstellung der Ware bei Marx eine methodische Abstraktion ist, die nicht einfach in einen methodischen Individualismus umgemünzt werden kann. Wäre dem nicht so, dann müsste ja tatsächlich auch die Gleichgewichtstheorie und ihre Perspektive eines Kosten/Nutzen-Kalküls ernsthaft für die Produktion in Betracht gezogen werden. Dann müsste also schlussendlich das, was produziert wird, doch irgendwie von „Angebot“ und „Nachfrage“ bestimmt werden, das Verhältnis mystisch mit den – bezeichnenderweise selbst nur „abstrakt“ gefassten – individuellen Handlungspositionen zusammengehen. Dass dieser methodische Individualismus, was den „homo oeconomicus“ anbelangt – am Besten noch jenen, des „fiesen“, sogenannten „Neoliberalismus“ – eher deplatziert ist, ist in den meisten ökonomiekritischen Kontexten common sense. Der konsequente Rückschluss auf die eigene Praxis und ihre Reduktionismen wird dabei aber oft außen vor gelassen. Letztlich ist dies jedoch nicht nur ob der Aporien bürgerlicher Ökonomietheorie nötig. Ein derartiger methodischer Individualismus würde die Quintessenz der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie – die Selbstzweckhaftigkeit des „automatischen Subjekts“ Wert – in Frage stellen, da hier plötzlich die Ebene des einzelnen Interesses eine nicht bloß phänomenologische, sondern wesensmäßige Rolle spielen würde. Werden Gebrauchswert und Tauschwert aus dem Kontext gerissen betrachtet, so kann nicht über den Markt als – dann einziger – zentraler kapitalistischer Instanz hinaus gedacht werden. Dies reproduziert in letzter Konsequenz jedoch nur die herrschende ökonomische Rationalität des/der „vereinzelten Einzelnen“: Die Reduktion auf die Dualität von Gebrauchs- und Tauschwert impliziert eine Gleichsetzung der Ökonomie mit dem Markt und dies wiederum ist eine unmittelbar mit der fetischistischen Form kapitalistischer Vergesellschaftung in Verbindung stehende ideologische Reflexion. Hier muss auch – abseits von jeglicher subjektiv-arbeitInnenbewegten Idealisierung – die völlige Auslassung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, der Momente der konkreten Ausformung der Ausbeutung wie etwa globalisierte Prekarisierung (nach innen, in den Zentren, in Gestalt des Abbaus der fordistischen Wohlfahrtsstaatlichkeit und nach Außen, in die Peripherien, in Form der „Sweatshopisierung“ und gleichzeitig immer umfassenderen (in-)formellen Subsumption unter das Kapital) moniert werden. In gewisser Weise kann der Vorwurf, dass es sich bei Umsonstökonomie um ein „klein-bürgerliches“ Konzept handelt, auf den Tisch gebracht werden. Dabei spielt eine soziologische Bestimmung eine Rolle, also etwa, dass Menschen, die unter starkem materiellen Überlebensdruck stehen, kaum Zeit und/oder Energie haben für die „Realutopien“ eines in jeglicher Hinsicht prekären Versuchs alternativer Ökonomie. Darüber hinaus ist aber eher auch die ideologiekritische Komponente hervorzuheben – Positionen der Umsonstökonomie verkennen (auf Grund ihrer spezifischen Subjektposition, die wohl nicht ausschließlich mit einer irgendwie sinnvollen „Klassendefinition“ abgehandelt werden kann) oft systematisch die Notwendigkeiten und Bedingungen der gesamtgesellschaftlichen (materiellen) Reproduktion, wie sie sich im „idealen Durchschnitt“ auch in den Köpfen der meisten Menschen notwendig artikulieren.

Insofern ist auch die Gebrauchswertorientierung eine problematische, weil hier stets die individualisierte, von vorneherein durch eine bürgerliche Brille der „Reflexion auf sich selbst“ beschränkte Sicht auf das Geschehen vorherrscht: Den einzelnen Dingen soll mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden (ist die sorgfältige Beachtung von Dingen wirklich das Ziel der Emanzipation?) wenn genau und in der Facon eines/r Kenner/in (seiner/ihrer selbst) geprüft wird, ob etwas nun „wirklichen“, individuellen Gebrauchswert aufweist oder nicht doch irgendwo der fiese Tauschwert hineinspielt. Mag dies individuellen Wegen zum Glück auch zuträglich sein: dabei wird fundamental die eigentlich – d.h. gesamtgesellschaftlich – relevante Perspektive des Gebrauchswert außen vor gelassen. Gesellschaftlich relevant kann über Gebrauchswert wenn überhaupt nur in seiner historisch-aggregierten Form nachgedacht werden, nämlich jener des Stands der Produktivkräfte. Hier spielen nun Fragen der Abdeckung von elementaren Reproduktionsnotwendigkeiten auf der Höhe der technischen Entwicklung eine Rolle. Und diesbezüglich bietet Umsonstökonomie bekanntlich keine Alternativen. Sie ist „Experiment“ nur insofern es sich um eine konkrete Praxis ganz bestimmter (situierter, regelmäßig spezielle Subjektpositionen aufweisende) Individuen handelt. Als solche ist Umsonstökonomie jedenfalls zu akzeptieren und in ihrer Eigenqualität zu schätzen. Dabei muss aber den Involvierten klar sein, dass nicht nur die eigene gesellschaftliche Irrelevanz eine systematische ist, sondern auch, dass es ganz deutliche (und schnell erreichte) Grenzen gibt, die Umsonstökonomie aus einer anderen Perspektive auch zum partikularistischen Spaß ganz Weniger machen. Im Negativen weist das Konzept (wie viele linke, „subkulturelle“ Praxisvorschläge) Offenstellen hin zum Sektiererischen auf. Kurz gesagt: wer keine Zeit, Energie, Muße und intellektuellen Möglichkeiten für das „spielerische Ausprobieren“ von Alternativen hat, wird nie wirklich Teil von Umsonstökonomie im emphatischen Sinne werden (selbst wenn er/sie die zur Verfügung gestellten Ressourcen regelmäßig nützt, d.h. ein/e „Besucher/in“ ist).

In dieser Hinsicht kommt auch der Ökonomiebegriff an seine Grenzen und muss hinterfragt werden. Denn als kritisch-sozialwissenschaftliche Kategorie kann dieser nicht unbegrenzt Verwendung finden: Gerne ist heute die Rede von „Gefühlsökonomie“ oder „Zeitökonomie“, – es kommt zu Individualisierungen der allgemeinen Kategorie Ökonomie, die an sich für die Gesamtheit der stofflichen Reproduktion stehen soll. Wenn auch diese Individualisierung der Ökonomie aus anderen (ideologie-)kritischen Gründen bereits mehr an Hinterfragung erfahren haben mag (Stichwort: Entfremdung), so verweist sie im Kern v.a. auf eine ideologische Achse, die systematisch verschleiert, dass Ökonomie nur als Gesamtheit sinnvoll zu fassen ist und deshalb auch nur auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene betrachtet werden sollte. Ökonomie funktioniert nie „im Kleinen“ und „von unten“, zumindest nicht in einer modernen Gesellschaft, in der Technologie und Vernetzung integraler Bestandteil sozialer (Re-)Produktion sind. Das heißt zwar nicht, dass partiell und in manchen „Wirtschaftsbereichen“ (tendenziell nur jene, die keine großen Fabriken voraussetzen…) nicht „Versorgungsnischen“ entstehen können. Ansätze der „Ernährungssouveränität“, die v.a. in Ländern der globalen Peripherie eine Selbstversorgung gerade der armen (und oft auch hungernden) Landbevölkerung sicherstellen sollen, aber auch eine Basis der gesteigerten Unabhängigkeit für soziale Bewegungen schaffen möchten, sind nicht nur möglich, sondern ernst zu nehmen. Sie könnten tatsächlich Spielräume schaffen und als eine Art Wiedereinführung „vernakulärer Subsistenz“ gerade in der Peripherie das kapitalistisch gestützte Massensterben auf Grund mangelnder Lebensmittelzirkulation lindern. Wiederum muss aber (allen) klar sein, dass auch hier die Grenzen bald erreicht sind: nicht nur handelt es sich um einen sehr beschränkten Aspekt moderner Ökonomie (Landwirtschaft), es ist weiters tendenziell davon auszugehen, dass auch hier keine Produktion am Stand der Produktivkräfte, d.h. des technisch Möglichen (und Wünschenswerten) stattfinden kann, da dies erneut eine Integration in die „formelle Ökonomie“ notwendig machen würde. Dem „gesellschaftlichen Tauschwert“ ist also auch hier nicht zu entkommen, spätestens wenn das Geld für landwirtschaftliche Produktionsmittel aufgebracht werden muss. Es zeigt sich einmal mehr, dass Tauschwert und Gebrauchswert nicht individuell auseinanderzudividieren sind und gerade in ihrer notwendigen Verbindung „Ökonomie“ ausmachen. Summa summarum ist also auch hier ganz bestimmt nicht von „Ökonomie“ zu sprechen. Deshalb sind alle Individualisierungen und „Aneignungen von Unten“ als Konzepte potentiell ideologieträchtig, weil sie genau jener kapitalistischen Tendenz zuspielen, Fragen des Ganzen in fetischistischer Weise auf den/die Einzelne bzw. das Kleine herunterzubrechen.

Eine Analyse der praktischen Grenzen von Umsonstökonomie ergibt also folgendes Bild: Gebrauchswert und Tauschwert werden als Kategorien in potentiell ideologischer Weise reduziert auf eine individuelle Bestimmungsebene, was den Blick auf die gesamtgesellschaftliche (Re-)Produktion verkehrt. Während Umsonstökonomie im Kleinen eine „Gebrauchswertorientierung“ nahelegt und den Tauschwert beseitigen will, tut sie – trotz bzw. gerade auf Grund dieses Anspruches – im Lichte eines größeren Ganzen genau das Gegenteil. Sie versperrt sich durch die (gezwungenermaßen erfolgende, aber so nie mögliche) Fokussierung auf den „einzelnen Gebrauchswert“ konsequent der eigentlich relevanten „Gebrauchswertdimension“, nämlich jener der gesamtgesellschaftlichen stofflichen Reproduktion in allgemeiner Perspektive. Zugleich kann sie dem Nimbus des Tauschwerts nicht entkommen: dies kommt nicht nur in der Bezeichnung „umsonst“ zum Ausdruck, es wird auch in dem Anspruch eine „Ökonomie im Kleinen“ zu begründen, deutlich. Immer schwingt hier der „negative Markt“ mit, der beispielsweise auch in vermeintlichen „Planwirtschaften“ im Osten stets da präsent war, wo eigentlich eine „Aufhebung“ der auf Ausschluss und Konkurrenz basierenden Tauschwertdimension angestrebt wurde (Kurz 1994, p. 154ff). Wo eine „alternative Ökonomie“ im Kleinen begründet werden möchte, der Tauschwert dadurch ganz radikal und „praktisch“ kritisiert werden soll, dass „Dinge“ in der Umsonstökonomie vermeintlich von ihm freigemacht werden, kommt es in Wahrheit zu einer Verkehrung des Tauschwerts: Indem er individualisiert gedacht wird, wird eben jenes (klein-)bürgerliche Muster der Unmittelbarkeit bedient, das konsequent von den Aporien der („tauschwertfundierten“) Zirkulation absieht. Dabei werden reale Aspekte gesamtgesellschaftlicher „Tauschwertdimensionen“, insbesondere die Verteilungsfrage und darin angelegte Momente des Klassenkampfs um den Mehrwert, ignoriert. Das darin zutage tretende „Modelldenken“ im Ökonomischen ist in vieler Hinsicht gleichermaßen mit (klein-bürgerlichen) UtopistInnen und (bürgerlichen) ÖkonomInnen in eine Reihe zu stellen: beiderseits wird die Illusion einer Abstraktion „des Ökonomischen“ von der Realität der gesamtgesellschaftlichen Totalität bedient. Gewissermaßen muss hier allerdings weitergegangen werden und der Begriff der Ökonomie selbst in Frage gestellt werden, da er, wie gezeigt wurde, intrinsisch mit dem Kapitalismus und seiner spezifisch fetischistischen Verschweißung von Tauschwert und Gebrauchswert verwoben ist.

3.1.2 Politik und Ökonomie – Verortung und Kritik einer Sphärentrennung

Betrachten wir den Begriff „Ökonomie“ aus kritischer Perspektive näher, so kommen wir rasch zur Frage seiner Paarung mit „Politik“. Nicht umsonst geht es ja auch um Kritik der „Politischen Ökonomie“. Damit wollte Marx zumindest prinzipiell auf das Programm einer notwendigen gemeinsamen Kritik beider Seiten hinaus. Ohne hier auf die spezifischen Eigenheiten der modernen Politikform eingehen zu können, möchte ich auf Marx aufbauend das Verhältnis von Ökonomie und Politik selbst historisch kontextualisieren und als „kapitalistisch“ bezeichnen. Es ist gerade die Besonderheit des modernen warenproduzierenden Patriarchats (=Kapitalismus), dass es nicht nur in der Geistesgeschichte und mit Hinblick auf das moderne Subjekt (das in scheinbar klarer Opposition zum „Objekt“ gesetzt wird), sondern auch auf der aggregierten Ebene der gesamtgesellschaftlichen Konstitution eine widersprüchlich aufeinander verwiesene Binarität etablierte. Diese Binarität artikuliert sich in einer „Sphärentrennung“, die u.a. topologische Effekte, wie die Trennung in „Öffentlich“ und „Privat“, hervorbringt. Eine genauere Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden Problemen ist hier nicht möglich und auch nicht angebracht. Wird jedoch die historische Stoßrichtung der Kritik der Politischen Ökonomie ernst genommen, dann muss es auch um eine (Geschichte machende) Abschaffung dieser Binarität selbst gehen. Das heißt nun nicht, dass nicht Aspekte des Inhalts jener Trennung – etwa die reine technische Debatte über die Möglichkeiten stofflicher Reproduktion – weiter Bestand haben werden. Aber eine ernsthafte Formkritik der herrschenden Gesellschaftskritik muss auch die formelle Trennung als systemisch funktionale und zwanghafte hinterfragen. Es sollte in diesem Sinne keine rigide Trennung mehr zwischen „Ökonomie“ (Sphäre der Bedürfnisbefriedigung) und „Politik“ (Sphäre der sozialen Entscheidungsfindung) geben. In dieser Trennung ist selbst bereits eine fetischistische Relationalität impliziert, da davon ausgegangen wird, dass Ökonomie „von alleine“ und quasi naturhaft von sich geht und Politik absolut getrennt von „sachlichen Zwängen“ stattfindet. In einer befreiten Gesellschaft würde diese Trennung zugunsten eines gesamtgesellschaftlichen Zustands aufgelöst, indem Bedürfnisartikulation bzw. -Diskussion (als soziale und nicht technisch-sachlich orientierte) und Bedürfnisbefriedigung zusammenfallen. Umsonstökonomie scheint diese Perspektive insofern nicht teilen zu können, als sie diese Trennung schon qua Begrifflichkeit („Ökonomie“) reproduziert. In dieser Hinsicht müsste sie sich entscheiden: will sie ökonomisch „sein“ und damit systemimmanent bleiben (was aus vielerlei Gründen schwer zu bewerkstelligen sein wird) oder sich selbst hinterfragen und damit aber auch die Trennung von der Politik hintertreiben. Konsequenterweise könnte es dann aber auch nicht mehr primär um „Bedürfnisbefriedigung“ im Hier und Jetzt gehen, sondern Umsonstökonomie müsste gerade die spezifische Problematik der Sphärentrennung reflektieren und kritisch wenden. Es würde dann jedoch rasch klar, dass zwei Aspekte der Umsonstökonomie eigentlich nicht haltbar sind: die Vorstellung einer „Emanzipation im Kleinen“ und die Idee einer „Ökonomie von Unten“, die von politischen Aspekten klar zu scheiden ist.

Erstere (Selbst-)Kritik trifft also, von der abstrakten Ebene gesellschaftlicher Synthesis kommend, den sogenannten „Keimform-Gedanken“. Ihm zufolge kann der Totalität der herrschenden Gesellschaft entkommen werden, indem im Hier und Jetzt Nischen aufgebaut werden, die bereits in sich den Keim der anderen Welt tragen. Paradoxerweise wird die Rede von der Keimform oft mit „wertkritischen“ Ansätzen in Verbindung gebracht, was u.a. auf den bekannten Aufsatz von Robert Kurz „Antiökonomie und Antipolitik“ (Kurz 1997) zurückgeht. Kurz hat sich in dieser Arbeit tatsächlich kritisch mit alternativen Modellen der (Re-)Produktion in den bestehenden Verhältnissen auseinander gesetzt. Deren Einschätzung kann sicherlich aus vielerlei Perspektive erfolgen und wie auch schon von mir nahegelegt, geht es keineswegs um eine Delegitimierung von (irgendwelchen) konkreten Praxen per se. Anzustreben ist jedoch, wie schon gesagt, eine Kontextualisierung und Grenzbestimmung, die den Rahmen einer (notwendig) immanenten Kritik der bestehenden Verhältnisse ernst nimmt und mögliche ideologische „side-effects“ aufdeckt. Das heißt u.a., dass der Keimformgedanke in einer bestimmten Metaphorik zu lesen ist. Falsch wäre es z.B., ein Bild zu malen, das davon ausgeht, dass mit den heutigen (wenn auch selbst noch als klein erkannten) Versuchen der Umsonstökonomie die „Wurzeln“ gepflanzt werden, aus welchen dann irgendwann eine Pflanze wächst, die schlussendlich als Blume der befreiten Gesellschaft mit „ganz anderer Ökonomie“ gedeiht. Dies ist dem oben entworfenen Verständnis der Kritik der Politischen Ökonomie nach von vorneherein unmöglich, weil das Pferd von der falschen (weil individualisierten) Seite her aufgezäumt würde. Um das Bild anders zu malen: Praxen der Umsonstökonomie könnten höchstens ein „Übergangspflänzchen“ sein, von dem sich soziale Bewegungen nähren, solange sie im falschen Wald der herrschenden Verhältnisse verbleiben. Es ginge aber vornehmlich darum, diesen Wald abzuholzen und einen neuen mit einer gänzlich anderen Flora zu pflanzen. Umsonstökonomie kann also höchstens eine Keimform sein, insofern sie den Keim für Veränderung trägt, aber nicht jenen einer langfristigen Perspektive für etwas Neues. Natürlich impliziert dies, dass AkteurInnen im Emanzipationsprozess im Kleinen lernen können und manche Konzepte für alternative Ideen gesamtgesellschaftlicher Organisation durch eigentlich gesellschaftlich irrelevante Prozesse befördert werden. Letztlich muss all dieses Lernen aber auch mit einer gezielten sozialen Aufhebungsbewegung kombiniert sein, will es schlussendlich Bestand haben. Dies sagt auch Robert Kurz deutlich, wenn er sich gegen eine „Verallgemeinerungsthese“ wendet.

„Überhaupt muß noch einmal betont werden, daß die genannten Beispiele zwar auch im einzelnen praktiziert werden können (und das ist heute vor allem an den Punkten wünschenswert, wo es sich um eine elementare Logistik für die theoretische Gesellschaftskritik selber handelt), daß aber eine gesellschaftliche Wirksamkeit nicht in erster Linie durch die allmähliche Verallgemeinerung praktischer Einzelbeispiele erreicht werden kann. Das wäre die alte, im schlechten Sinne utopische Vorstellung. Vielmehr muß es das Ziel sein, eine Art Programm oder den Umriß einer Antwort auf die unvermeidliche „Was tun?“-Frage einer neuen sozialen Bewegung auszuarbeiten.“ (Kurz 1997, S. 89)

Diese zentrale Stoßrichtung wurde und wird in Kreisen der alternativen Ökonomie konsequent übersehen oder ignoriert. Die absolute Unselbstständigkeit von „alternativen Ökonomie“ im Kontext des Bestehenden wird als solche selten integral in die eigenen Praxistheoreme und –Reflexionen eingebaut: Nicht nur weil ein solches Eingeständnis der Relativität der „eigenen“ Praxis gewisse unliebsame Effekte auf die Identitätsbildung und Selbstversicherung von Gruppen und/oder Individuen haben kann; ich denke, Reflexion fehlt auch, weil letztlich ein unterkomplexes Verständnis des (immanenten) Verhältnisses von Politik und Ökonomie allzu verbreitet ist, ja die rigide (fetischistische und ideologische Konsequenzen zeitigende) Trennung beider gerne affirmiert wird, weil sie eben dem oberflächlichen, aber alltäglich-unmittelbaren „Wahrnehmungshorizont“ der AkteurInnen entspricht. Ich spare mir hier organisationssoziologische und –psychologische Thesen über die Gründe für eine derartige Einseitigkeit. Gewiss hat sie mit gewissen Bewegungssegmenten, Subkulturen, Klassen- und Subjektpositionen zu tun, die z.B. in Opposition zu einer „politizistischen“ Linken stehen, welche – im (mehr oder weniger direkten) Anschluss an den orthodoxen Marxismus-Leninismus – weiterhin die einfache politische Überwindungsperspektive sehen und dabei Fragen der alternativen Lebensgestaltung völlig außen vor lassen. Dies muss an bestimmten Orten ebenso heftig kritisiert werden, wie eine blind-antipolitische Haltung. Hier soll es nun aber um die Umsonstökonomie gehen und im Zusammenhang einer ernsthaften Perspektive auf die Überwindung des herrschenden Systems (die ich vielen der in Umsonstökonomie involvierten AkteurInnen als Ambition sehr wohl zuspreche) ist in diesem Kontext das vermehrte Fehlen politischer Perspektiven im Sinne der dezidierten „Organisationsfrage“ augenscheinlich.

3.2 Politische Form und Wirkung

Gemäß dem oben vertretenen Schema eines Durchgangs durch Abstraktionsebenen gilt es nun, die spezifischer politische Seite der Umsonstökonomie zu beleuchten. Die Kritik der Politischen Ökonomie (der Umsonstökonomie) hat dabei ergeben, dass Umsonstökonomie als regelmäßige Praxis, aber auch schon als Konzept spezifischen verkürzten und falschen Vorstellungen über die Gestalt und Wirkung der Ökonomie unterliegt. Nun ist es nicht so, dass die Ebene des Ökonomischen per se allem anderen vorgelagert wäre, bzw. jene sich alleinig auf dem „höchsten“ Abstraktionsniveau befände,, quasi unberührt von anderen Belangen. Derartiges wäre natürlich als tatsächlich ableitungslogisches bzw. „ökonomistisches“ Denken abzulehnen. Allerdings ist damit das Problem der Vermittlung der scheinbar ehernen Gesetze des Ökonomischen mit den vermeintlich völlig offenen „historischen“ und ereignisbezogenen Momenten des Politischen noch nicht vom Tisch. Im Gegenteil muss dieses Verhältnis selbst noch einer fundierten Formkritik unterworfen werden, die das systematische Fehlen einer Kritik der Politikform anspricht. Dabei muss die Politik als ebenso historisch situierte „Sphäre“ verstanden werden wie die Ökonomie. Das heißt wiederum nicht, dass ihr gesamter Inhalt in dieser Form aufgeht. Aber „kapitalistische Politik“ zeichnet sich durch eine Abstraktion der Aushandlung sozialer Belange von ihrer unmittelbaren Geltungsgrundlage aus. Dies passiert meist (aber nicht immer) im Kontext der Fokussierung auf den Staat als Repräsentant dieser „abstrakten Allgemeinheit“. Gleichzeitig ist diese Allgemeinheit nie als rückgebundene, von unten kommende, möglich, da sie einerseits stets mit den Sachzwängen des Ökonomischen verknüpft ist, andererseits selbst noch tautologische Formen einer „Eigenlogik von Macht“ institutionalisiert (re-)produziert, sodass diese als notwendige Handlungmatrizen erscheinen. Diese sind in einer gewissen Weise freilich weniger offensichtlich als jene des Ökonomischen (auch nach einer fundierten Kritik), da sie tatsächlich auf der Basis prinzipieller historischer Kontingenz der Entscheidung beruhen. Das, was unter Politik verstanden wird, zerfällt per definitionem in einzelne Entscheidungen (über allgemeinere soziale Belange) bzw. deren strukturelle Verstetigung. In der abgespaltenen Sphäre des Politischen wird also (anders als in der „natürlichen“ Sphäre des Ökonomischen) das Moment absoluter Gestaltbarkeit verortet. Näher betrachtet erweist sich diese Kontingenz aber realiter als eine einer bloß komplexeren, aber ebenso determinierenden, Formlogik des Politischen folgende Scheinoffenheit: es kann zwar alles Mögliche als „politische Handlung“ definiert werden, aber „politisch relevant“ werden Dinge erst, wenn sie sich ins Herz der (staatlich konstituierten) abstrakten Allgemeinheit und damit einer spezifischen „Metaphysik der Macht“ begeben. Jene Formlogik des Politischen muss als Grenze von Praxis ebenso berücksichtigt werden, wie die ökonomischen Zwänge. Ein solcher „Politikfetischismus“ wird jedoch meist noch weniger berücksichtigt (sei es implizit oder explizit, durch Theoriearbeit fundiert) als jener des Ökonomischen. Diese fehlende Perspektive, die sich regelmäßig in einer Vereinseitigung äußert, erweckt oftmals überhaupt erst den Eindruck eines „Ökonomismus“ einerseits und der radikalen Offenheit von emanzipatorischer Praxis andererseits. Im Falle der Umsonstökonomie aktualisiert sich der „(Politik)-Fetischismus“ aus dieser Perspektive als reduktionistische (oder fehlende) Einschätzung der politischen Aufladung des eigenen Handelns auf der einen und falsche Betrachtung der ökonomischen Realität auf der anderen Seite. Dies hat wiederum Konsequenzen für die Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen (politischen) Wirkung, die ja als Effekt einer Zielorientierung emanzipatorischer Praxis stets von Interesse sein sollte. Ich werde nun zuerst die Ursachen für die reduktionistische Sicht auf das Politische betrachten, um dann die gesamtgesellschaftliche und symbolische Wirkung dieses Reduktionismus bzw. der Umsonstökonomie als solcher einschätzen zu können.

3.2.1 Das Fehlen politischer Perspektiven

Gemeinhin hat emanzipatorische Praxis den Anspruch Herrschaftsverhältnissen loszuwerden und ihnen andere, bessere soziale Bezugnahme entgegenzusetzen, wobei beides von AkteurInnen oft unter dem Label „politisch“ verkauft wird. Tatsächlich impliziert dies eine doppelte Perspektive: Auseinandersetzung mit dem Bestehenden und Schaffung von etwas Neuem. Beides kann nicht immer gemeinsam passieren – so schafft etwa der Kampf gegen den Faschismus nicht (notwendigerweise) eine alternative, bessere Form, die dem autoritären Charakter entgegenstünde. Genauso aber ist ein „alternativer Freiraum“, in dem andere Weisen der Interaktion erprobt werden sollen, kein verlässlicher Garant gegen gewaltförmige Eingriffe von außen bzw. gegen die (strukturelle) Gewalt, die in den gesellschaftlichen Verhältnissen generell angelegt ist. Es tut sich hier also bereits eine gewisse Widersprüchlichkeit zwischen Immanenz und Transzendenz auf, die auch für „politische“ Perspektiven eine Rolle spielt. Einerseits muss ein „immanenter Kampf“ stets in der politischen Form von statten gehen, ja wird in sie quasi gezwungen und so automatisch in den institutionellen oder eben bloß gespiegelt anti-institutionellen Kampf um immanente Gestaltungsmacht, mit Gramsci gesprochen: „Hegemonie“, hineingezogen. Dies bringt zahlreiche Probleme mit sich, die hier nicht vorrangig interessieren. Jedenfalls ist es aber sehr offensichtlich dass sowohl ein anti-institutioneller als auch ein institutioneller immanenter Kampf nicht bloß regelmäßig, sondern ganz unumgänglich in der Eigenlogik der Politikform und ihrer letztlich affirmativen Gestalt aufgeht, wenn nicht zumindest ein gewisses Moment an transzendenten, alternativen (Lebens-)Perspektiven erhalten bleibt. „Praxen der Transzendenz“ sind demgegenüber nicht per se in die politische Form gegossen, sondern sind potentiell für all das, was nicht in der Machtlogik des Politischen aufgeht (bzw. aufgehen kann), offen bzw. gehen aus diesem „Anderen“ hervor. Derartige Praxen können sich unterschiedlich artikulieren, bis hinein in die intimen Geflechte von persönlichen Beziehungen, sie werden als „kulturell“ oder auch „künstlerisch“ umschrieben und zielen auf einen nicht-identischen Rest, der aber nie erreicht werden kann, solange jedwede Praxis Teil der herrschenden Totalität ist. Dies hat sich auch bereits in der Entlarvung der Umsonstökonomie als – hinsichtlich ihrer ökonomischen Funktionalität betrachteten – „Realparadoxie“ erwiesen. Diese Wahrnehmung ist zentral: Transzendenz ist notwendig immer auch Immanenz (die Umkehrung dieser Relation ist allerdings selbstverständlich nicht korrekt). Praxen, die auf Transzendenz, auf „alternative Keimformen“ abzielen, sind selbst (mindestens) hinsichtlich ihres politischen Gehalts immanent; denn wo immer ein (auch noch so geringer) Bezug zur Gesellschaft erhalten bleibt – und das ist so gut wie immer der Fall –, haben soziale Praxen eine repräsentative Außenwirkung und zielen somit auf eine Geltung in der politischen Form, die als monopolisierte Instanz sozialer Allgemeinheit die einzige gesellschaftlich relevante „Handlungsform“ darstellt. Ebendies ist die andere Seite der Medaille – ohne Politik im „entfremdeten“ Sinne geht es nicht. Um sie kommt Praxis letztlich nicht herum und dass „Keimform-Konzepte“ dies teilweise versuchen, stellt ihre große Schwäche dar.

Umsonstökonomie ist hier oft einschlägig unterwegs, indem sie auf den Aspekt der „Subsistenz“ im Kleinen verweist. Sie zielt auf die Organisation in einem Mikrokosmos, auf Gemeinschaftlichkeit statt Anonymität und auf unmittelbare Reproduktion, die unter Rücksichtnahme auf eine „Gebrauchswertorientierung“ stattfinden soll. Die stofflich-reproduktive Unmöglichkeit jener Orientierung wurde bereits erwiesen. Hinsichtlich der (Macht-)Politik positioniert sich Umsonstökonomie dabei meist zurückhaltend bis abwehrend – es wird so getan, als ob eine rein „anti-politische“ Haltung der Abkehr von der gesellschaftlichen Allgemeinheit und ihren Problemen möglich wäre. Das Moment der „Ökonomie“, d.h. der stofflichen Versorgung im eigentlichen Sinne, ist dabei – so meine These – eigentlich mehr Mittel zum Zweck. Das schöne, aber recht idealistische, Motiv der Transzendenz einer „nicht-entfremdeten Ökonomie“ steht für das eigentliche Ziel einer anderen sozialen Allgemeinheit, in der die Verwaltung der Dinge eben wirklich ein rein technisches Problem (der Naturverhältnisse) wird und nicht eine eigene, „zweite Natur“ darstellt. Die Notwendigkeit einer allgemeinen Durchsetzungsform, mithin des politischen Kampfes, wird aber zumindest im Konzept und wohl meist auch in der Praxis ausgeblendet oder jedenfalls unterbelichtet. Dies führt vornehmlich zu Illusionen über das Verhältnis von Politik und Ökonomie, die im (linearen) Keimformgedanken kulminieren: Vermeint wird, dass das „Schenken im Kleinen“ eine tatsächliche gesellschaftliche Veränderung implizieren könnte, während übersehen wird, dass die eigene Praxis nur dann überhaupt relevant werden kann, wenn sie sich (politisch) verallgemeinert. D.h., dass von Praxen der Umsonstökonomie eine gewisse inhaltliche, aber v.a. eine starke organisatorische Einbindung in politische Kämpfe bzw. die Sphäre „linker Politik“ angestrebt werden müsste, gerade weil die Gefahr besteht, dass die Keimform sonst von vorneherein im Keim erstickt wird. Die gängigste Version dieser (Selbst-)Erstickung ist das völlige Aufgehen in den selbstgebauten Habitaten, die alleinige Fokussierung (und oft zwanghafte Verteidigung) von „Wohlfühl-“, „Schutz-“ und „Freiräumen“, die dann oft selbst eine dogmatische Absicherung nötig machen und (mangels Umsetzbarkeit und dem verständlichen Leiden daran) schlussendlich meist in einem Ausstieg aus jeglicher emanzipatorischen Praxis resultiert (wahlweise auch zur „Flucht aufs Land“ führt, die wohl summa summarum fast immer ähnliche Resultate wie das „Aufhören“ in der Stadt zeitigt). Dies ist nun weder als Plädoyer gegen Versuche im Kleinen und die darin erkämpften emanzipatorischen Standards zu werten. Es geht mir aber darum, vehement und erneut darauf zu pochen, dass der darin oft verborgene Wunsch einer „heilen Welt im Kleinen“ keine hinreichende oder auch nur (langfristig) funktionierende emanzipatorische Perspektive ist. Dies wird besonders deutlich in der Verkehrung von Inhalt und Zweck, die bei den AkteurInnen der Umsonstökonomie entweder dazu führt, dass sie ihre eigene gesellschaftliche Position (mithin jene des „Ökonomischen“) völlig verkennen und den Keimformgedanken gänzlich unkritisch reproduzieren; oder den Effekt einer relativen Unbegründbarkeit der Motive und Ziele der eigenen Handlung hervorbringt: Warum ein „umsonst-ökonomischer“ und nicht anders „netter“ Mikrokosmos erschaffen werden soll, kann weder theoretisch (z.B. hinsichtlich des Ökonomischen) noch politisch, mit Sicht auf die emanzipatorischen Effekte der eigenen Handlungen, kaum noch legitimiert werden. Ähnlich wie bei vielen linksradikalen Mikrowelten wird die Argumentation für die eigene emanzipatorische Praxis bestenfalls ich-bezogen („Mir tut das gut und ich habe diese und jene Ansprüche“) und regelmäßig tautologisch („Wir machen Politik, um unsere Räume zu schützen und wir schützen unsere Räume, um Politik machen zu können“). Die Verkehrung einer derartigen tautologischen Position und ihres individualistisches Konterpart haben nun ihre gemeinsame Ursache in der fehlenden Berücksichtigung der Zwänge der Verallgemeinerung, mithin der gesamtgesellschaftlichen Perspektive des Politischen. Politik ist letztlich – auch wenn das viel weniger deutlich erweisbar ist, als es im Ökonomischen der Fall ist – nur mit Hinblick auf gesamtgesellschaftliche Geltung möglich und emanzipatorische Praxis muss immer auch politisch sein. Auch hierin alleine liegt die (negativ angelegte) Möglichkeit einer Überwindung begründet: Erst wenn gesamtgesellschaftliche Veränderung eintritt, können die einzelnen Veränderungen letztlich Sinn machen. Wer dies nicht anerkennt, ist nicht „radikal“, insofern er/sie nicht an die Wurzeln geht – denn im Herzen der immer wieder auftretenden Realparadoxien liegt eine fetischistische Relationalität, die jene tautologische conditio überhaupt erst hervorbringt. Der Widerspruch von Immanenz und Transzendenz (in der Immanenz) ist letztlich also nur zu überwinden, wenn auf die Gesellschaft, welche ihn hervorbringt, abgezielt wird. Theoretisch setzt dies ein hinreichendes Verständnis der Gesellschaft voraus; auf die diesbezüglichen Fallstricke der Umsonstökonomie wies die Verhandlung der Kritik der Politischen Ökonomie bereits hin. Praktisch verweisen die so abgesteckten Grenzen auf die Orientierung hin zur politischen Organisation und die Einbindung in Kämpfe mit Allgemeinheitsanspruch, denn nur so wird zumindest der Versuch einer wirklichen, d.h. auf die Totalität abzielenden, Transzendenz möglich.

Dies ist die Grenze, wie sie von Gesellschaftskritik abstrakt abgesteckt werden kann. Aus dieser Perspektive lassen sich natürlich strukturelle Transformationen intermediärer Art oder gar einzelne Praxen nie endgültig bewerten oder hierarchisieren, hier sind Kontextbindung und „situiertes Wissen“ von Nöten. Eine Einschätzung der (politischen) Effekte ist jedoch trotzdem möglich, wenn auch um einiges weniger sicher, als die abstrakteren, formkritischen Grenzziehungen. In diesem Sinne möchte ich nun kurz die möglichen gesellschaftspolitischen Effekte von Umsonstökonomie als (politischer) Praxis diskutieren. Ausdrücklich hebe ich dabei den konjekturalen und beispielhaften Charakter dieser Diskussion hervor: andere Einschätzungen wären möglich (und durch konkretere sozialwissenschaftliche Forschung zu fundieren) und auch ist mit dem Folgenden nur ein Aspekt von vielen angerissen.

3.2.2 Mögliche gesellschaftspolitische Effekte

Wenn festgehalten wird, dass Umsonstökonomie nicht nur im eigenen Mikrokosmos Wirkung zeigen soll bzw. kann, dann muss die Frage gestellt werden, wie sie sich auf die herrschende Gesellschaft – meist verstanden als in nationalstaatlichen Grenzen abgesteckt – auswirkt.

Zuerst einmal muss hier die geographische Differenz von gesellschaftlichen Kontexten in Betracht gezogen werden: Während in der globalen Peripherie die Krise der ökonomischen (und meist auch politischen) Synthesis ein gewisses Vakuum hinterlässt, welches – gepaart mit einer ohnehin oftmals noch unabgeschlossenen „formellen Subsumption unter das Kapital“, einer „unfertigen“ Modernisierung im Sinne des Kapitalismus – andere Formen der Versorgung nicht nur möglich, sondern nötig macht. Im Kontext von etwa lateinamerikanischen Ländern sind Formen der Subsistenzwirtschaft, der „NachbarInnenschaftshilfe“ und der alternativen Ökonomie schlechthin keine bewussten politischen Programme, sondern schlicht Überlebensnotwendigkeit. Als solche fehlt vielen dieser unmittelbareren Formen der Versorgung regelmäßig nicht nur eine politische und längerfristige Perspektive, sondern jeglicher emanzipatorische Anspruch. Real existierende „Umsonstökonomie“ ist also nichts an sich erstrebenswertes, wenn sie auf einem faktischen Versagen der marktförmigen Zirkulation beruht (lokale Produktion ist in einer globalisierten Welt ja alles andere als notwendig), Regionen schlicht zu „arm“ sind, um für kapitalistische Verwertung von Interesse zu sein. Denn wo „Ökonomie“ tatsächlich (wieder) „Kampf ums Überleben“ bedeutet, werden Fragen der Emanzipation, der prinzipiell möglichen Befreiung meist hinter unmittelbarere Notwendigkeiten zurückgestellt. Das heißt nun nicht, dass soziale Bewegungen in den Peripherien, die vielfach auch noch um einiges „direkter“ kämpfen, gleichgültig wären, die Revolution nur in den Zentren passieren kann, wie es der Sozialismus der zweiten Internationale vermeinte. Allerdings sind die strukturellen Gegebenheiten unterschiedlicher Gesellschaften zu berücksichtigen. Während „alternative Ökonomie“ in Ländern der Peripherie eine tatsächliche, aber pragmatisch-behelfsmäßige Rolle spielen kann, ist dies in den Ländern des globalen Zentrums nicht der Fall. Ist Umsonstökonomie dort tatsächlich (wenn überhaupt, denn Geldökonomie ist meistens ja nicht völlig zurückgedrängt und Geld spielt folglich weiter eine – aber eben eingeschränkte – Rolle) in einem unmittelbaren, kleinen und „vor-modernen“ Sinne zu verstehen und hat somit wenig mit politischem Anspruch zu tun, verhält es sich hier (noch) umgekehrt: Umsonstökonomie ist v.a. politische Praxis und spielt wenig Rolle in der stofflichen Versorgung. Hierfür ist die Warenökonomie zu sehr verallgemeinert, selbst noch die armen Bevölkerungsteile sind nicht völlig aus der formellen Ökonomie ausgeklinkt. Im Gegenteil sorgt der Staat, d.h. eine politische Instanz, mittels sozialen „Transferzahlungen“ bewusst dafür, dass auch den Ärmsten zumindest ein kärgliches Weitervegetieren innerhalb einer geldvermittelten Ökonomie ermöglicht wird. Dies ändert sich jedoch. Gerade vor dem Hintergrund der globalen Krise, die seit den 1970ern zuerst die „nachholende Modernisierung“ der meisten Länder der Peripherie zum Stehen brachte und nun auch immer umfassender die Zentren erreicht, werden die „fordistischen Errungenschaften“ des Wohlfahrts- und Rechtsstaats mehr und mehr beschnitten. Nicht zuletzt stellt das wirtschaftspolitische Programm des Neoliberalismus (bzw. die faktische historische Tendenz, die mit jenem oft vermengt wird) einen gewissen repressiven Umgangsmechanismus mit dieser Krisenentwicklung dar, die umfassende sozialstrukturelle Transformationen mit sich bringt. Die neoliberale Notstandsverwaltung betrifft v.a. und zuerst die Funktionsweise des Staates: Ihm wird – eben auch auf Grund der ihm eigenen Rolle, die mit der Sphäre der Politik und auch der ideologischen Repräsentation jener bei den „einfachen Leuten“ zu tun hat – eine ordnende und krisenbewältigende Funktion zugewiesen, also er straft (Repression, Kontrolle, Rechtssicherheitsherstellung v.a. im Lichte des Funktionierens der Ökonomie), aber auch belohnt (sozialstaatliche Anreize). In der Krise sparen nun Staaten nicht umsonst bei der „belohnenden“ Seite, indem sie zum „aktivierenden Sozialstaat“ (Rentschler 2004) werden, denn die Gewährleistung der Sicherheitsfunktionen stellt zumindest in einer kurzfristigen Perspektive (zu längerfristiger gesellschaftlicher Planung sind kapitalistische Institutionen ohnehin nicht fähig) eine dringendere Notwendigkeit dar. Dass die Chance einer „Aktivierung“ der sozial Schwachen bei gleichzeitiger systemischer Krise dabei natürlich eine enden wollende ist, kann die staatlichen AkteurInnen schon deshalb nicht interessieren, da sie per definitionem kein Verständnis von längerfristiger Krisenhaftigkeit haben können. Ideologisch und politisch wird durch diese Transformation des Sozialstaats aber faktisch dennoch eine Verschiebung von einem Versorgungs- zu einem Leistungsdispositiv erwirkt. In dieser Verschränkung von politischen und ökonomischen Entwicklungen laufen Ansätze der „alternativen Ökonomie“ ganz generell Gefahr, zum Teil dieser Notstandsverwaltung gemacht zu werden. Als erweiterter Arm des Staates und seiner Krisenstrategien wird sie dann einerseits politisch kooptiert und erkauft ihre neue (wohl real immer noch geringe) wirtschaftliche Tragfähigkeit durch ihre unbewusste Rolle als „Lückenbüßer“, welche – neben vielen anderen „kreativen“ Lösungsversuchen – bloß für den weiteren Verfall der Verhältnisse und insbesondere die politische Zurückdrängung der Wohlfahrtsstaatlichkeit steht. Diese mögliche Gefahr kann von Seiten der Umsonstökonomie mittelfristig erneut nur durch eine möglichst klare politische Positionierung und (organisatorische) Einbindung in soziale Bewegungen verhindert werden.

Dieser Einbindung widersprechen nun aber nicht nur die bereits genannten akzidentiellen und systematischen Bezüge auf das „Kleine“, sie wird auch durch symbolische und subjektmäßige Aufladungen des Ansatzes gefährdet. Abschließend möchte ich deshalb noch kurz dieser Perspektive Rechnung tragen, um schließlich mögliche Chancen des Ansatzes zu sondieren.

3.3 Umsonstökonomische Praxis und symbolisch(-geschlechtliche) Aufladungen

Wenn politische Praxis im Allgemeinen und Umsonstökonomie im Besonderen betrachtet werden, sollten Aspekte der subjektiven und symbolischen Aufladung stets Beachtung finden. Es muss also bei einer Einschätzung einer Praxisform auch darum gehen, inwieweit sie durch subjektive Motivationen von Individuen bedingt ist und diese gleichzeitig (re-)produziert. Dies ist aber deshalb nicht mit einem „cui bono“ zu verwechseln, weil es aus der Perspektive kritischer Theorie nicht darum geht, die Zielorientierung der Einzelnen auf ihre Werte hin abzuklopfen und dann sofort wieder unmittelbar neu zu bewerten. Es geht „erklärender Kritik“ nicht darum, Handlungsvorgaben auf einer individuellen Ebene zu machen oder moralisierende Korrektive einzuführen. Im Gegenteil ist das normative Moment der Kritik auf einer abstrakten Ebene verortet: Kritisiert wird die gesellschaftliche Synthesis als solche, als notwendigerweise Widersprüche hervorbringende. Diese Widersprüche ziehen sich durch alle (Abstraktions)-Ebenen der Gesellschaft und stellen auch für individuelle Praxis insofern eine Grenze dar, als es kein „außen“ gibt. (Manche) Widersprüche mögen im Hier und Jetzt ver- und bearbeitbar sein, aber die Bewältigung von Widersprüchen schafft stets neue und lässt so die AkteurInnen der Widerspruchsmatrix als solcher nie endgültig entkommen. Der Kerngehalt dieser Matrix lässt sich mit Verweis auf neuere kritisch-dialektische Theoriebildung am besten als „Wert-Abspaltung“ fassen, wobei an die grundlegende marxistisch-feministische Theoriebildung zu Fragen der „Hausarbeit“ und der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung angeschlossen wird (Scholz 1992). Zu dieser selbst noch „ökonomisch-abstrakten“ Problemstellung gesellt sich jedoch unmittelbar ein „subjektiver Aspekt“, nämlich insofern, als die Frage der Vergeschlechtlichtung – anders als jene des gesellschaftlichen Naturverhältnisses, auf dem Ökonomie aufbaut – ein inneres Verhältnis widerspiegelt, das zwischen und durch Individuen hindurch wirkt. Dieses innere Verhältnis ist wesentlich eines von Subjekt und Objekt, wie es etwa in der Hegelschen „Herr-Knecht“ Parabel vorzufinden ist und als Spannung die gesamte psychoanalytische Tradition durchzieht. Um es halbwegs kurz zu halten, beschränke ich mich auf den Endeffekt dieser stark von (post-)strukturalistischen und feministischen Ideen beeinflussten Überlegungen. Dieses „innere Verhältnis“ des Subjekts korreliert gemäß der Wert-Abspaltungstheorie in der Moderne in spezifischer Weise mit dem äußeren Verhältnis der „abstrakt-objektiven“ Dimension (z.B. Ökonomie, Politik). Kritische Theorie versucht die Art und Weise dieser Vereinigung von Subjektivem und Objektivem unter dem Begriff „Fetischismus“ zu fassen. Wichtig für das Verständnis des modernen Fetischismus ist es, einige meta-methodische Prämissen zu akzeptieren:

  • Diese Perspektive stößt an die Grenzen formaler Wissenschaftlichkeit.
  • Es drängt sich eine notwendig historische Perspektive auf das Subjekt (und Objekt) auf.
  • Dies ist mit einem dialektisch-kritischen Zugang verknüpft.
  • Darstellbar wird diese fetischistische Beziehung von Subjekt und Objekt erst auf einer symbolischen Perspektive, die Erkenntnis abseits der wissenschaftlichen Methode (und ihrer strikten Trennung von Fakt/Wert und Empirisches/Gedachtes) betrachtet.

Einfacher zusammengefasst: Eine Dimension des Symbolischen ist eminent wichtig, um nicht nur eine Kontinuität über die Abstraktionsniveaus hinweg zu gewährleisten, sondern auch um die im Subjekt, „dem Kleinsten“, eingeschlossene Widersprüchlichkeit fassen zu können. Denn in unserer unmittelbaren Selbst-Reflexion, in der „Innenperspektive“ des Subjekts, kommt wissenschaftliche Methode zwangsläufig an ihre Grenzen. Das heißt nun nicht, dass nicht symbolische Momente auch für die Betrachtung abstrakterer Tatbestände bis hin zum Verhältnis „Ökonomie-Politik“ selbst von Relevanz wären. Allerdings sind die Subjektkritik sowie die Beschäftigung mit unmittelbaren Aspekten zwischenmenschlicher Praxis auf Grund ihrer Beschaffenheit um einiges stärker auf einen derartigen Zugang angewiesen. Marxistische Theorie hat dies lange Zeit übersehen und ist deshalb zu Recht von feministischen Interventionen in die Schranken gewiesen worden: Ihr Fokus auf das „Materielle“ hat gerade die fetischistische Vermengung von „materiell und ideell“ im warenproduzierenden Patriarchat krude verkannt. Tatsächlich müsste es aber darum gehen, die ursprünglichen Tendenzen des „westlichen (Neo-)Marxismus“ aufzugreifen und sie mit der Dimension der (vornehmlich subjektiv bleibenden) Kritik des Symbolischen, wie sie v.a. von Seiten feministischer Theorie lanciert wurde, zu verknüpfen. Die Wert-Abspaltungs-Kritik versucht dies und hat folglich eine differenziertere Perspektive auf die Ökonomie, die z.B. auch über differenzfeministische Erörterungen der Verbindung von Patriarchat und Kapitalismus hinausgeht.

In jener differenzfeministischen Tradition, die v.a. durch die sogenannten „Bielefelder Subsistenztheoretikerinnen“ (Maria Mies, Claudia Werlhof, Veronika Bennholdt-Thomsen) Bekanntheit erlangte, wurde eine implizite symbolische Dimension der herrschenden geschlechtlichen Arbeitsteilung erstmals systematisch (und affirmativ gewendet) ans Tageslicht gebracht. Das moderne Patriarchat wurde so interpretiert, dass die „Tauschwertseite“ männlich und herrschaftsförmig ist, während der Gebrauchswert auf einen weiblichen Kern verweist, der zugleich mit Natürlichkeit, Nachhaltigkeit und ökologischer Orientierung assoziiert wurde. Matriarchale Ordnungen seien demnach durch Gebrauchswertorientierung und insgesamt harmonisch-friedliche Verhältnisse geprägt, während patriarchale Organisation den mehr oder minder artifiziellen Tauschwert hervorbringe (und kultiviere), gewalttätig sei und die Umwelt zerstöre. So sehr diese Sicht ein offensichtlich vereinfachtes Weltbild transportiert und in ihrer unmittelbar normativ-moralisierenden Ausrichtung nicht zu überzeugen vermag, spiegelt sie eine gewisse Wahrheit der herrschenden Ordnung wider: Tatsächlich gibt es eine gewisse vergeschlechtlichte symbolische Trennung im Status Quo und sie wirkt sich besonders auf die „gesellschaftliche Arbeitsteilung“ aus, wie sie durch vielfältige subjektive, kulturelle und unmittelbarer herrschaftsförmig-patriarchale Mechanismen abgesichert ist. Weiblichkeit wird dabei die (vermeintlich) symbolische „Konkretheit“ zugewiesen, indem sie mit Friedlichkeit, Gemeinschaftsausrichtung, Fokus auf das Kleine und Häusliche, Natürlichkeit und dem Bezug auf das Unmittelbare assoziiert wird. Die Reproduktions- und Konsumarbeit ist deshalb auch stark weiblich markiert (z.B. Hausfrau, „Shoppen gehen“, Zuständigkeit für die „emotionale Ökonomie“, ästhetische Gestaltung des Heimes etc.). Insgesamt kann die „ökonomische Kleinteiligkeit“ selbst als ein feminisiertes Moment gedacht werden.

Demgegenüber wird Männlichkeit mit einer nach außen gewandten Produktions- und geschäftstätigen Zirkulationsorientierung in Verbindung gebracht (formelle Arbeit, Zuständigkeit für die ökonomische Absicherung en gros, harte und kompetitive Ausrichtung auf den Markt, funktionale Rationalität des Ökonomischen etc.). Sie zielt auf Herrschaft im Abstrakten und die („tauschwertgetriebene“) immanente Verwirklichung in der kapitalistischen Ökonomie ab.

Heutzutage hat sich diese binäre Aufteilung zweifelsohne empirisch pluralisiert, d.h. insbesondere, dass einzelne Individuen durchaus unterschiedliche Momente in sich vereinen können. Als gesamtgesellschaftliche Matrix taugt diese Gegenüberstellung jedoch insofern noch, als sie generalisiert, gewissermaßen als grundsätzliches kollektives Unbewusstes, immer noch weiterexistiert, was sich nicht nur in quantitativ weiterhin dominanten geschlechtergetrennten „Normalkarrieren“ äußert, sondern in der Doppelbelastung von Frauen, die nun partiell Weibliches und Männliches zugleich inkorporieren „dürfen“, zugleich aber den herrschaftsförmigen Seiten der funktionalen Zuweisung (z.B. Reproduktionstätigkeiten, emotionale Ökonomie) unterworfen sind. Gleichzeitig wird ökonomische Führung („Top-Manager“) immer noch stereotypisch Männern zugesprochen und eine „Verweiblichung“ von Männern wird vehement abgewehrt.

Auf der Ebene der Auseinandersetzung mit Umsonst-„Ökonomie“ spielen nun aber ohnehin weniger die ganz empirischen Fragen der Verteilung im „formellen Sektor“ eine Rolle, es geht mehr um die grundsätzliche Artikulation der hegemonialen gesellschaftlichen Symbolebene in der (unmittelbaren) Praxis.

Ganz allgemein kann hier festgestellt werden, dass die meisten alternativ-ökonomische Konzepte viel mit der schon von den Bielefelderinnen beschworenen Gebrauchswert- oder Subsistenzorientierung zu tun haben. In gewisser Weise könnte – negativ gewendet – behauptet werden, dass es eine „real existierende Umsonstökonomie“ gäbe, und zwar im Haushalt, den informellen Reproduktionstätigkeiten und der „aufgezwungenen Subsistenz“ der (globalen) Elendsverwaltung. Diese negativ existierende und als solches äußerst relevante „Ökonomie“ ist jedoch weder eine emanzipatorisch motivierte noch sonst wie besonders wünschenswerte Sache. Sie ist vielmehr die dialektisch verwiesene Kehrseite der „formellen Ökonomie“ und ihr unsagbares Anderes. Aber auch Momente der „bewussten Umsonstökonomie“ als emanzipatorischer Praxisversuch zielen umfassender symbolisch auf das Kleinteilige, bedachte, Nischen schaffende und Gemeinschaftliche ab und wenden sich regelmäßig gegen jene Aspekte der herrschenden Ökonomie, die am stärksten männlich konnotiert sind, wie „großteiliges Planen“, „abstrakt-rationales (Kosten-/Nutzen-)Kalkül“ oder Organisation von „oben herab“. Umsonstökonomie könnte dabei als insofern potentiell effeminierte Praxis bezeichnet werden, als sie nicht nur diese Orientierungen übernimmt, sondern möglicherweise auch weibliche AkteurInnen in dieser Praxisform die ihnen zugewiesenen gewohnten Rollenmuster reproduzieren. So etwa die Kleinteiligkeit, den „Nestbau“ bis hin zur ästhetischen Ausgestaltung von Räumen, die Abwehr alles Funktional(-Männlichen) und den Rückzug vor den männlich konnotierten (politischen) Organisationsaufgaben im Öffentlichen zugunsten der „sicheren“ Organisation im (relativ) Privaten. Hinzu kommen typische Konsum- und Reproduktionsarbeiten wie etwa die Reinigung, das Schlichten von Gegenständen in einem Umsonstladen etc. Das heißt natürlich nicht, dass nicht auch Männer sich in umsonstökonomischen Praxen wohlfühlen können – einerseits z.B. auf Grund eines eigenen Scheiterns an den hegemonialen Männlichkeitskonzepten und der dadurch gerne in Kauf genommenen differenten Geschlechterrolle, andererseits aber auch im Sinne einer weiteren, sekundären geschlechtlichen Arbeitsteilung innerhalb des „abgespaltenen“ Bereichs der Umsonstökonomie, wie etwa Konzentrieren auf die Außenorientierung, Zugang auf das „Publikum“, Versuchen der Öffnung für die breite Allgemeinheit etc. Aspekte dieser Arbeitsteilung sind nicht nur in umsonstökonomischen Praxen vorzufinden, die Umsonstökonomie bietet ihr jedoch – so meine These – durch ihre von vorne herein weiblich codierte Markierung eine spezifische symbolisch-performative Basis. Wird diese vergeschlechtlichte Symbolik mit den obigen kritischen Überlegungen zur Abstraktion der Kategorien Gebrauchswert/Tauschwert von ihrer gesamtgesellschaftlichen Gültigkeit in Verbindung gebracht, so ergeben sich hier einige Gefahren der funktionalen Reproduktion von Geschlechterideologien und -Subjektivitäten.

Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass die Perspektive der Subsistenz aus den obigen Gründen nicht taugen kann, ja selbst noch einer gewissen (reaktionär-rückwärtsgewandten, anti-technologischen und gesellschaftsfeindlichen) Ideologie geschuldet ist, die nicht ausschließlich, aber vielleicht gehäuft bei weiblich sozialisierten Menschen auftreten mag. Kann die klassisch marxistische Erkenntnisbrille, die bloß auf die „Produktion im Großen“ und die damit verbundenen Klassenverhältnisse fokussierte, als strukturell männlich dechiffriert werden, so müsste die alternativökonomische Perspektive als die einer weiblichen Erkenntnisprivilegierung entsprechende Brille verstanden werden. Das Kleinteilige, die Perspektive auf das Private und die Wirtschaft „von unten“ könnten damit auch als bewegungspraktische Sublimierung der eigenen Erfahrungen mit einer sozialisatorischen Orientierung hin zur reproduktiven Ökonomie (des Haushalts) und der daraus resultierenden Ablehnung der „formellen Ökonomie“ und ihrer Konkurrenz- und Machtlogik gedacht werden. D.h. nicht nur, dass weibliche AktivistInnen sich der Gefahr einer „sekundären (versteckten) Reproduktion“ der eigenen Geschlechterstereotypen bewusst sein müssten, sondern auch, dass die Zurückweisung des Männlich-Abstrakten (Ökonomischen) eine falsche Unmittelbarkeit darstellt. Denn auf den ersten Blick mag die Ablehnung der „männlichen Werte“ (des Ökonomischen) in der Umsonstökonomie ja – trotz der weiblichen Aufladung der entgegengesetzten Werte – ein Desiderat darstellen, mögen die (symbolischen) Praxen der kleinteiligen „(Haus-)Wirtschaft“ – ganz im Sinne der Bielefelder Subsistenzperspektive – als vorteilhaft angesehen werden. Die Perspektive der Kritik der Politischen Ökonomie hat jedoch erwiesen, dass der „Keimformgedanke“ nicht konsequent durchzuhalten ist, sondern höchstens als bewusst partikular verstandene Praxis sinnvoll sein mag. Dies bedeutet aber ebenso, dass hier (potentiell) eine Illusion der Emanzipation im Kleinen angestrebt wird, die sich ihrer geschlechtlichen Markierung und deren funktionaler Einbettung nicht bewusst ist. Denn auch Versuche der Emanzipation von einer vergeschlechtlichten Arbeitsteilung bzw. ihrer Rollenmodelle werden nicht nur von den (versteckten) Kontinuitäten eines gewissen, ganz immanenten, Bias in der Umsonstökonomie konterkariert, sondern sind schlussendlich ebenso nur in einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive möglich. Dies verweist nun natürlich wieder auf die (wohl größtenteils männlich codierte) Sphäre der öffentlichen politischen Aktivität und Veränderung, was die grundlegende Aporie der Umsonstökonomie hinsichtlich der patriarchalen symbolischen Herrschaft bzw. ihre widersprüchliche Re-Aktualisierung bestätigt: Die Ablehnung der einen (herrschaftsförmigen) Widerspruchsseite kommt nicht umhin, auf die andere verwiesen zu bleiben, gerade weil schlussendlich eine Transzendenz von beiden relational aufeinander verwiesenen Momenten angestrebt wird. Das Weibliche als unterworfenes „Anderes“ kann sich stets nur im Durchgang durch das Männliche transzendieren – auch und gerade, wenn es die Abschaffung der starren Geschlechterbinarität als solcher anstrebt.

All dies bedeutet nun nicht automatisch, dass „antipolitische“, oftmals weiblich codierte Praxisformen keinerlei emanzipatorischen Gehalt hätten, dass nicht auf einer subjektiven Ebene gerade durch die Reflexion dieser Probleme ein persönliches und gruppenmäßiges Wachsen an der Widerspruchsbearbeitung möglich ist – im Gegenteil. Insbesondere männlich sozialisierte Menschen sollten sich regelmäßig an diesen Praxisformen messen und sie auch in der Funktion des eigenen Ver-Lernens männlichen Herrschaftsverhaltens betrachten. Es gilt also ganz generell auch die umgekehrte Regel: Die Überwindung der repressiven Geschlechterbinarität ist nicht alleine auf Basis „männlicher“ Prinzipien möglich, sondern stets auf das weibliche Andere verwiesen. Im Falle der umsonstökonomischen Praxis kann allerdings wie gesagt nicht von einer hegemonial-männlich geprägten symbolischen Aufladung ausgegangen werden, weshalb hier die Frage der Auslassung eher umgekehrt zu stellen ist.

Die geschlechtliche Aufladung der Praxen ist insgesamt – wie schon eingangs erwähnt – nichts Verwerfliches, Unmoralisches oder einfach Ablegbares (was den Umkehrschluss zuließe, dass die – partielle – Reproduktion von diesen und jeglichen Geschlechtlichkeiten per se schon anzukreiden wäre). Mein Anspruch war es, für gewisse Grenzen der Praxis zu sensibilisieren. Grundsätzlich bleibt es den AkteurInnen in emanzipatorischen Bewegungen überlassen, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Trotzdem werde ich nun abschließend einige eigene Überlegungen aus diesem kritischen Durchgang ableiten, die die mögliche Potentiale der Praxisform „Umsonstökonomie“ nochmals stärker herauspräparieren sollen.

4 Conclusio: Potentiale der Umsonstökonomie

Bisher habe ich zahlreiche Schwächen sowohl des Konzepts als auch der Praxis Umsonstökonomie angeführt. Als markanteste Kritikpunkte kristallisierten sich dabei heraus: der falsche Ökonomiebegriff, welcher einen „methodischen Individualismus“ der Kategorien voraussetzt; die mangelnde Perspektive auf die Kontextualisierung der eigenen Praxis; die reduktionistische Zirkulations- und Gebrauchswertorientierung; ein damit verbundener gewisser „kleinteiliger“ (und wenn gewollt „kleinbürgerlicher“) Utopismus; die fehlende Berücksichtigung politischer Praxis im strikten Sinne; die Reproduktion gewisser geschlechtlich-symbolischer Dimensionen der Wert-Abspaltung durch die (gesamten) Kategorien der Umsonstökonomie hindurch. All diese Schwierigkeiten sind konzeptueller Natur und wie schon erwähnt nicht unmittelbar auf einzelne Praxen herunterbrechbar.

Neben diesen Schwierigkeiten mögen die positiven Aspekte eher oberflächlich erscheinen. So ist die Versorgung mit nutzbaren Dingen sicherlich eher ein Nebenzweck, selbst wenn der „Überschuss“ in Gesellschaften des Zentrums immer noch manch brauchbare Dinge einer sinnvollen Nutzung zuführt. Alleine dieser Nebenzweck würde die aufwendige Praxis von unten wohl nicht rechtfertigen. Auch die Perspektive einer „Gemeinschaftsorientierung“ wird durch die obigen Punkte relativiert. Offensichtlich kann in umsonstökonomischen Netzwerken ein anderer Umgang gelernt werden, was emanzipatorische Effekte erzeugen kann und allen Beteiligten in ihrem persönlichen Leben helfen mag. Aber diese Effekte sind dabei eher weniger ein Spezifikum umsonstökonomischer Praxis, könnten vielmehr in zahlreichen anderen Praxen genauso gut (oder besser) erzielt werden. Die Sensibilisierung für das „eigene Wirtschaften“ ist als solche und ohne weitere (durchaus anspruchsvolle) theoretischer Unterfütterung ohnehin eher gefährdet ins Ideologische abzugleiten, als sie eine wirklich transzendente Perspektive zu eröffnen vermag.

Paradoxerweise liegt jedoch gerade in der Frage der Transzendenz die möglicherweise größte Stärke der Umsonstökonomie begründet. Diese lässt sich jedoch nur über einen „Umweg“ erschließen.

Eigentlich hat Umsonstökonomie ja den Anspruch eine „ökonomische Praxis“ zu sein, das Moment der „politischen Praxis“ steht also nicht explizit im Vordergrund. AkteurInnen bringen natürlich ihre (zusätzlichen) „politischen“ Einstellungen mit, die das Gesamtprojekt der Umsonstökonomie prägen. Darüber hinaus wird jedoch eine Diskussion der politischen Ausrichtung der Umsonstökonomie als solcher durch ihre Fokussierung auf die „ökonomischen Seiten“, wie etwa die Dienstleistungen in Umsonstläden oder den gebrauchswertorientierten Austausch von Dingen in umsonstökonomischen Nutzungsgemeinschaften o.ä. eingeschränkt. Nun könnte – im Sinne der durch die Kritik erlangten Reduktion des eigentlichen „ökonomischen“ Gehalts – die Frage nach der politischen Ausrichtung von Umsonstökonomie trotzdem gestellt werden. Die obige Überlegung zur Politik der Transzendenz und Immanenz aufgreifend, müsste Umsonstökonomie wohl eindeutig als Praxis der Transzendenz betrachtet werden. Sie kämpft weniger gegen bestehende Herrschaftsstrukturen, sondern versucht etwas Neues zu schaffen. Betrachtet eins Umsonstökonomie nun aber als vornehmlich politische Praxis – wofür unter anderem auch die immer wieder auftauchende Notwendigkeit einer Anbindung an soziale Bewegungen und die politische Außenperspektive spricht –, so erscheint das „Ökonomische“ tatsächlich als eher sinnloses Beiwerk. U.a. mögen sich die Beteiligten dann fragen, warum sie all die mühsame Tätigkeit, die diesem Beiwerk dient, überhaupt auf sich nehmen und nicht andere Praxen ohne diesen Ballast vorziehen sollten. Hierfür gibt es m.E. einen gewichtigen Grund, der gewissermaßen als Umdrehung und Nutzbarmachung der fetischistischen Verkehrung, die hier begründet ist, betrachtet werden könnte: Umsonstökonomie kann immanent wohl tatsächlich bloß eine „fragmentierte Keimform“ im Sinne realer Gebrochenheit und Widersprüchlichkeit verstanden werden. Sie weist an sich kein ernstzunehmendes „ökonomisches Moment“ auf und ist so eine recht paradoxe politische Praxis, die als etwas anderes firmiert, als sie eigentlich ist. Sind sich die AkteurInnen dieser Widersprüchlichkeijedoch bewusst, so liegt gerade in ihr eine ungemeine Stärke begründet, die sie von anderen (immanenten) Praxen, die in die Öffentlichkeit intervenieren, unterscheidet. Denn in der ideologischen Außenwahrnehmung auf „die Wirtschaft“, wie sie beim allergrößten Teil der Bevölkerung anzutreffen ist, muss das Konzept einer „Ökonomie im Kleinen“ in der noch dazu alles umsonst ist, ein beträchtliches Aufsehen erregen. Es kann zu einem Bruch in der (ökonomischen) Realitätswahrnehmung führen, gerade weil eine individualisiert-ideologische Perspektive auf die Ökonomie vorherrschend ist, die gleichzeitig die kapitalistischen Kategorien Arbeit, Geld, Ware und Wert naturalisiert. Die „Natürlichkeit“ dieser gesellschaftlichen Fetische ist derartig in die Subjekte eingesunken, dass ein – wie auch immer beschränkter – Bruch einen ernstzunehmenden individuellen Effekt darstellen kann. Zugleich bietet die umsonstökonomische Praxis – politisch betrachtet – ein Potential, um das sie fast alle Gruppen, die eine breitere Außenwirkung erzielen möchten und ihre Inhalte zu vermitteln trachten, beneiden müssten: Eine große Anzahl von Menschen wird durch den Schein einer „Ökonomie im Kleinen“, in der alles umsonst ist, angelockt und diese Menschen bringen wohl oftmals eine gewisse Grundoffenheit für (andere) linke Inhalte auf, die – wenn vorsichtig und bewusst gehandhabt – zahlreiche Möglichkeiten der Vermittlung eröffnet. Dabei wird ein weiterer wünschenswerter Effekt erzielt: Menschen, die mit der Motivation der unmittelbaren materiellen Bedürfnisse den Laden aufsuchen (also solche, die gemeinhin den „unteren“ gesellschaftlichen Schichten angehören) und solche, die sich aus idealistischen Motiven, eventuell gerade auf Grund eines expliziten (natürlich selbst noch ideologischen) Interesses an der „Alternativökonomie“ beteiligen (und regelmäßig aus privilegierteren Schichten kommen) treffen recht ungezwungen und unmittelbar aufeinander. Dies gilt natürlich auch für den direkten Kontakt von AktivistInnen (die ja selbst zumindest hierzulande eher selten besonders „proletarischer“ Herkunft sind) und möglichen InteressentInnen und TeilnehmerInnen. Es ist also gerade die paradoxe Positionierung von Umsonstökonomie an der Grenze von (immanenter) Politik und Ökonomie (bzw. transzendenter Politik), die zahlreiche einzigartige Chancen bietet.

Dies setzt nun aber voraus, dass die notwendige und wünschenswerte Gemeinschafts- und Innenorientierung mit der eigentlichen Stärke des Konzepts – einer spezifischen Außenwirkung – sinnvoll vermittelt wird. Hier sind die Gefahren der Überschätzung der ökonomischen Seite bzw. die mangelnde theoretische Durchdringung des Verhältnisses Politik-Ökonomie in der eigenen Praxis die eine Seite der Medaille. Die andere liegt in der Unterschätzung und konsequenten Fehlbetrachtung der politischen Seite begründet. Eine solche kann sich als fehlende bewusste Auseinandersetzung mit der Außenorientierung, einer Anbindung an soziale Bewegungen und der organisatorischen Verstetigung im Kontext jener äußern; sie kann jedoch auch, den Fehlern der falschen Bestimmung des politischen Moments aufsitzend, in einer allzu starken (unbewussten) politischen Färbung von umsonstökonomischer Praxis im eigentlichen Sinne resultieren. Denn AkteurInnen der Umsonstökonomie bringen regelmäßig auch Erfahrungen aus anderen Emanzipationsbestrebungen mit und geben der eigenen Praxis so – notwendigerweise – einen gewissen Bias. Dies ist zwar grundsätzlich nicht schlecht, wird allerdings dann zum Problem, wenn es mit der eigentlichen Stärke des Ansatzes – der prinzipiellen Offenheit und Neutralität, die durch das Prinzip „Ökonomie“ nach außen kommuniziert wird – allzu unmittelbar im Konflikt steht. Während nämlich bei anderen emanzipatorischen Praxen das offensive Vertreten eigener emanzipatorischer Werte und der inkludierende Effekt, den dies auf andere (Gleichgesinnte) hat, positive Wirkungen zeigen kann, sind bei der Umsonstökonomie Effekte, welche die Gruppendynamik auf ein Gros des sonst angesprochenen „Außen“, der mehr oder weniger unemanzipierten „Normalbevölkerung“ hat, ein starkes Gegenargument gegen subkulturelle Prägung, gegen offensive Ausschlüsse und die ganz offene und plakative Vermittlung von (offensichtlich) radikalen politischen Botschaften. Dies würde der Stärke des Konzepts mittelfristig entgegenarbeiten und tatsächlich die spezifischen Potentiale von Umsonstökonomie als fragmentierter „Keimform“ einer größeren sozialen Bewegung versanden lassen. Wie alle anderen Praxisformen auch weist Umsonstökonomie gewisse wünschenswerte und manche weniger angenehme Seiten auf, die sich hier vielleicht schärfer als in anderen Ansätzen an der Grenze zwischen „Innen- und Gemeinschaftsorientierung“ und „Außen- und Wirkungsorientierung“ artikulieren. AktivistInnen müssen sich entscheiden, wo für sie die Prioritäten liegen. Diese Prioritätensetzung sollte aber möglichst bewusst vor sich gehen und die allgemeinen, konzeptuellen wie auch spezifischeren, praktischen Grenzen von emanzipativem Handeln im Auge behalten werden. In diesem Sinne sollte Umsonstökonomie nicht nur ihren Möglichkeitsrahmen (aus der Perspektive der Kritik der Politischen Ökonomie) reflektieren, sie sollte sich auch beständig mit den Widersprüchen ihrer eigenen, individuell und kollektiv erfahrenen Praxen auseinandersetzen. Ich hoffe mit diesem Artikel insbesondere einen neuen Impuls in diese Auseinandersetzung eingebracht zu haben: das Nachdenken über die politische Praxisform Umsonstökonomie. Denn ebenso, wie auf der anderen Seite „politizistische“ Linke oftmals Aspekte des Kleinteiligen, der Reproduktion und der „gelebten Utopien“ vergessen, scheint mir jener Kontext, in dem auch die Umsonstökonomie angesiedelt ist, die Frage des Politischen allzu schnell abzuhandeln. Eine emanzipatorische Bewegung hat allerdings nur Chancen, wenn sie beide Seiten der modernen Widerspruchsmatrix Politik-Ökonomie gleichermaßen bearbeitet. Hierfür wäre eine gesteigerte Kommunikation unterschiedlicher Bewegungssegmente sicherlich von Vorteil. Letztlich kommt aber wohl niemand an der umfassenden Auseinandersetzung mit den je eigenen Reduktionismen vorbei. Dabei ist die Hinterfragung der (vermeintlichen) „Stärke“ der eigenen Praxis sicherlich ein guter Ausgangspunkt, denn es sind meist jene distinktiven Merkmale, die zu Abschattung nach außen und Desinteresse an (anderen) Bewegungspraxen führen. Genau in diesem Sinne müsste sich Umsonstökonomie – wie jedes andere emanzipatorisches Unterfangen auch – als Teil einer gemeinsamen sozialen Bewegung verstehen. Als solche könnte sie überhaupt nur dann Erfolg haben, wenn sie sich sowohl „arbeitsteilig“ segmentiert, eigene Zusammenhänge mit eigenen Zielen begründet, als auch ihre Verwobenheit in FreundInnenschaften, „Bündnisse“, soziale Netze, öffentlich-politische Repräsentationen und viele andere Formen des Gemeinsam-Werdens wahrnimmt und sie bewusst vorantreibt. Kritische Theorie kann hier nur die Rolle eines Wegweisers einnehmen, letzten Endes aber nicht das Beschreiten des mühsamen Weges abnehmen.

Literatur

Connell, R.W. 2006. Der gemachte Mann: Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Hamburg: VSA.

Habermann, F. 2007. Umsonstökonomie. In ABC der Alternativen, ed. Brand, UL, Bettina;Thimmel, Stefan. Hamburg: VSA.

Kurz, R. 1994. Kollaps der Modernisierung Leipzig: Reclam.

Kurz, R. 1997. Antiökonomie und Antipolitik. Zur Reformulierung der sozialen Emanzipation nach dem Ende des „Marxismus“. Krisis. Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft 19: 51-105.

Kurz, R. 2008. Der Unwert des Unwissens. Exit – Kritik und Krise der Warengesellschaft 5.

Marx, K. 1974a. Das Kapital. Kritik der politischen Ökomomie. Band 3. Vol. MEW 25 of. Berlin: Dietz.

Marx, K. 1974b. Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie. Berlin Dietz.

Marx, K. 1975a. Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Band 1. Berlin: Dietz.

Marx, K. 1975b. Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Band 2. Vol. MEW 24 of. Berlin: Dietz.

Notz, G. 2011. Theorien alternativen Wirtschaftens. Fenster in eine andere Welt. Stuttgart: Schmetterling.

Ortlieb, C.P. 2004. Markt Märchen. EXIT. Krise und Kritik der Warengesellschaft, no. 1: 166-84.

Rentschler, F. 2004. Der Zwang zur Selbstunterwerfung. Fordern und Fördern im aktivierenden Staat. In Exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft, 201-29.

Scholz, R. 1992. Der Wert ist der Mann. Thesen zu Wertvergesellschaftung und Geschlechterverhältnis. In Krisis, 19-52. Bad Honnef: Horlemann.

Anmerkungen

Das heißt, dass nicht nur eine große Komplexität verschiedener „Schichten“ sozialer Strukturen angenommen werden muss (Stratifikation), sondern diese auch in einer ganz bestimmten, historisch bedingten, jedoch eine eigene Widerstandsfähigkeit aufweisenden (hierarchischen) Art und Weise aufeinander aufbauen (Emergenz). Als ordnendes und kohäsives Muster kann die moderne Widerspruchslogik der Wert-Abspaltung verstanden werden.

Unter „Politisch“ verstehe ich solche Handlungsmuster, die einer gewissen Form(logik) folgen, welche intrinsisch mit Strukturmerkmalen der (repräsentativen) „gesellschaftlichen Allgemeinheit“ bzw. ihrer Herstellung und Reproduktion verbunden ist. Staatlichkeit, d.h. die Ausrichtung auf den Staat als Materialisierung dieser Allgemeinheit, ist hier immer schon notwendig (ob positiv oder negativ, als Anknüpfungs- oder Abgrenzungspunkt) impliziert. „Anti-politisch“ sind dagegen Momente der sozialen Praxis, die sich nicht nur von der politischen Form abgrenzen, sondern (ob dies nun gewollt oder nicht einmal bewusst ist) ihr von vorneherein entgegenlaufen, in ihr nicht aufgehen können und für ein – in der herrschenden Gesellschaft nicht systematisch artikulierbares – „Anderes“ stehen, welches – weil eben nicht verallgemeinerbar – innerhalb des Bestehenden zur umfassenden Belanglosigkeit verdammt ist.

Damit ist natürlich das Risiko verbunden, aus einer abstrakten theoretischen Perspektive präskriptive Vorgaben für konkrete Praxen zu machen, die sich eventuell in dieser Definition nicht wiederfinden. Gemäß der einführenden Absteckung der Zielsetzung dieses Artikels (und kritischer Theoriebildung im Allgemeinen) sollten die nun folgenden Definitionen und Absteckungen des Gegenstands (soweit sie konkrete Praxen betreffen) als Vorschläge verstanden werden. Insbesondere erhebt der inhaltliche Fokus keinen Anspruch auf Vollständigkeit was die Möglichkeiten emanzipatorischer Praxen betrifft.

Das heißt freilich nicht, dass bei VertreterInnen der Solidarökonomie auch nur regelmäßig ein hinreichend verständige Kritik des Marktes oder gar eine umfassende Kritik kapitalistischer Ökonomie als Ganzer vorzufinden ist.

Die Kritik der Politischen Ökonomie als Zugang selbst ist untrennbar mit der Person Karl Marx und seinen ökonomiekritischen Werken verbunden. Jegliche Kritik der Politischen Ökonomie ist also bis zu einem gewissen Grad „marxistisch“, insofern sie sich auf Marx beruft, der die Grenzen des Forschungsprogramms der Kritik zum ersten Mal systematisch absteckte. Mithin ist auch Gesellschaftskritik als umfassendes, auf die gesamte Totalität zielendes Unternehmen nicht ohne Bezug auf Marx bzw. sein theoretisches Erbe denkbar.

Im weiteren Sinne würde ich darunter einen Modus der Kritik verstehen, der den Anspruch hat gesellschaftliche Totalität als solche zu fassen. Dies beschränkt sich selbstverständlich nicht auf Ökonomiekritik, sondern muss die Kritik der gesellschaftlichen Spaltung in „Sphären“ als solche kritisieren. Insbesondere zu erwähnen ist hier die Kritik der Politik, die auf ähnlich systematische Weise wie die Ökonomie zu hinterfragen wäre.

Wiewohl es auch vorkapitalistische Formen des Tausches gab, ist der präzise, gesamtgesellschaftlich vermittelte und zur absoluten Allgemeinheit gereifte Äquivalententausch nur im modernen Kapitalismus vorzufinden. Er setzt eben – wie ich gleich argumentieren werde – bestimmte historische Produktions- und Reproduktionsbedingungen voraus, die nicht in einer bloßen „Identitätslogik“ des Tausches aufgehen.

Als prägend interpretiere ich hier Debatten, die von der als „Wertkritik“ verhandelten Theoriebildung in den 1990ern und frühen 2000ern ausgingen und maßgeblich um das damalige Zeitschriftenprojekt „Krisis“ gruppiert waren.

Inkongruenzen zwischen beiden führen – verkürzt gesagt – zu konjunkturellen Wirtschaftskrisen. Der Einfachheit halber lasse ich hier die gesamte Dimension der Krisenhaftigkeit des Kapitalverhältnisses außen vor.

Robert Kurz hat die Schwierigkeiten eines allzu emphatischen Bezugs auf die informationale Seite des postmodernen Kapitalismus (bzw. eine Kritik eines solchen Bezugs) gut in seinem Artikel „Der Unwert des Unwissens“ verhandelt (Kurz 2008).

Für eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Aporien der bürgerlichen VWL vgl. z.B. Ortlieb, C.P. 2004. Markt Märchen. EXIT. Krise und Kritik der Warengesellschaft, no. 1: 166-84.

Dass ein beständiges Gebot der „Selbstreflexion“, wie es in hiesigen linksradikalen Szenen zur ultima ratio gehört, selbst noch gewisse problematische Momente bürgerlicher (die AkteurInnen sind nicht umsonst meist auch „soziologisch“ betrachtet bildungsbürgerlicher Herkunft ) Ideologie in sich trägt, ist hier von Bedeutung: Bürgerliche Sozialisierung, nämlich jene der Distinktion und des „kulturellen Individualismus“ , des ideologischen Strebens nach individueller „Einzigartigkeit“ und „Perfektion in sich“ sind Ingredienzien des aufgeklärt-(bildungs-)bürgerlichen Subjekts. Das Bestreben „alles reflektiert“ zu haben, die (Selbst-)Kritik (vermeintlich) auf die absolut mögliche Spitze getrieben zu haben, dient dabei – unabhängig vom Inhalt oder des mehr oder weniger bewussten Vollzugs dieser symbolischen Codes – als „kulturelles Kapital“ (Pierre Bourdieu), welches im symbolischen Wettstreit mit anderen einen Vorsprung verschafft. Dieser Gedanke kann hier nicht unterfüttert werden, wäre aber für eine „Theorie der (unmittelbaren emanzipatorischen) Praxis“ durchaus von Relevanz.

Erwähnenswert sind hier etwa Ansätze der „Nicht kommerziellen Landwirtschaft“ (NKL), wie sie z.B. am durchaus auch durch Theoriearbeit inspirierten Landkommunenprojekt „Karlshof“, nahe Berlin, ausprobiert werden.

Ich setze hier teilweise in Anführungszeichen, da ich selbst noch mit sehr vereinfachten Begriffen arbeite, die in einer fundierten ökonomiekritischen Auseinandersetzung partiell revidiert werden müssten. Aus darstellungspragmatischen Gründen und dem Ziel dieses Artikels folgend geschieht dies hier nicht.

Die philologischen Überlegungen über die Unvollständigkeit des Marxschen Gesamtwerks, das (zu einem gewissen Zeitpunkt) bekanntlich einen 6-Bücherplan vorgesehen hätte, lasse ich hier außen vor.

Das Projekt einer Formkritik des Politischen ist meiner Einschätzung nach um einiges weniger weit gediehen als jenes der Formkritik des Ökonomischen. Die Gründe hierfür sind teilweise Schwierigkeiten in der Sache selbst („ausgeschiedene“, nicht uniformierte und prinzipiell als historisch offen erscheinende Gestalt der Politik) zu suchen, aber sicherlich auch der (oft immer noch traditionsmarxistisch gefärbten) „politischen“ Eigenpositionierung von Theoriepraxis geschuldet. Formkritik und Inhalt sollten aber auch im Politischen erst einmal auseinandergehalten werden.

Hierzu später mehr.

Meine Erfahrungen und Einschätzungen der Umsonstökonomie beziehen sich hauptsächlich auf ihre Verstetigung in Umsonstläden, die zusätzlich zur bloß „ideellen“ Seite eine materiell-räumliche Komponente aufweisen und wohl auch das prominenteste „real existierende“ Beispiel für Umsonstökonomie sind. Ich denke jedoch, dass die meisten meiner Einschätzungen über diese Form der Umsonstökonomie hinaus Gültigkeit haben.

Der springende Punkt bei der Bestimmung des Fetischismus wäre eigentlich die Ausweisung seiner Ubiquität abseits einer differenzierungstheoretischen „Aufsplittung“. Insofern gehören „Politik-“ und „Ökonomiefetisch“ natürlich von vorneherein zusammen. Darstellungspragmatisch ist es jedoch (bis zu einem gewissen Grad) stets nötig, die moderne Widerspruchsmatrix der Wert-Abspaltung, hier bis hinein in die Sphärentrennung Ökonomie-Politik, analytisch nachzuvollziehen. Dies verweist auf die Grenzen des (systematischen) Denkens, die in diesem Text als solche nicht wissenschaftskritisch aufgearbeitet werden können.

Zumindest wenn Gewalt als Schranke der politischen Form ebenfalls noch als ihr notwendiges Konstituens angesehen wird. Diese Definition hat ihre Grenzen erneut in einer gesamtgesellschaftlichen Prozessperspektive – wenn das Gewaltmonopol nicht einmal mehr ansatzweise herstellbar ist, ein Zustand „negativer Anarchie“ umfassend erreicht ist, muss diese Formkritik überdacht werden. Eine derartige völlige Sistierung von Staatlichkeit ist aber selbst in den globalen Krisenregionen der „failed states“ nicht zur Gänze erreicht, was unmittelbar mit der globalisierten Gestalt des warenproduzierenden Patriarchats zusammenhängt.

In diesem Zusammenhang können Überlegungen zu „hegemonialen Männlichkeiten“ (Connell 2006) konkreteren Aufschluss geben über Bewältigungsstrategien und Abwehrmechanismen. Die grundsätzliche Unmöglichkeit einer umfassenden „doppelten Vergesellschaftung“ des Mannes ist jedoch in seiner gesellschaftlichen Rolle selbst begründet: als Dominierender und Aktiver Part patriarchaler Gesellschaft kommt ihm die Funktion der Aufrechterhaltung des Herrschaftsgefälles schlechthin zu. Die Verteidigung des symbolisch Männlichen (auf vielen Fronten und auf teilweise „versteckte“ Arten) ist deshalb nicht nur im Sinne der Sicherung von Privilegien zu verstehen, sondern stellt eine systemische Notwendigkeit dar, die intrinsisch mit der Grundgestalt der herrschenden Gesellschaft als sowohl patriarchaler als auch warenproduzierender verknüpft ist.

In diesem Sinne kann und wird sie – wie die obige Begriffsbestimmung schon erwiesen hat – auch nie vollständig als „Ökonomisches“ anerkannt werden. Versuche der „Bezahlung für Hausarbeit“ sind deshalb wohl auch aus einer pragmatischen, immanenten Kampf-Perspektive eher fehlplatziert, weil sie strategisch auf „ungünstige“ Widersprüche stoßend.

Nach diesem kurzen Abriss könnten nun alle bisher entwickelten Gedanken auf den unterschiedlichen Abstraktionsebenen im Lichte dieser symbolischen Perspektive betrachtet werden und erhielten dann eine spezifische einschlägige Formaufladung. Dies überlasse ich hier der Kreativität des/der LeserIn bzw. späteren Arbeiten.

 

Autor: Elmar Flatschart

Exit. Krise und Kritik der Warengesellschaft:

"Unibrennt-Bewegung" und die reale existierende universitäre Linke – eine (selbst-)kritische Rekapitulation

Selten bildet die Ausweisung des eigentlichen Motivationshintergrunds den Einstieg ins publizistische Schaffen. Dies bietet sich hier aber an, ist doch der Grund für diesen Artikel die fehlende Behandlung des „brennenden“ Themas in früheren Politix-Ausgaben. Offensichtlich ist unibrennt nämlich nicht nur an mir, sondern auch an anderen Personen und Zusammenhängen, die schon länger im Moloch Universität anzutreffen sind, in eigentümlicher Weise vorübergegangen. Nicht dass jemand die Existenz, die „Highlights“ und die ungefähre Verlaufsform des letzten heißen Herbstes hätte verpassen können – dafür waren die Proteste viel zu sehr in Medien und nicht zuletzt auch im gemütlich von zu Hause konsumierbaren Internet präsent. Trotzdem – oder vielleicht: gerade weil – unibrennt eigentlich offen, leicht zugänglich und in fast schon gespenstischer (weil in größeren Maßstäben funktionierender) Weise „selbstorganisiert“ war, schienen weite Teile der im und um die Universität herum organisierten „Linken“ paralysiert zu sein und wussten oftmals zuerst gar nicht richtig, wie sie mit dem Phänomen umgehen sollten. Dieser Eindruck ergab sich mir aus zahlreichen Gesprächen mit Bekannten und FreundInnen, aber auch dem Verhalten einiger bekannter Gruppen und Zusammenhänge.

Wie kann es nun also sein, dass unibrennt für so viele Menschen mit emanzipatorischen Anspruch ein unbeschriebenes Blatt blieb, die Bewegung weitgehend der „jungen Generation“, dogmatischen Polit-Sekten, einer mehr als laschen österreichischen „Zivilgesellschaft“ und bloß wenigen engagierten Einzelpersonen aus dem Kreis der kritischen Lehrenden und unipolitischer AktivistInnen überlassen blieb?
Die damalige Sonderausgabe der Unique versammelt ein (uni-)politisches Lager mit einer klaren Antwort: die Bewegung war es für „wirklich Linke“ schlicht nicht wert, sich dafür herzugeben. Sie wurde als reduktionistisch, ideologiebefangen und von vorneherein zum Scheitern verurteilt demarkiert. Die Stimmung dieser gerade im ÖH-Umfeld und universitär verorteten Linken alles andere als minoritären Position manifestiert sich treffend in folgender Überschrift eines Artikels aus der damaligen Unique: „Der gefährliche Wahnsinn der ‚Bewegung'“. Ich halte diese Einschätzung für problematisch1. Es liegt mir zwar fern über die Wahrnehmungen einzelner hinwegzugehen, die frustriert von tatsächlichen Versuchen der Partizipation und geschockt von sicherlich zuhauf vorkommenden sexistischen o.ä. übergriffigen Verhaltensweisen einiger PartizipantInnen von der Bewegung abließen. Diese Wahrnehmungen sind ebenso wichtig wie die Ausweisung und Kritik von in der Bewegung existenten ideologischen Formen und anderer problematischer Praxen. Trotzdem ist weder die Diktion noch die Reichweite der Kritik haltbar: Gerade „erfahrene“ AkteurInnen undogmatischer sozialer Bewegungen sollten wissen, dass mit der Größe und Offenheit von Initiativen immer auch der inhaltliche Konsens und die Geschlossenheit der eigenen Reflexions- und Umgangsformen leidet. Die Unibewegung als solches, bzw. ihre Manifestation, die AudiMax-Besetzung, konnte demnach gar nicht als solche ein „linker Freiraum“ sein – dafür war sie zu groß, heterogen und pluralistisch. Sie war jedoch eine Bewegung die zumindest im Kern auf einige progressive Kernelemente baute. Deshalb hätte sie für emanzipatorische AkteurInnen v.a. als ein Residuum kleinteiliger und mühsamer Veränderungsprozesse sein sollen, in der v.a. auch einzelne Individuen und losere Gruppenzusammenhänge „politisch sozialisiert“ werden können. Während orthodox marxistische Organisationen diese Intervention seit jeher sehr pointiert (und borniert) betreiben und auch diesmal wieder präsent waren, schien es weniger dogmatischen, starr organisierten und machtpolitisch kalkulierenden Zusammenhängen schwer zu fallen, Fuß zu fassen.

Anstatt die Bewegung für etwas zu kritisieren, dass sie nicht war und auch gar nicht sein konnte, sollte bei den eigenen Strukturen angefangen werden. Spätestens hier kann auch die berechtigte Frage beantwortet werden: Was hat dies alles in der Zeitschrift des Instituts für Politikwissenschaft verloren?
Einerseits finden die Proteste natürlich in und um das Institut statt. Andererseits muss jedoch die Frage gestellt werden, inwieweit davon geredet werden kann, dass das Institut für Politikwissenschaft in diese Proteste eingebunden war oder ist. Diese Frage stellt sich weniger (alleinig) hinsichtlich der tatsächlich institutionell gebundenen Personen und Strukturen, dem „Lehrkörper“ und der Administration. Sie stellt sich jedoch viel mehr angesichts einer holistischeren Betrachtung des „Mikrokosmos Politikwissenschaft“, denn so gesehen kann das Institut als sozialer Raum und Feld politischer Praxis betrachtet werden. Aus dieser Perspektive kann nur von Tendenzen, (symbolischen) Aufladungen und halbdurchlässigen strukturellen Verstetigungen die Rede sein, präzise – gar wissenschaftliche – Aussagen sind selbst für diesen beschränkten Raum schwer zu erlangen. Nichtsdestoweniger macht es Sinn, dieser Ebene nachzuspüren. Meine These ist hier, dass der „Mikrokosmos Politikwissenschaft“ in den letzten Jahren einen signifikant „linken“ und kritischen Anstrich bekommen hat. Dies äußert sich nicht nur im Lehrangebot und den Lehrenden selbst, sondern ist als „Klima“ spürbar, selbst für Personen (wie mich), die nicht mehr voll im Studium integriert sind, da sie die Querschnittsmasse des/der „VollzeitstudentIn“ verlassen haben. Letztlich denke ich, dass auch der Wechsel der Studienrichtungsvertretung in diesem Lichte zu betrachten ist: die alte Bagru Politikwissenschaft war zwar kritisch und auf ihre Weise wohl auch „links“, allerdings repräsentierte sie in ihrer Ausrichtung zumindest lange Zeit eine relative Distanz vom Mainstream des Studiums (der eben auch nicht so überwiegend „links“ war) und war auch ihrer Organisationsform nach für viele Studierenden wohl wenig einladend. Einzuordnen wäre sie eher in der vorher benannten Position „ÖH-Umfeld und universitär verortete Linke“2, die den Protesten schnell sehr kritisch oder zumindest ratlos gegenüberstand. Die 2009 erfolgte institutsinterne Verschiebung des politischen Mandats der Studienrichtungsvertretung, welche doch eine recht abrupte und deutliche war, illustriert also einerseits eine interne Entwicklung des Mikrokosmos PoWi. Sie hatte aber andererseits auch hinsichtlich der Unibrennt-Bewegung Folgen: die neue Krisp-Führung war den Protesten gegenüber deutlich wohlgesinnt eingestellt und förderte den studentischen Aktivismus nicht nur passiv oder durch partielle Einflussnahme, sondern war (und ist) an seinem Fortgang proaktiv beteiligt.

Manche mögen an dieser Stelle anhalten und vermeinen, dass die Sache damit geklärt ist: es gibt die neuen, „guten“ Strukturen, die es fertigbringen, Teil der Proteste zu sein; und die alten, „schlechten“ universitären Linken, die nicht von ihrem Sessel hochkommen oder die Bewegung bloß von außen aufs giftigste bespeien.

So einfach ist es aber nicht, denn nicht nur ist der Mikrokosmos PoWi als integriert in einen breiteren emanzipativeren Makrokosmos „universitäre Linke“ zu denken; auch ist die Wertung der Positionen schlussendlich nicht zu halten. Spontaner Aktivismus, (dessen) Organisierung und strukturelle Absicherung sind ohne Zweifel wichtige Momente universitärer (und gesamtgesellschaftlicher) Emanzipationsversuche. Sie stellen die im engeren Sinne „politische“ Frage(n), beschäftigen sich mit tagesaktuellen Themen, welche von allgemeiner Bedeutung sind und versuchen in die sogenannten „Kräfteverhältnisse“ einzugreifen. Diese Ausrichtung, in der sich – grob generalisiert – neuere Entwicklungen am Institut und die Machart und Stoßrichtung (eines Gros) der Audi-Max-Bewegung treffen, hat allerdings auch ihre Schwächen und Kehrseiten. Diese lassen sich – nicht zufällig – paradigmatisch im Widerspruch zur Position der etablierten universitären Linken erläutern. Während letztere Zusammenhänge sich durch langjähriges und langsames „Hineinwachsen“ in eine „alternative“ Sozialisierung auszeichnen, beruht die politizistische Strategie auf einer schnellen und themenorientierten Anziehung möglichst vieler Menschen. Dabei kommt es leicht zu einer Art „Durchlauferhitzer-Effekt“: Menschen engagieren sich kurzfristig intensiv und schenken einen großen Teil ihrer (freien) Zeit „der Politik“, um dann nach einigen Wochen oder Monaten völlig ermattet wieder zurück ins „normale Leben“ zu kehren. Eine derartige Politisierung ist nicht nachhaltig, gerade weil sie sich auf die Politik beschränkt und nicht die gesamte Lebensrealität der AkteurInnen verändert. Es geht hier aber nicht nur um Subkultur, denn das Modell Aktivismus in der Politikform ist notwendig auch wenig(er) sensibel für Ideologien, personale Unterdrückungsverhältnisse bzw. Ausschlüsse und distanziertere kritische Betrachtung von Zusammenhängen – hierfür braucht es Zeit, Ruhe und ein geeignetes Umfeld, denn eine diesbezügliche Sensibilisierung, ein derartiges Lernen, setzen eine profunde Veränderung der Einzelnen voraus. Nun kann nicht absolut negiert werden, dass dies auch im Rahmen von politizistischen Netzwerken möglich ist, es ist jedoch durch die starke Formdetermination des „Politischen“ jedenfalls viel schwieriger und in den meisten Situation wohl unmöglich. Die Sozialisierung im mehr oder minder emanzipatorischen Makrokosmos „Universitäre Linke“ (die nicht zuletzt stark auch im Umfeld der diversen ÖH-Strukturen stattfindet) ermöglicht eine graduelle Entwicklung hin zu einer umfassenderen und meist nachhaltigeren linken Identität3. Zweifelsohne ist diese Identität (beständig!) zu kritisieren und zu transzendieren und weist ihrerseits problematische Ausschlussmechanismen und ideologische Verklärungen auf. Sie gewährleistet jedoch eine kontinuierlichere Entwicklung von alternativen Strukturen und Lebensweisen. Sie trägt so letztlich auch zur Veränderung eines (gesamtgesellschaftlichen) Klimas bei bzw. ist der einzige Weg dorthin. Während „Kämpfe“ und „Bewegungen“ in der Politikform aufgehen, sich notwendig mit den Themen oder den mehr oder weniger strukturell eingerahmten „Kampfzyklen“ ein gutes Stück weit selbst erledigen, da schlussendlich nach dem Ende der „Kämpfe“ nur der „harte Rest“ der „BerufspolitikerInnen (oder RevolutionärInnen)“ übrigbleibt, machen gerade Momente, die eigentlich „antipolitisch“ sind, nicht oder nur schwer politisierbar sind und das mehr oder minder sublime „Hintergrundrauschen“ der „articulated politics“ darstellen, die Kontinuität und Dichte von emanzipatorischen Bewegungen aus. Sie prägen nicht zuletzt auch wirklich ernsthafte Politiken, denn nur die ruhigeren Phasen abseits des Aktivismus ermöglichen eine (selbst-)kritische Sondierung und Schärfung der eigenen Vorstellungen und Lebenswelten, was als Voraussetzung für emanzipatorische Politik zu gelten hat. Hierzu kann dann auch das (bedächtig und ausgewählt betriebene) Studium der Politikwissenschaften beisteuern. Für all dies ist die allzu starke Fokussierung auf den Aktivismus bzw. eine politizistische Grundhaltung geradezu hinderlich, weil sie nicht nur zeitmäßig, sondern auch im Bezug auf die (eigenen) Perspektiven von Momenten einer emanzipatorischen Sozialisierung wegführt4.

Diese Ausweisung der Gefahren und strukturellen Selektivitäten eines manifesten linken Aktivismus/Politizismus darf nun aber erneut nicht als Absage an Basisarbeit, Aktivismus und das Agieren in der Politikform schlechthin verstanden werden. Wie schon anfangs gesagt, liegt mir nichts ferner als die zuerst einmal politische und aktionistische „Spitze“ der AudiMax-Bewegung als solche zu desavouieren. Dies Sache ist schlicht so widersprüchlich wie sie klingt: Aktivismus/Politizismus und eine nachhaltige linke Sozialisierung schließen sich punktuell zu einem hohen Grad aus. Trotzdem sind sie aufeinander angewiesen, denn es bedarf nicht nur der – meist nur vermittels spektakulärer und zugespitzter politischer Inszenierungen erreichbaren – Erneuerung und (im Idealfall) Vergrößerung linker Zusammenhänge, auch zeichnen sich soziale Bewegungen natürlich dadurch aus, dass sich etwas bewegt – hierfür bedarf es politischer Impulse von außen, damit etablierte alternative Lebenswelten nicht zu Szenesümpfen verkommen oder in der „Flucht zur Landidylle“ enden. Im Umfeld der akademischen Landschaft lauert außerdem stets auch noch die Gefahr der „Wegetablierung“ in formellen Institutsstrukturen, universitären Leistungsdünkel und dem völlig abgekapselten Elfenbeinturm (Mainstream-wissenschaftlicher, aber auch kritischer) Theorie. Geht der Blick also über die einzelne Situation, einen engen Zeitrahmen und eingegrenzten Raum hinaus, bedingen sich beide Seiten gegenseitig. Auf den Punkt gebracht: Es kommt auf die Mischung, oder besser, die Vermittlung, an.

Durchaus auch selbstkritisch bleibt festzustellen, dass diese Vermittlung vonseiten der universitären Linken schief gegangen zu sein scheint: progressive AkteurInnen, die in irgendeiner Weise institutionell, habituell oder inhaltlich an den sozialen Raum „Universität“ gebunden sind (dies inkludiert natürlich gerade auch wissenschaftliches Personal im weiteren Sinne), haben es nicht geschafft, „longue durée“ und „kurze Wellen“ emanzipatorischer Bestrebungen zusammenzubringen. Welche Gründe lassen sich hierfür finden? Es gibt sicher zahlreiche, aber ich möchte hier vorerst zwei aufwerfen.
Zum einen ist es wichtig Probleme nicht nur personalisiert zu betrachten, sondern in einem breiteren Kontext. Der etablierten universitären Linken mangelt es an Strukturen, die sich bewusst um Vermittlungs- und Vernetzungsarbeit bemühen – sowohl untereinander, als auch nach außen bzw. gegenüber „Bewegungen“ wie unibrennt. Bestehende Netzwerke und Strukturen sind meist nur nach innen gerichtet und dementsprechend „zweckgebunden“. Auf Grund des Mangels funktionierender Transmissionsriemen ist es nur verständlich, wenn sich Einzelne, die mit dem Status Quo eines Nebeneinanders unzufrieden sind, überfordert fühlen und den Anschluss neuer AkteurInnen an bestehende Netzwerke, wie auch die Intervention in die Bewegung(en) nicht zuwege bringen.
Andererseits muss die universitäre Linke aber auch an der Abgeschlossenheit in den Köpfen arbeiten. Wiewohl die Herausbildung einer „alternativen Lebenswelt“ gegenüber bloßem Polit-Aktivismus die oben genannten Vorteile birgt, führt sie zuweilen auch zu dogmatischen Verengungen und Unverständnis gegenüber jenen, die noch nicht Teil der eigenen Zusammenhänge sind, „unreflektiert“ und rücksichtslos erscheinen (und es wohl oft auch sind). Es ginge hier auch darum differenzierte Einschätzungen manchmal vor persönliches Empfinden zu setzen und sich bewusst der „mühsamen“ Widersprüchlichkeit zu stellen, die sich ergibt, wenn Versuche einer gelebten Utopie und die reale Welt da draußen aufeinanderstoßen. Letztlich hat sich schließlich auch der emanzipatorische Gehalt von alternativen Strukturen daran zu messen, wie sehr sich selbige ihrer eigenen Situierung mitsamt der Privilegien, Wissensvorsprünge und erweiterten Lebensperspektiven bewusst sind und gegenüber anderen dessen eingedenk handeln. Dann würden sie ernsthafte AkteurInnen von Bewegungen wie unibrennt für ihren mangelnden Reflexionsstand eher bemitleiden als verteufeln und versuchen, möglichst vielen den Zugang zu der eigenen, „besseren“ Lebenswelt zu eröffnen. Wenn dies nicht gelingt, dann müssen wohl auch diese Lebenswelten selbst hinterfragt werden – auf dass sie besser werden und für möglichst viele ein möglichst gutes und widerständiges Leben ermöglichen.

1 Ebenso problematisch war/ist jedoch viel dessen, was als kritische Reaktion auf die Unique-Ausgabe verlautet wurde. Eine Auseinandersetzung mit der längeren Debatte, die sich in linken Medien zu diesem Thema entspannte, würde diesen Artikel allerdings sprengen.

2 Gleichwohl möchte ich mich dezidiert dagegen verwehren, dass jene Position insgesamt als „anti-deutsch“ zu bezeichnen ist. Diese Benennung mag für die Bagru Powi mehr oder minder zutreffend sein, aber das Feld universitärer Linker, welches ich hier beschreiben möchte geht über eine derartige Ausrichtung sehr weit hinaus und umfasst beträchtliche Teil von feministischen, queeren, „autonomen“, mehr oder minder anarchistischen und an manchen neomarxistischen Positionen orientierte Zusammenhänge (und einiges mehr, dass nicht in diese Schubladen passt, sich z.B. eher soziokulturell definieren ließe). Diese Pluralität findet sich selbst noch in der genannten „Unique“-Ausgabe wieder, weswegen auch hier längst nicht alles über einen Kamm geschert werden kann.

3 Mehr oder minder homogene Identitätskonzepte bleiben meiner Einschätzung nach trotz oder gerade auf Grund der vielbeschworenen Absage an die „Identitätspolitik“ relevant: KritikerInnen identitärer Festschreibungen setzten jene oft nur unbewusster und/oder versteckter um.

4 Dass es hier – wie schon vorweggeschickt – um Tendenzen geht, muss klar sein. Ebenso wie der/die AktivistIn oft einen oberflächlichen (und oft auch kurzen) Shift der Selbstwahrnehmung erfährt, gehen auch hartgesottene „Szene-Linke“ immer mal wieder auf Demos und lassen sich für die eine oder andere spektakuläre Aktion erwärmen. Letztlich sind konkrete Zuschreibungen auf dieser individuellen Ebene auch kaum zu halten.

 

 

Autor: Elmar Flatschart

Erschienen in POLITIX (29/2010)

Dokumentation: Was war links?

Vierteilige Dokumentation über das Jahr 1968 sowie die Frage: Was war links?

Folge 1: Protest und Theorie
Folge 2: Dutschke und Konsorten
Folge 3: Lärm und Gewalt
Folge 4: Kunst und Klassenkampf

Zu Wort kommen u.a. Theodor W. Adorno, W.F. Haug, Oskar Neg, Harun Farocki, Robert Gernhardt, Rüdiger Safranski, Hans Magnus Enzensberger, Klaus Theweleit und Katharina Rutschky.

Vollständig auf YouTube verfügbar unter:

 

Sendemanuskripte sowie weitere Infos unter

Adorno, Theodor W. (2003) "Marginalien zu Theorie und Praxis"

„Heute wird abermals die Antithese von Theorie und Praxis zur Denunziation der Theorie missbraucht. Als man einem Studenten das Zimmer zerschlug, weil er lieber arbeitete als an Aktionen sich zu beteiligen, schmierte man ihm an die Wand: wer sich mit Theorie beschäftige, ohne praktisch zu handeln, sei ein Verräter am Sozialismus“ (Adorno 2003, 764).

 

Adorno, Theodor W. (2003) „„, in: Adorno, Theodor W. (2003) „Kulturkritik und Gesellschaft II. Eingriffe, Stichworte, Anhang“, Frankfurt a. M., S. 758-782